Katerina Poladjan

Katerina Poladjan (* 1971 in Moskau) ist eine deutsche Schriftstellerin. Sie erhielt 2025 den Großen Preis des Deutschen Literaturfonds und ist Trägerin des Rompreises Villa Massimo.
Leben und Werk
Katerina Poladjan wurde in der Sowjetunion geboren. Ihr Großvater war ein Überlebender des Völkermords an den Armeniern.[1] Ende der 1970er Jahre kam sie nach Deutschland. In Westberlin besuchte sie ein Gymnasium des Erzbistums Berlin und absolvierte an der Leuphana Universität Lüneburg ein Studium der Angewandten Kulturwissenschaften mit dem Schwerpunkt Philosophie und Kunst. Ihr Vater Michael Poladjan ist ein international anerkannter Künstler, und ihre Mutter Irina Olegowna Vinizki, geborene Cheglowa, ist Kunsthistorikerin und Journalistin.
Katerina Poladjan schreibt Romane, Essays und Theatertexte. Im Jahr 2011 erschien ihr erster Roman In einer Nacht, woanders im Rowohlt Verlag Berlin.[2] Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb: „In atemlosem Stakkato, im suggestiven Präsens erzählt die Protagonistin ihre geisterhafte, bedrückende Reise in die russische Nacht und die eigene Herkunft“. Drei Jahre später erhielt sie das Alfred-Döblin-Stipendium der Berliner Akademie der Künste.[3] Der Roman Vielleicht Marseille folgte 2015. „Ein in den Details hyperrealistisches Traumspiel, das subkutan wirkt“, schrieb die Süddeutsche Zeitung sowie Die Welt: „Das Kunststück, in aller stilistischer Gelassenheit von auseinanderkrachenden Existenzen zu erzählen, ist Poladjan gelungen … Katerina Poladjan kann sehr viel, sie kann in wenigen Sätzen Geschichten erzählen, für die manche andere viele Seiten brauchen“. Der literarische Reisebericht Hinter Sibirien. Eine Reise nach Russisch-Fernost, den sie gemeinsam mit dem Autor und Regisseur Henning Fritsch schrieb, erschien 2016. Auf Einladung von Meike Feßmann nahm Poladjan am Ingeborg-Bachmann-Preis 2015 teil.[4]
Ihr Roman Hier sind Löwen folgte 2019. Er wurde mit dem Nelly-Sachs-Preis ausgezeichnet und für den Deutschen Buchpreis nominiert. „Katerina Poladjan reflektiert die Ungeheuerlichkeit des Völkermords und die Gegenwart eines Landes im Abseits klug und dezent, in einer poetisch-kantigen Sprache“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) und Die Welt urteilte: „Am Ende dieses sehr klugen und bewegenden Romans gibt es beides: ein tragisches und ein glückliches Ende, gerecht verteilt auf die Realität und auf die Fiktion“. Mit ihrem Roman Zukunftsmusik war Poladjan 2022 für den Preis der Leipziger Buchmesse (Shortlist) nominiert.[5] Er wurde mit dem Rheingau Literatur Preis und dem Chamisso Preis ausgezeichnet. „Katerina Poladjan hat mit Zukunftsmusik einen der ganz großen deutschen Gegenwartsromane geschrieben, den man jetzt in Zeiten des Krieges anders liest als noch in der Zeit des Friedens“ so der Literaturkritiker Denis Scheck (WDR 2). „Der Roman ›Zukunftsmusik‹ ist ein Hoffnungs- und ein Trostbuch. Eine literarische Verteidigung der Menschlichkeit unter den besonderen Bedingungen der Macht“ schrieb Paul Jandl in der NZZ. „Katerina Poladjan gelingt ein kleines, schimmerndes Alphabet der Gefühle in der späten Sowjetunion“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Übersetzungen erschienen in dänischer, französischer, italienischer, niederländischer und türkischer Sprache; Hier sind Löwen wurde unter anderem ins Bulgarische, Französische und Niederländische übersetzt.[6]
Der Neue Berliner Kunstverein (n.b.k.) zeigte den ersten Essayfilm von Katerina Poladjan und Henning Fritsch, eine Überschreibung von Marguerite Duras’ Il dialogo di Roma (1982).[7] Das Maxim Gorki Theater in Berlin kündigte für Januar 2026 eine Adaption des Romans Zukunftsmusik unter der Regie von Nurkan Erpulat an.[8]
Poladjan erhielt 2003 ihr erstes Stipendium im Bereich der Literatur. Sie arbeitete aber zunächst als Schauspielerin, unter anderem am Schauspielhaus Hamburg sowie an der Schaubühne Berlin[9] und nahm in dieser Zeit bis 2016 auch Nebenrollen in Film- und Fernsehproduktionen an. So wirkte sie in The Cut und Tschick unter der Regie von Fatih Akin mit.
Der Roman Goldstrand (2025) entfaltet in Form wöchentlicher Therapiesitzungen in Rom die Familiengeschichte des Filmregisseurs Elia Fontana, der seiner Analytikerin Episoden aus einem Jahrhundert erzählt; zentrale Schauplätze sind Rom und der bulgarische Badeort Goldstrand am Schwarzen Meer.[10] Die Erzählung verknüpft die Trauerarbeit des Vaters Lew, der seit dem Verschwinden seiner Tochter 1922 zwischen Odessa und Konstantinopel nach Spuren sucht, mit der Nachkriegsgeneration um den jungen Architekten Felix, der beim staatlichen Planungsinstitut „Glavprojekt“ an einer modernen Ferienarchitektur für die Arbeiterklasse mitarbeitet; 1958 endet die Lebensgeschichte des Vaters am Strand von Goldstrand.[10] Stilistisch kombiniert Poladjan dialogische Passagen, essayistische Reflexionen und cineastische Szenen mit mythischen Anspielungen; die Rezension verweist auf intertextuelle Bezüge u. a. zu Gramsci, Pasolini, Ettore Scola, Italo Calvino, Cesare Pavese, Marcel Duchamp, Heiner Müller und Giorgio Moroder.[10] In der Rezeption wird zudem der populäre Hintergrund therapeutischer Serienformate (En thérapie, BeTipul, In Treatment) als Vergleichsfolie benannt.[10] Der Ton der Prosa wird als lakonisch und bisweilen heiter beschrieben, während die Figuren über Generationen hinweg von Verlust- und Gewalterfahrungen gezeichnet sind.[10]
Katerina Poladjan lebt und arbeitet in Berlin. Sie ist Mitglied im PEN Berlin.
Rezeption
Zur Veröffentlichung von Goldstrand hob Carsten Otte hervor, Poladjan „schick[e] … ein ganzes Jahrhundert auf die Couch“ und lege „wie eine Therapeutin die Risse und Brüche der europäischen Geschichte offen“; der Roman biete „Erkenntnis durch ästhetische Erfahrung“.[10]
Einzeltitel
- In einer Nacht, woanders. Rowohlt Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-87134-717-7.
- In einer Nacht, woanders. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2024, ISBN 978-3-596-70905-2.
- Vielleicht Marseille. Rowohlt Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-87134-810-5.
- Hinter Sibirien. Eine Reise nach Russisch-Fernost. Rowohlt Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-87134-841-9.
- Hier sind Löwen. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2019, ISBN 978-3-10-397381-5.
- Zukunftsmusik. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2022, ISBN 978-3-10-397102-6.
- Goldstrand. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2025, ISBN 978-3-10-397176-7.
Beiträge zu Anthologien
- Die Bergsteigerin, in: Ziegel 10 – Hamburger Jahrbuch für Literatur 2006/2007. Verlag Dölling und Galitz, Hamburg 2006/2007, ISBN 978-3-937904-32-0.
- Wir. Gestern. Heute. Hier. Texte zum Wandel unserer politischen Werte. Hrsg. Matthias Jügler, Verlag Piper, 2020, ISBN 978-3-492-07034-8.
- Kafka gelesen. Eine Anthologie. Hrsg.: Sebastian Guggolz, S. Fischer Verlag, 2024, ISBN 978-3-10-397579-6.
Auszeichnungen
- 2003: Stipendium der Neuen Gesellschaft für Literatur
- 2014: Grenzgänger Stipendium der Robert Bosch Stiftung
- 2014: Alfred-Döblin-Stipendium
- 2015: Senatsstipendium der Stadt Berlin
- 2015: Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb
- 2015: Literaturpreis „Der kleine Hai“ der Buchhandlung Wist, Potsdam
- 2015: Nominierung für den Alfred-Döblin-Preis
- 2016: Shortlist Literaturpreis der Europäischen Union
- 2016: Stipendium der Stiftung Preussische Seehandlung
- 2016: Residenzstipendium der Kulturakademie Tarabya Istanbul
- 2016/2017: Stipendium des Deutschen Literaturfonds
- 2019: Alfred-Döblin-Stipendium
- 2019: Longlist Deutscher Buchpreis mit Hier sind Löwen
- 2019: Einjähriges Stipendium der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa[11]
- 2021: Nelly-Sachs-Preis
- 2022: Shortlist Preis der Leipziger Buchmesse
- 2022: Chamisso-Preis/Hellerau[12]
- 2022: Rheingau Literatur Preis für den Roman Zukunftsmusik[13]
- 2022: Platz 1 auf der SWR-Bestenliste im April für den Roman Zukunftsmusik[14]
- 2022: Shortlist Wilhelm Raabe-Literaturpreis
- 2022: Shortlist Prix Grand Continent
- 2023/24: Stipendium der Deutschen Akademie Rom Villa Massimo
- 2023: Trophées littéraires des Nouvelles d’Árménie (für Hier sind Löwen, französischsprachige Ausgabe)
- 2025: Großer Preis des Deutschen Literaturfonds[15]
Literatur
- Theo Breuer: Zwanzig Tage – Zwanzig Romane: Ein Buchspiel. In: Matrix. Zeitschrift für Literatur und Kunst, 58. Ausgabe, Pop Verlag, Ludwigsburg 2019, S. 7–167.
Weblinks
- Literatur von und über Katerina Poladjan im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Katerina Poladjan bei IMDb
- Webpräsenz von Katerina Poladjan
- WDR 3 (Westdeutscher Rundfunk) Mosaik Samstagsgespräch vom 16. April 2022: Schriftstellerin Katerina Poladjan über Zeitenwenden
Einzelnachweise
- ↑ Armenien: Das Grauen wiederholt sich jeden Tag. Die Zeit. 23. April 2015, abgerufen am 13. April 2019
- ↑ Katerina Poladjan. In: rowohlt.de. Abgerufen am 26. November 2017.
- ↑ Alfred-Döblin-Stipendien in Wewelsfleth 2014. In: adk.de. Akademie der Künste, Berlin, 17. März 2014, abgerufen am 26. November 2017.
- ↑ Katerina Poladjan, D/RUS - Bachmannpreis. In: bachmannpreis.orf.at. 28. Mai 2015, abgerufen am 26. November 2017.
- ↑ Katerina Poladjan. Abgerufen am 15. März 2022.
- ↑ Siehe Katalog der Deutschen Nationalbibliothek.
- ↑ übertragen, Journalistensprache: Neuinterpretation besonders eines Theaterstücks, dwds.de, abgerufen am 13. Juli 2025
- ↑ Zukunftsmusik. Uraufführung 24. Januar 2026. www.gorki.de, abgerufen am 23. Juli 2025.
- ↑ Katerina Poladjan. texttage.nuernberg.de, abgerufen am 23. Juli 2025.
- ↑ a b c d e f Carsten Otte: Roman von Katerina Poladjan – Ein Jahrhundert auf der Couch, Rezension zu: Katerina Poladjan: Goldstrand, S. Fischer, Frankfurt a. M. 2025, 4. September 2025.
- ↑ Arbeits- und Recherchestipendien für 29 Berliner Autorinnen und Autoren vergeben, Meldung auf Buchmarkt.de vom 26. November 2019, abgerufen am 30. November 2019.
- ↑ Dresdner Chamisso-Literaturpreis an Katerina Poladjan. Die Zeit (dpa-Meldung), 25. Mai 2022, abgerufen am 25. Mai 2022.
- ↑ Katerina Poladjan doppelt ausgezeichnet, Börsenblatt vom 25. Mai 2022, abgerufen am 26. Mai 2022
- ↑ SWR2, SWR2: SWR Bestenliste April – Diskussion über vier Bücher. Abgerufen am 13. Juni 2022.
- ↑ Auszeichnungen: Katerina Poladjan erhält den „Großen Preis des Deutschen Literaturfonds“, buchmarkt.de vom 10. Juli 2025, abgerufen am 13. Juli 2025