Jean-Baptiste le Rond d’Alembert



Jean-Baptiste le Rond d’Alembert, [] (* 16. November 1717 in Paris; † 29. Oktober 1783 ebenda) war ein französischer Mathematiker, Physiker und ein Philosoph der Aufklärung.
Gemeinsam mit Denis Diderot war er Herausgeber der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers.
Leben und Wirken
D’Alembert war der uneheliche Sohn von Herzog Leopold Philipp von Arenberg[1] und Claudine Guérin de Tencin, die sich als „Salonnière“ einen Namen machte. Seine Mutter ließ ihn auf den Stufen der nördlichen Seitenkapelle St-Jean-le-Rond der Kathedrale Notre-Dame de Paris aussetzen. Pierre Guérin de Tencin war ein Onkel, der als römisch-katholischer Kardinal zunächst Erzbischof von Embrun, später von Lyon war.
D’Alembert wurde auf Betreiben des Generals Louis Camus Destouches von Madame Rousseau, geborene Etiennette Gabrielle Ponthieux (ca. 1683–1775), der Frau des Glasermeisters Alexandre Nicolas Rousseau,[2] als Findelkind adoptiert; er blieb dort bis zum Alter von 48 Jahren. Der leibliche Vater ermöglichte ihm jedoch eine umfassende Erziehung und Ausbildung.
Mit zwölf Jahren trat er in das Collège des Quatre-Nations ein und schloss es 1735 mit dem baccalauréat en arts ab.[3] Später schrieb er sich an der École de Droit unter dem Familiennamen Daremberg ein, den er später in d’Alembert änderte. Er studierte zuerst Rechtswissenschaft, dann Medizin, ehe er sich endgültig autodidaktisch der Mathematik und Physik zuwandte. Sein mathematisches Hauptwerk waren seine Opuscules mathématiques in neun Bänden. D’Alembert interessierte sich unter anderem auch für Musik. Er veröffentlichte 1752 die Éléments de la musique théorique et pratique („Elemente der theoretischen und praktischen Musik“) und zwei Jahre später Réflexions sur la musique en général et sur la musique française en particulier („Überlegungen zur Musik im Allgemeinen und zur französischen Musik im Besonderen“).
Seine Bekanntheit verschaffte ihm Zugang zu den literarischen Salons. Er war Stammgast bei der Marquise du Deffand und bei Julie de Lespinasse, mit der er von 1764 an zusammenlebte. Dort lernte er Nicolas de Condorcet und David Hume kennen.
D’Alembert war gemeinsam mit Denis Diderot Herausgeber der Encyclopédie, des monumentalen Werks im Zeitalter der Aufklärung. Der Buchhändler André Le Breton hatte ihn und Diderot beauftragt, die Cyclopaedia von Ephraim Chambers zu übersetzen. Daraus entwickelte sich das Projekt der Encyclopédie, das sehr aktiv von Voltaire unterstützt wurde. Mit ihm schloss er eine enge Freundschaft, die durch eine rege Korrespondenz (siehe: Voltaires Korrespondenz) unterhalten wurde.
Seine Beiträge zur Encyclopédie, die zwischen 1751 und 1780 erschien, waren vielfältig. Er schrieb den Discours préliminaire im ersten Band, eine Art „Manifest der Aufklärung“, das ihn weltberühmt machte. Außerdem verfasste er für das Werk mehr als 1.700 enzyklopädische Artikel, überwiegend aus dem Bereich der Naturwissenschaften. Er war es auch, der durch polemische Vorworte und wichtige Artikel wie Dictionnaire oder Genève (Genf) die ideologische Richtung des Werkes vorgab.
D’Alembert führte Briefverkehr auch mit Herrschern des aufgeklärten Absolutismus wie König Friedrich II. von Preußen und der russischen Kaiserin Katharina II. Doch sein Misstrauen gegenüber den Herrschenden war immer wach. In seinem Essai sur la société des gens de lettres et des grands („Essay über die Gesellschaft der Literaten und der Großen“) von 1759 ruft er die Intellektuellen auf, sich von ihrer erniedrigenden Rolle als Höflinge der adligen Mäzene zu befreien. D’Alembert war auch ein glänzender Tacitus-Übersetzer.
D’Alembert starb am 29. Oktober 1783 im Alter von 65 Jahren an den Folgen einer Harnblasenkrankheit.
D’Alembertsches Prinzip
Nach ihm ist das d’Alembertsche Prinzip der Mechanik benannt. Das d’Alembertsche Prinzip der klassischen Mechanik erlaubt die Aufstellung der Bewegungsgleichungen eines mechanischen Systems mit Zwangsbedingungen.[4]
Er arbeitete auf dem Gebiet der Funktionentheorie, löste 1747 die heute nach ihm benannte (eindimensionale) Wellengleichung der schwingenden Saite und wurde so der Begründer der mathematischen Kontinuumsphysik. Ebenso geht der d’Alembertsche Operator auf ihn zurück, mit dem sich die Wellengleichung besonders kompakt schreiben lässt. D’Alembert arbeitete auch auf dem Gebiet der Konvergenz von Reihen und fand das Quotientenkriterium, das nach ihm auch „d’alembertsches Konvergenzkriterium“ genannt wird. Wichtig ist hierbei das Reduktionsverfahren von d’Alembert. Weitere Arbeiten galten der Wahrscheinlichkeitstheorie. Ein populäres, freilich unbrauchbares Spielsystem für das Roulettespiel, die Progression d’Alembert, wird ihm zugeschrieben.[5][6]
D’Alembert und Friedrich II.
Mit Friedrich II. von Preußen stand er seit dem Jahre 1746 in Briefkontakt; dabei war die Initiative zum postalischen Gedankenaustausch von d’Alembert ausgegangen.[7] Anlass hierzu gab das von der Königlichen Akademie der Wissenschaften ausgesetzte Preisausschreiben, zu dem d’Alembert die Schrift Réflexions sur la cause générale des vents verfasste. Mit ihr war er auch bestrebt, in die Berliner Akademie als Mitglied aufgenommen zu werden. Pierre Louis Moreau de Maupertuis beriet ihn bei seinem Vorhaben, und so verfasste er zu seiner Schrift in lateinischer Sprache ein Widmungsgedicht an den preußischen König.[8] Doch blieb die direkte Antwort Friedrichs II. aus, vielmehr antwortete an dessen statt Jean-Baptiste Boyer d’Argens. Als d’Alembert im Jahre 1751 seinen Discours préliminaire de l'Encyclopédie[9] publiziert hatte, wurde Friedrich II. auf ihn aufmerksam. Der preußische König bot d’Alembert eine Position als Präsident der Königlichen Akademie der Wissenschaften an, und obgleich d’Alembert zeitweise daran dachte, seinen Lebensmittelpunkt nach Preußen zu verlegen, lehnte er das Angebot schließlich ab.[10] Für sein von Friedrich sehr hochgeschätztes Lebenswerk erhielt d‘Alembert dennoch ab 1754 eine preußische Pension von 1.200 Livres. Im Sommer des Jahres 1763 reiste d’Alembert zu einem dreimonatigen Aufenthalt auf Schloss Sanssouci. Während seines Aufenthalts in Potsdam besuchte er Leonhard Euler in Berlin, der 1741 von Friedrich II. an die Königliche Akademie der Wissenschaften berufen worden war. In seinem Verhältnis zu Friedrich II. unterschied sich d’Alembert von Denis Diderot, der spätestens seit dem Siebenjährigen Krieg eine Antipathie gegen den preußischen Staat und dessen Monarchen hegte.
Ehrungen
D’Alembert war sowohl Mitglied bzw. Ehrenmitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften und Künste (St. Petersburg, 1764), der Königlichen Akademie der Wissenschaften (Berlin),[11] der American Academy of Arts and Sciences (Cambridge, 1781), der Académie des sciences als auch der Académie française (beide Paris), deren Generalsekretär auf Lebenszeit er 1772 wurde.
Er war Mitglied der Pariser Freimaurerloge Les Neuf Sœurs.[12]
1824 erschien in einer Reihe von Medaillen zum Gedenken französischer Staatsmänner auch eine für d’Alembert.
1970 wurden ein Mondkrater sowie 1988 der Asteroid (5956) D’Alembert nach ihm benannt.[13]
Schriften (Auswahl)
- Traité de dynamique, […]. Paris 1743 (Digitalisat).
- Traité de l’équilibre et du mouvement des fluides. Pour servir de suite au Traité de dynamique. Paris 1744 (Digitalisat).
- Réflexions sur la cause générale des vents. David l’aîné, Paris 1747 (Digitalisat).
- Recherches sur la précession des équinoxes et sur la nutation de l’axe de la terre dans le système newtonien. David l’aîné, Paris 1749 (Digitalisat).
- Elémens de musique, theorique et pratique, suivant les principes de M. Rameau. David l’aîné, Paris 1752 (Digitalisat).
- Mélanges de littérature et de philosophie. (2. Teil 1753, 5. Teil 1759–1767)
- Essai sur les éléments de philosophie: ou sur les principes des connaissances humaines. 1759.
- Opuscules mathématiques, ou Mémoires sur différens sujets de geómétrie, de méchanique, d’optique, d’astronomie &c. 8 Bände, 1761–1780 (Band 1, Band 2, Band 3, Band 4, Band 5, Band 6, Band 7, Band 8).
- Georg Olms, Hildesheim 1965 (Digitalisat).
- Sur la destruction des Jésuites en France. 1765 (Digitalisat) – anonym.
- Éloges lus dans les séances publiques de l’Académie française. Paris 1779 (Digitalisat).
Zeitschriftenbeiträge
- Recherches sur le calcul intégral. Premier partie. De l’intégration des fractions rationnelles. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCXLVI. Berlin 1748, S. 182–200 (Digitalisat).
- Recherches sur le calcul intégral. Seconde partie. Des différentielles qui se rapportent à la rectification de l’ellipse ou de l’hyperbole. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCXLVI. Berlin 1748, S. 200–224 (Digitalisat).
- Solution de quelques problêmes d’astronomie. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCXLVII. Berlin 1749, S. 144–153 (Digitalisat).
- Recherches sur la courbe que forme une corde tendue mise en vibrations. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCXLVII. Berlin 1749, S. 214–219 (Digitalisat).
- Suite des recherches sur la courbe que forme une corde tendue mise en vibrations. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCXLVII. Berlin 1749, S. 220–249 (Digitalisat).
- Suite des recherches sur le calcul intégral. Troisième partie. Des différentielles qui se rapportent à la quadrature des lignes du troisième ordre. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCXLVIII. Berlin 1750, S. 249–274 (Digitalisat).
- Suite des recherches sur le calcul intégral. Quatrième partie. Méthodes pour intégrer quelques équations différentielles. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCXLVIII. Berlin 1750, S. 275–292 (Digitalisat).
- Addition au Memoire sur la courbe que forme une corde tendüe, mise en vibration. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCL. Berlin 1752, S. 355–360 (Digitalisat).
- Additions aux recherches sur le calcul intégral. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCL. Berlin 1752, S. 361–378 (Digitalisat).
- Errata pour les Mémoires de Mr. d’Alembert, imprimés dans les Volumes de 1746, 1747 & 1748. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCL. Berlin 1752, S. 413–416 (Digitalisat).
- Suite de d’extrait de différentes Lettres de M. d’Alembert à Mr. de la Grange. In: Histoire de l’Académie royale des Sciences et Belles lettres. Année MDCCLXVIII. Berlin 1770, S. 255–277 (Digitalisat) – Brief an Joseph-Louis Lagrange.
postum
Beiträge zur Encyclopédie
- Discours préliminaire de l’encyclopédie. In: Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers. Band 1, 1751, S. I–XLV (Digitalisat).
- Ursprung und Entwickelung der Wissenschaften und Künste. Schnurpfeil, Leipzig 1898 (Volltext).
Gesammelte Schriften
- Oeuvres. Paris 1821– (Band 1, Band 2, Band 4)
- Oeuvres de d’Alembert. Sa vie – ses oeuvres – sa philosophie. Didier, Paris 1853 (Digitalisat) – herausgegeben von Condorcet.
- Oeuvres complètes. Éditions CNRS, 2002, ISBN 2-271-06013-3.
Briefwechsel
- Correspondance avec Frédéric le Grand. Decker, Berlin 1854 (Digitalisat) – herausgegeben von Johann D. E. Preuss.
- Inventaire analytique de la correspondance 1741–1783 Éd. de Irène Passeron, CNRS éditions, 2009.
Literatur
- Philipp Blom: Das vernünftige Ungeheuer – Diderot, d’Alembert, de Jaucourt und die Große Enzyklopädie. Eichborn, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-8218-4553-8.
- Thomas L. Hankins: Jean d’Alembert: Science and the Enlightenment. Clarendon Press, 1970.
- Société Diderot (Hrsg.): Recherches sur Diderot et sur l’Encyclopédie. n° 38, 2005/1, La formation de D’Alembert. ISSN 0769-0886
- J. Morton Briggs: Alembert, Jean le Rond d’. In: Charles Coulston Gillispie (Hrsg.): Dictionary of Scientific Biography. Band 1: Pierre Abailard – L. S. Berg. Charles Scribner’s Sons, New York 1970, S. 110–117 (englisch).
- Isaac Asimov: Biographische Enzyklopädie der Naturwissenschaften und der Technik, Herder, Freiburg/Basel/Wien 1974, ISBN 3-451-16718-2, S. 144–145
- Friedrich Wilhelm Bautz: Jean le Rond d’Alembert. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 1, Bautz, Hamm 1975. 2., unveränderte Auflage. Hamm 1990, ISBN 3-88309-013-1, Sp. 99–100.
- Einleitung zur Enzyklopädie. Hrsg. von Günther Mensching. (= Philosophische Bibliothek, Band 473). Meiner, Hamburg 1997, ISBN 3-7873-1188-2.
Weblinks
- Jean-Baptiste le Rond d’Alembert im Mathematics Genealogy Project (englisch)
- Literatur von und über Jean-Baptiste le Rond d’Alembert im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Jean-Baptiste le Rond d’Alembert in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Digitale Ausgabe der gesamten Korrepondenz d’Alemberts
- John J. O’Connor, Edmund F. Robertson: Jean Le Rond d'Alembert. In: MacTutor History of Mathematics archive (englisch).
- Kurzbiografie und Werkliste der Académie française (französisch)
Einzelnachweise
- ↑ Françoise Launay: Les identités de D’Alembert. In: Recherches sur Diderot et sur l’Encyclopédie. Nr. 47, 2012 (online am 2. September 2013), abgerufen am 7. Mai 2019. doi:10.4000/rde.4949.
- ↑ Françoise Launay: D’Alembert et la femme du vitrier Rousseau, Etiennette Gabrielle Ponthieux (ca. 1683–1775). online
- ↑ Jean Le Rond d'Alembert im Mathematics Genealogy Project (englisch) abgerufen am 24. Februar 2025.
- ↑ J. W. Warren: Verständnisprobleme beim Kraftbegriff. ( vom 18. April 2013 im Internet Archive) Nach der englischen Originalausgabe Understanding Force. John Murray, London 1979, S. 16–17. (online, PDF; 395 kB)
- ↑ Istvan Szabo: Geschichte der mechanischen Prinzipien und ihrer wichtigsten Anwendungen. Birkhäuser Verlag, Basel 1987, ISBN 3-7643-1735-3, S. 31 f.
- ↑ Jean-le-Rond D'Alembert (1717–1783) In: W. W. Rouse Ball: A Short Account of the History of Mathematics. 4. Auflage. 1908.
- ↑ Brunhilde Wehinger (Hrsg.): Geist und Macht Friedrich der Große im Kontext der europäischen Kulturgeschichte. Akademie Verlag, Berlin 2005, ISBN 3-05-004069-6, S. 250 f.
- ↑ Joseph Jurt: Sprache, Literatur und nationale Identität: Die Debatten über das Universelle und das Partikuläre in Frankreich und Deutschland. Walter de Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-11-034037-2, S. 64.
- ↑ Discours préliminaire de l'Encyclopédie (1751)
- ↑ Iwan-Michelangelo D'Aprile: Friedrich und die Netzwerke der Wissenschaften. (= Friedrich300 – Politik und Kulturtransfer im europäischen Kontext)
- ↑ Jean le Rond d'Alembert. In: Mitglieder der Vorgängerakademien. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, abgerufen am 14. Februar 2015.
- ↑ Alexander Giese: Die Freimaurer. Böhlau, Wien 1997, ISBN 3-205-98598-2, S. ?.
- ↑ d’Alembert (Mondkrater) im Gazetteer of Planetary Nomenclature der IAU (WGPSN) / USGS