Kamtschatkastrom

Schematisches Zirkulationsmuster im westlichen subarktischen Nordpazifik. Die Abkürzung „St“ steht für engl. „Strait“, deutsch „Straße“, also Kamtschatkastraße etc.

Der Kamtschatkastrom, genauer: Ost-Kamtschatkastrom (engl. East Kamchatka Current, EKC) ist eine kalte, südwärts gerichtete Meeresströmung im nordwestlichen Pazifik. Er fließt entlang der Ostküste der russischen Halbinsel Kamtschatka und der Kurilen und spielt eine wichtige Rolle im ozeanographischen System des subpolaren Pazifiks.

Hauptmerkmale und Verlauf

Der Strom entsteht aus kaltem, salzarmem Wasser aus dem Beringmeer sowie aus dem nördlichen Pazifik. Er speist sich zunächst vor allem aus dem Bering-Hangstrom (Bering Slope Current), der innerhalb des Beringmeers der Topographie des Kontinentalschelfs folgt und sich dann am Rande Kamtschatkas teilt. Die südwärts gerichtete Strömung durch die Kamtschatkastraße und entlang der Küste Kamtschatkas ist der Ost-Kamtschatka-Strom (EKC), der zur wichtigsten westlichen Randströmung des subpolaren Wirbels des Nordpazifiks wird.[1] Der Abfluss durch die Kamtschatkastraße beträgt 6–12 Sverdrup (Sv);[2] der EKC fließt mit etwa 0,1–0,3 m/s, im Winter aufgrund stärkerer Winde schneller. Das subarktische Wasser, das er transportiert, hat eine Temperatur von meist unter 5 °C.[3]

Die Strömung des EKC im westlichen Beringmeer und der Kamtschatkastraße ist zwischen November und April stark und von Juni bis September relativ schwach. Die starke Saisonalität der Oberflächenströmung des EKC lässt sich durch zeitliche Veränderungen der Windspannung über dem nördlichen und westlichen Kontinentalhang des Beringmeeres erklären.[4][5] Kaltwasserhaltige Mäander und Wirbel sind gängige Merkmale in der EKC-Region.[6][7] Zusätzlich zu seiner Funktion als Teil des Wasserkreislaufs im Pazifik spielt der Kamtschatkastrom auch eine Rolle bei der Verteilung von Wärme und Salzgehalt in der Region. Studien haben gezeigt, dass sich die Temperatur und der Salzgehalt in den Wirbeln des Kamtschatkastroms im Laufe der Zeit verändern, was auf Veränderungen in den ozeanischen Bedingungen hindeutet.[8]

Südlich der Kurilen vermischt sich der EKC teilweise mit dem Oyashio-Strom, einer weiteren kalten Strömung, die entlang Hokkaidō (Japan) verläuft.[9] Der andere Teil des Wassers fließt weiter in den Subpolaren Nordpazifikwirbel ein.[1]

Klimatische Einflüsse

Der Kamtschatkastrom hat einen starken kühlenden Effekt auf die Küstengebiete Kamtschatkas und der Kurilen. Durch den Transport von subarktischem Wasser (0–5 °C) mildert er extreme Wintertemperaturen, verhindert aber auch eine größere sommerliche Erwärmung.[2] Die kalten Wassermassen führen häufig zu Advektionsnebel, besonders im Frühjahr und Sommer, was die Sonneneinstrahlung reduziert.[3]

Der EKC interagiert mit den Aleutentiefs, indem er die Stärke von Tiefdruckgebieten im Nordpazifik modifiziert. Neuere Studien deuten auf eine beginnende Abschwächung des EKC hin, was zu einer stärkeren Erwärmung der Kamtschatka-Küste führen könnte.[10]

Ökologische Bedeutung

Der EKC ist ein Schlüsselfaktor für marine Ökosysteme im subarktischen Pazifik. Der Strom bringt nährstoffreiches Tiefenwasser (hohe Konzentrationen von Nitrat, Phosphat und Silikat) an die Oberfläche, was Phytoplanktonblüten (v. a. Diatomeen) fördert.[11] Diese bilden die Basis für eines der produktivsten marinen Nahrungsnetze des Nordpazifiks.

Der EKC ist eine wichtige Wanderroute für Pazifische Lachse (v. a. Rotlachs Oncorhynchus nerka), die in Kamtschatkas Flüssen laichen.[12] Die kalten, sauerstoffreichen Gewässer sind ein Hauptlebensraum für Pazifischen Kabeljau (Gadus macrocephalus) und Alaska-Seelachs (Theragra chalcogramma). Die hohe Produktivität zieht Seehunde, Wale (v. a. Buckelwale) und Seevögel (z. B. Lummenalken) an.

Der EKC ist entscheidend für einige der ertragreichsten Fischereizonen Russlands, insbesondere für Lachse und Krabben.[12] Veränderungen in der Strömungsstärke können Fangerträge beeinflussen, da sich Fischbestände bei Erwärmung verlagern. Durch Erwärmung könnte der EKC an Sauerstoff verlieren, was Tiefenlebensräume beeinträchtigt.[1] Schwächere Strömungen könnten das Eindringen wärmeangepasster Arten begünstigen.

Forschung und aktuelle Entwicklungen

Der Kamtschatkastrom steht im Fokus mehrerer ozeanographischer Forschungsfelder, insbesondere aufgrund seiner Rolle im subarktischen Klimasystem und seiner Reaktion auf globale Erwärmung.

Langzeitveränderungen und Klimawandel-Effekte

Satellitenaltimetrie-Daten (1993–2023) zeigen eine Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit um ~5–10 % pro Jahrzehnt, verbunden mit einer Verlagerung des Aleutentiefs nach Nordosten.[10] Grund dafür ist der Rückgang des Meereises in der Beringsee, daraus resultierend ein geringerer Süßwassereintrag und eine schwächere antarktische Windzirkulation.[13]

Das Wasser des EKC erwärmt sich – seit 2000 wurde eine Temperaturzunahme von 0,8–1,2 °C in den oberen 200 m gemessen.[8] Infolgedessen verschieben sich die Habitate von Fischarten (z. B. Buckellachs, Oncorhynchus gorbuscha) nach Norden.[12][14]

Ozeanographische Prozesse und Modellierung

Langzeitstudien[15][16] zeigen, dass sich der Kamtschatka- und Oyashio-Strom südlich der Kurilen vermischen. Aktuelle Messungen des KESS-Programms (2018–2023) belegen dabei einen Anstieg der Nährstoffkonzentrationen in dieser Region.

Der EKC erzeugt mehr Eddy-Aktivität, d. h., dass mehr antizyklonische Wirbel entstehen (Durchmesser: 50–100 km), die warmes Wasser aus dem Kuroshio-Extensionsgebiet einschleusen.[17] Diese Wirbel tragen zur Erwärmung der Deckschicht bei und beeinflussen lokale Fischgründe.

Satellitenaltimetrie- und Modellstudien (Kurczyn et al., 2012;[17]; Itoh et al., 2010[10]) zeigen, dass der Kamtschatkastrom durch Wechselwirkungen mit der Bathymetrie und frontalen Instabilitäten antizyklonische Wirbel (50–100 km Durchmesser) erzeugt. Diese Wirbel transportieren nachweisbar warmes, salzreiches Wasser aus dem Kuroshio-Extensionsgebiet in den subarktischen Pazifik.

Biologische und fischereiliche Auswirkungen

Das EKC-Wasser versauert zunehmend: durch erhöhte CO₂-Aufnahme zeigt der EKC einen pH-Wert-Abfall von 0,03–0.05 pro Jahrzehnt (NOAA-PMEL-Daten, 2023).[18] Eine Folge könnte sein, dass kalkbildende Organismen (z. B. Krill, Euphausia pacifica) geschädigt werden.

Das adaptive Lachsmanagement in Kamtschatka nutzt seit 2018 EKC-Strömungsdaten zur Vorhersage von Wanderrouten.[19] Diese Praxis wird durch russische Fischereiberichte (TINRO, 2021) bestätigt, die temperaturgesteuerte Quotenanpassungen dokumentieren.[19]

Technologische Fortschritte in der Forschung

Im Rahmen des IMBeR-Projekts überwachen Argo-Floats und Glider seit 2020 kontinuierlich Salzgehalt und Temperatur des EKC. IMBeR ist ein internationales Forschungsprogramm, das sich mit den Wechselwirkungen zwischen mariner Biogeochemie und Ökosystemen befasst – insbesondere im Kontext des globalen Wandels (Klimawandel, Versauerung der Meere, menschliche Einflüsse). Es ist ein Scor-Project des World Climate Research Programme (WCRP) und läuft seit 2005.[20]

Im Bereich der satellitengestützten Fernerkundung zeigen Copernicus Sentinel-3-Daten die räumliche Chlorophyll-a-Verteilung als Indikator für Planktonblüten.[21]

Einzelnachweise

  1. a b c Lynne D. Talley et al.: Descriptive Physical Oceanography. An Introduction. 6. Auflage. Amsterdam u. a. 2011, S. 312. ISBN 978-0-7506-4552-2.
  2. a b P. J. Stabeno, P. K. Reed (1994): Circulation in the Bering Sea basin by satellite-tracked drifters. In: Journal of Physical Oceanography, Band 24 (1994), Ausgabe 4, S. 848–854. doi:10.1175/1520-0485(1994)024<0848:CITBSB>2.0.CO;2.
  3. a b Shinichiro Kida, Bo Qiu (2013). An exchange flow between the Okhotsk Sea and the North Pacific driven by the East Kamchatka Current. In: JGR Oceans, Band 118, Ausgabe 12, S. 6747–6758. DOI:10.1002/2013JC009464.
  4. Sergey V. Prants, Andrey G. Andreev, Michael Yu Uleysky, Maxim V. Budyansky (2014): Lagrangian study of temporal changes of a surface flow through the Kamchatka Strait. In: Ocean Dynamics, Band 64 (2014), S. 771–780. DOI:10.1007/s10236-014-0706-9.
  5. Andrey G. Andreev, Maxim V. Budyansky, Gennady V. Khen & Michael Yu. Uleysky (2020): Water dynamics in the western Bering Sea and its impact on chlorophyll a concentration. In: Ocean Dynamics, Band 70 (2020), S. 593–602. DOI:10.1007/s10236-020-01347-7.
  6. A. V. Verkhunov, Y. Y. Tkachenko (1992): Recent observations of variability in the western Bering Sea current system. In: Journal of Geophysical Research, Band 97 (1992), Ausgabe C9, S. 14369–14376. DOI:10.1029/92JC01196.
  7. S. V. Prants, M. V. Budyansky, V. B. Lobanov, A. F. Sergeev, M. Yu. Uleysky (2020): Observation and Lagrangian analysis of quasi-stationary Kamchatka trench eddies. In: Journal of Geophysical Research, Band 125 (2020), e2020JC016187. DOI:10.1029/2020JC016187.
  8. a b Andrey Andreev, Irina Pipko: Water Circulation, Temperature, Salinity, and pCO₂ Distribution in the Surface Layer of the East Kamchatka Current. In: Journal of Marine Science and Engineering, 2022, Band 10 (2022), Ausgabe 11, 1787. DOI:10.3390/jmse10111787.
  9. Ichiro Yasuda (2003). Hydrographic Structure and Variability in the Kuroshio-Oyashio Transition Area. In: Journal of Oceanography, Band 59 (2003), S. 389–402 (2003). DOI:10.1023/A:1025580313836.
  10. a b c Sachihiko Itoh, Ichiro Yasuda (2010): Water Mass Structure of Warm and Cold Anticyclonic Eddies in the Western Boundary Region of the Subarctic North Pacific. In: Journal of Physical Oceanography, Band 40, Ausgabe 12, S. 2624–2642. DOI:10.1175/2010JPO4475.1.
  11. V. I. Karpenko, P. A. Balykin (2006): Biological resources of the Western Bering sea. In: International Bering Sea Forum. ISBN 5-87750-012-0.
  12. a b c A.V. Zavolokin, V.I. Radchenko, and S.V. Naydenko: Changes in the trophic structure of an epipelagic community in the western Bering Sea and western North Pacific Ocean with an emphasis on Pacific salmon (Oncorhynchus spp.). In: North Pacific Anadromous Fish Commission (NPAFC, Hrsg.): Bulletin Number 6 (2016), S. 259–278. DOI:10.23849/npafcb6/259.278 PDF.
  13. Weibo Wang, Jie Su, Chunsheng Jing, Xiaogang Guo (2022): The inhibition of warm advection on the southward expansion of sea ice during early winter in the Bering Sea. In: Frontiers in Marine Science, Volume 9 (2022). DOI:10.3389/fmars.2022.946824.
  14. Skip McKinnell, William Stanbury, Vladimir Radchenko (2024): Salmon in a Rapidly Changing World: Synthesis of the International Year of the Salmon and a Roadmap to 2030. In: North Pacific Anadromous Fish Commission (NPAFC) Bulletin 7 (2024). DOI:10.23849/npafcb7.
  15. Masaaki Wakatsuchi, Seelye Martin (1991): Water circulation in the kuril basin of the Okhotsk Sea and its relation to eddy formation. In: Journal of the Oceanographical Society of Japan, Band 47 (1991), S. 152–168. DOI:10.1007/BF02301064.
  16. Katsuro Katsumata, Ichiro Yasuda (2010): Estimates of non-tidal exchange transport between the Sea of Okhotsk and the North Pacific. In: Journal of Oceanography, Band 66 (2010), S. 489–504. DOI:10.1007/s10872-010-0041-9.
  17. a b J. A. Kurczyn, E. Beier, M. F. Lavín, A. Chaigneau (2012): Mesoscale eddies in the northeastern Pacific tropical-subtropical transition zone: Statistical characterization from satellite altimetry. In: Journal of Geophysical Research: Oceans, Band 117 (2012), Ausgabe C10. DOI:10.1029/2012JC007970.
  18. Alexandra Puritz, Courtney Cochran, Erica Ombres et al. (2023): The NOAA Ocean Acidification Program 2023 Community Meeting Summary Report. DOI:10.25923/x6me-1f96. PDF.
  19. a b A. N. Makoedov & A. A. Makoedov (2022): Pacific Salmon: The Status of Stocks and Prospects for the Fishery. In: Russian Journal of Marine Biology, Band 48, S. 547–554 (2022). DOI:10.1134/S1063074022070112.
  20. SCOR Website Scientific Committee on Oceanic Research, abgerufen am 20. Juli 2025.
  21. sentinel-3 Website der European Space Agency, abgerufen am 20. Juli 2025.