Makedonische Bulgaren



Als Makedonische Bulgaren[1] oder Mazedonische Bulgaren[2] (bulgarisch Македонски българи, oft auch nur Македонци/Makedonzi, deutsch Makedonier/Mazedonier genannt) sind eine regionale, ethnographische Gruppe ethnischer Bulgaren, die in der Region Makedonien leben oder aus dieser stammen. So wurde die Mehrheit der slawischsprachigen Bevölkerung Makedoniens von den meisten Angehörigen der nationalbewussten Minderheit und von externen Beobachtern bezeichnet, ab dem 10. Jahrhundert zunächst im Sinne eines Demonyms und vom 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert im nationalen Sinne.[3][4][5][6] Seit 1913 konzentriert sich die makedonisch-bulgarische Bevölkerung größtenteils auf Pirin-Makedonien, ein großer Teil ist jedoch über ganz Bulgarien und die Diaspora verstreut.
In Bulgarien werden im engeren Sinne die bulgarischen Flüchtlinge aus der Landschaft Makedoniens (→ Vilayet Manastır und Vilâyet Saloniki) im heutigen Norden Griechenlands (→ Griechisches Makedonien) und dem heutigen Nordmazedonien bezeichnet.[7][8] Im weiteren Sinne bezeichnen sich in Bulgarien auch die bulgarischen Bewohner des heutigen bulgarischen Teils der Landschaft Makedonien (Pirin-Makedonien) als bulgarische Makedonier, oft auch verkürzt nur als Makedonier und bilden eine der sprachlichen Gruppen des Landes. Darüber hinaus bezeichnen sich die bulgarische Einwohner Nordmazedoniens ebenfalls als makedonische Bulgaren.[9] Im historischen Kontext als makedonische Bulgaren wurden also die zahlreichen Mitglieder des Bulgarischen Exarchats und der bulgarischen Unierten Kirche in der Landschaft Makedonien im frühen 20. Jahrhundert beschrieben.[10]
Geschichte
Laut dem Historiker Apostolos Vacalopoulos werden seit Beginn des 18. Jahrhunderts von Reisenden in der Region Makedonien ausschließlich Bulgaren erwähnt. Dies zeigt, dass sie die größte slawische Gemeinschaft bildeten und nach und nach die wenigen serbischen Dorfbewohner absorbierten. Infolgedessen begannen die slawischsprachigen Bewohner des osmanischen Makedoniens, die bereits dem Namen nach Bulgaren waren, im 19. Jahrhundert eine überwiegend bulgarische nationale Identität zu entwickeln.[11] Allerdings hatte das Wort „bulgarisch“ vor den 1870er Jahren eine Konnotation mit armen, slawischsprachigen Bauern, da der Großteil der slawischen Bevölkerung in den ländlichen Gebieten Makedoniens lebte und hauptsächlich aus Çiflik-Bauern bestand.[12]
Mit dem Aufstieg des Nationalismus im Osmanischen Reich im 19. Jahrhundert nutzten rivalisierende bulgarische, griechische und serbische Nationalismen religiöse und pädagogische Institutionen, um die Bevölkerung Makedoniens an ihre jeweilige nationale Sache zu binden.[13] Das klassische osmanische Millet-System begann mit der fortschreitenden Identifikation des religiösen Glaubens mit der ethnischen Identität zu zerfallen.[14] So entstand im Kampf um die Anerkennung einer eigenen Nationalkirche die moderne bulgarische Nation[15][16] und die religiöse Zugehörigkeit wurde zu einer Folge nationaler Loyalität.[17] Der halboffizielle Begriff „bulgarisches Millet“ wurde 1847 erstmals vom osmanischen Sultan verwendet und war seine stillschweigende Zustimmung zu einer eher ethnolinguistischen Definition der Bulgaren als eigenständige ethnische Gruppe.[18] Offiziell als eigenständiges Millet wurden 1860 die bulgarischen Unierten und 1870 die bulgarischen Exarchisten anerkannt.[19]
Zeitgenössische Reisende, Ethnographen und Linguisten, darunter der slowakische Philologe Pavel Jozef Šafárik (1842), der französische Geologe Ami Boué (1847, 1854), der französische Ethnograph Guillaume Lejean (1861), die englischen Reiseschriftsteller Georgina Muir Mackenzie und Paulina Irby (1867), der russische Ethnograph Michail Mirkowitsch (1867), der tschechische Folklorist Karel Jaromír Erben (1868), der deutsche Kartograf August Heinrich Petermann (1869), der deutsche Geograph Heinrich Kiepert (1876), der österreichische Diplomat Karl Sax (1877) identifizierten die Slawen, die im heutigen Kosovo in Rumelien lebten, eindeutig als Serben und bezeichneten die in Makedonien lebenden Slawen ausschließlich als Bulgaren.[20][21] Sie alle legten auch die ethnografische Grenze zwischen Serben und Bulgaren entlang des Šar-Planina-Gebirges fest. Laut der Encyclopædia Britannica stellten die makedonischen Bulgaren zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bevölkerungsmehrheit in der gesamten Region Makedonien, das damals zum Osmanischen Reich gehörte.[22]
Mehrere Flüchtlingswellen (nach dem Ilinden-Preobraschenie-Aufstand (1903), nach den Verträgen von Sèvres und Neuilly-sur-Seine (1919), Lausanne (1923) sowie nach den Balkankriegen (1912–1913) und den Weltkriegen) dezimierten ihre Anzahl in den nichtbulgarischen Gebieten Makedoniens. Serbische Schätzungen für das Jahr 1913 für das Gebiet Vardar-Mazedonien gehen von einer Anzahl von 90.000, damals rund 10 % der Gesamtbevölkerung aus.[23] In der Periode nach dem Ersten Weltkrieg lebten über 100.000 als Flüchtlinge in Bulgarien.[24] Zusammen mit den bulgarischen Flüchtlingen aus Thrakien (→ Thrakische Bulgaren) stellen sie ein Viertel bis ein Drittel der heutigen bulgarischen Bevölkerung des Staates Bulgarien dar.[25] Weitere Flüchtlinge wanderten in die USA und Australien aus.
Seit den Balkankriegen von 1912/13 entstanden in den bulgarischen Städten Flüchtlingslager für vertriebenen Makedonische Bulgaren. In der Bulgarischen Hauptstadt Sofia leitete der massive Zustrom gar die zweite Phase der neuzeitlichen Baugeschichte ein, die sich durch den Bau von Wohnhäusern für die Vertriebenen und Zuwanderer auszeichnete. Die Orte an welchen sie sich niederließen, trugen – wie damals üblich – den Namen der Heimatregion oder -stadt. Später entstanden daraus Viertel wie zum Beispiel die Sofioter Gevgelija-Viertel (benannt nach der makedonischen Stadt Gevgelija) oder das Goze-Deltschew-Viertel (benannt nach dem Revolutionär Goze Deltschew) und weitere.
Siehe auch
- Siehe auch: Makedonische Frage
Einzelnachweise
- ↑ Vgl.: Stefan Troebst: Das makedonische Jahrhundert. 2007 München, R. Oldenbourg Verlag; ISBN 978-3-486-58050-1, S. 153 und S. 442;
Daniel Ziemann: Vom Wandervolk zur Grossmacht: die Entstehung Bulgariens im frühen Mittelalter (7.-9. Jahrhundert) in Band 43 von Kölner historische Abhandlungen, Böhlau Verlag Köln Weimar, 2007, S. 340;
Katrin Boeckh: Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg: Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung auf dem Balkan in Band 97 von Südosteuropäische Arbeiten, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 1996, S. 230;
Hans-Dieter Döpmann: Kirche in Bulgarien von den Anfängen bis zur Gegenwart, Biblion Verlag, 2006, S. 56;
Johannes Vollmer: Dass wir in Bosnien zur Welt gehören: für ein multikulturelles Zusammenleben, Verlag Benziger, 1995, S. 132 - ↑ Vgl.: Mehmet Hacısalihoğlu: Die Jungtürken und die Mazedonische Frage (1890–1918) in Band 116 von Südosteuropäische Arbeiten, Oldenbourg Wissenschaftsverlag, 2003, u. a. S. 232;
Friedrich Heyer: Die Orientalische Frage im kirchlichen Lebenskreis in Band 19 von Schriften zur Geistesgeschichte des östlichen Europa,
Otto Harrassowitz Verlag, 1991, S. 278;
Constantin D. Stanischeff [Konstantin Stanisev]: Die mazedonischen Bulgaren, Süddeutsche Monatshefte 26 (1929), H. 10, S. 721–723 - ↑ Most of the Balkans were settled by Slavs of one of the two types. (excluding the smaller groups of Slavic Slovenes and Turkic Avars in the western Balkans). Each one of these two main Slavic groups was to be named for a second conquering group who appeared later in the seventh century. The first of these two groups was the Bulgaro-Macedonians, whose Slavic component the Bulgarian historian Zlatarski derives from the Antes. They were conquered in the late 7th century by the Turkic Bulgars. The Slavs eventually assimilated them, but the Bulgars' name survived. It denoted this Slavic group from the 9th century through the rest of the medieval period into modern days. Until the late nineteenth century both outside observers and those Bulgaro-Macedonians who had an ethnic consciousness believed that their group, which is now two separate nationalities, comprised a single people, the Bulgarians. Thus the reader should ignore references to ethnic Macedonians in the Middle Ages which appear in some modern works. In the Middle Ages and into the nineteenth century, the term Macedonian was used entirely in reference to a geographical region. Anyone who lived within its confines, regardless of nationality, could be called a Macedonian. Nevertheless, the absence of a national consciousness in the past is no grounds to reject the Macedonians as a nationality today. Siehe: John Van Antwerp Fine, The Early Medieval Balkans: A Critical Survey from the Sixth to the Late Twelfth Century, University of Michigan Press, 1991, ISBN 0472081497, S. 36–37.
- ↑ Who are the Macedonians? Hugh Poulton, C. Hurst & Co. Publishers, 2000, ISBN 1-85065-534-0, S. 19–20.
- ↑ Откако биле освоени граничните византиски земји, од времето на Симеон е изменета и воената концепција. Извршена е симбиоза помеѓу малубројните азиски Прабугари и бројните словенски племиња кои на широкиот простор од Дунав на север, до Егеја на југ и од Јадран на запад, до Црното Море на исток го прифатиле заедничкиот етникон „Бугари“. Словенскиот јазик станал заеднички за сите жители на тој простор. Протобугарите се претопиле и исчезнале во словенските маси, а со нив и моделот на номадските воени хорди кои што живеат во аули., Siehe: Средновековни градови и тврдини во Македонија, Иван Микулчиќ, Македонска академија на науките и уметностите – Скопје, 1996, стр. 72.
- ↑ Formation of the Bulgarian Nation, Academician Dimitŭr Simeonov Angelov, Summary, Sofia-Press, 1978, pp. 413–415.
- ↑ Stephan Thernstrom: Harvard Encyclopedia of American Ethnic Groups. Hrsg.: Stephan Thernstrom, Ann Orlov, Oscar Handlin. 2. Auflage. Belknap Press of Harvard University, Cambridge 1980, ISBN 0-674-37512-2, S. 691 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Ulrich Ammon, Peter H. Nelde, Klaus J. Mattheier: Minderheiten und Sprachkontakt. In: Sociolinguistica. Max Niemeyer Verlag, 1990, ISSN 0933-1883, OCLC 17864624, S. 143 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Закажано рочиште во судот во Охрид за нападот врз Пендиков. In: telma.com.mk. Abgerufen am 20. Februar 2023: „македонски Бугарин“
- ↑ Katrin Boeckh: Von den Balkankriegen zum Ersten Weltkrieg: Kleinstaatenpolitik und ethnische Selbstbestimmung auf dem Balkan (= Südosteuropäische Arbeiten. Nr. 97). R. Oldenbourg, 1996, ISBN 3-486-56173-1, ISSN 0933-6850, S. 228 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- ↑ Vakalopoulos, Apostolos. History of Macedonia, 1354-1833. Salonica: Institute of Balkan Studies, 1973, S. 266.
- ↑ Hans Vermeulen: Cultural Dominance in the Mediterranean Area. Katholieke Universiteit, Nijmegen 1984, Greek cultural dominance among the Orthodox population of Macedonia during the last period of Ottoman rule, S. 225–255 (englisch, academia.edu).
- ↑ Victor Roudometof: Collective Memory, National Identity, and Ethnic Conflict: Greece, Bulgaria, and the Macedonian Question. 2002, S. 91 (englisch).
- ↑ Nationalist Exclusion and Ethnic Conflict: Shadows of Modernity, Andreas Wimmer, Cambridge University Press, 2002, ISBN 0-521-01185-X, S. 171–172.
- ↑ A Concise History of Bulgaria, R. J. Crampton, Cambridge University Press, 2005, ISBN 0-521-61637-9, S. 74.
- ↑ The Making of a Nation in the Balkans: Historiography of the Bulgarian Revival, Rumen Daskalov, Central European University Press, 2004, ISBN 963-9241-83-0, S. 1.
- ↑ Stefan Stambolov and the Emergence of Modern Bulgaria, 1870–1895, Duncan M. Perry, Duke University Press, 1993, ISBN 0-8223-1313-8, S. 7.
- ↑ Boyko Penchev, Tsarigrad/Istanbul/Constantinople and the Spatial Construction of Bulgarian National Identity in the Nineteenth Century in: History of the Literary Cultures of East-Central Europe: Junctures and disjunctures in the 19th and 20th centuries. Volume II, ISBN 9789027234537, 2006, John Benjamins, S. 390–413.
- ↑ Evolutionary Theory and Ethnic Conflict Praeger Series in Political Communication, Patrick James, David Goetze, Greenwood Publishing Group, 2001, ISBN 0-275-97143-0, S. 159–160.
- ↑ Ami Boué: Recueil d'Itinéraires Dans La Turquie d'Europe, Vol. 1: Détails Géographiques, Topographiques Et Statistiques Sur Cet Empire. (deutsch: Sammlung von Reiserouten in der europäischen Türkei, Band 1: Geografische, topografische und statistische Details dieses Reiches). Vienna 1854, S. 242–260 (französisch, bnf.fr).
- ↑ H.R. Wilkinson: Maps and Politics; a Review of the Ethnographic Cartography of Macedonia. Liverpool University Press, 1951, ISBN 978-0-85323-072-4, S. 34, 36, 44, 50, 53, 54, 55, 66, 70, 71, 75 (englisch, makedonika.org [PDF]).
- ↑ Bulgarians (described in encyclopaedia as "Slavs, the bulk of which is regarded by almost all independent sources as Bulgarians"): 1,150,000, whereof, 1,000,000 Orthodox and 150,000 Muslims (the so-called Pomaks); Turks: c. 500,000 (Muslims); Greeks: c. 250,000, whereof c. 240,000 Orthodox and 14,000 Muslims; Albanians: c. 120,000, whereof 10,000 Orthodox and 110,000 Muslims; Vlachs: c. 90,000 Orthodox and 3,000 Muslims; Jews: c. 75,000; Roma: c. 50,000, whereof 35,000 Orthodox and 15,000 Muslims; In total 1,300,000 Christians (almost exclusively Orthodox), 800,000 Muslims, 75,000 Jews, a total population of c. 2,200,000 for the whole of Macedonia.
- ↑ Wolf Dietrich Behschnitt: Nationalismus bei Serben und Kroaten 1830–1914. Analyse und Typologie der nationalen Ideologie. Oldenbourg Wissenschaftsverlag, München 1980, ISBN 3-486-49831-2, S. 39.
- ↑ Edgar Hösch, Karl Nehring, Holm Sundhaussen (Hrsg.): Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Böhlau, Wien/Köln/Weimar 2004, ISBN 3-205-77193-1, S. 297.
- ↑ Ulrich Büchsenschütz: Nationalismus und Demokratie in Bulgarien seit 1989 in Egbert Jahn (Hrsg.): Nationalismus im spät- und postkommunistischen Europa. Band 2: Nationalismus in den Nationalstaaten, Verlag Nomos, 2009, ISBN 978-3-8329-3921-2, S. 573