Mukkuvar

Die Mukkuvar sind eine tamilische Kaste in Südindien und an den östlichen und nordwestlichen küsten Sri Lankas, die historisch eng mit der Fischerei, der Seefahrt, dem Muscheltauchen sowie mit der Piraterie an der Malabarküste verbunden war. Die meisten Mukkuvar sprechen einen älteren Tamil-Dialekt und sind in den Bundesstaaten Kerala und Tamil Nadu sowie an den Küsten Sri Lankas beheimatet. Die islamischen Konvertiten unter ihnen sind in Kerala unter dem Namen Mappila oder Mopla(h) bekannt. Sie sprechen Malayalam.

Etymologie

Ihr Name leitet sich ab von tamilisch: muk / mung („Taucher“, vielleicht auch im Sinne von „versenken“[1]), von mukku („Ecke“, d. h. Ecke oder Spitze der Landmasse)[2] oder auch vom Sanskrit-Wort muchhuva („Fischer“). Wurden früher offenbar alle Küstenfischer der Region so genannt, bezog sich der Name im Laufe der Zeit immer stärker auf eine spezielle Gruppe, die von Mathew definiert als „community of marine fisher people professing Catholic religion living in the Kanyakumari district [in Tamil Nadu] and Thiruvananthapuram district [in Kerala]“.[3]

Fischerei als kulturprägendes Element

Die Mukkuvar leben in Dörfern in geringer Entfernung vom Küstensaum an einer besonders fischreichen Küste mit etwa 20.000 Fischarten. Die Fischerei hat ihre Kultur geprägt. Sie unterscheiden sich durch ihre Gebräuche und Rituale, nicht jedoch durch die angewandte Technik der großflächig miteinander verbundenen Netze (thattumadi) mit relativ großen Maschen und den Gebrauch von Katamaranen, von anderen seefahrenden (Hindu-)Gemeinschaften.[4] Anders als andere maritime Gruppen jagen sie auch Haie. In Kerala leben etwa 120.000 Mukkuvar in diesen Fischerdörfern. Im Binnenland sind Mukkuvar häufig als Fischhändler tätig.

Gesellschaftliche Struktur und soziale Stellung im Kastensystem

Die Mukkuvar sind traditionell in exogame Clans unterteilt, die als illam bekannt sind. In Kerala und Tamil Nadu folgten sie in einigen Gebieten einem matrilinearen Erbsystem, bei dem Besitz und sozialer Status über die weibliche Linie weitergegeben wurden.[5] Diese Clans heißen cudis. Das System wurde nach Sri Lanka übertragen. Die Mukkuvar-Frauen verwalten dabei auch heute noch das Geldvermögen der Fischer und übertragen einen großen Teil ihres Besitzes an ihre Töchter bei deren Heirat als Mitgift, nicht mehr als Erbe – eine Folge kolonialer Gesetzgebung im 19. Jahrhundert.[6]

Im Kastensystem Indiens und Sri Lankas nehmen die Mukkuvar je nach Region unterschiedliche Positionen ein. In einigen Teilen Sri Lankas gehören sie zu den dominanten Küstengemeinschaften und hatten historisch Einfluss in lokalen Verwaltungsstrukturen. In Indien werden die etwa 150.000 christlichen Mukkuvar jedoch als niedere und rückständige Kaste betrachtet und diskriminiert.[7] Wegen der relativen Wohlstands einer neu entstandenen mukkuvarischen Mittelschicht und der Relevanz der Fischerei für die Ernährung des Hinterlands ging die soziale Absonderung der Gruppe in neuerer Zeit jedoch zurück; ein Teil der katholischen Mukkuvar sympathisiert sogar mit den Hindu-Nationalisten.[8]

Die Mukkuvar im Distrikt Batticaloa im Osten Sri Lankas haben ein eigenes Zivilrecht mit komplexer Kasuistik, das das matriarchalische Erbrecht anerkennt. Kodifiziert wurde es unter der holländischen Kolonialherrschaft im frühen 18. Jahrhundert und unter der englischen Herrschaft beibehalten.[9]

Kosmologie und Religion

Die Mukkuvar gehen von der Beseeltheit der gesamten Natur aus. See, Wind und Licht sind für sie göttlich, Krankheiten von Dämonen verursacht.[10][11]

Die religiöse Zugehörigkeit der Mukkuvar ist jedoch vielfältig. In Sri Lanka sind über 80 Prozent der über 40.000 Mukkuvar Hindus, es gibt jedoch auch christliche (meist katholische, bereits zur portugiesischen Kolonialzeit im 16. Jahrhundert durch Franz Xaver missionierte) Gruppen sowie buddhistische Einflüsse. In Indien finden sich sowohl christliche und hinduistische als auch muslimische Mukkuvar-Gemeinschaften; unter letzteren befinden sich sowohl Sunniten als auch Schiiten.[12] Die Konversion zum Islam war eine Möglichkeit, dem repressiven Kastensystem zu entkommen.

Die Religionsausübung trägt in beiden Ländern oft synkretistische, dabei aber konfliktreiche Züge: Neben den Marienkult tritt beispielsweise in Tamil Nadu die Verehrung der von Dämonen begleiteten Hindugöttin Eseki, der Urheberin allen Übels.[13]

Historische Bedeutung

Die Mukkuvar spielten eine wichtige Rolle in der Geschichte der Küstenregionen Südindiens und Sri Lankas. Sie dienten seit etwa dem 10. Jahrhundert als seeräuberische Krieger und Söldner in den lokalen Königreichen der Malabarküste, vor allem während der Chera-Dynastie und später im Fürstenstaat von Travancore. Seit dem 13. Jahrhundert siedelten sie auch in Sri Lanka, wo sie oft Grundbesitz erwarben und in vorkolonialen Zeiten zur Machtelite zählten. Dabei waren Heiraten mit zugewanderten Arabern üblich. Die Nachkommen aus diesen Ehen zählen heute zur Ethnie der srilankischen Moors, die außerhalb des Kastensystems stehen.[14] Die Mukkuvar beeinflussten durch ihre maritimen Kenntnisse auch den Fernhandel und die Wirtschaft der Region. Durch die Überfischung der Meere und den Klimawandel sind die ökologischen Grundlagen der traditionellen Mukkuvar-Gemeinschaften stark gefährdet.

Literatur

  • Francis Houtart, Nalini Nayak: Kerala Fishermen: Culture and social organization. PCP Centre, Thiruvananthapuram 1988.
  • V. Constentine: Mukkuvar: History, Life, Future. Nagercoil 2010.

Einzelnachweise

  1. Rajan Gurukkal: MayRethinking Classical Indo-Roman Trade: Political Economy Of Eastern Mediterranean Exchange Relations. OUP India 2015
  2. Kalpana Ram: Mukkuvar women: Gender, Hegemony and Capitalist Transformation in a South Indian Fishing Community. Kali for women, Delhi 1992, S. 1–5, 47.
  3. P. T. Mathew: We Dare the Waters: The World and the Worldview of Mukkuvar. On the religious life of Mukkuvars of Vizhinjam, a Christian fishing community in South Kerala. Dissertation, University of Madras. Chennai 2001, S. 35.
  4. J. Kurien: The Socio-Cultural Aspects Of Fisheries: Implications For Food And Livelihood Security: A case study of Kerala state, India. In: J. R. M. Goodwin (ed.): Understanding the cultures of fishing communities: A key to fisheries management and food security. FAO Fisheries Technical Paper 401, Rom 2001, S. 196–217.
  5. David Murray Schneider, Kathleen Gough: Matrilineal Kinship. University of California Press, 1974, S. 415.
  6. Dennis McGilvray: Dowry in Batticaloa: The Historical Transformation of a Matrilineal Property System, in: H.L. Seneviratne (Hrsg.): The Anthropologist and the Native: Essays for Gananath Obeyesekere. Anthem: New York / London 2011, S. 135–157.
  7. Final Report: Survey Research in Structural Discrimination and Social and Economic Exclusion of the Christian Minority 'Mukkuvar' Indigenous Community, for Advocacy and Resilience Building in Kanyakumari District, Tamil Nadu State, India. Organization for Community Development Tamil Nadu. Online
  8. Ajantha Subramanian: Mukkuvar Modernity: Development as a Cultural Identity. In: A. Agrawala, K. Sivaramakrishnan (eds.): Regional Modernities: The Cultural Politics of Development in India. Stanford UP 2003. Online (PDF)
  9. C. Brito: The Mukkuva Law. Or, the Rules of Succession Among the Mukkuvars of Ceylon. Colombo 1876. Online Reprint: Outlook Verlag 2024.
  10. P. R. G. Mathur: Kerala fisherfolk: Ritualistc and Cosmic Elements. In: Baidyanath Saraswati (ed.): Primal Elements: The Oral Tradition, Vol. 1, Kap. 18. Indira Gandhi National Centre for Arts, New Delhi 1995.
  11. P. T. Mathew: We Dare the Waters: The World and the Worldview of Mukkuvar. On the religious life of Mukkuvars of Vizhinjam, a Christian fishing community in South Kerala. Dissertation, University of Madras. Chennai 2001.
  12. K. A. Shahna: Segmentation and Hierarchical Social Relationships of Mukkuva Muslims in Kerala, in: IOSR Journal Of Humanities And Social Science (IOSR-JHSS). Volume 27 (2022), Issue 10, Series 2, S. 10–12.
  13. Deepti Priya: Rezension von K. Ram: Gender roles among the Mukkuvar fisherfolk (1992)
  14. Dennis B. McGilvray: Tamils and Moors: caste and matriclan structure in eastern Sri Lanka. University of Chicago, 1974, S. 23–25.