Mizgin Bilmen
Mizgin Bilmen (* 18. Oktober 1983 in Duisburg) ist eine deutsche Theater- und Opernregisseurin.[1] Seit 2024 leitet sie zusammen mit Alexander Kohlmann und Sabine Mäder die Schauspielsparte am Staatstheater Darmstadt.[2] 2025 inszenierte sie am Stadttheater Diyarbakır (Amed) die Arbeit Jîn – Jinên Azad (Die Frauen der Freiheit), ein radikal-poetisches Bühnenritual über Widerstand und die Stärke kurdischer Frauen.[1]
Leben
Bilmen wuchs als Tochter eines Gastarbeiters in Duisburg auf und bewegte sich früh zwischen den Sprachen Kurdisch und Deutsch.[1] Reisen in ihrer Kindheit nach Kurdistan prägten ihr Bewusstsein für Sprache und Zugehörigkeit; das Kurdische erlebte sie in der Türkei als gesellschaftlich sanktioniert.[1] Zunächst studierte sie Lehramt, bevor sie sich konsequent dem Theater zuwandte.[1] Eine prägende Hospitanz absolvierte sie bei Roberto Ciulli am Theater an der Ruhr in Mülheim.[1] Anschließend studierte sie Schauspielregie an der Folkwang Universität der Künste in Essen und zeigte im Rahmen des Studiums mehrere eigene Arbeiten; unmittelbar nach ihrer Diplominszenierung autopsie danton – nach Georg Büchners Dantons Tod begann sie im September 2013 als Regieassistentin am Maxim Gorki Theater. Im Mai 2014 wurde autopsie danton zum Körber Studio Junge Regie nach Hamburg eingeladen. 2014/15 folgte ein Engagement am Schauspiel Frankfurt; seit Mitte 2015 arbeitet Bilmen als freie Regisseurin.[3] Nach herausfordernden Erfahrungen – unter anderem in Dortmund – wandte sie sich zeitweise vom Theater ab, kehrte jedoch aus politischem Antrieb und künstlerischem Willen zur Bühne zurück.[1]
Wirken
Bilmen beschreibt Theater als „Prozess“ und verortet sich darin nicht als distanzierte Beobachterin, sondern als aktiver Teil der szenischen Arbeit.[1] Ihre Ästhetik verbindet Sprache als Mittel der Ermächtigung mit einer starken Körperlichkeit; der Körper dient ihr als Resonanzraum für Erinnerung, Trauer, Widerstand und Gemeinschaft.[1] Leitmotivisch ist für sie das Verhältnis von Politik und Biografie; Einflüsse nennt sie u. a. Roberto Ciulli, Heiner Müller, Pina Bausch, Jürgen Gosch und Frank Castorf.[1]
Mit Jîn – Jinên Azad (Premiere am 1. September 2025) brachte Bilmen am Stadttheater Diyarbakır ein Ensemble von sieben Frauen auf die Bühne, das Gesang, Sprechchöre, Tanz und kollektive Rituale zu Atmosphären des Aufbegehrens verdichtet; die Choreografie stammt von Berivan Sevgat.[1] Zentrale Bilder der Inszenierung sind Steine – als Last, Schutz, Waffe und Speicher von Geschichte –, dazu werden Stimmen der kurdischen Geschichte zitiert, u. a. von Leyla Zana sowie die Newroz-Botschaft von Abdullah Öcalan (2013).[1] Bilmen versteht die sicht- und hörbare Präsenz des Kurdischen auf der Bühne als Akt des Widerstands und als künstlerische Rückeroberung eines öffentlichen Raums für Sprache.[1]
In Reflexionen über Arbeitsbedingungen im Theaterfeld berichtet Bilmen von persönlichen Negativerfahrungen – etwa Denkverboten in Dortmund sowie verwaltungsförmigen Einschränkungen in Darmstadt –, die sie als Formen struktureller Begrenzung beschreibt; sie plädiert für ein Theater, das Zugänge öffnet und Menschen auf Augenhöhe zusammenführt.[1]
Auszeichnungen
2017 wurde Bilmen mit dem Götz-Friedrich-Preis für die Spielzeit 2016/17 ausgezeichnet; den Preis erhielt sie für ihre Inszenierung von Marc-André Dalbavies Oper Charlotte Salomon, die als Deutsche Erstaufführung am Theater Bielefeld gezeigt wurde.[4]
Inszenierungen (Auswahl)
- 2014 Helden von Ewald Palmetshofer am Schauspiel Frankfurt[5]
- 2015 Der Auftrag von Heiner Müller am Schauspiel Frankfurt[6]
- 2015 EXIT:LULU von Simon Paul Schneider nach Frank Wedekind am Schauspiel Frankfurt[7]
- 2017 Charlotte Salomon von Marc-André Dalbavie am Theater Bielefeld – Musikalische Leitung: Alexander Kalajdzic[8]
- 2017 Antigone von Sophokles am Theater Bamberg[9]
- 2018 Malina von Ingeborg Bachmann am Konzert Theater Bern[10]
- 2018 Das Rheingold von Richard Wagner am Theater Bielefeld – Musikalische Leitung: Alexander Kalajdzic[11]
- 2018 RADIKALE AKTE von Gerhild Steinbuch am Badischen Staatstheater Karlsruhe[12]
- 2018 Flüchtlingsgespräche von Bertolt Brecht am Rottstraße 5 Theater in Bochum[13]
- 2019 Titus Andronicus von William Shakespeare am Konzert Theater Bern[14]
- 2019 Quartett von Heiner Müller an der Volksbühne Berlin[15]
- 2020 Faust nach Johann Wolfgang von Goethe am Schauspiel Dortmund[16]
- 2022 Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams am Anhaltischen Theater Dessau[17]
- 2024 Macbeth von William Shakespeare am Staatstheater Darmstadt[18]
- 2025 Jîn – Jinên Azad (Die Frauen der Freiheit) am Stadttheater Diyarbakır (Amed); Choreografie: Berivan Sevgat[1]
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h i j k l m n o Derya Türkmen: Kurdisch-Deutsche Regisseurin – Im Theater ist alles möglich, Taz, https://taz.de/Wie-eine-kurdisch-deutsche-Regisseurin-ein-Stueck-in-ihrer-kurdischen-Heimat-inszeniert/!6108027/, 3. September 2025, 20:03 Uhr.
- ↑ Neuer Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt. 25. April 2024, abgerufen am 12. Mai 2024.
- ↑ Mizgin Bilmen am Theater Bielefeld. Abgerufen am 30. Januar 2017.
- ↑ Götz-Friedrich-Preis ehrt Regisseurin Mizgin Bilmen. (waz.de [abgerufen am 2. Oktober 2017]).
- ↑ Helden von Ewald Palmetshofer ( des vom 29. Juli 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. am Schauspiel Frankfurt. Abgerufen am 30. Januar 2017.
- ↑ Der Auftrag von Heiner Müller ( des vom 10. Dezember 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. am Schauspiel Frankfurt. Abgerufen am 30. Januar 2017.
- ↑ EXIT:LULU von Simon Paul Schneider ( des vom 30. Januar 2017 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. am Schauspiel Frankfurt. Abgerufen am 30. Januar 2017.
- ↑ Charlotte Salomon von Marc-André Dalbavie am Theater Bielefeld. Abgerufen am 30. Januar 2017.
- ↑ Antigone von Sophokles am Theater Bamberg. Abgerufen am 30. Januar 2017.
- ↑ update AG, www.update.ch: Premieren - Spielplan - Konzert Theater Bern. Abgerufen am 13. Januar 2018 (Schweizer Hochdeutsch).
- ↑ Das Rheingold. Abgerufen am 13. Januar 2018.
- ↑ RADIKALE AKTE | Programm | Badisches Staatstheater Karlsruhe. Abgerufen am 13. Januar 2018.
- ↑ Mizgin Bilmen | kommende Produktionen | NEUE PEGASUS. In: NEUE PEGASUS. 20. November 2018 (pegasus-agency.de [abgerufen am 23. November 2018]).
- ↑ update AG, www.update.ch: Premieren - Schauspiel - Konzert Theater Bern. Archiviert vom (nicht mehr online verfügbar) am 26. September 2018; abgerufen am 25. September 2018 (Schweizer Hochdeutsch). Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Quartett - Programm - Volksbühne Berlin. (volksbuehne.berlin [abgerufen am 23. November 2018]).
- ↑ Sarah Heppekausen: Faust – Schauspiel Dortmund – Mizgin Bilmen und Julia Wissert geben Goethe Donna Haraway: „Es werde violett“, nachtkritik.de vom 31. Oktober 2020, abgerufen am 5. November 2020.
- ↑ Anhaltisches Theater Dessau. Abgerufen am 30. Oktober 2022.
- ↑ Macbeth | Staatstheater Darmstadt. Abgerufen am 12. Mai 2024.