BR-Klasse 77

BR-Klasse EM2 / 77
NS-Baureihe 1500
27000 wieder in originaler Farbgebung, aber technisch noch weitgehend im Zustand der letzten Betriebsjahre
27000 wieder in originaler Farbgebung, aber technisch noch weitgehend im Zustand der letzten Betriebsjahre
27000 wieder in originaler Farbgebung, aber technisch noch weitgehend im Zustand der letzten Betriebsjahre
Nummerierung: BR:
27000–27006

BR (ab 1957):
E27000–E27006

NS (ab 1970):
1501–1506
Anzahl: 7
Hersteller: Mechanischer Teil:
Gorton Works
Elektrischer Teil:
Metropolitan-Vickers
Baujahr(e): 1953–1954
Ausmusterung: BR: 1968
NS: 1984–1986
Achsformel: Co’Co’
Spurweite: 1435 mm (Normalspur)
Länge über Puffer: 17 983 mm
Höhe: 3962 mm
Breite: 2692 mm
Drehzapfenabstand: 9296 mm
Drehgestellachsstand: 4775 mm
Gesamtradstand: 14 072 mm
Kleinster bef. Halbmesser: 121 m
Leermasse: 101,61 t
Dienstmasse: 104,14 t
Reibungsmasse: 104,14 t
Radsatzfahrmasse: 17,63 t
Höchstgeschwindigkeit: 145 km/h
Kurzzeitleistung: 3430 kW bei 61 km/h
Stundenleistung: 2058 kW
Dauerleistung: 1790 kW
Anfahrzugkraft: 200 kN
Dauerzugkraft: 69 kN bei 92 km/h
Leistungskennziffer: 17,18 kW/t
Treibraddurchmesser: 1092 mm
Stromsystem: 1,5 kV =
Stromübertragung: Oberleitung
Anzahl der Fahrmotoren: 6 × MV 146
Antrieb: Tatzlager
Übersetzungsverhältnis: 3,765 : 1
Bauart Fahrstufenschalter: 36-stufiger Fahrschalter und Widerstandssteuerung
Lokbremse: Druckluft, Nutzbremse, Handbremse
Zugbremse: Saugluft,
später Druckluft*
Zugheizung: Dampf,
später elektrisch*
Kupplungstyp: Schraubenkupplung
* durch Umbau im Werk Tilburg
Quellen:[1][2][3][4]

Die Klasse 77 von British Rail (BR), ursprünglich Klasse EM2 (Electric Mixed-Traffic 2), ist eine Baureihe elektrischer Universallokomotiven mit der Achsfolge Co’Co’, die 1953 und 1954 in den bahneigenen Gorton Works mit elektrischer Ausrüstung von Metropolitan-Vickers für die mit 1,5 kV Gleichspannung elektrifizierte Woodhead Line in 7 Exemplaren gebaut wurde. Nach ihrer Ausmusterung bei BR wurden die Fahrzeuge 1969 an die Nederlandse Spoorwegen (NS) verkauft, bei diesen geringfügig umgebaut und als Baureihe 1500 noch bis 1986 eingesetzt. Zwei Maschinen blieben im Vereinigten Königreich und eine in den Niederlanden erhalten.

Geschichte

British Railways

Für den Einsatz auf der steigungsreichen, mit 1,5 kV Gleichspannung elektrifizierten Woodhead Line von Sheffield über Penistone nach Manchester ließ British Railways (BR) neben den seit 1950 in Serie gefertigten vierachsigen elektrischen Universallokomotiven der Klasse EM1 eine leistungsfähigere, sechsachsige Variante entwickeln.[3] Obwohl diese vorrangig für den Reisezugdienst beschafft wurde und daher unter anderem eine größere zulässige Höchstgeschwindigkeit besaß, wurde sie als EM2 und somit ebenfalls als Universallokomotive klassifiziert. Nachdem man sich gegen die Erweiterung des vorhandenen Gleichstromnetzes entschieden hatte, wurde im November 1950 die Bestellmenge von 29 auf 7 verringert.[3]

Die Fahrzeuge wurden in den bahneigenen Gorton Works in Manchester mit elektrischer Ausrüstung von Metropolitan-Vickers unter den Fabriknummern 1065 bis 1071 gebaut und von Dezember 1953 bis Dezember 1954 mit den Betriebsnummern 27000 bis 27006 in Dienst gestellt.[2][3][4] Am 14. September 1954 bespannte die bereits seit Februar 1954 von Wath upon Dearne aus erprobte 27000 den ersten Personenzug von Sheffield Victoria nach Manchester London Road, bevor am 20. September der planmäßige Einsatz begann.[3]

Die fast ausschließlich im Reisezugdienst verwendeten Lokomotiven wurden 1957 in E27000 bis E27006 umgezeichnet. Zwischen Mai 1959 und Januar 1961 erhielten sie Namen aus der griechischen und römischen Mythologie.[2][3][5] Die Instandhaltung der in Wath und Reddish stationierten Fahrzeuge übernahmen die Gorton Works beziehungsweise nach deren Schließung im Jahr 1963 die Crewe Works. Nach wenigen Betriebsjahren wurde die ursprüngliche schwarze durch die aktuelle dunkelgrüne Farbgebung ersetzt. In den 1960er Jahren erhielten die Maschinen E27002 Aurora, E27004 Juno und E27006 Pandora wie die Wechselstromlokomotiven von BR eine hellblaue Lackierung.

Die nun als Klasse 77 bezeichnete ehemalige Klasse EM2 wurde im März 1968 durch die Klasse 76, ehemals Klasse EM1, abgelöst, bevor BR im Jahr 1970 den Personenverkehr auf der Woodhead Line einstellte.[3] Am 5. Oktober 1968 wurde die gesamte Klasse 77 ausgemustert, in Bury abgestellt und anschließend zum Verkauf angeboten.[2][3]

Nederlandse Spoorwegen

Am 20. August 1969 begutachteten Mitarbeiter der zu dieser Zeit von einem Lokomotivmangel betroffenen Nederlandse Spoorwegen (NS) die E27002 im Einsatz auf der Strecke Reddish–Sheffield. Im September 1969 wurden alle sieben Maschinen an die NS verkauft und noch im selben Monat von Harwich nach Zeebrugge verschifft.[3][4] Mit der E27002, die nach ihrer Ankunft in den Niederlanden eine provisorische Druckluftbremse erhielt, wurden im Oktober 1969 erneut Testfahrten durchgeführt.[4] Die E27005 Minerva diente zunächst als Ersatzteilspender und wurde im Mai 1971 zerlegt. Die verbleibenden sechs Fahrzeuge kehrten zwischen Juni 1970 und Juni 1971 nach dem Umbau im Ausbesserungswerk Tilburg zur Anpassung an die neuen Einsatzbedingungen, nun im grau-gelben Farbschema der NS, mit den Betriebsnummern 1501 bis 1506 als Baureihe 1500 in den Plandienst zurück.[3][6]

Beheimatet in Maastricht, beförderten sie Schnellzüge auf der Strecke Den Haag CentraalVenlo, wobei bis 1976 meist nur der Abschnitt Rotterdam Centraal–Venlo befahren wurde.[4] Gelegentlich bespannten sie auch andere Schnellzüge wie den D 230 „Holland-Skandinavien-Express“ zwischen Hoek van Holland Haven und Utrecht Centraal oder den TEE 7Rheingold“.[4] Außerdem kamen sie vor Güterzügen, beispielsweise auf den Strecken KijfhoekRoosendaal und EindhovenHeerlen, sowie Autoreisezügen zwischen ’s-Hertogenbosch und Venlo zum Einsatz.[4][6] Anders als früher auf der Woodhead Line verkehrten die Schnellzuglokomotiven auf den niederländischen Hauptbahnen regelmäßig mit Geschwindigkeiten um die 130 km/h, obwohl die Zugkraft oberhalb 110 km/h zu wünschen übrig ließ.[4]

Ab 1981 wurden sie durch die Baureihe 1600 abgelöst und daher von Juli 1984 bis Juni 1986 ausgemustert.[4] Die durchschnittliche Laufleistung jeder Lokomotive betrug zu diesem Zeitpunkt etwa 5,3 Mio. km, wovon beachtliche 4 Mio. km seit der Übernahme durch die NS zurückgelegt worden waren.[3] Die Maschinen 1503, 1504 und 1506 wurden im Februar 1985 und Oktober 1986 zerlegt.[2][6] Die 1501 blieb im Nederlands Spoorwegmuseum in Utrecht, die 1502 bei der Museumsbahn Midland Railway in Butterley und die 1505 im Science and Industry Museum in Manchester erhalten.[3]

Technik

Mechanischer Teil

Der Hauptrahmen, auf dem zwei Endführerstände und der Maschinenraum angeordnet sind, ruht auf zwei dreiachsigen Drehgestellen, welche denen der dieselelektrischen Baumusterlokomotiven der Klasse D16/1 entsprechen.[3] Die von der 1986 zerlegten Lokomotive E27004 erhaltenen Drehgestelle sollen daher für den Nachbau einer D16/1 von der Ivatt Diesel Re-creation Society verwendet werden, wofür lediglich die vorhandenen Federn durch stärkere zu ersetzen sind. Im Gegensatz zur Klasse EM1 werden die Zug- und Stoßeinrichtungen vom Hauptrahmen getragen und zwischen den Drehgestellen ist keine Kurzkupplung mehr vorhanden.[3]

Die gegenüber der EM1 verbesserten Laufeigenschaften erlauben eine Höchstgeschwindigkeit von 145 km/h, die jedoch bei einer Streckenhöchstgeschwindigkeit von 105 km/h auf der Woodhead line nutzlos war.[3] Bei schweren Anfahrten kam es zu einer starken Entlastung des vorderen Radsatzes im Drehgestell, woraus eine hohe Schleuderneigung resultierte.[3] Da die EM2 im Gegensatz zur EM1 nicht über eine Anfahrschaltung verfügte, welche die Stromzufuhr der vorauslaufenden Fahrmotoren verringerte, und die Sandstreueinrichtung bei feuchtem Wetter nicht zuverlässig arbeitete, war sie in ihrem ursprünglichen Zustand für die Beförderung schwerer Züge ungeeignet.[3]

Für die Versorgung der Dampfheizung von Reisezügen war wie bei einigen Lokomotiven der Klasse EM1 ein elektrisch betriebener Heizkessel des Herstellers Bastian and Allen vorhanden, der aus einem 1455 l fassenden Vorratsbehälter gespeist wurde und stündlich 454 kg Dampf erzeugen konnte.[1][3]

Elektrischer Teil

Die Stromabnahme aus der Oberleitung, an der eine Gleichspannung von 1,5 kV anliegt, erfolgt über Scherenstromabnehmer. Obwohl diese mit doppelten Schleifleisten ausgestattet sind, wurden in der Regel beide Stromabnehmer gleichzeitig verwendet, um Kontaktprobleme zu vermeiden.[7] Das mit 24 V Gleichspannung betriebene Bordnetz wird von einem Umformer gespeist, dessen Kühlung der Fahrmotorlüfter des zweiten Drehgestells übernimmt.[4]

Zur Leistungssteuerung werden mittels Fahrschalter Anfahrwiderstände zugeschaltet. Die Kühlung dieser übernimmt der Fahrmotorlüfter des vorderen Drehgestells.[4] Von den insgesamt sechs Tatzlager-Fahrmotoren, bei denen es sich um Reihenschlussmotoren handelt, sind pro Drehgestell dauerhaft zwei in Reihe geschaltet.[3] In den Fahrstufen 1 bis 16 sind alle sechs, in den Fahrstufen 17 bis 27 jeweils drei und in den Fahrstufen 28 bis 36 jeweils zwei Motoren in Reihe geschaltet, womit sich maximale Klemmenspannungen von 250 V, 500 V und 750 V ergeben.[4] In den Fahrstufen 16, 27 und 36 ist eine Feldschwächung möglich.[4]

Umbaumaßnahmen

Beim Umbau im Ausbesserungswerk Tilburg wurden sechs Fahrzeuge mit Einholmstromabnehmern des Typs AM 30 von Faiveley, einer indirekt wirkenden Druckluftbremse als Zugbremse, einer Hauptluftbehälterleitung, einer Zugsammelschiene, dem Zugbeeinflussungssystem ATB-EG sowie einer dem niederländischen Standard entsprechenden Spitzenbeleuchtung ausgerüstet.[4] Auch eine neue Sandstreueinrichtung und eine Schleuderschutzregelung wurden eingebaut.[4] Der nicht mehr benötigte Dampfheizkessel musste weichen, um für zwei Luftpresser des Typs DVC 2 von Westinghouse Platz zu schaffen, die aus den bereits 1960 zerlegten dieselelektrischen Lokomotiven der Baureihe 2600 stammten.[4] Darüber hinaus wurde der Führerstand umgestaltet, wobei die wesentlichen Bedienelemente auf die rechte Seite verlagert wurden.

Erhaltene Fahrzeuge

BR-Nummern NS-Nummer Name Indienststellung Ausmusterung Anmerkungen
27000, E27000 1502 Electra 28.12.1953 (BR)
05.10.1970 (NS)
05.10.1968 (BR)
01.06.1986 (NS)
erhalten bei Midland Railway in Butterley
27001, E27001 1505 Ariadne 22.03.1954 (BR)
16.04.1971 (NS)
05.10.1968 (BR)
01.06.1986 (NS)
erhalten im Science and Industry Museum in Manchester
27003, E27003 1501 Diana 05.08.1954 (BR)
12.06.1970 (NS)
05.10.1968 (BR)
01.06.1986 (NS)
erhalten im Nederlands Spoorwegmuseum in Utrecht
Quellen:[2][4][5][6]

Fotos

Commons: British Rail Class 77 – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. a b British Railways Electric Locomotive Diagrams – Book No. E. L. O. 274. British Railways Board, Swindon 1965, S. 6 (englisch, barrowmoremrg.co.uk [PDF; 3,6 MB; abgerufen am 18. Februar 2025]).
  2. a b c d e f 77 Co-Co – Fleet. In: BR Database. Abgerufen am 27. April 2025 (englisch).
  3. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s The Electric Co-Co Class EM2 (BR Class 77) Locomotives. In: LNER Encyclopedia. Abgerufen am 7. Februar 2025 (englisch).
  4. a b c d e f g h i j k l m n o p q 1500 – Elektrische locomotieven serie 1500. In: Railwiki. 19. August 2025, abgerufen am 7. September 2025 (niederländisch).
  5. a b 77 Co-Co – Names. In: BR Database. Abgerufen am 27. April 2025 (englisch).
  6. a b c d Historie NS 1500 serie. In: Werkgroep Loc 1501/Stichting Klassieke Locomotieven. Abgerufen am 8. September 2025 (niederländisch).
  7. The LNER Electric Bo-Bo Class EM1 (BR Class 76) Locomotives. In: LNER Encyclopedia. Abgerufen am 9. September 2025 (englisch).