Koza Han

Haupteingang des Koza Han

Koza Han (türkisch Koza Hanı; wörtlich „Karawanserei des Seidenkokons“) ist eine im Jahr 1491 unter Sultan Bayezid II. errichtete osmanische Karawanserei im Marktviertel von Bursa. Die türkische Stadt Bursa in der gleichnamigen Provinz fungierte als zentraler Handelsplatz für Seidenkokons und Seidenwaren im Rahmen der historischen Seidenstraße.

Das von dem Architekten Abdülali ibn Pulad Schah entworfene Bauwerk verkörpert die charakteristische osmanische Han-Architektur des 15. Jahrhunderts mit seinem rechteckigen Grundriss, 95 Räumen auf zwei Stockwerken und einer achteckigen Moschee im zentralen Innenhof. Heute dient Koza Han als lebendiger Marktplatz und touristisches Zentrum, das seine historische Funktion als Handelszentrum mit modernen kommerziellen und kulturellen Bedürfnissen verbindet, und gehört seit 2014 zur UNESCO-WelterbestätteBursa und Cumalıkızık: die Wiege des Osmanischen Reichs“.

Entstehungsgeschichte

Bursa etablierte sich bereits während der byzantinischen Periode als bedeutendes Zentrum des Seidenhandels. Die strategische Lage der Stadt am westlichen Ende der Seidenstraße machte sie zu einem natürlichen Knotenpunkt für den Handel zwischen Europa und Asien. Nach der osmanischen Eroberung im Jahr 1326 unter Orhan I. entwickelte sich die Stadt zur ersten Hauptstadt des Osmanischen Reiches und behielt ihre herausragende Stellung bei.[1][2] Diese beruhte sowohl auf ihrer Funktion als Transitstation für persische und chinesische Seide als auch auf der lokalen Seidenproduktion. Zwischen 1487 und 1513 erreichten die Seidenimporte aus dem Osten Rekordwerte von etwa 120 Tonnen pro Jahr, während sich die Stadt gleichzeitig zu einem Zentrum der Seidenverarbeitung entwickelte, wobei italienische Kaufleute, insbesondere Genuesen, wichtige Handelspartner darstellten.[3][4]

Sultan Bayezid II., der das Osmanische Reich von 1481 bis 1512 regierte, war unter dem Beinamen „der Gerechte“ (Bayezid Adlî) bekannt für seine Frömmigkeit und sein Engagement für religiöse und kulturelle Projekte. Im Rahmen des osmanischen Waqf-Systems, das die Finanzierung religiöser und gemeinnütziger Einrichtungen durch die Erträge bestimmter Immobilien sicherstellte, ließ Bayezid II. zahlreiche Moscheen, Schulen, Krankenhäuser und Brücken errichten.[5] Koza Han wurde als Teil eines solchen größeren Waqf-Komplexes konzipiert, dessen Mieteinnahmen der Finanzierung des Moscheekomplex Bayezid II. in Istanbul dienen sollten. Diese Praxis entsprach der osmanischen Tradition, kommerzielle Bauten als Einkommensquellen für religiöse Stiftungen zu nutzen und gleichzeitig die urbane Infrastruktur zu entwickeln.[6][7][8]

Architektonische Merkmale

Die Bauarbeiten an Koza Han begannen im Februar oder März 1490 (Rabīʿ ath-thānī 895 seit der Hidschra) auf Anweisung des Sultans Bayezid II. Als Architekt wird Abdülali ibn Pulad Schah genannt, der zwar zu den bedeutendsten Baumeistern seiner Zeit gehörte, über den aber dennoch kaum etwas Biografisches zu finden ist. Das Gebäude wurde am 29. September 1491 (25. Dhū l-Qaʿda 896) mit einer feierlichen Zeremonie eröffnet.[8] Die Konstruktion folgte den etablierten Prinzipien osmanischer Han-Architektur, adaptierte jedoch lokale Bautechniken und -materialien. Das Hauptgebäude wurde aus Ziegeln und behauenen Steinen errichtet, während die kleine Moschee im Zentrum des Hofes ausschließlich aus Stein gebaut wurde.[7]

Blick auf den Innenhof des Koza Han mit der Kioskmoschee im Vordergrund und der Karawanserei im Hintergrund

Koza Han weist die typische Struktur einer osmanischen Stadtkarawanserei auf: ein rechteckiger Baukörper, der einen zentralen Innenhof bildet, von etwa 45,90 × 37,50 Metern. Das Gebäude besteht aus zwei Stockwerken mit insgesamt 95 Räumen (50 im Erdgeschoss, 45 im Obergeschoss).[7] An der Nordseite befindet sich der Haupteingang in Form eines großen Portals, hinter dem ein zweigeschossiger Iwan mit gewölbten quadratischen Decken liegt, zu der die flankierenden Räume durch Bögen hin öffnen.[8][9] Die Räume im Erdgeschoss dienten der Unterbringung von Tieren sowie als Lager- und Werkstätten, wobei die Ecksäle gewölbte quadratische Decken aufwiesen und die übrigen Kammern senkrecht zum Hof orientierte Tonnengewölbe besaßen.[10] Im Obergeschoss befanden sich die Wohn- und Geschäftsräume für Händler und Reisende jeweils mit Kamin für den Winterkomfort, die sich zu überdachten Galerien, die auf ursprünglich hölzernen, quadratischen Pfeilern ruhten, öffnen.[8]

Das Herzstück der Anlage bildet der zentrale Innenhof, in dessen Mitte sich eine achteckige Kiosk-Moschee erhebt. Die von acht durch Bögen verbundenen Steinpfeilern getragene und von einer Kuppel überdachte Moschee ist über eine Marmortreppe erreichbar. Unter der Moschee befindet sich ein achteckiger Brunnen (Şadırvan) mit einem zusätzlichen Pfeiler in der Mitte, der für die rituellen Waschungen vor dem Gebet dient. Diese Anordnung entspricht der typischen Konzeption osmanischer Hans, in denen religiöse Bedürfnisse der Reisenden und Händler durch eine zentrale Gebetsstätte erfüllt wurden, die gleichzeitig als architektonischer Fokuspunkt des Hofes fungierte.[8][10][11]

Kulturhistorische Bedeutung

Galerien der Karawanserei
des Koza Han

Koza Han dokumentiert den Übergang von seldschukischen Karawansereien zu urbanen Hans des Osmanischen Reiches und verdeutlicht Bursas Rolle als bedeutendes Handelszentrum des späten 15. Jahrhunderts. Die Anlage verbindet lokale anatolische Bautechniken mit überregionalen osmanischen Stilmerkmalen wie alternierendem Mauerwerk aus Naturstein und Ziegel sowie geometrischen Fliesenmustern.[10][12] Die kunsthandwerkliche Gestaltung konzentriert sich auf das prächtige Eingangsportal: Eine spiralförmige Leiste windet sich etwa 100 Zentimeter über dem Boden um die Hauptnische und die Fassade, während in den Bogenlaibungen geometrische Muster mit Fünfzacksternen und Flechtmotiven aus türkisfarbenen Fliesen in Steinvertiefungen eingesetzt sind. Ein umlaufendes Kettenmotiv aus gebrannten Tonreliefs veranschaulicht die Meisterhand osmanischer Handwerker und verbindet persische, byzantinische und lokale Traditionen zu einer charakteristischen Synthese.[8]

Rolle im Seidenhandel

Koza Han bot Unterkunft für auswärtige Kaufleute, Unterbringungsmöglichkeiten für Waren und Tiere, Werkstätten für Handwerker sowie Büros für Geschäftstätigkeiten, wodurch er den vielfältigen Anforderungen der osmanischen Handelsnetze gerecht wurde.[11] Im frühen 16. Jahrhundert unterhielt der Handelsvertreter der Florentiner Medici sein Büro in Koza Han, was die internationale Bedeutung der Karawanserei als Schnittstelle zwischen verschiedenen Handelstraditionen und -kulturen in Bursa unterstreicht.[10] Der Name „Koza“ (Seidenkokon) verweist auf die spezielle Funktion der Karawanserei im Seidenhandel. Neben fertigen Seidenstoffen wurde hier besonders mit Rohkokons gehandelt, deren legendäre Qualität Abnehmer in Europa, Iran und China fand.[8][13] Das Gebäude spielte damit eine zentrale Rolle im komplexen System der Seidenproduktion und -verarbeitung, das Bursa zum „Zentrum der Seidenwelt“ im Nahen Osten machte. Gehandelt wurden verschiedene Seidenarten wie „Kadife“ (Samt), „Kemha“ (Brokat) und „Tafta“ (Taft), die in den genannten Regionen sehr gefragt waren.[14]

Historische Entwicklung

Während der Blütezeit des osmanischen Seidenhandels im 16. und 17. Jahrhundert behielt Koza Han seine zentrale Stellung als Handelszentrum. Obwohl die Rivalität zwischen den Osmanen und den Safawiden um die Kontrolle der Seidenhandelsrouten zeitweise zu Unterbrechungen führte und direkte Auswirkungen auf Bursas Wirtschaft hatte, konnte die Stadt ihre Position als wichtiger Umschlagplatz durch Diversifizierung der Handelspartner und die Entwicklung lokaler Produktionskapazitäten halten.[15][3][16][17] Im Laufe der Jahrhunderte wurde Koza Han mehrfach restauriert, mit dokumentierten Arbeiten 1630, 1671 und 1784, während die kleine Moschee im Zentrum zuletzt 1946 und 2007 restauriert wurde.[7][13][18] Eine bedeutende Veränderung erfuhr das Obergeschoss, dessen ursprünglich hölzerner Portikus von der Bursa Eski Eserleri Sevenler Kurumu (im Deutschen etwa Verein der Liebhaber antiker Artefakte in Bursa) in der heutigen Form wieder aufgebaut wurde.[8]

Heutige Nutzung

Der Koza Han als touristischer und kultureller Treffpunkt

Heute fungiert Koza Han weiterhin als Marktplatz und Handelszentrum, wobei alle 95 Räume als Geschäfte genutzt werden, die neben traditionellen Seidenprodukten nun auch moderne Textilien, Schals, Bekleidung und touristische Artikel anbieten. Der zentrale Hof hat sich zu einem beliebten sozialen Raum entwickelt, in dem Besucher türkischen Tee und Kaffee genießen können, wodurch die historische Funktion als Handelszentrum mit heutigen touristischen und kulturellen Bedürfnissen verbunden wird.[18][7] Koza Han zählt heute zu den wichtigsten touristischen Attraktionen Bursas und wurde von prominenten Persönlichkeiten besucht, darunter Königin Elisabeth II., die 2008 anderthalb Stunden in der Karawanserei verbrachte, was die internationale Anerkennung als bedeutendes Kulturdenkmal unterstreicht.[19] Die Verbindung zu einem überdachten Basar durch eine mit Fliesen verzierte Tür erweitert das kommerzielle Angebot und schafft einen nahtlosen Übergang zwischen den verschiedenen Handelsbereichen. Auf diese Art werden in Bursa heute historische Strukturen in zeitgenössisches urbanes Leben integriert.[7]

Denkmalschutz

Koza Han gehört seit 2014 zur UNESCO-WelterbestätteBursa und Cumalıkızık: die Wiege des Osmanischen Reichs“ und steht damit stellvertretend für die frühe osmanische Architektur und Stadtplanung. Die Anerkennung hebt die Bedeutung des Waqf-Systems für die Entwicklung der urbanen Struktur hervor und würdigt Koza Han als zentrales Beispiel der Handelsarchitektur, die das Wirtschaftssystem der osmanischen Hauptstadt trug. Die Stadtverwaltung der Metropole Bursa koordiniert das Management von Koza Han im Rahmen eines umfassenden Managementplans für die Weltkulturerbestätte, der sowohl die Erhaltung des historischen Charakters als auch die Anpassung an heutige Nutzungen berücksichtigt. Dabei bringen die kontinuierliche kommerzielle Nutzung und touristische Vermarktung einerseits die finanzielle Basis für die Erhaltung, andererseits konservatorische Risiken mit sich und erfordern eine permanente Überwachung sowie Anpassung der Strategien.[20]

Commons: Koza Han – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Bursa in der Türkei. Pendragon Education, 30. August 2016, abgerufen am 4. September 2025.
  2. Silk Roads Programme: Bursa. UNESCO, abgerufen am 4. September 2025.
  3. a b Daniel C. Waugh: Bursa as a Center of the Silk Trade. University of Washington, 28. Dezember 2001, abgerufen am 4. September 2025.
  4. Nazanin Hedayat Munroe: Silks from Ottoman Turkey. The Metropolitan Museum of Art, 1. November 2012, abgerufen am 4. September 2025.
  5. Koza Hanı. Ondokuz Mayıs Üniversitesi, abgerufen am 4. September 2025.
  6. Bahaeddin Yediyıldız: Place of the Waqf in Turkish Cultural System. Fahri Unan, 12. April 1996, abgerufen am 4. September 2025.
  7. a b c d e f Kozahan: The caravanserai where the heart of silk beats. Daily Sabah, Turkuvaz Haberleşme ve Yayıncılık, 24. November 2019, abgerufen am 4. September 2025.
  8. a b c d e f g h Koza Han. Museum With No Frontiers (MWNF), abgerufen am 4. September 2025.
  9. Koza Hanı: Bursa, Türkiye. ARCHNET, abgerufen am 4. September 2025.
  10. a b c d Rabah Saoud: The Ottoman Han (Caravanserai) and Bazaars. MuslimHeritage.com, Foundation for Science, Technology and Civilisation (FSTC), 7. Juli 2004, abgerufen am 4. September 2025.
  11. a b The Han and Caravanserai of Turkey. The Art of Wayfaring, abgerufen am 4. September 2025.
  12. No’man Bayaty: Caravansarais: Islamic Architecture. Tishk International University, 5. Dezember 2019, abgerufen am 5. September 2025.
  13. a b Bursa’s Ottoman-era Koza Han maintaining 500-year-old draw. Hürriyet Daily News, 30. März 2012, abgerufen am 5. September 2025.
  14. Ümran Şahan: The Development of Sericulture History and Present Situation in Turkey. Black, Caspian Seas and Central Asia Silk Association (BACSA), abgerufen am 5. September 2025.
  15. Özgür Teoman, Cumali Bozpinar: The Development of the Silk Industry in the Ottoman Bursa: An Analysis of Periodization. In: Gazi Akademik Bakış. Jg. 15, Nr. 30. Ankara 2022, S. 157–176, doi:10.19060/gav.1131125.
  16. Nurida Suleymanova: The silk trade of the Safavid state during the reign of Shah Ismail and Shah Tahmasp in English-language historiography. In: Tarix və onun problemləri. Band 94, Nr. 3. Baku 2024, S. 252–258, doi:10.36719/2708-065X/106/252-258.
  17. Orhan Yilmaz: Sericulture in Turkey. In: Scholars Journal of Agriculture and Veterinary Sciences. Jg. 4, Nr. 9. Neu-Delhi 2017, S. 374–376, doi:10.36347/sjavs.2017.v04i09.008.
  18. a b Lyn Ward: Koza Han: a glimpse into Bursa’s silk road legacy. Fethiye Times, 9. Oktober 2024, abgerufen am 5. September 2025.
  19. Kozahan İpekçiler Bazaar. Turkiye Routes, abgerufen am 5. September 2025.
  20. Bursa and Cumalıkızık: the Birth of the Ottoman Empire. UNESCO World Heritage Centre, abgerufen am 5. September 2025.

Koordinaten: 40° 11′ 3,6″ N, 29° 3′ 48,7″ O