L’Arche

L’Arche (französisch für „Die Arche“) ist ein Projekt des Zusammenlebens von Menschen mit und ohne Behinderung.

Das Projekt wurde im Jahr 1964 von dem Kanadier Jean Vanier und den Franzosen Philippe Seux und Raphaël Simi, zwei Männern mit einer geistigen Behinderung, in Trosly-Breuil, einem Dorf 80 Kilometer nördlich von Paris, gegründet. Begleitet wurde diese erste Lebensgemeinschaft der Arche vom Dominikaner P. Thomas Philippe. Die Arche ist als Internationaler Zusammenschluss der Gemeinschaften der Arche kirchenrechtlich eine Vereinigung von Gläubigen in der katholischen Kirche, als Arche Deutschland ein staatlich eingetragener Verein und ist als L’Arche International eine Nichtregierungsorganisation. Mittlerweile gibt es mehr als 150 Arche-Gemeinschaften in 37 Ländern auf allen fünf Kontinenten.[1]

In den Gemeinschaften der Arche leben Menschen mit und ohne geistige Behinderung zusammen. Die Arche hat ihren Ursprung in der katholischen Tradition. Heute leben in den Arche-Gemeinschaften meist Menschen verschiedener Glaubenstraditionen, Philosophien und Praktiken. Die gemeinsam praktizierte Spiritualität prägt das Leben der Arche-Gemeinschaften.

„L’Arche“ hat keinen Bezug zu der von Lanza del Vasto in Südfrankreich gegründeten gleichnamigen Gemeinschaft Die Arche.

Die Arche in Deutschland

In Deutschland gibt es bisher drei Gemeinschaften: Die Arche Ravensburg nördlich des Bodensees, die Arche Landsberg westlich von München und südlich von Augsburg und die Arche Tecklenburg zwischen Münster und Osnabrück.

Die Arche in Österreich

In Österreich gibt es zwei Archehäuser: Das Haus in Steinach am Brenner und in St. Jodok. Beide liegen in Tirol und gehören zum Verein Arche Tirol.

Struktur

Weltweit sind die Arche-Gemeinschaften in der Internationalen Föderation der Gemeinschaften der Arche zusammengeschlossen. Sie wird geleitet von zwei internationalen Leitern und dem Internationalen Trägerverein (International Board). Jede Gemeinschaft handelt und wirtschaftet aber eigenständig.

Charta und Ziele

Im Jahr 2008 beschloss die Internationale Föderationsversammlung in Kolkata die grundlegende „Erklärung zu Identität und Auftrag“.[2] Die Grundideen der Arche sind zudem in einer Charta festgehalten. Sie entstand aus dem Bedürfnis heraus, den Gemeinschaften einen Zusammenhalt und eine Identität zu geben. Zuerst wurde sie in einer dem christlichen Glauben entsprechenden Form verfasst. Sie wurde fortgeschrieben, nachdem erste interreligiöse Gemeinschaften, zunächst in Indien, entstanden waren. Die heutige Fassung der Charta wurde 2023 von der online abgehaltenen Internationalen Föderationsversammlung im Juni verabschiedet. Dort ist der Leitgedanke so ausgedrückt: „Gegenseitige Beziehungen zwischen Menschen mit und ohne geistige Behinderung verändern uns, indem sie den einzigartigen Wert jedes Menschen offenbaren. Diese Erfahrung ist ein Zeichen für unsere Welt, dass alle dazugehören.“[3]

Geistlicher Missbrauch, sexuelle Übergriffe und die Folgen

Bis im Dezember 2014 hatten sich mehrere Frauen an die Leitung der Arche gewandt, und zuerst dem bereits im Jahr 1993 verstorbenen Thomas Philippe und dann auch dem inzwischen betagten Jean Vanier sexuellen Missbrauch vorgeworfen. Während die katholische Kirche erneut gegen Thomas Philippe ermittelte, gab die Organisation Arche eine erste kleinere Untersuchung wegen den Vorwürfen an Jean Vanier in Auftrag. Sie wurde am 28. April 2015 veröffentlicht, blieb jedoch lückenhaft, weil der Umfang seiner Missbräuche damals noch nicht wirklich wahrgenommen wurde. Die ehemalige Mitarbeiterin Judy Farquharson gelangte im Mai 2016 auch an die Arche, was zu eher unergiebigen Gesprächen der Verantwortlichen mit Vanier über sexuelle Beziehungen führte. Eine weitere Klage im März 2019 löste im Juni 2019 eine erste externe Untersuchung durch GCPS Consulting aus.[4] Im Februar 2020 wurden der geistliche Missbrauch und sexuelle Übergriffe an sechs Frauen bestätigt.[5][6] Eine im Herbst 2020 eingesetzte unabhängige Expertenkommission von Fachleuten aus Geschichte, Psychiatrie, Psychoanalyse, Soziologie und Theologie analysierte weiter Vaniers Briefe, studierte kirchliche Akten und führte 119 Interviews mit 89 Personen aus seinem Umfeld. Sie wollte die Ursachen, den Kontext, die Mechanismen, das Netzwerk und den Umfang dieser zumeist verjährten Missbrauchsfälle besser verstehen und darlegen, um die Betroffenen zu würdigen, eine weitergehende Aufarbeitung voranzutreiben und Empfehlungen für die Zukunft vorschlagen zu können.[7][8][9] Der im Januar 2023 veröffentlichte 900 seitige Bericht bestätigte die gemachten Vorwürfe, wonach Vanier von 1952 bis 2019 seine führende Stellung und Autoriät ausgenutzt und mindestens 25 Frauen vor allem bei Seelsorgegesprächen geistlich manipuliert, zu intimen Gesten verführt und bei sexuellen Handlungen ausgenutzt hatte.[10] Einige Frauen sahen sich nicht als Opfer, sondern als Partnerinnen einer sexuellen Beziehung mit Vanier, die sie in einer erotischen Mystik begründet sahen.[11] Des Weiteren habe er den sexuellen Missbrauch an 30 Frauen nach 1964 durch seinen Mentor und Arche-Mitbegründer Père Thomas über Jahrzehnte gedeckt.[12][13][14]

Berichte zu sexuellen Übergriffen durch Jean Vanier und Pater Thomas Philippe wurden im Jahr 2017 in einer TV-Dokumentation thematisiert[15] und werden von der Gemeinschaft auch auf ihrer Website angesprochen.[16]

Stephan Posner und Stacy Cates-Carney, die Leiter der Internationalen Arche, verurteilten die Taten von Jean Vanier und Thomas Philippe und baten die Opfer um Verzeihung. Eine zentrale Meldestelle für die Missbrauchsfälle wurde eingerichtet und eine Kommission beauftragt, einen Verhaltenskodex (englisch: Code of Conduct) zu entwickeln, so dass sexuelle Gewalt in ihren Gemeinschaften verhindert wird und alle Personen geschützt sind.[17] Die Ergebnisse wurden im Dezember 2018 vom internationalen Leitungsteam bestätigt und im April 2019 in Slowenien der Delegiertenversammlung vorgelegt.

Die katholischen Theologen Daniel Bogner und Hubertus Lutterbach bemängelten im Jahr 2019 bei der Aufarbeitung der Missbräuche durch die Verantwortlichen der Arche die geringe Beachtung struktureller, gegenseitiger Kontrollmechanismen, die kirchenrechtliche Unklarheit, die Verdrängung und Ausstossung des Mitbegründers Thomas Philippe aus der Geschichte der Arche und damit die einhergehende eher geringe Wertschätzung und Würdigung der betroffenen Frauen.[18]

Literatur

  • François Muheim: Die Arche Gemeinschaften von Jean Vanier. Gelebte Deinstitutionalisierung, Band 26 Nr. 1 (2020): Inklusion im Erwachsenenbereich, Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik.[19]
  • Kathryn Spink: Jean Vanier und die Arche. Die Geschichte einer außergewöhnlichen Berufung. Die Biografie zum 80. Geburtstag. Neufeld Verlag, Schwarzenfeld 2008, ISBN 978-3-937896-66-3.

Einzelnachweise

  1. In the world, abgerufen am 18. April 2024.
  2. Identität und Auftrag, abgerufen am 18. April 2024.
  3. Die Charta der Gemeinschaften der Arche, abgerufen am 18. April 2024.
  4. Missbrauch und Einflussnahme, Untersuchung zu Thomas Philippe, Jean Vanier und der Arche. Zusammenfassung des Berichts der Studienkommission im Auftrag der Internationalen Arche, Website commissiondetude-jeanvanier.org (30. Januar 2023, deutsch, S. 43, abgerufen am 5. August 2025)
  5. Zusammenfassender Bericht der Internationalen Arche, Website arche-deutschland.de (pdf, deutsche Übersetzung von C. Michel & H. Finus, 22. Februar 2020, abgerufen am 7. August 2025)
  6. Anne Preckel: Frankreich: Untersuchung deckt Missbrauch durch Arche-Gründer auf. In: Vatican News. 22. Februar 2020, abgerufen am 2. März 2020.
  7. Missbrauch und Einflussnahme, Untersuchung zu Thomas Philippe, Jean Vanier und der Arche. Zusammenfassung des Berichts der Studienkommission im Auftrag der Internationalen Arche, Website commissiondetude-jeanvanier.org (30. Januar 2023, deutsch, S. 1, 61–63, abgerufen am 5. August 2025)
  8. Jean Vanier. Einige Fakten zum Gründer der Arche. Die Missbrauchstaten von Jean Vanier, Website arche-deutschland.de (abgerufen am 5. August 2025)
  9. Bericht der Studienkommission über Jean Vanier, Website Arche Schweiz (abgerufen am 5. August 2025)
  10. Regula Pfeifer: Arche-Mitarbeiterin über Missbrauchs-Enthüllungen zum Gründervater: «Die Arche ist nicht Jean Vanier», Website kath.ch (23. Mai 2023, abgerufen am 5. August 2025)
  11. Ergebnisse der Studienkommission von 2023. Neue Erkenntnisse zu den Missbrauchstaten des Arche-Gründers Jean Vanier und seines geistlichen Begleiters Thomas Philippe, abgerufen am 18. April 2024.
  12. Ludwig Ring-Eifel: Sexuelle Praktiken des Arche-Gründers geben Aufschluss. Ein Lehrbeispiel „geistlichen Missbrauchs“: Der Fall Jean Vanier, Website katholisch.de (17. Februar 2023, abgerufen am 4. August 2025)
  13. Eric Quintin, Marie-Pierre Raimbault: Gottes missbrauchte Dienerinnen – Die ganze Doku. (mp4-Video; 1,4 GB; 94 Minuten) In: Arte.tv. 2017, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 8. März 2022; abgerufen am 8. März 2022.
  14. Die Missbrauchstaten von Jean Vanier und P. Thomas Philippe. In: arche-deutschland.de. 2020, abgerufen am 8. März 2022.
  15. Eric Quintin, Marie-Pierre Raimbault: Gottes missbrauchte Dienerinnen – Die ganze Doku. (mp4-Video; 1,4 GB; 94 Minuten) In: Arte.tv. 2017, abgerufen am 8. März 2022 (ab Minute 15:30).
  16. Die Missbrauchstaten von Jean Vanier und P. Thomas Philippe. In: arche-deutschland.de. 2020, abgerufen am 8. März 2022.
  17. Bericht: «Arche»-Gründer Jean Vanier missbrauchte Frauen in sektenartiger Gruppe, Website kath.ch (1. Februar 2023, abgerufen am 7. August 2025)
  18. Daniel Bogner und Hubertus Lutterbach: Erwachsen im Glauben, Kinder in der Kirche: ein Gespräch, Website feinschwarz.net (18. Juni 2019, abgerufen am 6. August 2025)
  19. https://ojs.szh.ch/zeitschrift/article/view/842