Madeleine Akrich

Madeleine Akrich (* 1959) ist eine französische Soziologin, die als Forschungsleiterin an der École nationale supérieure des Mines de Paris die Wechselwirkungen zwischen Technik, Nutzern und Gesellschaft erforscht.[1] Bekannt wurde sie durch ihre Beiträge zur Soziologie der Technik und zur Akteur-Netzwerk-Theorie, in denen sie technische Artefakte als „Skripte“ versteht, die soziale Beziehungen prägen.[2] 2016 wurde sie dafür mit der Silbermedaille des CNRS ausgezeichnet.[3]

Leben

Akrich ist seit 1983 Mitglied des Centre de sociologie de l’innovation (CSI) an der École des Mines in Paris.[4] Von 2003 bis 2013 leitete sie dieses Forschungszentrum.[3] Sie wirkt als Forschungsleiterin am Institut interdisciplinaire de l’innovation (I3) der Mines ParisTech.[3] 2016 erhielt sie für ihre Forschungen zur Soziologie der Technik die Médaille d’argent des Centre national de la recherche scientifique.[3]

Wirken

Zentraler Gegenstand der Arbeit Akrichs ist die Frage, wie Entwickler in technischen Objekten Vorstellungen von künftigen Nutzern einschreiben und so Handlungsspielräume regulieren.[1] In ihrem Aufsatz Comment décrire les objets techniques? beschreibt sie diese materiell verankerten Handlungsvorgaben als „Skripte“, die erst im Gebrauch bestätigt, verschoben oder verworfen werden.[2] „Technische Objekte sind niemals neutral, sie materialisieren gesellschaftliche Normen.“[2] In einem Interview betonte sie einmal selbstkritisch: „Wir folgen den Akteuren, aber nur in den Grenzen der von uns gewählten Lokalitäten.“[5]

Gemeinsam mit Bruno Latour entwickelte sie ein „Convenient Vocabulary“ für die Analyse von Mensch-Ding-Assemblagen, das Begriffe wie „Actant“, „Delegation“ und „Anti-Programm“ popularisierte.[6] Der Sammelband Sociologie de la traduction machte diese Sichtweise im französischsprachigen Raum bekannt und trug zur Etablierung der Akteur-Netzwerk-Theorie bei.[7] Akrich prägte hierfür den Begriff der „De-scription“, welche die Diskrepanz zwischen Entwurfslogik und Alltagsnutzung von Technik analytisch erfasst.[8] In empirischen Studien zu Fotovoltaikanlagen in Westafrika zeigte sie, wie Elektrifizierungsprojekte lokale Machtverhältnisse neu ordnen und neue Akteursrollen wie etwa die des „Bürgers“ hervorbringen.[8]

Seit den 1990er-Jahren richtet sie ihren Blick zunehmend auf den Gesundheitsbereich und vergleicht etwa mit Bernike Pasveer die hochmedizinisierten Geburtspraktiken in Frankreich mit den stärker hausgeburtsorientierten Verfahren in den Niederlanden.[1] Eine Analyse von mehr als siebzig Geburtsberichten offenbart, wie technologische Arrangements das Körpererleben von Frauen zwischen Schmerz, Objektivierung und Handlungsmacht oszillieren lassen.[9]

Mit Cécile Méadel untersuchte sie Internet-Diskussionslisten, in denen Patienten Erfahrungen austauschen und medizinisches Wissen aneignen.[3] Ihre Studie From Communities of Practice to Epistemic Communities zeigt, wie solche Online-Foren zu aktivistischen Gruppen werden, die wissenschaftlich fundierte Forderungen in gesundheitspolitische Arenen tragen.[10]

Gemeinsam mit Vololona Rabeharisoa koordinierte sie ein europäisches Projekt über den Beitrag von Patientenorganisationen zur Wissensproduktion und -zirkulation, in dem sie das Konzept der „Laienexpertise“ weiter ausarbeitete.[1] Dabei unterscheidet sie zwischen Erfahrungswissen aus dem Alltag mit einer Krankheit und angeeignetem medizinisch-wissenschaftlichem Know-how, die in Patientenverbänden strategisch verbunden werden.[11]

Zuletzt befasste sie sich mit dem Alltag von Menschen mit spät einsetzenden degenerativen Erbkrankheiten, mit Präzisionsonkologie und mit den Kontroversen um Wasserstoff als Energieträger.[1]

Einzelnachweise

  1. a b c d e Madeleine Akrich. Abgerufen am 10. August 2025 (amerikanisches Englisch).
  2. a b c Madeleine Akrich: Comment décrire les objets techniques? In: Techniques et culture. Nr. 9, 1987, S. 49 (hal.science [abgerufen am 10. August 2025]).
  3. a b c d e Madeleine Akrich | CNRS. 1. September 2016, abgerufen am 10. August 2025 (französisch).
  4. Madeleine Akrich: Bruno Latour, Writer. In: Theory, Culture & Society. Band 41, Nr. 5, 1. September 2024, ISSN 0263-2764, S. 91–95, doi:10.1177/02632764241275545.
  5. Madeleine Akrich: Vom Objekt zur Interaktion und zurück: eine Diskussion mit Madeleine Akrich, Antoine Hennion und Vololona Rabeharisoa (Centre de Sociologie de l’Innovation, Paris); moderiert durch Lorenza Mondada. In: Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung. Band 5, Nr. 2, 2004, S. 239–271 (ssoar.info [abgerufen am 10. August 2025]).
  6. Madeleine Akrich, Bruno Latour: A Summary of a Convenient Vocabulary for the Semiotics of Human and Nonhuman Assemblies. In: Shaping Technology / Building Society Studies in Sociotecnical Change. The MIT Press, 1992, S. 259 (hal.science [abgerufen am 10. August 2025]).
  7. Akrich, M., Callon, M., & Latour, B. (2006). Sociologie de la traduction: textes fondateurs. Presses des MINES.
  8. a b Madeleine Akrich: The De-scription of Technical Objects. In: Shaping Technology/Building Society. Studies in Sociotechnical Change. MIT Press, 1992, S. 205 (hal.science [abgerufen am 10. August 2025]).
  9. Madeleine Akrich, Bernike Pasveer: Embodiment and Disembodiment in Childbirth Narratives. In: Body & Society. Band 10, Nr. 2-3, 1. Juni 2004, ISSN 1357-034X, S. 63–84, doi:10.1177/1357034X04042935.
  10. Madeleine Akrich: From Communities of Practice to Epistemic Communities: Health Mobilizations on the Internet. In: Sociological Research Online. Band 15, Nr. 2, 1. Mai 2010, ISSN 1360-7804, S. 116–132, doi:10.5153/sro.2152.
  11. Madeleine Akrich, Vololona Rabeharisoa: L'expertise profane dans les associations de patients, un outil de démocratie sanitaire. In: Santé Publique. Band 24, Nr. 1, 12. April 2012, ISSN 0995-3914, S. 69–74, doi:10.3917/spub.121.0069 (cairn.info [abgerufen am 10. August 2025]).