Melchior Grübel

Melchior Grübel (* um 1500 in St. Gallen; † um 1561 in Venezuela) war ein St. Galler Söldner, Händler und Leiter einer Handelsniederlassung der Welser sowie Konquistador in Venezuela.

Leben

Familie

Melchior Grübel entstammte einer wohlhabenden Handelsfamilie und wuchs als Sohn von Stephan Grübel (* 26. November 1454 in St. Gallen: † 1499)[1] und dessen Ehefrau Klara, die Tochter von Ulrich Krom (auch Krum) (1433–1493), in einer angesehenen Familie in St. Gallen auf. Sein Vater war nicht nur ein Händler, sondern bekleidete auch hohe städtische Ämter. Die Familie betrieb eine Handelsgesellschaft, und 1445 erhielten Stephan und sein Onkel Hans Grübel von Kaiser Friedrich III. einen Wappenbrief.

Ein naher Verwandter war der Schaffhauser Humanist Sebastian Grübel.

Sein Onkel war der Politiker Jacob Krom (auch Krum) († 1527)[2], der 1519 Zeuge beim Ehekontrakt zwischen dem Reformator Joachim Vadian und Martha Grebel war.

Grübel heiratete Katharina (geb. von Vonbühl) (auch als Katharina Vonwiller bekannt), mit der er vermutlich vier Kinder hatte. Die Ehe war jedoch nicht von Dauer, und 1552 ließen sich die beiden scheiden. Während dieser Zeit besaß Grübel seit 1524 ein Wohnhaus an der Spisergasse in St. Gallen. Für die Ehefrau und deren Kinder setzte sich 1548 auch Joachim Vadian aus St. Gallen ein.[3]

Werdegang

Über Melchior Grübels Kindheit und Jugend ist wenig bekannt, jedoch ist belegt, dass er später als Kaufmann im Leinwandhandel tätig wurde und Mitglied der Gesellschaft zum Notenstein, einem Zusammenschluss wohlhabender Bürger und Kaufleute, war.

Im Jahr 1531 nahm Grübel als städtischer Kriegsrat am Zweiten Kappelerkrieg teil.

Seine wirtschaftliche Situation verschlechterte sich in den frühen 1530er Jahren. Er geriet in Schulden und konnte seinen Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten.

1534 erhielt er die Erlaubnis von der St. Galler Obrigkeit, als Söldner in die Dienste des Freiherrn Georg von Hewen (auch Georg von Höwen) zu treten. Stattdessen reiste er vermutlich im Auftrag des Augsburger Handelshauses Welser in die Karibik und hielt sich ab 1535, als Bevollmächtigter und Verwalter der Güter und Finanzen der Welser, in der von den Welsern verpfändeten Kolonie Klein-Venedig (heute Venezuela) auf. Es wird angenommen, dass er dort möglicherweise mit seinem vorehelichen Sohn (andere Quelle: Bruder)[4] Leonhard lebte.

In der Kolonie arbeitete Grübel als bevollmächtigter Leiter einer Handelsniederlassung der Welser und vertrat diese in Gerichtsverfahren; er reiste häufig zur Karibikinsel Santo Domingo, um dortige Angelegenheiten zu regeln. Er war ein Bekannter von Hieronymus Sailer, der als Unterhändler der Welser Vereinbarungen mit König Karl V. unterzeichnet hatte, was darauf hindeutet, dass Grübel über wichtige Kontakte verfügte.

Grübel nahm auch als Konquistador an Expeditionen ins Landesinnere teil und begleitete unter anderem den Deutschen Nikolaus Federmann bei dessen Suche nach dem sagenhaften El Dorado. 1541 sandte er zuletzt Geld an seine in St. Gallen verbliebenen Familienmitglieder; danach wurde kein weiterer Kontakt zu seiner Heimatstadt dokumentiert.

Im Jahr 1545 war Grübel an der Gründung der Stadt El Tocuyo beteiligt. Spätestens 1546 trennte er sich jedoch von der Welser-Gesellschaft und schloss sich dem Widerstand gegen die Welserherrschaft an und trat in die Dienste des neuen Vizegouverneurs Juan de Carvajal, einem ehemaligen Welserfaktor. Dieser Wechsel könnte eine Reaktion auf ein Gerichtsverfahren gegen die Welser gewesen sein, die wegen ihrer rücksichtslosen Ausbeutung von Indigenen und Siedlern in der Kolonie 1546 die Konzession für Klein-Venedig entzogen bekam. 1552 war Grübel an der Gründung der Stadt Nueva Segovia de Bariquiçimeto beteiligt. Diese Siedlungen waren entscheidend für die Kolonisierungspolitik der spanischen Krone, die den Konquistadoren vorschrieb, neue Städte zu etablieren und die Kontrolle über das Land zu sichern.

Zwischen 1545 und 1554 war er als Statthalter in Santa Ana de Coro, bis 1547 unter dem Namen Neu-Augsburg bekannt, El Tocuyo und Borburata tätig. Grübel gehörte in Venezuela zur ökonomischen Elite, und sein Sohn Leonhard heiratete Maria Arias de Valdes, die Tochter des Vizegouverneurs Alonso Arias de Villasinda († 1557)[5].

Melchior Grübel und sein Sohn Leonhard beteiligten sich an mehreren Eroberungszügen, "Entradas" genannt. Die Truppen, die aus 100 bis 200 Mann bestanden, zwangen versklavte Menschen, das Gepäck und die Vorräte der Eroberer zu tragen. Die "Entradas" hatten oft das Ziel, indigene Völker zu unterwerfen, zu versklaven und deren Reichtümer zu stehlen.

Für seine militärischen Dienste erhielten Grübel und sein Sohn Land im heutigen Venezuela und die Verfügungsgewalt über 200 Indigene.

In den 1550er Jahren besaßen Melchior Grübel und sein Sohn sechs Encomiendas in El Tocuyo, die ihnen erlaubten, Abgaben zu erheben. Die Einwohner Venezuelas wurden gezwungen, auf diesen Encomiendas zu arbeiten, was Grübel und seinen Sohn zu Besatzern machte.

1559 dürfte Grübel für einige Monate als Vizegouverneur amtiert haben. In dieser Zeit hatte er sich vom Konquistador zum Besatzer gewandelt, was die Rolle von europäischen Siedlern in der Kolonialisierung und Ausbeutung indigener Völker verdeutlicht.

Literatur

  • Melchior Grübel. In: Ernst Iten: Die ersten Schweizer in der Neuen Welt. In: Neue Zürcher Zeitung vom 12. Oktober 1992. S. 15 (Digitalisat).
  • Melchior Grübel. In: St. Galler Konquistadoren in Venezuela. In: st.gallen24 vom 25. März 2024 (Digitalisat).
  • Melchior Grübel. In: Plötzlich tritt ein Sklavenhändler aus dem Archiv. In: Die Wochenzeitung vom 28. März 2024 (Digitalisat).
  • Melchior Grübel. In: Nicole Stadelmann: Melchior Grübel, ein St. Galler Konquistador in Venezuela und "In witte Land": Scheidung von Melchior Grübel wegen Abwesenheit. In: Konquistadoren und Sklavenhändler vom Bodensee. S. 40–54 (Digitalisat).
  • Rezia Krauer: Melchior Grübel. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
  • Melchior Grübel. In: Der Konquistador Melchior Grübel in Venezuela. In: Weg der Vielfalt - Kolonial, Rassismus.

Einzelnachweise

  1. Historisches Familienlexikon der Schweiz - Familienübersicht. Abgerufen am 11. September 2025.
  2. Claudia Klinkmann: Jacob Krum. In: Historisches Lexikon der Schweiz. 16. Oktober 2006, abgerufen am 11. September 2025.
  3. Conradin Bonorand: Hieronymus Sailer aus St. Gallen, Schwiegersohn des Augsburger Großkaufherrn Bartholomäus Welser, und seine Tätigkeit im Lichte seines Briefwechsels mit Vadian. In: Zwingliana XX, S. 103–125. 1993, abgerufen am 11. September 2025.
  4. Die Schweiz als Teil des europäischen imperialen Projekts – Geschichtsunterricht postkolonial. Abgerufen am 11. September 2025 (Schweizer Hochdeutsch).
  5. Arias de Villasinda, Alonso | Fundación Empresas Polar. Abgerufen am 10. September 2025.