Karasis (Festung)

Blick auf den mutmaßlichen Speicher der Festung auf dem Bergkamm.

Die antike Festungsanlage von Karasis liegt auf dem bis zu gut 1000 m aufsteigenden isolierten Höhenrücken des Berges Karasis in den Ausläufern des östlichen Taurusgebirges in der historischen Region Kilikien, am nördlichen Rand der Çukurova nahe bei Kozan in der Provinz Adana (Türkei). Sie wurde 1994 durch den Epigraphiker Mustafa Hamdi Sayar entdeckt, der von Einheimischen aus den umliegenden Dörfern auf mächtige Ruinen auf dem Berggipfel hingewiesen worden war. Die aus einer Ober- und einer Unterburg bestehende Anlage wurde wahrscheinlich im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. von den makedonischen Seleukiden erbaut. Sowohl der eigentliche Name der Festungsanlage als auch ihr Zweck sind unklar. In antiken Schriften wird zwar eine im Taurusgebirge liegende Schatzburg namens Kyinda erwähnt, jedoch kann ausgeschlossen werden, dass es sich bei der Festung auf dem Karasis um diese Anlage handelt, da diese später datiert und mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht fertig gestellt und zum ursprünglich geplanten Zweck genutzt wurde.

Archäologische Forschung

Die unzugängliche Höhenfestung wurde von 2003 bis 2005 vom Deutschen Archäologischen Institut Istanbul bauhistorisch untersucht, ohne dass Ausgrabungen vorgenommen werden konnten. Parallel dazu wurde der Berg von Geodäten vermessen und ein archäologischer Umgebungssurvey durchgeführt. Letzterer sollte dazu dienen, die regionale Besiedlungsdichte während der Erbauung der Anlage auf dem Karasis und gegebenenfalls entsprechende Siedlungsformen zu bestimmen. Dabei zeigte sich, dass es in hellenistischer Zeit zwar diverse Siedlungsplätze in der näheren Umgebung existierten, jedoch nirgends Hinweise auf Steinbauten oder gar urbane Strukturen vorliegen.

Der archäologische Survey innerhalb des Ruinenfelds zeigte, dass das Fundmaterial nicht der ersten Nutzungsphase, als das Gros der Bauten errichtet wurde, entstammt, sondern einer späten, um die Jahrtausendwende zu datierenden zweiten Nutzungsphase. Die erste Nutzungsphase kann anhand bautechnischer Befunde und fortifikatorischer Aspekte sowie auf Basis von Erwägungen zu den historischen Hintergründen grob in die hochhellenistische Zeit, bzw. um 200 v. Chr. eingeordnet werden.

Die Analyse der Ruinen mit den Mitteln der modernen Bauforschung ergab eine stringente Unterteilung in drei Bereiche: der dicht bebauten sogenannten Oberburg auf dem Gipfelgrat des Bergs sowie der weitläufigen, weitgehend unbebauten Mittelburg östlich und südlich des Gipfelgrats sowie der wiederum dicht bebauten sogenannten Unterburg auf dem südlichen Felsausläufer des Bergs.

Die Bebauungsstruktur der Oberburg zeigt deutliche Parallelen zu repräsentativen Stadthäusern und Palastanlagen aus hellenistischer Zeit und ist daher als palastartiges Ensemble zu interpretieren, das das Herz der Gesamtanlage darstellte. Die Unter- und die Mittelburg dienten in erster Linie dazu, diesem ein gesichertes Vorfeld zu schaffen; dabei lässt sich die Unterburg als eine Art Kaserne identifizieren, die ungefähr zweihundertsiebzig Soldaten Unterkunft bot.

Die Wasserversorgung der Gesamtanlage wurde durch insgesamt neun Zisternen sicher gestellt; der Großteil davon befand sich in der Oberburg. Zudem existierte an der nördlichen Spitze des Gipfelgrats ein rund sechzig Meter langer Speicherbau, in dem große Mengen Lebensmittel trocken gelagert werden konnten.

Die Gesamtanlage wird von einer rund 2,5 km langen Wehrmauer umgeben; diese ist vor allem im Bereich der Unterburg noch gut erhalten. Dort sind in den Verlauf der der Mauer drei ebenfalls gut erhaltene Geschütztürme eingestellt, die offensichtlich dazu dienten, das einzige Areal, das sich für eine Attacke größerer Verbände eignete, unter Beschuss nehmen zu können. Zwei deutlich schlechter erhaltene Geschütztürme an der Südspitze der Oberburg waren dementsprechend auf die Rampe ausgerichtet, die zur Oberburg führte.

Historische Hintergründe

Es ist keine historische Überlieferung bekannt, die sich mit Sicherheit auf die Ruinen auf dem Karasis beziehen. Auch wurden im Verlauf der Forschungen vor Ort keine epigrafischen oder numsimatischen Funde gemacht, welche einen näherer Datierungsansatz zuließen. Der Baubefund zeigt aber, dass bestimmte wichtige Einzelbauten, insbesondere die sogenannte Residenz in der Oberburg, zwar in einem Zug weitgehend errichtet wurden, ihr finaler Ausbau aber unterblieb und sie als Bauruine unvollendet blieben. Das Relief eines Elefanten, das sich an einem Geschützturm in der Unterburg befindet, deutet eine seleukidische Urheberschaft an. Dabei kommt insbesondere Antiochos III. als Bauherr in Betracht, der die Anlage als eine Art Pfalz in Auftrag gegeben haben könnte, die eine sichere Wegstation in der noch wenig hellenisierten Region geboten hätte, die sich auf dem Weg zwischen den westlichen und den östlichen Teilen des seleukidischen Reichs befand. Der finale Ausbau könnte aufgrund des Konflikts mit dem pergamenischen Reich in Zusammenhang stehen. Dieser endete mit der Schlacht von Magnesia, bei der die Seleukiden mit Unterstützung der Römer besiegt wurden. Im anschließenden Frieden von Apameia wurden sie verpflichtet, sich hinter den Taurus zurückzuziehen. Eine Wegstation auf dem Karasis im Sinne einer Pfalz wäre damit nicht mehr notwendig gewesen, da sich der Karasis nunmehr am Rand des seleukidischen Reichs befand.

Festungsturm mit Elefantenrelief über dem Türsturz.

Die späte Nutzungsphase um die Jahrtausendwende herum, der zahlreiche Einbauten in minderer bautechnischer Qualität zugeschrieben werden können und der das Gros des archäologischen Fundmaterials entstammt, dürfte mit den sogenannten Tarkondimotiden in Verbindung stehen, einer lokalen Herscher- bzw. Piratendynastie.

Die Karasis-Festung heute

Die Festung ist bislang touristisch nicht erschlossen. Der Aufstieg über den weglosen Fels ist sehr steil, beschwerlich und nicht ungefährlich; die Pfade, die im Rahmen der Untersuchungen 2003 angelegt wurden, sind wieder zugewuchert. Es empfiehlt sich daher dringend, sich von Einheimischen aus den umliegenden Dörfern führen zu lassen, da man sich sonst im dichten Gestrüpp leicht verirren kann.

Literatur

  • Martin Bachmann: Machtdemonstration und Kulturimpuls. Die Festung auf dem Karasis. In: Felix Pirson, Ulrike Wulf-Rheidt (Hrsg.): Austausch und Inspiration. Kulturkontakte als Impuls architektonischer Innovation. Kolloquium vom 28.–30.4.2006 in Berlin anlässlich des 65. Geburtstages von Adolf Hoffmann, DiskAB 9 Mainz 2008, S. 67–81, ISBN 978-3-8053-3925-4.
  • Martin Bachmann: Dachwerk über steinernem „Fruchtkasten“. Der Speicherbau des Karasis. In: Alexander von Kienlin (Hrsg.): Holztragwerke der Antike. Internationale Konferenz 30. März – 1. April 2007 in München, BYZAS 11 Istanbul 2011, S. 171–181, ISBN 978-605-5607-47-0.
  • Jean-Christoph Caron: Der Schatz des Alexander. In: Abenteuer Archäologie 1/2006, S. 58ff., ISSN 1612-9954.
  • Timm Radt: Bautechnische Eigenheiten im hellenistischen Wehrbau Kilikiens. In: Martin Bachmann (Hrsg.): Bautechnik im antiken und vorantiken Kleinasien. Internationale Konferenz 13.–16. Juni 2007 in Istanbul, BYZAS 9 Istanbul 2009, S. 269–294, ISBN 978-975-8072-23-1.
  • Timm Radt: Fliehburg, Festung, Residenz? Die Ruinen auf dem Karasis. In: Janet Lorentzen, Felix Pirson. Peter Schneider, Ulrike Wulf-Rheidt (Hrsg.): Aktuelle Forschungen zur Konstruktion, Funktion und Semantik antiker Stadtbefestigungen, Kolloquium 9./10. Februar 2007 in Istanbul, BYZAS 10 Istanbul 2010, S. 195–217, ISBN 978-605-5607-05-0.
  • Timm Radt: The ruins on Mount Karasis in Cilicia. In: Anna Kouremenos, Sujatha Chandrasekaran, Roberto Rossi (eds.): From Pella to Gandhara. Hybridisation and Identity in the Art and Architecture of the Hellenistic East. Oxford 2011, S. 49–64, ISBN 978-1-4073-0779-4 (englisch).
  • Timm Radt: Fortified Palaces and Residences in Hellenistic Times. In: R. Frederiksen, S. Müth, P. I. Schneider and M. Schnelle (eds.): Focus on Fortifications. New Research on Fortifications in the Ancient Mediterranean and the Near East. Fokus Fortifikation Studies 2, Oxbow, Oxford-Philadelphia 2016, S. 263–276, ISBN 978-1785701313
  • Timm Radt: Die hellenistische Palastanlage von Pergamon im Licht der Forschungen zur Oberburg auf dem Karasis. In: Wie forschen? Chancen und Grenzen der Bauforschung an Gebäuden nach 1950. Tübingen 2022.
  • Mustafa Hamdi Sayar: Eine neuentdeckte seleukidische Bergfestung im ostkilikischen Taurus. In: Antike Welt 26, 1995, S. 279–282, ISSN 0003-570X.

Koordinaten: 37° 33′ 8″ N, 35° 51′ 57″ O