Michael von der Schulenburg (Physiker)
Michael Graf von der Schulenburg (* 18. März 1903 in Sankt Petersburg; † 26. November 1958 in Eichwalde bei Berlin) war ein deutscher Physiker und Leiter des Instituts Miersdorf der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
Familie
Michael von der Schulenburg stammte aus dem weitverzweigten Adelsgeschlecht derer von der Schulenburg. Er war das älteste von vier Kindern aus der Ehe des kaiserlich-russischen Staatsrats und Diplomingenieurs Sergei Iwanowitsch Graf von der Schulenburg (1875–1937) und der aus russischem Adel stammenden Praskowja Alexandrowna geb. Koechly (1872–1956).[1]:227[2] Ein Schwager von ihm war Kurt Tornier.
Schulenburg lebte in Eichwalde bei Berlin, wo er auch an Leberkrebserkrankung[3] verstarb. Er war seit 1936 verheiratet mit der in Riga geborenen Dagmar Karin geb. Baronesse von Engelhardt (1914–1979). Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor: Die 1942 geborene Tochter Dorita sowie die 1948 geborenen Zwillinge Gert und Michael, Mitglied des Europäischen Parlaments und ehemaliger Diplomat.
Leben
Nachdem Michael von der Schulenburg infolge der Oktoberrevolution die Schule verlassen und sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen musste, kam er 1925 mit Unterstützung deutscher Verwandter mit seiner Mutter und seinen drei Schwestern nach Berlin, wo er 1931 das Abitur nachholte.[4] Anschließend studierte er Physik an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin, arbeitete ab 1936 bei Hans Gerdien im Forschungslaboratorium I von Siemens und wurde mit einer an der Sternwarte Babelsberg angefertigten Dissertation über die Starkeffektverbreitung der Balmerlinien zum Dr. rer. nat. promoviert. Um dem Einzug in die Wehrmacht zu entgehen, wechselte er im September 1943 an das Röhrenlaboratorium von Max Knoll an der Technischen Hochschule Berlin, das aufgrund der Luftangriffe auf Berlin wenig später nach Bad Liebenstein in Thüringen umzog. Nach Kriegsende befand sich Schulenburg bis Ende 1945 im Gewahrsam der Field Information Agency, Technical der US-amerikanischen Besatzungsmacht,[5] die ihn gemeinsam mit vielen weiteren Wissenschaftlern ins fränkische Heidenheim verbrachte. 1947 konnte er Knoll, der an der TU München die Leitung des neu gegründeten Instituts für Elektronik übernahm, nach München folgen. Dort arbeitete er bis 1952 zunächst als wissenschaftlicher Assistent in Knolls Institut für Elektromedizin und Elektronentechnik und nahm dort, nach Übersiedlung Knolls an die Princeton University, als inoffizieller Leiter verschiedene Leitungsfunktionen wahr.[6][3]
Als Nachwuchswissenschaftler wurde er 1952 für den Aufbau der Atomforschung in der DDR angeworben, dafür siedelte er von München in die Nähe von Berlin um.[3] Vom 15. Juli 1952 bis zum 13. Juni 1956, als Gustav Richter die Leitung übernahm, war er kommissarischer Leiter des Institut für Hochenergiephysik in Zeuthen-Miersdorf.[7] Daraufhin hatte er bis zu seinem Tod das Amt des stellvertretenden Direktors inne. Diese Rückstufung stand auch im Zusammenhang mit Kritik an seiner Qualifikation.[8] Unter der Leitung Schulenburgs wurden insbesondere die Arbeiten zur Entwicklung eines Massenspektrographen fortgesetzt sowie die Vorbereitung auf den späteren Einsatz der Hochspannungskaskade und die Entwicklung von Ionenquellen und Targets für die Beschleunigeranlage. Schulenburg initiierte den Aufbau der Abteilungen für theoretische Physik bzw. Korpuskularstrahlung.[3]
1953 wurde der Dokumentarfilm mit dem Archivtitel Der Physiker Dr. Michael von der Schulenburg in seinem Institut für Hochenergiephysik in Zeuthen-Miersdorf und vor seinem Haus 1953 mit ihm gedreht.[9] Schulenburg zählte zu den als besonders SED-freundlich wahrgenommenen Physik-Institutsleitern seiner Zeit.[10][3]:S. 141 u S. 295
Schriften
- Kollektiv deutscher und französischer Wissenschaftler: Kernenergie. Gewinnung und Nutzung. VEB Verlag Technik, Berlin 1959 (Übersetzung der französischen Texte mit Ralf Sube).
Literatur
- Thomas Stange: Institut X. Die Anfänge der Kern- und Hochenergiephysik in der DDR. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2001, ISBN 3-519-00400-3 (zu Schulenburg vgl. S. 50, 68, 70–74, 76, 86 f., 139 f., 142 f., 145 f., 168, 170 f.).
- Schulenburg, Michael v. d. In: Kurt-Reinhard Biermann, Gerhard Dunken (Hrsg.): Biographischer Index der Mitglieder. Hrsg.: Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Akademie-Verlag, Berlin 1960; Nachdruck: De Gruyter, Berlin 2024, ISBN 978-3-11-272996-0, S. 225.
- Genealogisches Handbuch des Adels. Band 123, 2000.
- Dietrich Werner Graf von der Schulenburg, Hans Wätjen: Geschichte des Geschlechts von der Schulenburg 1237 bis 1983. Niedersachsen-Druck und Verlag Günter Hempel Wolfsburg, ISBN 3 87327 000 5, Wolfsburg 1984, S. 483 und 486.
Einzelnachweise
- ↑ Hilmann von Halem: Die Oldenburgische Linie der Familie von Halem. In: Oldenburgische Familienkunde. Jg. 53, 2011, S. 161–240 (lb-oldenburg.de [PDF; 53,4 MB; abgerufen am 22. Februar 2025]).
- ↑ Erik-Amburger-Datenbank. Ausländer im vorrevolutionären Russland. auf amburger.ios-regensburg.de, abgerufen am 22. Februar 2025
- ↑ a b c d e Olaf Strauß: Die Kernforschung und Kerntechnologieentwicklung in der DDR 1945 – 1965. Rahmenbedingungen, Politik der Staatspartei und Umsetzung. Dissertation. Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald 2011 (uni-greifswald.de [PDF; abgerufen am 22. Februar 2025]).
- ↑ Thomas Stange: Institut X. Die Anfänge der Kern- und Hochenergiephysik in der DDR. Vieweg+Teubner, Wiesbaden 2001, ISBN 3-519-00400-3, S. 70–74.
- ↑ Klaus-Dietmar Henke: Die amerikanische Besetzung Deutschlands (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte. Band 27). 2. Auflage. Oldenbourg, München 1996, ISBN 3-486-56175-8, S. 758, doi:10.1524/9783486829686.657.
- ↑ Vgl. Einzelvertrag vom 15.7.1952. BBAW, AKL, Personalia Nr. 662.
- ↑ Erich Lohrmann, Paul Söding: Von schnellen Teilchen und hellem Licht. John Wiley & Sons, 2009, ISBN 978-3-527-40990-7 (google.de [abgerufen am 22. Februar 2025]).
- ↑ „Von der Schulenburg sah sich, trotz vieler Verdienste um den Aufbau der Einrichtung, dann auch zunehmend der Kritik verschiedener Kollegen an seiner fachlichen Qualifikation ausgesetzt und räumte 1956 seinen Posten zu Gunsten des SU-Rückkehrers Gustav Richter.“, vgl. Olaf Strauß: Die Kernforschung und Kerntechnologieentwicklung in der DDR 1945–1965. 2011, S. 30, 296 (uni-greifswald.de [PDF] Dissertation, Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald).
- ↑ Der Physiker Dr. Michael von der Schulenburg in seinem Institut für Hochenergiephysik in Zeuthen-Miersdorf und vor seinem Haus 1953 [Archivtitel]. In: filmportal.de. Abgerufen am 22. Februar 2025.
- ↑ „Auch in späteren Einschätzungen wird die Rolle von der Schulenburgs aus parteipolitischer Sicht generell als sehr "progressiv" (d.h. kooperativ) dargestellt. Junge Absolventen, [...] hatten es daher leicht, in Miersdorf unterzukommen - auch wenn sie ein Parteibuch besaßen. Das war keineswegs überall so.“, vgl. Thomas Stange: Institut X. Vieweg+Teubner, 2001, S. 86 (springer.com [PDF]).