Mentale Rotation

Unter Mentaler Rotation versteht man eine gedankliche Operation, die aus der Betrachtung zwei- oder dreidimensionaler Objekte eine Vorstellung entwickelt, welchen Anblick sie nach einer Drehung bieten würden. Diese Fähigkeit ist in der Kognitionspsychologie viel untersucht worden. Mentale Rotation ist eine Komponente der Räumlichen Vorstellungsvermögens.

Testverfahren

Aufgabe zur mentalen Rotation: Handelt es sich jeweils um denselben Gegenstand nur in unterschiedlichen Ansichten?

Die wichtigsten Testverfahren zur Untersuchung der Fähigkeit zur mentalen Rotation sind der sog. Vandenberg-und-Kuse-Test sowie der daraus entstandene Mental-Rotation-Test von Peters und Kollegen. Typische Tests bestehen aus einer Referenzfigur und einer Vergleichsfigur. Die Aufgabe der Probanden besteht dann darin, zu entscheiden, ob die Vergleichsfigur durch Drehen in verschiedenen Raumrichtungen in die Referenzfigur überführt werden kann, also zu entscheiden, ob beide Abbildungen den gleichen Gegenstand zeigen könnten.

Die mittlere Erkennungszeit bei Tests hängt vom Winkel der Rotation ab und beträgt typischerweise zwischen ca. 1 s für kleine Winkel bis hin zu ca. 5 s für Verdrehungen von 180 Grad.

Forschungsergebnisse

Beitrag zur Imagery-Debatte

Roger N. Shepard und Jacqueline Metzler (1971) entdeckten als erste folgende Korrelation: Je weiter zwei Figuren gegeneinander verdreht sind, desto länger braucht es auch, um eine Entscheidung über ihre Gleichheit/Ungleichheit zu fällen. Der mentale Aufwand bei der Beurteilung einer Rotation entspricht also dem Aufwand einer wirklich durchgeführten Drehung. Dies ist ein Hinweis darauf, dass direkte Wahrnehmung und Vorstellung auf denselben Verarbeitungsmechanismen beruhen. Dieser Befund bedeutete einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die Natur bildlicher Vorstellungen und kognitiver Repräsentationen insgesamt („Imagery-Debatte“).

Beteiligte Hirnareale

Die Mentale Rotation ist im Gehirn lateralisiert: Sie wird in der Regel in der rechten Gehirnhälfte verarbeitet. Mittels funktioneller Magnetresonanztomographie ist es möglich festzustellen, welche Bereiche im Gehirn mit mentaler Rotation korrespondieren: So gibt es v. a. Aktivierungen in den Brodmann-Arealen 7A and 7B, dem Striatum, der Handsomatosensorik und dem Frontallappen.

Geschlechtsunterschiede

Bei Männern ist die mittlere Erkennungszeit in Tests je nach variiertem Merkmal ca. 0,1 bis 1 s kürzer als bei Frauen. Die mentale Rotation zählt zu den wenigen kognitiven Fähigkeiten, bei denen ein grundsätzlicher, d. h. nicht anerzogener, geistiger Unterschied zwischen den Geschlechtern vermutet worden ist. Es gibt aber auch Studien, die zeigen, dass der Leistungsunterschied durch positive bzw. negative Überzeugungen beeinflusst werden kann (also auch durch soziale Stereotypisierung der Geschlechter).[1] Eine gewisse Trainierbarkeit, vor allem bei Defiziten, wurde ebenfalls nachgewiesen.

Literatur

  • M. Peters, B. Laeng, K. Latham, M. Jackson, R. Zaiyouna, C. Richardson: A redrawn Vandenberg and Kuse Mental Rotations Test: Different versions and factors that affect performance. In: Brain and Cognition. Band 28, 1995, S. 39–58.
  • M. Peters, W. Lehmann, S. Takahira, Y. Takeuchi, K. Jordan: Mental rotation test performance in four cross-cultural samples (n = 3367): overall sex differences and the role of academic program in performance. In: Cortex. Band 42, Nr. 7, 2006, S. 1005–1014.
  • R. N. Shepard, J. Metzler: Mental rotation of three-dimensional objects. In: Science. Band 171, 1971, S. 701–703.
  • S. G. Vandenberg, A. R. Kuse: Mental rotations, a group test of three-dimensional spatial visualization. In: Perceptual and motor skills. Band 47, 1978, S. 599–604.
  • G. Wiedenbauer: Manuelles Training mentaler Rotation. Dissertation, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 2006. (PDF)
  • M. Wraga et al.: Neural basis of stereotype-induced shifts in women’s mental rotation performance. In: Social Cognitive and Affective Neuroscience. Band 2, Nr. 1, 2007, S. 12–19. doi:10.1093/scan/nsl041, PMID 18985116, PMC 2555429 (freier Volltext).

Einzelnachweise

  1. M. Wraga et al. (2007), siehe Literaturliste.