Kalla (Fischkonservenfabrik)

Illustration des Firmen- und Wohngebiets (1917)

Kalla war ein Hersteller von Fischkonserven mit Sitz in Schmiedeberg (Kovářská) im heutigen Tschechien. Zweigwerke bestanden in Oderberg sowie in Temeschburg und Constanța in Rumänien. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war Kalla eine der größten europäischen Fabriken für haltbar gemachten Fisch.

Geschichte

Anton Kalla (1900)

Anton Kalla unterhielt anfangs ein kleines Geschäft in Schmiedeberg, in dem er auch Fischkonserven, Räucherfische und Kaviar verkaufte und von dort exportierte. 1888 begann er mit Versuchen, Fischkonserven selbst herzustellen. Kalla schaltete Werbung für Fische „in feinstem festem Krystall-Geleé“ und Senf in größeren Tageszeitungen wie im Prager Abendblatt:

„Versende gegen Nachnahme von nur fl. 2.– franco sammt Emballage nach allen Poststationen ein 5-Ko.-Fassel allerschärfsten und hocharomatischen Tafelsenf, engl. Art und bitte um gesch. Aufträge.“[1]

Im Jahr 1900 entstand eine eigene Räucherei, 1910 schließlich eine große Fabrikanlage in Bahnhofsnähe. Dort wurden vorwiegend von der Nordsee und Ostsee kommende Fische konserviert, in eigenen Blechdosen luftdicht verpackt und verschickt. Kallas Werbespruch lautete: „Jedes Kind, jeden Tag einen Bückling“.

Hauptprodukte waren Rollmöpse, Salzheringe, Bücklinge und Salate. Produktionsreste wurden zu Fischmehl verarbeitet. Zum Betrieb gehörten eine Fabrik für Ovalblechdosen, eine Druckerei für die Etiketten, eine Lackierwerkstatt, eine Tischlerei für Holzkisten und Fässer sowie eine Essigfabrik.

Anton Kalla und seine Frau Emilie (geborene Schmiedl) hatten eine Tochter (Marie) und drei Söhne: Julius, Anton (1883–1916) und Karl.[2] Der Firmengründer erkrankte, machte 1909 einen Kuraufenthalt in Karlsbad und starb 1912.

Fischverarbeitung in der A. Kalla Fabrik (ca. 1920)
Werbung der Firma (1924)

Sein Sohn Julius übernahm die Leitung der Fabrik. Die Größe des Betriebs rief Sozialdemokraten und Kommunisten auf den Plan. Im April 1912 fand eine Kundgebung statt, bei der die österreichische Politikerin Amalie Pölzer sprach und sich mit Julius Kallas Frau Fanny (geborene Huß) anlegte. Während Frau Kalla die gute Behandlung und Entlohnung der Arbeiterinnen herausstellte, sprachen die Sozialdemokraten von „bedauernswerten Lohnsklavinnen“, die im Akkord von 7 Uhr früh bis spätabends ohne Heizung arbeiteten und anschließend „vor Nässe triefend des Nachts bei großer Kälte mit gefrorenen Kleidern, Strümpfen und Schuhen nach Hause“ gingen. In dem Betrieb arbeiteten vorwiegend Frauen. Weil die Fischsaison in den kalten Monaten stattfand, mussten sich die meisten Angestellten im Sommer eine andere Arbeit suchen.[3]

Wegen des stark wachsenden Vertriebs richtete die Post 1916 in Kallas Betrieb ein eigenes Postamt ein.[4] Im selben Jahr starb in Graz an den Folgen einer Kriegsverletzung „Dr. phil. Ant. Kalla“, Realschulprofessor und Dichter. Als Bruder von Julius war er Gesellschafter der Firma Kalla.[5] Er wurde in der Familiengruft in Schmiedeberg beigesetzt.[6] 1917 feierte die Firma ein Jubiläum und spendete 50.000 Kronen für den Bau eines Armen- und Altersversorgungshauses in Schmiedeberg.

Im Jahr 1919 berichtete das Linzer Volksblatt von dem Problem, Seefische aus Hamburg (Deutschland) nach Schmiedeberg (Tschechoslowakei) zu befördern: Während der Transport von zehn Tonnen Fisch quer durch das deutsche Reich bis nach Weipert 382 Mark koste, fielen für die nur zehn Kilometer lange Strecke vom Grenzbahnhof bis nach Schmiedeberg 534 Kronen an. Das entspräche einer Zugfahrt von über tausend Kilometer in Deutschland.[7]

Die Firma stiftete Kirchenfenster, organisierte Karnevalsveranstaltungen und konkurrierte mit der viel kleineren Fischkonservenfabrik E. Lienert im selben Ort.[8] Es entstanden – nicht zuletzt wegen Exportbeschränkungen aus der Tschechoslowakei – Kalla-Fischkonservenfabriken im schlesischen Oderberg, sowie in Temeschburg und Konstanza in Rumänien. Nach der Annexion des Sudetenlands 1938 und der Zerschlagung der Tschechoslowakei durch das nationalsozialistische Deutschland 1939 baute der Sohn von Julius Kalla Anton (genannt Toni) eine Handelsniederlassung in der Römischen Straße (heute: Římská) in Königliche Weinberge in Prag.

Im Jahr 1943 beschäftigte der Betrieb in Schmiedeberg 400 Mitarbeiter und verarbeitete jährlich 2500 Tonnen Rohfisch, 300 t Zwiebeln, 130 t Salz, 300 t Gurken und 200.000 Liter Essig. Zusammen mit der kleineren Fischfabrik E. Lienert bekam Kalla 280 Güterwagen mit Fisch im Jahr geliefert, vorwiegend Hering. Die Metallabteilung des Betriebs stellte jährlich eine Million Dosen her.[9]

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kam Schmiedeberg im Mai 1945 an die Tschechoslowakei zurück. Die dortige deutschsprachige Bevölkerung wurde mehrheitlich des Landes verwiesen. Anton „Toni“ Kalla war unter den deutschen Nationalsozialisten Offizier der SS gewesen. Er setzte sich 1945 ab und unterhielt später ein Spirituosengeschäft in Berlin.

Die Firma Kalla wurde am 25. Oktober 1945 aufgrund des Dekretes des Präsidenten Nr. 108 enteignet und „nationalisiert“. Die Produktion am Stammsitz Schmiedeberg wurde mit verringerter Belegschaft zunächst unverändert fortgesetzt. Der zu verarbeitende Fisch wurde weiterhin aus Skandinavien importiert.

Firmengelände von Elektropřístroj (2013)

Nach dem Februarumsturz von 1948 wurde die Fabrik im Jahr 1951 in den Nationalbetrieb Rybena eingegliedert, der die Produktion kurz darauf einstellte. Einige Fabrikgebäude wurden danach von ČKD nachgenutzt. Fortan wurden dort elektrotechnische Bauelemente produziert. Heute firmiert der Betrieb als Elektropřístroj. Die ehemalige Fabrikantenvilla mit der Adresse Nádražní 502 ist erhalten. Sie steht als Kulturdenkmal unter staatlichem Schutz.

Literatur

  • Jan Kadlec: Die Eisenbahn über Weipert ermöglichte das Entstehen der größten Fischverarbeitungsfabrik Mitteleuropas in Erzgebirgs-Zeitung - Deutsche Ausgabe - Jahrgang 2019, S. 50. Českojiřetínský spolek / Georgendorfer Verein, Litvínov 2019, ISSN 2570-7590

Einzelnachweise

  1. Prager Abendblatt vom 27. Juli 1895, S. 8
  2. Ortskunde und Adreßbuch der Marktgemeinde Schmiedeberg. Herausgeber: Julus Schlosser. 1923
  3. Arbeiterinnen-Zeitung, Ausgabe 8 vom 10. April 1912, S. 4 f.
  4. Pilsner Tagblatt vom 6. August 1916. Das Postamt hatte die offizielle Bezeichnung Schmiedeberg, Bhm. (Fabrik Kalla)
  5. Curliste Karlsbad vom 27. Juli 1909, S. 4
  6. Nordböhmisches Volks-Blatt vom 14. Juli 1916, S. 7
  7. Linzer Volksblatt vom 31. August 1919, S. 10
  8. Egerer Anzeiger vom 22. September 1910, S. 7
  9. Josef Spinler, Kleine Heimatkunde des Landkreises Preßnitz, 1943