Korsakow-Syndrom

Klassifikation nach ICD-10
F10.6 Psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol
Amnestisches Syndrom
– Durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingte Korsakowpsychose
– Nicht näher bezeichnetes Korsakow-Syndrom
F11.6 – F19.6 Korsakow-Syndrom durch andere psychotrope Substanzen bedingt
F04 Organisches amnestisches Syndrom, nicht durch Alkohol oder andere psychotrope Substanzen bedingt
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ICD-10 online (WHO-Version 2019)
Klassifikation nach ICD-11
5B5A.11 Korsakoff-Syndrom
ICD-11: EnglischDeutsch (Entwurf)

Das Korsakow-Syndrom (auch Korsakoff-Syndrom; synonym Korsakow-Symptomenkreis, Korsakow-Symptomenkomplex oder Morbus Korsakow) ist eine Form der Amnesie (Gedächtnisstörung). Eine erste detaillierte Beschreibung wurde 1887 vom russischen Psychiater und Neurologen Sergei Korsakow (1854–1900) anhand der Untersuchung bei 18 Alkoholkranken als polyneuritisches amnestisches Syndrom veröffentlicht.

Das alkoholische Korsakow-Syndrom (ICD F10.6[1]) wird in der Literatur häufig als Variante des Krankheitsbilds Beriberi (ICD  E51.1[2]) angegeben, das allgemein Vitamin-B1-Mangelerkrankungen (ICD E51[3]) umfasst. Gemäß ICD kann das Korsakow-Syndrom statt durch Alkoholismus auch durch andere psychotrope Substanzen (ICD F11.6[4], F12.6, …, F19.6) oder auch auf andere Weise, etwa durch Mangelernährung,[5] bedingt sein.

Symptome

Im Vordergrund des nach Korsakow benannten Syndroms stehen Amnesien. Dabei kommen sowohl das Vergessen alter Gedächtnisinhalte (retrograde Amnesie) als auch die Unfähigkeit vor, sich Neuerlebtes zu merken (anterograde Amnesie). Zumeist handelt es sich jedoch um eine ausgeprägte anterograde Amnesie und alte Erinnerungen bleiben relativ unbeeinträchtigt. Die Merkfähigkeitsstörung kann so ausgeprägt sein, dass es dem Patienten nicht möglich ist, sich Sachverhalte selbst für Sekunden einzuprägen. Zudem verknüpfen die Patienten oft unbewusst ihre Erinnerungslücke für jetzige Ereignisse mit alten Erinnerungen. Seltener wird konfabuliert, also Erinnerungslücken mit reinen Phantasieinhalten ausgefüllt. In ihrer Summe führen die Beeinträchtigungen des Gedächtnisses oft dazu, dass sich die Patienten in ihrer örtlichen und zeitlichen Umgebung nicht mehr zurechtfinden. Neben den Gedächtnisstörungen kann eine Reihe weiterer psychiatrischer Symptome auftreten. So sind Antriebsarmut, erhöhte Müdigkeit und starke Ermüdbarkeit, Euphorie und starke Gefühlsschwankungen beschrieben.[6]

Neben diesen Symptomen, die durch Schädigungen des zentralen Nervensystems hervorgerufen werden, werden auch die peripheren Nerven in Mitleidenschaft gezogen. Es bildet sich eine typischerweise beinbetonte Polyneuropathie aus. Diese ruft Störungen der Motorik und der Sensibilität hervor. Darüber hinaus schädigt sie auch das autonome Nervensystem. Es zeigen sich Symptome wie Blässe der Haut oder verstärkte Kälteempfindungen.[6]

Thiaminmangel als Ursache

Das Korsakow-Syndrom entsteht durch einen schwerwiegenden Mangel an Thiamin (Vitamin B₁). Thiamin ist ein essenzielles Coenzym mehrerer Enzyme des Kohlenhydratstoffwechsels, die für die Energieversorgung des Gehirns unverzichtbar sind.[7] Ein Mangel führt zu einer gestörten Energieproduktion in Nervenzellen und dadurch zu strukturellen Schäden insbesondere in den Mamillarkörpern, im Thalamus und in weiteren Teilen des limbischen Systems.[8] Wird der Thiaminmangel nicht rechtzeitig erkannt und behandelt, können die akuten neurologischen Symptome einer Wernicke-Enzephalopathie in das chronische Korsakow-Syndrom übergehen.[9]

Ätiologie

Zu den Bedingungen, die einen Thiaminmangel und damit das Korsakow-Syndrom auslösen können, gehören:

  • Alkoholmissbrauch (chronisch): verringerte Nahrungsaufnahme (z. B. Ersatz von Mahlzeiten durch Alkohol), beeinträchtigte Resorption und erhöhte Thiaminverluste durch Leber- und Magenprobleme.[10][11]

Differentialdiagnosen

  • Demenzielle Syndrome: Dementielle Erkrankungen wie die Alzheimer-Krankheit zeigen ebenfalls Gedächtnisstörungen, meist langsam fortschreitend und mit weiteren kognitiven Beeinträchtigungen in Bereichen wie Sprache, Orientierung oder Exekutivfunktionen. Im Gegensatz zum Korsakow ist der Beginn bei Demenz schleichend, Thiaminmangel ist nicht ursächlich und andere kognitive Funktionen sind früh betroffen.[15]
  • Delir: Ein Delir zeichnet sich durch akuten Beginn, Bewusstseins- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie wechselnden Verlauf aus, häufig im Zusammenhang mit akuten medizinischen Zuständen wie Infektionen, Stoffwechselentgleisungen, nach Operationen oder als Delirium tremens. Im Gegensatz zum Korsakow, bei dem die ausgeprägte Gedächtnisstörung im Vordergrund steht, dominiert beim Delir die Störung von Aufmerksamkeit und Bewusstsein.[14][16]

Therapie und Prognose

Bei keinem oder geringem Alkoholkonsum ist die Wernicke-Enzephalopathie durch erhöhte Thiaminzufuhr recht leicht heilbar und führt kaum zum Korsakow-Syndrom. Bei hohem Alkoholkonsum ist neben eventuell zu geringer Thiaminaufnahme (s. o.) auch die Thiaminresorption (durch eine alkoholbedingte Hemmung des apikalen Thiamintransportes[17]) sowie die Enzymaktivität gestört. Schädigungen des Nervensystems und der defizitäre Thiaminstoffwechsel haben daher schon lange vor der Diagnose der Wernicke-Enzephalopathie bestanden, und um die Folge Korsakow-Syndrom zu vermeiden, kann die Thiaminzufuhr innerhalb von 24 Stunden erforderlich sowie die perorale Gabe unzureichend sein.[18]

Siehe auch

Korsakow-Patienten können von einer geeigneten Behandlung (bei völliger Alkoholabstinenz, ruhiger Umgebung) profitieren[19] und dabei auch Neues lernen.[20] Als „beste Behandlung des Korsakow-Syndroms“ wird jedoch rechtzeitiges Erkennen der (vorausgesetzten) vorangehenden Wernicke-Enzephalopathie und deren adäquate Therapie angesehen.[18]

Die Prognose des organischen amnestischen Syndroms – des nicht-alkoholbedingten Korsakow-Syndroms ICD F04[21] – ist laut ICD „abhängig vom Verlauf der zugrunde liegenden Läsion“. Allgemein unterscheidet sich bei geeigneter Behandlung die Lebenserwartung von Korsakow-Patienten nicht von der Gesunder.[20]

Siehe auch

Literatur

  • M. D. Kopelman, A. D. Thomson, I. Guerrini, E. J. Marshall: The Korsakoff syndrome: clinical aspects, psychology and treatment. In: Alcohol and alcoholism. Band 44, Nummer 2, 2009 Mar-Apr, S. 148–154, ISSN 1464-3502. doi:10.1093/alcalc/agn118. PMID 19151162. (Literaturübersicht mit einem Schwerpunkt in der Behandlung des eingetretenen alkoholischen Korsakow-Syndroms).
  • E. V. Sullivan, A. Pfefferbaum: Neuroimaging of the Wernicke-Korsakoff syndrome. In: Alcohol and alcoholism. Band 44, Nummer 2, 2009 Mar-Apr, S. 155–165, ISSN 1464-3502. doi:10.1093/alcalc/agn103. PMID 19066199. PMC 2724861 (freier Volltext). (Literaturübersicht zur Unterscheidung von Wernicke-Enzephalopathie und Korsakow-Syndrom und zur Beurteilung des Verlaufs durch Neuroimaging).
  • A. D. Thomson, I. Guerrini, E. J. Marshall: The evolution and treatment of Korsakoff’s syndrome: out of sight, out of mind? In: Neuropsychology review. Band 22, Nummer 2, Juni 2012, S. 81–92, ISSN 1573-6660. doi:10.1007/s11065-012-9196-z. PMID 22569770. (Diskussion mit Schwerpunkt im Übergang der Wernicke-Enzephalopathie zum Korsakow-Syndrom bei Alkoholikern und Nichtalkoholikern).

Einzelnachweise

  1. F10-. DIMDI, abgerufen am 23. Juni 2019.
  2. E51.1. DIMDI, abgerufen am 23. Juni 2019.
  3. E51.-. DIMDI, abgerufen am 23. Juni 2019.
  4. F11.-. DIMDI, abgerufen am 23. Juni 2019.
  5. Yuji Odagaki: A Case of Non-Alcoholic Korsakoff Syndrome Resulting from Malnutrition due to Self-Neglect and Severe Depression. In: Neuropsychiatry. 2018, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  6. a b P. Sivolap: The Current State of S. S. Korsakov’s Concept of Alcoholic Polyneuritic Psychosis. In: Neuroscience and Behavioral Physiology, Bd. 35, Nr. 9, 2005, S. 978–982 (englische Übersetzung einer russischen Publikation anlässlich des 150. Geburtstags von Korsakow, erschienen im Zhurnal Nevrologii i Psikhiatrii 2004).
  7. R. F. Butterworth: Effects of thiamine deficiency on brain metabolism: implications for the pathogenesis of the Wernicke-Korsakoff syndrome. In: Alcohol Alcohol. 17. Oktober 1993, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  8. Timothy Covell, Waquar Siddiqui: Korsakoff Syndrome. In: StatPearls. 30. Januar 2023, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  9. Allan D. Thomson, Irene Guerrini, E. Jane Marshall: Wernicke’s Encephalopathy: Role of Thiamine. In: University of Virginia. Juni 2009, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  10. a b c d Shweta Akhouri, James Kuhn, Edward J. Newton: Wernicke-Korsakoff Syndrome. In: StatPearls. 26. Juni 2023, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  11. a b c d Wernicke-Korsakoff Syndrome. In: Cleveland Clinic. 4. April 2022, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  12. P. H. Sukop, F. H. P. Kessler, A. G. Valerio, M. Escobar, M. Castro, L. V. Diemen: Wernicke’s encephalopathy in crack–cocaine addiction. In: Medical Hypotheses. April 2016, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  13. M. D. Whiting, A. I. Baranova, R. J. Hamm: Cognitive Impairment following Traumatic Brain Injury. In: Animal Models of Cognitive Impairment. 2006, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  14. a b c Glen L. Xiong: Wernicke-Korsakoff Syndrome – Differential Diagnoses. In: Medscape. 27. September 2023, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  15. Shailendra Segobin, Melanie Ambler, Alice Laniepce, Hervé Platel, Gael Chételat, Mathilde Groussard, Anne-Lise Pitel: Korsakoff’s Syndrome and Alzheimer’s Disease-Commonalities and Specificities of Volumetric Brain Alterations within Papez Circuit. In: journal of clinical medicine. 27. April 2023, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  16. Alasdair M. J. MacLullich, Karen J. Ferguson, Thomas Miller, Sophia E.J.A. de Rooij, Colm Cunningham: Unravelling the pathophysiology of delirium: a focus on the role of aberrant stress responses. In: Journal of Psychosomatic Research. September 2008, abgerufen am 14. September 2025 (englisch).
  17. G. Löffler, P. E. Petrides, P. C. Heinrich: Biochemie & Pathobiochemie. 9. Auflage, Springer, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-17971-6, S. 723.
  18. a b Thomson et al., Abstract (#Literatur).
  19. Kopelman et al., Abstract „Conclusions“ (#Literatur).
  20. a b Kopelman et al., Abstract „Results“ (#Literatur).
  21. F04. DIMDI, abgerufen am 23. Juni 2019.