Kollegiengebäude (Göttingen)

Kollegiengebäude Göttingen, Fassadenentwurf von Joseph Schädeler, 1733 (Niedersächsisches Landesarchiv Hannover, Signatur: Kartensammlung, Nr. 23 d Göttingen 27 pm). – Nordfassade, im Hintergrund die Universitätskirche.

Das Kollegiengebäude (auch Auditoriengebäude) war ein in der Gründungszeit der Georg-August-Universität Göttingen nach Entwürfen von 1733 des Universitätsbaumeisters Joseph Schädeler im Jahr 1734 errichtetes Bauwerk in der Innenstadt von Göttingen in Niedersachsen.

Geschichte

Das vierflügelige Kollegiengebäude im Ausschnitt des Göttingen-Stadtplans von Georg Daniel Heumann (1747): T = „das Auditorium publicum“, E = „Universitaets- oder Pauliner Kirche“, W = „die Professoren Häußer“. – Norden ist links.

Das barocke Kollegiengebäude war ursprünglich eine zweigeschossige Vierflügelanlage unmittelbar nördlich der Universitätskirche (Paulinerkirche) und entstand als einer der ersten Neubauten der neuen Universität auf den Grundmauern des Paulinerklosters, dessen Kreuzgang-Innenhof es nachbildete.

Das Kloster diente seit der Säkularisation als Gymnasium. In der 1734 erschienenen Stadtbeschreibung von Johann Daniel Gruber wird der Vorgängerbau in dieser Umnutzung als „Creutz-Gänge im Paulino“ beschrieben:

„Die Creutz-Gänge sind ins Quadrat gebauet, jede Seite 85. Fuß lang, und 9½ Fuß breit. (...) Aus diesen Gängen komt man bey jetziger Einrichtung in das Chor der Kirchen und in die sämtlichen auditoria. In dem Oestlichen Flügel ist ein sehr grosses und geraumes auditorium, 65. Fuß lang und 24. Fuß breit, so insgemein Somer-Prima genant zu werden pfleget fur die Selectaner. In dem Nördlichen Flügel sind die auditoria für die übrigen classes des Gymnasii (...). Der Westliche Flügel begreiffet die untere Schule nemlich Quartam (...), Quintam (...) und Sextam (...). Gegen Süden ist das Thor der Kirchen. Unter diesen sämtlichen Auditoriis ist das Gebäude mit vortrefflichen gewölbeten Kellern versehen. In dem zweyten Stockwerck aber des Oestlichen und Nördlichen Flügels sind lauter Zellen für junge Leute zur Wohnung anzutreffen, hingegen ist über dem gantzen Westlichen Flügel nur ein eintziger grosser Saal, auf welchem die Blibliotheck des Gymnasii auffbehalten wird.“[1]

Für den Neu- bzw. Umbau ist der Beginn des beziehungsreichen Richtspruchs des Zimmermanns von 1734 überliefert: „Minerva's Schloss ist nun, Gott Lob! so weit gebracht, Dass heut der Freudenstrauss durch uns wird darauf gestellet.“[2] Nach Fertigstellung beherbergte der Bau im Innern anfangs neben mehreren Räumen für Vorlesungen u. a. auch Verwaltungsräume, eine Naturalienkammer sowie erneut einen großen Bibliothekssaal im Obergeschoss.[3]

Schon 1787 wurde das Kollegiengebäude als Universitätsbibliothek nach Entwürfen von Georg Heinrich Borheck durch einen Mittelrisalit mit Treppenhaus sowie einen Ostflügel erweitert,[4] wodurch sich die ehemalige Hauptfassade nach Norden zur Prinzenstraße erstmals erheblich veränderte. Diese gesamte Hauptfassade des Barockbaus wurde letztlich 1878–1882 durch den Neurenaissance-Bibliotheksanbau (Prinzenstraße 1) gänzlich verdeckt.

Von den barocken Fassaden des zweigeschossigen Kollegiengebäudes sind heute noch das Erdgeschoss der ehemaligen Westfassade mit dem barocken Portal Papendiek 14 sowie die Erdgeschossfassaden im Innenhof erhalten. Vom stilangepassten Ostflügel-Erweiterungsbau der 1780er-Jahre ist dessen Ostfassade erhalten. Dort befindet sich ein aufwändig gestaltetes (jetzt zugesetztes) Barockportal, das vermutlich als ehemaliger Haupteingang von der Nordfassade stammt, als dort der Borheck-Treppenhausvorbau entstand.[5] 1903–1904 wurde an der Ecke Prinzenstraße / Papendiek das Geographische Institut angebaut.[6]

Heute bildet das im Kern teilweise erhaltene barocke Kollegiengebäude zusammen mit dem Neurenaissance-Anbau und der Paulinerkirche als sog. „Historisches Gebäude“ (Prinzenstraße 1, Papendiek 14) den ältesten Baubestand der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (kurz SUB Göttingen); es wurde zuletzt 1999–2005[7] saniert und modernisiert.

Beschreibung 1748

Aus einer Universitätsbeschreibung von Johann Christian Claproth, Göttinger Professor der Rechte, 1748:

„Sieben wolgebauete Kirchen sind dem Gottesdienste gewidmet, und ein ansehnliches Collegium dienet zu dem [sic] öffentliche Handlungen der Universität. Es ist ein Viereck und stösset an der einen Seite an die Universitätskirche, drey Seiten aber sind völlig frey. Alle vier Facultäten haben hier die schönsten Auditoria, wiewol das Juristische das Größte und Prächtigste ist. Ueber diesem juristischen Hörsale hat die Universitäts Bibliothek, wovon ich darnach besonders reden will, ihren Platz. Ueber dem Theologischen ist die Concilien= und Secretarienstube, und der übrige Raum schliesset die andern zu Ausübung der academischen Jurisdiction nöthigen Behältnisse in sich. Ich habe noch in Deutschland an keiner protestantischen Universität ein ansehnlichers und besser angelegtes Collegengebäude und Universitätskirche gefunden, als in Göttingen.“[8]

Lichtenberghof

Vor dem barocken Westportal an der Straße Papendiek befindet sich jetzt der sog. Lichtenberghof, wo eine von dem Bildhauer Volker Neuhoff geschaffene, bronzene Sitzskulptur aus dem 1992[9][10] an Georg Christoph Lichtenberg erinnert. Im Hof steht außerdem die Bronzeskulptur Butt im Griff von Günter Grass.[11] Eine weitere Installation im öffentlichen Raum des Hofs erinnert an die erste elektromagnetische Telegraphen-Verbindung von Weber und Gauß im Jahr 1833; sie verband das damalige Physikalische Kabinett im Kollegiengebäude mit der Sternwarte Göttingen.

Literatur

(chronologisch)

  • Werner Seidel: Baugeschichte der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek in Göttingen 1734–1953. Göttingen 1953. (Digitalisat auf gdz.sub.uni-goettingen.de, abgerufen am 10. September 2023) – Enthält zahlreiche Abbildungen von Bau- und Projektplänen des 18. Jahrhunderts.
  • Elmar Mittler: Die Göttinger Forschungsbibliothek – Tradition und Bauaufgabe. In: Elmar Mittler (Hrsg.): 700 Jahre Pauliner Kirche vom Kloster zur Bibliothek. Wallstein Verlag, Göttingen 1994, ISBN 3-89244-188-X, S. 156–160. (Enthält historische Grundrisse)
  • Reimer Eck: Vom Pädagogoium zur Keimzelle von Universität und Bibliothek. Zur Bau- und Nutzungsgeschichte des Pauliner-Klosters im 18. Jahrhundert. In: Elmar Mittler (Hrsg.): 700 Jahre Pauliner Kirche vom Kloster zur Bibliothek. Wallstein Verlag, Göttingen 1994, ISBN 3-89244-188-X, S. 160–163.
  • Axel Venneberg, Ulrich Zech: Das historische Bibliotheksensemble der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Die neue bauliche Gesamtkonzeption. In: Elmar Mittler (Hrsg.): 700 Jahre Pauliner Kirche vom Kloster zur Bibliothek. Wallstein Verlag, Göttingen 1994, ISBN 3-89244-188-X, S. 153–155.
  • Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Göttinger Tageblatt, Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X, S. 6, 12 f., 26, 29 f., 88, 188. (Digitalisat im Internet Archive)

Einzelnachweise

  1. Johann Daniel Gruber: Zeit- und Geschicht-Beschreibung der Stadt Göttingen. Nic. Försters und Sohns Erben, Hannover / Göttingen 1734, II. Buch, S. 90 f. (Digitalisat auf digitale-sammlungen.de, abgerufen am 12. Juni 2025)
  2. Friedrich Wilhelm Unger: Göttingen und die Georgia Augusta. Eine Schilderung von Stadt, Land, Leuten in Vergangenheit und Gegenwart für Einheimische und Fremde. Deuerlich, Göttingen 1861, S. 78. (Digitalisat)
  3. Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Göttinger Tageblatt, Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X, S. 6, 12 f.
  4. Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Göttinger Tageblatt, Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X, S. 26.
  5. Reimer Eck: Vom Pädagogium zur Keimzelle von Universität und Bibliothek. Zur Bau- und Nutzungsgeschichte des Pauliner-Klosters im 18. Jahrhundert. In: Elmar Mittler (Hrsg.): 700 Jahre Pauliner Kirche vom Kloster zur Bibliothek. Wallstein Verlag, Göttingen 1994, ISBN 3-89244-188-X, S. 160–163, hier S. 163, Katalognummer 239.
  6. Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Göttinger Tageblatt, Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X, S. 88.
  7. 20 Jahre Universitätsbaumanagement, Georg-August-Universität Göttingen. Hrsg. Der Präsident der Universität Göttingen. Redaktion Rainer Bolli, Christian Tasch u. a. Göttingen 2024 (Digitalisat auf uni-goettingen.de, abgerufen am 10. August 2024), S. 74 f.
  8. Johann Christian Claproth: Der gegenwärtige Zustand der Göttingischen Universität (...). Schmidt, Göttingen 1748 (Digitalisat auf gdz.sub.uni-goettingen.de, abgerufen am 24. Februar 2023), S. 6.
  9. Lichtenberg Denkmal Papendiek. In: denkmale.goettingen.de. Stadt Göttingen, Fachdienst Kultur, abgerufen am 1. Februar 2023.
  10. Alfred Oberdiek: Göttinger Universitätsbauten. Die Baugeschichte der Georg-August-Universität. 2. überarbeitete und erweiterte Auflage, Verlag Göttinger Tageblatt, Göttingen 2002, ISBN 3-924781-46-X, S. 180. (Digitalisat im Internet Archive)
  11. Butt im Griff. In: denkmale.goettingen.de. Stadt Göttingen, Fachdienst Kultur, abgerufen am 1. Februar 2023.