Intestaterbfolge (römisches Recht)
Intestaterbfolge (verkürzt: „Fehlen eines Testats“ = lat. intestatus) ist ein juristischer Fachbegriff, der die gesetzliche Erbfolge im römischen Recht beschreibt. Die gesetzliche Erbfolge greift grundsätzlich dann, wenn der Erblasser keine letztwillige Verfügung, sei es ein Testament, sei es ein Erbvertrag, hinterlassen hat. Zur gesetzlichen Erbfolge kann es auch kommen, wenn der Erbe vorverstorben ist oder das Erbe nicht angetreten hat.[1] Zum Erbantritt aufgerufen sind dann die anderen Familienangehörigen, weshalb Intestaterbrecht auch als Familienerbrecht bezeichnet wird.[2]
Im römischen Recht beruhte die Intestaterbfolge auf der zivilen Grundlage der erbrechtlichen Ordnung des Zwölftafelgesetzes, verfasst in frührepublikanischer Zeit.[3] Tragendes Prinzip war die Agnation, bei beschränktem Anwendungsbereich auf römische Bürger. Berufen waren zuvörderst die Hauspersonen (sui heredes), die unter der väterlichen Herrschaft standen oder als Ehefrauen gewaltunterworfen (uxores in manu) waren. Mit dem Tod des paterfamilias (dominus) wurden sie gewaltfrei. Neben leiblichen Kindern konnten auch Adoptivkinder in den Genuss der Intestaterbfolge kommen. Alle Beteiligten erbten zu gleichen Teilen. Vorverstorbene Söhne wurden mit ihrem Kopfteil durch deren inneren Familienverband repräsentiert (Erbfolge nach Stämmen).
Sofern der Erblasser keine Hauspersonen hinterließ, war der gradnächste agnatische Verwandte zur Erbschaftsannahme aufgerufen (adgnatus proximus). Darunter wurden die Brüder des Erblassers und deren männliche Abkömmlinge verstanden, ebenso die männlichen Abkömmlinge der Brüder des Vaters, beziehungsweise Großvaters des Vaters. Bei gleichnahem Grad der Agnaten wurde nach Köpfen geteilt, unabhängig davon, welcher Stamm repräsentiert wurde. Fehlten Agnaten, kamen die Gentilen (Angehörige des Großfamilienclans) zum Zug.[4] Die in der frühen Kaiserzeit zu Gesetzgebungsakten aufgewerteten Senatskonsulte führten zu erheblichen Veränderungen im Erbrecht, denn sie führten zur Anerkennung neuer Intestaterben. Besonders sind in diesem Zusammenhang die Senatsbeschlüsse Tertullianum, Orfitianum, Iuventianum, Neronianum, Trebellianum und Pegasianum zu nennen.[5]
Ausweislich des Zwölftafelgesetzes erlangten die Erben die Rechtsposition der Inhaberschaft über das Vermögen.[2] Im Sinne der altzivilen Ordnung der Tafeln gehörten zum Vermögen alle personenbezogenen Angelegenheiten der Gewaltunterworfenen (Hausgenossen, Sklaven) und alle finanziellen Ausstattungen. Vornehmlich waren das Besitzstände und Geldmittel (familia pecuniaque).[6]
Siehe auch
Literatur
- Ulrike Babusiaux, Christian Baldus, Wolfgang Ernst, Franz-Stefan Meissel, Johannes Platschek, Thomas Rüfner (Hrsg.): Handbuch des Römischen Privatrechts. Mohr Siebeck, Tübingen 2023. ISBN 978-3-16-152359-5.
- Carl Crome: Grundzüge des römischen Privatrechts. A. Marcus & E. Weber, Bonn 1922, § 64.
- Heinrich Dernburg: System des römischen Rechts. Der Pandekten achte, umgearbeitete Auflage. Bearbeitet von Paul Sokolowsky. Teil 2, H. W. Müller, Berlin 1912. S. 1007–1025 (Digitalisat).
- Max Kaser: Das Römische Privatrecht. Erster Abschnitt: Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht (= Handbuch der Altertumswissenschaft. Zehnte Abteilung, Dritter Teil, Dritter Band, Erster Abschnitt). 2. Auflage. C. H. Beck, München 1955, S. 580–586 (Inhalte der §§ 166–169).
- Bernhard Kübler: Das Intestaterbrecht der Frauen im alten Rom. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 41, 1920, S. 15–43.
- Marianne Meinhart: Die Senatusconsulta Tertullianum und Orfitianum in ihrer Bedeutung für das klassische römische Erbrecht (= Wiener Rechtsgeschichtliche Arbeiten. Band IX). Böhlau, Graz/Wien/Köln 1967.
- Otto Lenel: Die Rechtsstellung des proximus adgnatus und der gentiles im altrömischen Erbrecht. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 37, 1916, S. 129–135.
- Ernst Rabel: Nachgeformte Rechtsgeschäfte. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte (Romanistische Abteilung). Band 27, 1906, S. 290–335 und Band 28, 1907, S. 311–379.
- Walter Selb: Vom ius vitae necisque zum beschränkten Züchtigungsrecht und zur magistratischen Züchtigungshilfe. In: The Irish Jurist. Band 1, 1966, S. 136–150.
- Emil Strohal: Das deutsche Erbrecht auf Grundlage des Bürgerlichen Gesetzbuchs (= Das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches in Einzeldarstellungen. Band 1). 2. Auflage, J. Guttentag, Berlin 1901, S. 22–48.
- Friedrich Vittinghoff: Soziale Struktur und politisches System der hohen römischen Kaiserzeit. In: Historische Zeitschrift. Band 230, 1980, S. 31–55.
Anmerkungen
- ↑ Iulius Paulus, 67 ad edictum, Digesten 50.16.64.
- ↑ a b Ulrike Babusiaux: Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2015, ISBN 978-3-8252-4302-9, S. 47–82 (47–51).
- ↑ Marcian, Digesten 29.7.6.3.
- ↑ Heinrich Honsell: Römisches Recht. 7. Auflage. Springer, Zürich 2010, ISBN 978-3-642-05306-1, S. 189.
- ↑ Ulrike Babusiaux: Wege zur Rechtsgeschichte: Römisches Erbrecht. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2015, ISBN 978-3-8252-4302-9, S. 329 f.
- ↑ Ulpian 46 ad edictum, Digesten 50.16.195.1.