Marienretabel (Rißtissen)

Der Marienretabel steht in Rißtissen in der Friedhofskapelle Sankt Leonhard und stammt aus dem Jahr 1483. Der als Flügelaltar mit Predella ausgeführt Altaraufsatz ist ein typisches Beispiel spätgotischer Ulmer Kunst. Die Flügelmalerei stammt von Jakob Acker dem Jüngeren, während die geschnitzten Figuren wahrscheinlich von einem weniger bekannten Ulmer Bildhauer stammen, dem Meister Kitzin. Über die künstlerische Qualität der Figuren gehen die Meinungen von Kunsthistorikern auseinander.
Beschreibung
Der Marienretabel von Rißtissen ist als Flügelaltar ausgeführt. Im zentrale Schrein des Altaraufsatzes stehen fünf reich ausgestattete Heiligenfiguren. Die Altarflügel besitzen Heiligendarstellungen auf den Innen- und Außenseiten.
Figuren im Schrein
Die fünf Figuren stehen vor einem Goldgrund. Zentral in der Gruppe steht die Muttergottes mit dem Christuskind. Sie steht vor einem roten Vorhang, der von Engeln getragen wird.[1] Neben ihr stehen drei der vier jungfräulichen Märtyrerinnen und Nothelferinnen. So stehen links (aus Sicht des Betrachters) die Heilige Katharina und rechts erst die Heilige Barbara und dann anschließend die Heilige Dorothea. Links der hl. Katharina befindet sich die Figur eines nicht näher bekannten heiligen Bischofs. Die Figuren zeigen eine gewisse Typenbildung wie zum Beispiel in den Gesichtern der Frauen oder in den Gewandmotiven.[1]
Bezüglich der künstlerischen und handwerklichen Qualität der Figuren sind die Meinungen nicht einheitlich. Maier-Lörcher charakterisiert die Figuren als „unproportionierte Gestalten mit viel zu großen Köpfen und gedrungenen Körpern, die wenig innere und äussere Bewegung zeigen“. Sie sieht in den Figuren eine Gesellenarbeit.[2] Demgegenüber schreiben Miller und Teget-Welz die Figuren einem nicht sehr bekannten Ulmer Bildhauer zu, dem Meister Kitzin, der zum Beispiel auch die Figuren des Vespertoliums des Ulmer Münsters geschaffen hat.[3]
Gemälde auf den Flügeln
Malerei auf den geschlossenen Flügeln
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Jakob Acker ist der Urheber der Gemälde auf den Altarflügeln. Die Altarflügel sind meist geschlossen, sie werden nur zu Festtagen geöffnet. Auf den Außenflügeln sind vier männliche Heilige zu sehen, und zwar die Heiligen Blasius, Martin, Leonhard und Georg.[2] Auf dem linken Innenflügel sind die Heilige Ursula (mit Pfeil) und die Heilige Agnes (mit Lamm und Märtyrerpalme) abgebildet.[4] Die Heiligen sind jeweils paarweise in einem einfachen, leeren Raum dargestellt, der von einem goldenen Vorhang begrenzt ist. Sie sind in fließende Gewänder gehüllt, wobei die Darstellungen in Ausdruck und Haltung wenig Bewegung zeigen und statuenhaft wirken. Die auf das Wesentliche beschränkte Ausführung der Heiligen beeindruckt dennoch, da sie durch ihre unnahbare, der irdischen Welt entrückte Ausstrahlung den Blick auf sich ziehen.[2] Nichtsdestotrotz wirken die Gemälde in ihrer traditionellen Ulmer Tradition etwas archaisch, da sich gegen Ende des 15. Jahrhunderts in der Ulmer Kunst bereits der Realismus durchgesetzt hat.[2]
Predella
Das Predellenbild zeigt Jesus Christus als den Erlöser der Welt (salvator mundi) umgeben von den Aposteln. Wie in der ulmer und oberschwäbischen Kunst häufig als Motiv angewandt, sind Jesus und die Jünger jeweils durch Attribute gekennzeichnet, das heißt durch die Gerätschaften, durch die sie den Märtyrertod erlitten hatten.[2] Dieser Darstellung liegt das apostolische Glaubensbekenntnis zugrunde, zu dem jeder Apostel vor seiner Abreise aus Jerusalem einen Satz beigetragen haben soll.[2]
Datierung und Urheber der Gemälde
Der Flügelaltar erscheint für den Chor der kleinen Leonhardskapelle als zu mächtig. Wahrscheinlich war er ursprünglich als Hochaltar für die Pfarrkirche von Rißtissen gedacht. Die Gemälde des Altars können zweifelsfrei Jakob Acker zugeschrieben und auf das Jahr 1483 datiert werden. Auf der rechten Schreinwange befindet sich folgende Inschrift: „Ich jakob acker maler von Ulm hon diese dafel gemacht uff den hailigen Kruitztag am herppst Anno dni MCCCCLXXXIII jar“.[2] Eine andere Quelle nennt folgende ähnliche Inschrift: „Jacob acker maler zv vlm hat diese Dafel gemacht uf des hailligen Kreutz tag an herst. anno dmi MCCCCLXXXIII jar“.[5]
Urheber der Figuren
Die Priester des Ulmer Vespertolium
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Zeitgleich zum Retabel in der Leonhardskapelle von Rißtissen entstand das Vespertolium des Ulmer Münsters, welches mit drei Figuren geschmückt war, die einen alttestamentarischen Priester und seine Gehilfen darstellten.[1][6] Als Vespertolium wird ein zum Chorgestühl gehörendes Möbelstück bezeichnet, welches als Sitz für den Priester und seine beiden Diakone dient. Das Vespertolium des Ulmer Münsters war im Mittelalter südlich des Hochaltars an der Chorwand aufgestellt und bildete zusammen mit dem Chorgestühl und dem Hochaltarretabel eine künstlerische Einheit.[6] Die drei hölzerne Figuren wurden bis ins 21. Jahrhundert einem nicht namentlich bekannter Bildschnitzer zugeordnet, dem der Notnamen „Meister des Ulmer Vespertoliums“ oder kurz „Vespertolium-Meister“ gegeben wurde.[6][7]
Der Bildhauer des Marienretabel von Rißtissen war bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts ebenso wenig bekannt. Er bekam den Notnamen „Meister des Ackeraltars“. Erst Lore Göbel zeigte, dass es sich bei dem „Vespertolium-Meister“ und dem „Meister des Ackeraltars“ um ein und dieselbe Person handelt.[7] Miller und Teget-Welz fanden schließlich zwischen den Jahren 1475 und 1487 mehrfach den Namen des Holzschnitzmeisters „Kitzins“ in kirchlichen Zinsbüchern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit steht dieser „Meister Kitzins“ hinter dem bislang anonym gebliebenen „Vesperolium-Meister“ und damit auch dem „Meister des Ackeraltars“.[8]
Einzelnachweise
- ↑ a b c Albrecht Miller, Manuel Teget-Welz: Der Meister des Ulmer Vespertoliums und sein Werk. In: Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben (Hrsg.): Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte, Kunst und Kultur. Band 57. Ulm 2011, S. 108 (wlb-stuttgart.de).
- ↑ a b c d e f g Barbara Maier-Lörcher: Meisterwerke Ulmer Kunst. Thorbecke Verlag, Ostfildern 2004, ISBN 3-7995-8004-2, S. 126–127.
- ↑ Albrecht Miller, Manuel Teget-Welz: Der Meister des Ulmer Vespertoliums und sein Werk. In: Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben (Hrsg.): Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte, Kunst und Kultur. Band 57. Ulm 2011, S. 107 (wlb-stuttgart.de).
- ↑ Risstissen - Ehingen Leonardokapelle. Hochaltar Altarflügel "Heilige Ursula und Heilige Agnes". In: leo-bw. Landesamt für Denkmalpflege, Außenstelle Karlsruhe, abgerufen am 25. August 2025.
- ↑ Acker, Jacob. In: Deutsche Biographie. Abgerufen am 25. August 2025.
- ↑ a b c Ein Sitz für den Priester. In: museen.de. 21. Oktober 2016, abgerufen am 27. August 2025.
- ↑ a b Eva Leistenschneider, Evamaria Popp: Der spätmittelalterliche Dreisitz des Ulmer Münsters und die Skulpturen des „Vespertoliumsmeisters“. In: Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben (Hrsg.): Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte, Kunst und Kultur. Band 60. Ulm 2017, S. 133 (wlb-stuttgart.de).
- ↑ Albrecht Miller, Manuel Teget-Welz: Der Meister des Ulmer Vespertoliums und sein Werk. In: Vereins für Kunst und Altertum in Ulm und Oberschwaben (Hrsg.): Ulm und Oberschwaben. Zeitschrift für Geschichte, Kunst und Kultur. Band 57. Ulm 2011, S. 114 (wlb-stuttgart.de).
Koordinaten: 48° 16′ 15″ N, 9° 49′ 20,8″ O