Jerchel (Milower Land)

Jerchel
Gemeinde Milower Land
Wappen von Jerchel
Koordinaten: 52° 29′ N, 12° 21′ O
Höhe: 30 m
Eingemeindung: 26. Oktober 2003
Postleitzahl: 14715
Vorwahl: 033870
Jerchel (Brandenburg)
Jerchel (Brandenburg)
Lage von Jerchel in Brandenburg

Jerchel ist ein Ortsteil der Gemeinde Milower Land im Landkreis Havelland in Brandenburg, (Deutschland).

Geografie und Verkehrsanbindung

Das Dorf Jerchel liegt an der L 96, direkt an der nordwestlich verlaufenden Landesgrenze zu Sachsen-Anhalt. Nördlich fließt die Havel und verläuft die B 102.

Zum Ortsteil Jerchel gehören die Wohnplätze Ausbau Jerchel und Luisenhof.

Karl Ludwig von Knobelsdorff. Gutsbesitzer in Jerchel von 1774 bis 1783.

Geschichte

Im 16. Jahrhundert entstand auf dem Dorfanger eine Fachwerkkirche. Der Ort gehörte lange zum Distrikt 2 des Jerichowschen Kreises, dann ab 1816 zum Landkreis Jerichow II zugehörig.

Auf der Gemarkung von Jerchel entwickelte sich früh ein Gutsbesitz, zumeist als Nebengut genutzt, lange im Besitz der Familie von Hünecke, beginnend etwa 1359 mit Cuno von Hünecke und 1380 mit N. von Hünecke. Ihre Dorfherrschaft währte 350 Jahre. Anschließend saßen einige Uradelsfamilien auf Gut Jerchel, so u. a. das brandenburgische Adelsgeschlecht von Werder. Vertreter war Ernst Rüdiger von Werder-Woltersdorf, der Jerchel 1723 kaufte und zwei Jahre darauf verstarb.[1] Sein vermutlich in Jerchel geborener Sohn Wolfgang Friedrich August von Werder war zuletzt Kammerpräsident.[2] Bei denen von Tresckow (zuweilen von Treskow geschrieben; nicht zu verwechseln mit den Verwandten der briefadeligen von Treskow bleibt etwa unklar aus welcher Familienlinie der Jercheler Gutsbesitzer stammte. Naheliegend bleibt das in zwei genealogischen Zweigen aufgeteilte Haus von Tresckow-Schlagenthin-Klein Wusterwitz, benannt nach den jeweiligen Gutsbesitzorten. Der Genealoge Detlev Schwennicke gibt in seinen Europäischen Stammtafeln einen Joachim von Tresckow an.[3] G. A. von Mülverstedt wiederum schreibt den Gutsbesitz in Jerchel einen Curd Gottfried von Tresckow-Schollehne zu.[4] Noch ältere Quellen wie Johann Christoph von Dreyhaupt benennen Johann Ludwig von Tresckow, damals Major im Königlich-Preußischen-Leib-Carabinier-Regiment.[5] J. L. von Tresckow geriet als Obrist im Siebenjährigen Krieg in einer kleineren Schlacht bei Naumburg/Weißenfels bei Zeitz März 1760 in Kriegsgefangenschaft.[6]

Für den Gutsbesitz der Familie von Katte im Ort liegen nur wenige Details vor, ihre Herrschaft ging vermutlich nur wenige Jahre. Bekannt wurde dagegen, dass die Familie von Schenckendorff (auch Schenkendorf) das Gut bewohnte und nach einem Brand des Gutshauses nach 1772 das Herrenhaus durch den damaligen Major und späteren Generalmajor Friedrich August von Schenckendorf wieder aufbauen ließ. Von 1774 bis 1783 war Schenkendorfs Neffe Karl Ludwig von Knobelsdorff der Gutsherr. Er veräußerte dann den Besitz dem Kanonikus und nachfolgenden Domdechanten zu Halberstadt Karl Leopold David von Bülow-Lichterfelde (1748–1822),[7] Sohn des Militärs Johann Albrecht von Bülow. Herr von Bülow lebte mit Ehefrau und der Tochter Wilhelmine; die fünf Söhne, unter ihnen Carl von Bülow, waren beim Militär, im Ort.[8] Von diesem übernahm es Friedrich August (II.) von Alvensleben (1750–1813), Mitglied des Königlichen St. Johanniter-Ordens. Alvensleben hatte zuvor alle seine Stammgüter Erxleben, wo er ein neues Herrenhaus errichten ließ, und Redekin anderen Familienangehörigen[9] überlassen und blieb nur drei Jahre in Jerchel. Daraufhin erwarb noch vier weitere Begüterungen, welche sämtlich auch wieder veräußert wurden. Er wohnte abwechselnd in Magdeburg und bey Potsdam, zuletzt in Berlin. Von ihm ist letzlich nur eine Ahnen-Tafel der Johanniter geblieben, ohne näheren Kontext zur Ortsgeschichte.[10] Nacherbe der alten Alvensleben`schen Hauptgüter wurde sein 1840 in den Grafenstand erhobener Neffe Ferdinand von Alvensleben-Erxleben.

Es folgten nun bürgerliche Gutsherren, so wie der Kaufmann aus Potsdam, August Wilhelm Crudelius, der als Heereslieferant zu Vermögen kam. Crudelius bewirtschaftete Gut Jerchel nicht selbst, sondern verpachtete den Besitz an Amtsrat Witte-Schlagenthin und überließ diesem käuflich die Begüterung. Der Kaufpreis soll 1822 bei 50.200 Taler gelegen haben. Familie Witte wirkte über Jahrzehnte, 1856 war in damals erstmals wieder publizierten Matrikeln eingetragen. Zum Gut Jerchel gehörte noch das Vorwerk Luisenhof.[11][12] Als Rittergutsbesitzer wurde Karl Witte Mitglied der Kreisstände und der Ritterschaft des Landkreises, konnte so an der Wahl des jeweiligen Landrates mitwirken.[13] Witte betrieb im Ort auch eine Ziegelei.[14] Vererbt wurde Jerchel an Julina Witte, Ehefrau des Kaufmanns Karl Ludwig Lucke, deren Familie achzig Jahre nun Jerchel besaß. 1911 erwarb die jüdische Familie Wallich Vorwerk Louisenhof und Gut Jerchel. Letzte Eigentümer des Gutshauses samt Landbesitz waren Paul Wallich, eigentlich amtlich[15] seine Mutter, Frau Konsul Anna Wallich, geb. Jacoby, Ehefrau des Hermann Wallich, und dann ab 1936 zur Sicherung des Eigentums vor dem NS-Regime sein Schwager Oskar Mulert. Anfang der 1920er Jahre hatte das Gut einen Umfang von 606 ha, Verwalter war Bruno Derebetzki, Pächter Wilhelm Teute. In Jerchel hielt sich öfters der Sohn der Familie Wallich, Henry C. Wallich, auf, bevor er ins Exil nach Argentinien und dann in die USA ging.[16]

Am 30. September 1928 wurde, wie in allen preußischen Provinzen, der Gutsbezirk, vormals juristisch ein eigenständiger Ort mit weit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts mit eigener Gerichtsbarkeit ausgestattet, eingemeindet. Gutsbezirk Jerchel und der Gutsbezirk Marquede mit der Landgemeinde Jerchel vereinigt.[17] Die Gutsbesitzer wurden 1945/1946 enteigenet und die Mulert`sche Kunstsammlung, nach Quellenangaben der Deutschen Biographie handelte es sich um Drucke der Reformationszeit,[18] teils basierend auf die Oskar- und Ilse Mulert-Stiftung,[19] verschwand.

Am 20. Juli 1950 wurde die bis dahin eigenständige Gemeinde Jerchel ohne die Ortsteile Marquede und Schäferei nach Nitzahn eingemeindet.[20]

Im Zuge der Länderauflösung in der DDR 1952 kam Jerchel und einige weitere Dorfgemeinden zum Altkreis Rathenow im DDR-Bezirk Potsdam.

Am 1. Januar 1957 wurde der Ortsteil Jerchel wieder aus der Gemeinde Nitzahn ausgegliedert und entstand als politisch selbstständige Gemeinde neu.[21] Die Kirche war in den 1970er Jahren in einem desolaten Zustand und wurde in den 1980er Jahren abgerissen.

Seit Anfang Dezember 1993 ist Jerchel Teil des Landkreises Havelland.

Ende 2021 wurde mit dem Umzug einer Kapelle aus Kleinwudicke begonnen, deren neuer Standort in Jerchel die historischen Kirchenglocken des Ortsteils beherbergt.[22] Das Bauwerk ist gleichermaßen eine Fahrrad- und Kulturkirche und sozialer und kultureller Treffpunkt des Dorfes.[23] Im September 2023 wurde die Kirche am neuen Standort eingeweiht.[24]

Wappen

Blasonierung: „Geteilt von Rot und Gold, oben ein goldenes Schloss mit nach oben hin abgesetztem Dach, einem mittig über von schwarzem Geländer begrenzten Treppenstufen gewölbten schwarzen Eingang mit zwei nach außen geöffneten Flügeltüren, rechts und links davon je vier schwarze Fenster mit goldenen Fensterkreuzen, darüber je ein Sims. Unten ein roter Hahn mit silberner Bewehrung und Blesse auf einem Bein stehend, das andere angehoben.“[25]

Das Wappen wurde vom Heraldiker Jörg Mantzsch aus Magdeburg gestaltet und am 18. Dezember 2012 unter der Registratur 7 BR in die Deutsche Ortswappenrolle (DOWR) des Herold eingetragen und dokumentiert. Gestiftet wurde es vom Kulturverein Milower Land e. V., um es als Symbol der örtlich-lokalen Identität außerhalb von Amtshandlungen zu führen.

Meilenstein in Jerchel
Gutshaus Jerchel. 2015.

Sehenswürdigkeiten

In der Liste der Baudenkmale in Milower Land sind für Jerchel zwei Baudenkmale aufgeführt:

  • ein Ganzmeilenstein nordwestlich der Ortslage
  • Das Gutshaus (Rotdornweg 3–3c, 5), ein eingeschossiger Bau mit einem Mansarddach, wurde 1772 erbaut. Der Vorgängerbau war abgebrannt.

Literatur

  • Jerchel., In: J. A. F. Hermes, M. J. Weigelt (Hrsg.): Historisch-geographisch-statistisch-topographisches Handbuch vom Regierungsbezirke Magdeburg. Band 2, Selbstverlag / W. Heinrichshofen, Magdeburg 1842, S. 178. Nr. 41.
  • Jerchel., In: Ernst Wernicke: Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Kreise Jerichow. In. Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen und angrenzender Gebiete. Heft (Band) XXI, Hrsg. Historische Commission der Provinz Sachsen, Verlag Otto Hendel, Halle a.d.S 1896, S. 305 f.
  • Jerchel, In: Klaus Schulte: Die Herrenhäuser des Havelland. Eine Dokumentation ihrer Geschichte bis in die Gegenwart. 1. Auflage, Hrsg. Almut Andreae, Udo Geiseler, Lukas Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-931836-59-2, S. 159 ff.
Commons: Jerchel – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Gothaisches Genealogisches Taschenbuch. Deutscher Uradel. 1922. Jg. 23, Justus Perthes, Gotha 1921, S. 931. Siehe: Internet Archive.
  2. Siehe: Google Books: Rolf Straubel: Biographisches Handbuch der preußischen Verwaltungs- und Justizbeamten 1740 - 1806/15. Teil 2. Biographien M - Z. K. G. Saur, München 2009, S. 1089.
  3. Detlev Schwennicke: Europäische Stammtafeln. Band XX/XXI, Neue Folge: Brandenburg und Preußen. Band 1/2, Verlag V. Klostermann, Frankfurt/Main 2002, S. II (?).
  4. G. A. von Mülverstedt (Hrsg.): Sammlung von Ehestiftungen und Leibgedingsbriefen ritterschaftlicher Geschlechter der Provinzen Sachsen, Brandenburg, Pommern und Preußen. E. Baensch jun., Magdeburg 1863, S. 160.
  5. Johann Christoph von Dreyhaupt: Pagus Neletici et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Erz-Stifft, nunmehr aber durch den westphälischen Friedens-Schluß secularisirten Herzogthum Magdeburg gehörigen Saal-Kreyses. Band 2, Verlag Emanuel Schneider, Halle 1750, Vorbericht a 2.
  6. Johann Friedrich Seyfart: Geschichte des seit 1756 in Deutschland und dessen angränzenden Ländern geführten Krieges, in welchem nicht allein alle in dem Jahr 1760 vorgefallene Kriegs-Begebenheiten mit unpatheyischer Feder beschrieben. Band 4,2; Frankfurt/Main / Leipzig 1762, S. 324. Anm. 3.)
  7. Jacob Friedrich Joachim von Bülow, Paul von Bülow: Familienbuch der von Bülow. Nach der im Jahre 1780 herausgegebenen Historischen, Genealogischen und Kritischen Beschreibung der Edlen-, Freiherr- und Gräflichen Geschlechts von Bülow. Verlag der Königlichen Geheimen Oberhofbuchdruckerei (R. Decker / f. R. L. v. Decker), Berlin 1858, S. 226.
  8. E. Kehr: Pädagogische für Lehrerbildung und Lehrerbildungsanstalten. 1878. Band VII, Heft 1, Thienemann Hofbuchhandlung, Gotha 1878, S. 242.
  9. Siegmund Wilhelm Wohlbrück: Geschichtliche Nachrichten von dem Geschlechte von Alvensleben und dessen Gütern. 3, Selbstverlag, Berlin 1829, S. 440 ff.
  10. No. II. Ahnen-Tafel Herrn Friedrich August von Alvensleben, In: Johann Gottfried Dienemann: Nachrichten vom Johanniterorden, insbesondere von dessen Herrenmeisterthum in der Mark, Sachsen, Pommern und Wendland. Hrsg. Johann Erdmann Hasse, Georg Ludwig Winter, Berlin 1767, S. 262.
  11. Karl Friedrich Rauer (Hrsg.): Hand-Matrikel der in sämmtlichen Kreisen des Preussischen Staats auf Kreis- und Landtagen vertretenen Rittergüter. [1857]. Selbstverlag, Berlin 1857, S. 349.
  12. Vgl. Friedrich Wilhelm Boldewin Ferdinand von dem Knesebeck: Die Rittermarrikeln des Herzogthums Magdeburg, des Fürstenthums Halberstadt und der Graffschaft Wernigerode nebst einer alphabetischen Uebersicht der Ritterschaft. Heinrichshofen, Magdeburg 1860, S. 22.
  13. Handbuch der Provinz Sachsen. 1854. Verlag Emil Baensch, Magdeburg 1854, S. 120.
  14. Chr. Sandler, F. Berggold (Hrsg.): Deutschlands Handel und Industrie. Neuestes Repertorium. Band 1 (I. Lieferung) Königreich Preussen, Selbstverlag Berggold, Berlin 1867, S. 754.
  15. Oskar Köhler, Gustav Wesche, H. Krahmer: Landwirtschaftliches Güter-Adreßbuch der Provinz Sachsen. 1922. Verzeichnis sämtlicher Rittergüter und Güter von ungefähr 20 ha herab mit Angabe der Gutseigenschaft, des Grundsteuerertrages, der Gesamtfläche und des Flächeninhalts der einzelnen Kulturen, Hrsg. Mit Unterstützung der Landwirtschaftskammer zu Halle a. S., In: Niekammer’s Landwirtschaftliche Güter-Adreßbücher, Band V, (Paul Niekammer), 3. Auflage, Reichenbach’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1922, S. 34–35.
  16. Siehe: Henry C. Wallich: Paul Wallich. Leben und Werk. In: Hugo Rachel, Johannes Papritz, Paul Wallich: Berliner Grosskaufleute und Kapitalisten. Band 1: Bis zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. Neuherausgabe: Johannes Schultze, Henry C. Wallich, Gerd Heinrich; Walter de Gruyter, Berlin 1967, S. XXVI.
  17. Regierungsbezirk Magdeburg (Hrsg.): Amtsblatt der Regierung zu Magdeburg. 1928, ZDB-ID 3766-7, S. 223.
  18. Mulert, Oskar., In: Kurt G. A. Jeserich: "Mulert, Oskar"., In: Neue Deutsche Biographie. 18 (1997), S. 574–575.
  19. Vgl. Univ. Göttingen (Hrsg.): Oskar- und Ilse Mulert Stiftung
  20. Zweite Verordnung zum Gesetz zur Änderung der Kreis- und Gemeindegrenzen zum 27. April 1950 (GuABl. S. 161). In: Landesregierung Sachsen-Anhalt (Hrsg.): Gesetz- und Amtsblatt des Landes Sachsen-Anhalt. Nr. 18, 5. August 1950, ZDB-ID 511105-5, S. 279 (PDF).
  21. Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Gemeinden 1994 und ihre Veränderungen seit 1. Januar 1948 in den neuen Ländern. Metzler-Poeschel, Stuttgart 1995, ISBN 3-8246-0321-7, S. 33–34.
  22. Thilo Schmidt: Gemeindeleben in Brandenburg - Eine Kirche zieht um. In: Deutschlandfunk Kultur. 27. Oktober 2021, abgerufen am 3. Januar 2022.
  23. Magdalene Wohlfahrt: Eine Lücke im Dorfbild wird geschossen – Der Umzug einer Kapelle, veröffentlicht in Förderkreis Alte Kirchen Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Offene Kirchen 2021, S. 82 und 83.
  24. Uwe Hoffmann: Milower Land: Wiederaufbau der Kapelle in Jerchel - Gotteshaus stand zuvor in Kleinwudicke. In: Märkische Allgemeine Zeitung. 3. August 2024, abgerufen am 3. August 2024.
  25. Alexander Hoffmann: Kommunale Wappenschau. In: Herold Verein für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften (Hrsg.): Der Herold. Vierteljahrsschrift für Heraldik, Genealogie und verwandte Wissenschaften. Nr. 1-2/2016. Selbstverlag, Berlin 2016, S. 285.