Lappenbaum

Lappenbaum im Dschwari Kloster, Mzcheta, Georgien
Ein Lappenbaum (Clootie tree) an der Madron Well in Cornwall
Lappen an der Drei Bethen-Quelle bei Starnberg

Als Lappenbaum, auch Lumpenbaum, bezeichnet man einen mit Stofffetzen behängten Baum. Die Lappen können angebracht werden, weil man sich ein Wunder erhofft, meist Heilung von einer Krankheit, oder als Erinnerung an ein bereits erfolgtes Wunder.[1] Oft stehen sie an einem besonderen Ort wie einer heiligen Quelle, einer Kirche oder Kapelle oder einem islamischen Heiligtum.

Merkmale

Lappenbäume sind unter anderem aus Bayern, Ungarn, Siebenbürgen, Griechenland, Zypern,[2] Kleinasien, Palästina,[3] Algerien[4] und Indonesien[5] bekannt.

Lappenbäume können bei heiligen Quellen (in Irland werden diese manchmal, nach dem Baum, als Clootie Wells bezeichnet), Kapellen, Kirchen, Wallfahrtsorten, Heiligtümern oder Grabmalen stehen. ten Kate berichtet von Lappenbäumen bei Qubbas und heiligen Brunnen in Algerien. Sie waren mit Tuch- und Leinwandstreifen, manchmal auch Wachskerzen behängt.[6] Der Brunnen bei Médéa schenkte Frauen Kindersegen. Auf Zypern sind Lappenbäume an Katakomben, auf Friedhöfen bekannt,[7] bei einem Lochstein[8] und vor Höhlen bekannt.[9] In Kleinasien finden sich Lappenbäume ebenfalls in der Nähe von Heiligengräbern.[10]

In Palästina wurden vor allem grüne und weiße Lappen verwendet, in Syrien und auf Zypern weiße.[11] Auch Heilige Bäume wurden genutzt, in Nordafrika oft verkrüppelte Bäume (Marabutbäume).[12] Neben Lappen kommen vereinzelt Haare vor.[13] Durch die Verwendung synthetischer Textilien, die nicht oder nur teilweise verrotten, entstehen zunehmend Umweltprobleme.[14]

Lappenbäume können lebend oder tot[1] sein. Es wurden meist Bäume genutzt, die einzeln stehen und weithin sichtbar sind.[15] In Irland wird oft ein Weißdorn ausgewählt.[16] Auf Zypern werden nur Laubbäume als Lappenbäume genutzt[17] zum Beispiel Platanen und Terebinthen, aber auch Sträucher[18] wie Brombeeren.[19]

Deutung

Gustav Jungbauer[20] kennt folgende Gründe, Lappen in einen Baum zu hängen:

  • Übertragung von Krankheiten
  • Opfer an Baumgötter (Baumkult)
  • Schutz vor Schadmagie
  • Totenbrauchtum
  • Regenzauber
  • Erinnerung an Verstorbene

Übertragung von Krankheiten

Mit den Lappen sollte eine Krankheit von dem Menschen auf den Baum übertragen werden.[21] Es kann sich dabei um Kleidungsstücke des Kranken, Tuchstücke, die mit ihm in Berührung gebracht wurden, oder Pflaster und Verbände handeln.[22] Die Ungarn wickelten bei Kopfweh ein mit Essig getränktes Stoffstück um den Kopf, welches dann vor Sonnenaufgang an Baum gebunden wurde, wobei Segen oder Zauberformeln gesprochen wurden.[22] Auch aus Irland sind Segenssprüche überliefert.[16] Solche Bräuche sind auch gegen Hodenschmerzen, Blatternnarben und chronischen Krankheiten belegt.[22] Alternativ kann ein Kleidungsstück des Kranken am Kreuzweg vergraben werden. Es handelt sich dabei um sympathetische Magie: Wie der Stoff sich zersetzt, so vergeht auch die Krankheit.[12]

Der Baum kann auch aktiv zur Heilung von Krankheiten beitragen, im Kaukasus wurde dem Kranken ein Holzstück eines heiligen Baumes um den Hals gehängt.[12]

Opfer

Das Aufhängen von Kinderkleidern an einem Baum wird als Ersatz für ein ursprüngliches Menschenopfer gedeutet.[12] Ludolf Malten sieht im Schmücken von Bäumen im alten Griechenland, etwa durch Aigisthos oder die spartanischen Jungfrauen, eine Erinnerung an einen ursprünglichen Baumkult.[21] Für Fabridge[23] zeigt das Opfer eines Teils der Kleidung die Bereitschaft an, sich selbst der Gottheit darzubringen.

Totenbrauchtum

Die Kleidungsstücke von Menschen, die in der Fremde verstorben waren, konnten von den Ungarn an Bäume gehängt oder in den Bergen vergraben werden, damit der zurückkehrende Tote nicht bis zu den Lebenden vordringen konnte.[24] Es scheint sich hier um eine Sonderform des Vampirglaubens zu handeln.

Die Mari vermieden es, Kleidungsstücke eines Toten zu vergraben, und hängten sie stattdessen an Bäume.[24]

Geschichte

Das Behängen von Bäumen mit Gewebe, Schmuck und Blumenkränzen ist aus der griechischen Überlieferung bekannt.[21] Ovid berichtet, dass Lappen und Votivtafeln an die Hecke um den heiligen Hain der Diana in Ariccia (Heiligtum der Diana Nemorensis) gehängt wurden.[25]

Stellung der Kirche

Wie viele abergläubische Bräuche werden auch Lappenbäume durch den orthodoxen Klerus oft geduldet. In Episcopi Kurion wurde ein Lappenbaum aber 1980 im Auftrag der Kirche umgehackt, um den heidnischen Brauch zu beenden.[26]

Siehe auch

Commons: Clootie trees – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Folk-Lore/Volume 4/Pin-Wells and Rag-Bushes – Quellen und Volltexte (englisch)

Einzelnachweise

  1. a b Lappenbaum. In: Meyers Konversationslexikon. 1888 (peter-hug.ch).
  2. Leslie V. Grinsell: Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. In: Folklore. Band 101, Nr. 2, 1990, S. 227–228 (englisch).
  3. Ludolf Malten: Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagenforschung. In: Hermes. Band 74, Nr. 2, 1939, S. 202, Anm. 1, JSTOR:4474582.
  4. Mehrere Lappenbäume bei Tlemcen, ten Kate, mohammedanische Bruderschaften in Algerien, Sitzung vom 18. Juni 1887. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 19, 1887, S. 371, JSTOR:23028351.
  5. F. D. E. Van Ossenbruggen: Het primitieve Denken: zooals dit zich uit voornamelijk in pokkengebruiken op Java en elders. Bijdrage tot de prae-animistische Theorie. In: Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde van Nederlandsch-Indië. Band 71, Nr. 1-2, 1916, S. 198, JSTOR:20769804 (niederländisch).
  6. ten Kate, mohammedanische Bruderschaften in Algerien, Sitzung vom 18. Juni 1887. In: Zeitschrift für Ethnologie. Band 19, 1887, S. 371, JSTOR:23028351.
  7. Paphos, Katakombe von Ayia Solom, Belvedere in Throni, Leslie V. Grinsell: Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. In: Folklore. Band 101, Nr. 2, 1990, S. 227 (englisch).
  8. Kedhuret zwischen Paphos und Limassol, Leslie V. Grinsell: Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. In: Folklore. Band 101, Nr. 2, 1990, S. 228 (englisch).
  9. Chryssocava bei Girne, Leslie V. Grinsell: Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. In: Folklore. Band 101, Nr. 2, 1990, S. 228 (englisch).
  10. Ludolf Malten: Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagengeschichte. II. Noch einmal Philemon und Baukis. In: Hermes. Band 75, Nr. 2, 1940, S. 174, JSTOR:4474609.
  11. Amots Dafni: Why are Rags tied to the Sacred Trees of the Holy Land? In: Economic Botany. Band 56, Nr. 4, 2002, S. 317 f., JSTOR:4256604.
  12. a b c d Gustav Jungbauer: Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 5. De Gruyter, Berlin 1986, S. 909 (Erstausgabe: 1933, unveränderter Nachdruck).
  13. Katophiyotissa im Troodos-Gebirge, Leslie V. Grinsell: Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. In: Folklore. Band 101, Nr. 2, 1990, S. 228 (englisch).
  14. Libby Brooks: It’s upset a lot of people’: outrage after tidy-up of Scottish sacred well. In: The Guardian. 30. Januar 2022, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  15. Gustav Jungbauer: Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 5. De Gruyter, Berlin 1986, S. 910 (Erstausgabe: 1933, unveränderter Nachdruck).
  16. a b Rag Offerings and primitive Pilgrimages in Ireland. In: The Athenaeum. Band 341, 1. April 1893, S. 415 (englisch).
  17. Leslie V. Grinsell: More Rag-Trees in Cyprus. In: Folklore. Band 102, Nr. 1, 1991, S. 110 (englisch).
  18. Kedhuret, Leslie V. Grinsell: Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. In: Folklore. Band 101, Nr. 2, 1990, S. 228 (englisch).
  19. Larnaka, Artemis Avenue; Leslie V. Grinsell: Some Sacred Trees and Rag-Bushes in Cyprus. In: Folklore. Band 101, Nr. 2, 1990, S. 228 (englisch).
  20. Gustav Jungbauer: Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 5. De Gruyter, Berlin 1986, S. 908–912 (Erstausgabe: 1933, unveränderter Nachdruck).
  21. a b c Ludolf Malten: Motivgeschichtliche Untersuchungen zur Sagenforschung. In: Hermes. Band 74, Nr. 2, 1939, S. 202, JSTOR:4474582.
  22. a b c Gustav Jungbauer: Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 5. De Gruyter, Berlin 1986, S. 908 (Erstausgabe: 1933, unveränderter Nachdruck).
  23. M. H. Fabridge: Studies in biblical and Semitic symbolism. Ktav Publishing House, New York 1970 (englisch). Zitiert nach: Amots Dafni: Why are Rags tied to the Sacred Trees of the Holy Land? In: Economic Botany. Band 56, Nr. 4, 2002, S. 315, JSTOR:4256604.
  24. a b Gustav Jungbauer: Lappenbaum. In: Hanns Bechthold-Stäubli (Hrsg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens. Band 5. De Gruyter, Berlin 1986, S. 912 (Erstausgabe: 1933, unveränderter Nachdruck).
  25. Ovid: Fasti. Band 3, S. 267 (englisch, theoi.com – Übersetzung von James George Frazer).
  26. D. Soren, J. James: Kourion: The Search for a lost Roman City. New York 1988 (englisch). Zitiert nach: Leslie V. Grinsell: More Rag-Trees in Cyprus. In: Folklore. Band 102, Nr. 1, 1991, S. 110 (englisch).