Ingrid Laubrock

Ingrid Laubrock, moers festival 2017

Ingrid Laubrock (* 24. September 1970 in Stadtlohn) ist eine deutsche Jazzmusikerin (Sopran-, Alt-, Tenor- und Baritonsaxophon) und Komponistin. Seit 2008 lebt sie in New York City. 2025 erhielt sie den Deutschen Jazzpreis (Kategorie Holzblasinstrumente),[1] nachdem sie bereits 2009 den renommierten SWR-Jazzpreis erhielt. Insbesondere auf dem Tenor- und Sopransaxophon hat sie „eine ganz eigenständige und unverwechselbare Stimme entwickelt, die sich flexibel den verschiedensten Kontexten anzupassen vermag.“[2]

Leben

Laubrock erhielt ab dem vierten Lebensjahr Musikunterricht, mit acht Jahren Klavierunterricht und sang ab dem elften Lebensjahr in Chören. Nach dem Abitur 1989 zog sie nach Großbritannien, wo sie bis 2008 in London lebte, sich das Spiel auf dem Altsaxophon autodidaktisch beibrachte und sich zunächst als Straßenmusikerin durchschlug.[1] In London nahm sie 1992 Saxophon-Unterricht bei Jean Toussaint und wirkte bald im Musikerkollektiv F-IRE mit. 1998 gründete sie mit der brasilianischen Sängerin Mônica Vasconcelos das „Nois4“; nach einem Studienaufenthalt bei Myra Melford folgte 2006 die Gründung des Nonetts „Nein“. Im selben Jahr dokumentierte sie auf CD ihr Duo mit dem Pianisten Liam Noble, das später mit dem Schlagzeuger Tom Rainey zum Trio „Sleepthief“ erweitert wurde (gleichnamige CD bei „Intakt“ 2008).

Im Jahr 2008 zog Laubrock nach Brooklyn, wo sie Tom Rainey heiratete und schnell Fuß fasste.[1]

Ingrid Laubrock im Loft (Köln) (2012)

Wirken

Laubrock machte sich in Großbritannien spätestens mit ihrem dritten Album Forensic (2005) einen Namen.[3] Bereits dort hat außerdem als Gastsolistin mit Musikern wie Kenny Wheeler, Evan Parker, David Liebman, Billy Cobham, Jean Toussaint, Norma Winstone, Stan Sulzmann, Lol Coxhill, David Axelrod, Veryan Weston, Siouxsie and the Banshees und Django Bates (in „Human Chain“) zusammengearbeitet.

Laubrock bereicherte in den USA mit ihren Bands Anti-House, Paradoxical Frog und Sleepthief die New Yorker Szene.[1] Dort entwickelte sie als Komponistin und Bandleaderin eine „musikalische Mehrsprachigkeit“, die sie in den unterschiedlichen Konstellationen auslebte.[4] Ihr Label Intakt regte an, dass sie auch in Duos mit unterschiedlichen Pianisten arbeitet und diese auf Tonträgern dokumentiert.[5] 2025 erschien außerdem ihr Doppelalbum Purposing the Air (Pyroclastic Records), eine Vertonung von 60 Koan-Gedichten der Dichterin Erica Hunt in vier Duetten (u. a. mit Fay Victor/Mariel Roberts und Theo Bleckmann/Ben Monder).[1] Zu ihren Duo-Arbeiten mit Tom Rainey zählt das Album Brink.

Laubrocks Musik arbeitet häufig mit prozesshaften Strukturen und polyphonen Überlagerungen, die sich verdichten, gegeneinander laufen und wieder aufbrechen; die Künstlerin fängt solche „Chaospraktiken“ immer wieder mit eleganter Leichtigkeit auf.[1] Sie komponiert teils am Flügel im Studio Brooklyn Recordings, einem Instrument, das früher Prince gehörte.[1]

Weiterhin arbeitete Laubrock als Gastmusikerin u. a. in Ensembles von Anthony Braxton und John Zorn und wirkte an einem Quartett-Album des US-Gitarristen Nels Cline mit.[1] Zudem interpretiert sie zeitgenössische klassische Musik im Continuum Ensemble. Mit Luc Ex, Ab Baars und Hamid Drake bildet sie Luc Ex´ Assemblée.

Neben der künstlerischen Arbeit gibt Laubrock Einblicke in kulturpolitische Entwicklungen in den USA: Sie verweist auf Kürzungen bei Förderinstitutionen wie der NEA, deren vollständige Auflösung für 2026 im Raum steht, sowie auf Konsequenzen für Initiativen wie das Brick Theater (Brooklyn) und das Vision Festival (New York).[1] Sie engagiert sich in New York bei Demonstrationen gegen die Politik der Trump-Regierung (u. a. mit William Parker); zugleich berichtet sie von erhöhter Überwachung, etwa Gesichtserkennung und ICE-Kontrollen auf Universitätsgeländen.[1]

Daneben unterrichtete Laubrock u. a. an der New School for Social Research (Komposition) und war im Lehrkörper der Columbia University.[1]

Preise und Auszeichnungen

1999 wurde Laubrock für die BT Jazz Awards nominiert. Für ihre Arbeit bei F-IRE erhielt sie 2004 den „BBC Jazz Award for Innovation“. Mit einer Fellowship for Jazz Composition der Arts Foundation wurde 2006 ihr kompositorisches Wirken gewürdigt. 2009 wurde ihr der SWR-Jazzpreis zuerkannt; nach der Jurybegründung findet in ihr der deutsche Jazz „eine seiner kreativsten und eigenwilligsten Künstlerinnen.“[2] 2012 erhielt sie das Stipendium Improviser in Residence der Stadt Moers und wohnte und arbeitete ein Jahr lang in der Stadt am Niederrhein.[6] 2015 gewann sie als Sopransaxophonistin in den Kritiker-Polls des Down Beat in der Rising-Star-Kategorie. 2025 charakterisierte Down Beat sie erneut als „Rising Star“; im selben Jahr erhielt sie den Deutschen Jazzpreis in der Kategorie „Holzblasinstrumente“.[1][7] „Vogelfrei“ vom Album Contemporary Chaos Practices wurde von The New York Times unter die „25 Best Classical Music Tracks of 2018“ gewählt.[8]

Diskografie (Auswahl)

Als Leader/Co-Leader

Jahr Titel Label Anmerkung/Besetzung
1998 Who Is It? Candid
2001 Some Time Candid
2005 Forensic F-IRE Collective Quintet mit Karin Merchant (Piano), Ben Davis (Cello), Larry Bartley (Bass), Tom Skinner (Schlagzeug); Gast: Julian Siegel (Bassklarinette)
2006 Let's Call This… Babel Label Duo mit Liam Noble (Piano)
2008 Sleepthief Intakt Trio mit Liam Noble (Piano), Tom Rainey (Schlagzeug)
2010 Paradoxical Frog Clean Feed Als Teil der Band Paradoxical Frog; Trio, mit Kris Davis (Piano), Tyshawn Sorey (Schlagzeug)
2010 Anti-House Intakt Als Teil der Band Anti-House; Quintett, mit Mary Halvorson (Gitarre), John Hébert (Bass), Tom Rainey (Schlagzeug, Glockenspiel); Gast: Kris Davis (Piano)
2011 The Madness of Crowds Intakt Als Teil der Band Sleepthief; Trio mit Liam Noble (Piano), Tom Rainey (Schlagzeug)
2012 Catatumbo Babel Trio mit Olie Brice (Bass), Javier Carmona (Schlagzeug)
2012 Haste Emanem Trio mit Veryan Weston (Piano), Hannah Marshall (Cello)
2012 Union Clean Feed Als Teil der Band Paradoxical Frog; Trio, mit Kris Davis (Piano), Tyshawn Sorey (Schlagzeug)
2013 Strong Place Intakt Als Teil der Band Anti-House; Quintett, mit Mary Halvorson (Gitarre), Kris Davis (Piano), John Hébert (Bass), Tom Rainey (Schlagzeug)
2013 Lark Skirl Als Teil der Band Lark; Quartett, mit Kris Davis (Piano), Ralph Alessi (Trompete), Tom Rainey (Schlagzeug)
2014 Zurich Concert Intakt Oktett mit Mary Halvorson (Gitarre), Tom Arthurs (Trompete), Ted Reichman (Akkordeon), Liam Noble (Piano), Ben Davis (Cello), Drew Gress (Bass), Tom Rainey (Drums, Xylophon)
2014 And Other Desert Towns Relative Pitch Duo mit Tom Rainey (Schlagzeug)
2015 Roulette of the Cradle Intakt Als Teil der Band Anti-House; Quintett, mit Mary Halvorson (Gitarre), Kris Davis (Piano), John Hébert (Bass), Tom Rainey (Schlagzeug); Gast: Oscar Noriega (Klarinette)
2015 Ubatuba Firehouse 12 Als Teil der Band Ubatuba; Quintett, mit Tim Berne (Altsaxofon), Dan Peck (Tuba), Ben Gerstein (Posaune), Tom Rainey (Schlagzeug)
2016 Live @ The Jazz Happening Tampere Relative Pitch Als Teil der Band Perch Hen Brock & Rain; Quartett mit Ab Baars (Tenorsaxofon, Klarinette), Ig Henneman (Bratsche), Tom Rainey (Schlagzeug)
2016 Buoyancy Relative Pitch Duo mit Tom Rainey (Schlagzeug)
2016 Serpentines Intakt Septett mit Peter Evans (Trompete), Miya Masaoka (Koto), Craig Taborn (Piano), Sam Pluta (Live-Elektronik), Dan Peck (Tuba), Tyshawn Sorey (Schlagzeug)
2017 Planktonic Finales Intakt Trio mit Stephan Crump (Bass), Cory Smythe (Piano)
2017 Utter Relative Pitch Duo mit Tom Rainey (Schlagzeug)
2018 Contemporary Chaos Practices – Two Works For Orchestra With Soloists Intakt Quartett mit Mary Halvorson, Kris Davis und Nate Wooley
2019 Channels Intakt Trio mit Stephan Crump (Bass), Cory Smythe (Piano)
2019 TISM RogueArt Quartett mit Sylvie Courvoisier (Piano), Mark Feldman (Violine), Tom Rainey (Schlagzeug)
2019 Kasumi Intakt Duo mit Aki Takase
2019 All Set RogueArt Quartett mit Stéphane Payen (Saxofon), Chris Tordini (Bass), Tom Rainey (Schlagzeug)
2020 Stir Crazy Eigenproduktion/Bandcamp Duo mit Tom Rainey (Schlagzeug)
2020 Blood Moon Intakt Duo mit Kris Davis
2020 Dreamt Twice, Twice Dreamt – Music for Chamber Orchestra and Small Ensemble Intakt mit Sam Pluta, Cory Smythe, Robert Landfermann, Tom Rainey und dem EOS Kammerorchester unter Leitung von Susanne Blumenthal (CD1) bzw. kammermusikalischer Besetzung mit u. a. Pluta, Smythe und Zeena Parkins (CD2)
2020 The Cat of Sadness Carrier Records Daniel Blake, Jon Irabagon, Ingrid Laubrock
2021 Bird Meets Wire Relative Pitch Trio mit Susan Alcorn, Leila Bordreuil
2022 No es la Playa Intakt Brandon Lopez, Ingrid Laubrock, Tom Rainey
2022 Fragile Intakt Duo mit Andy Milne[5]
2023 Maromas Relative Pitch Records Duo mit Cecilia Lopez
2023 Monochromes Intakt Records mit Jon Irabagon, Zeena Parkins, Tom Rainey
2023 The Last Quiet Place Pyroclastic Records mit Mazz Swift, Tomeka Reid, Brandon Seabrook, Michael Formanek, Tom Rainey
2024 Brink Intakt Records Duo mit Tom Rainey
2025 Purposing the Air Pyroclastic Records Doppelalbum; Vertonung von 60 Koan-Gedichten von Erica Hunt; Duett-Formationen u. a. Fay Victor/Mariel Roberts, Sara Serpa/Matt Mitchell, Theo Bleckmann/Ben Monder, Rachel Calloway/Ari Streisfeld[1]

Als Sidewoman (Auswahl)

Jahr Leader Titel Label
2013 Kris Davis Capricorn Climber Clean Feed
2013 Mary Halvorson Illusionary Sea Firehouse 12
2014 Max Johnson The Prisoner NoBusiness
2012 Living by Lanterns New Myth/Old Science Cuneiform
2010 Tom Rainey Pool School Clean Feed
2012 Tom Rainey Camino Cielo Echo Intakt
2014 Tom Rainey Obbligato Intakt
2015 Tom Rainey Hotel Grief Intakt
2017 Tom Rainey Float Upstream Intakt
2015 Nate Wooley Battle Pieces Relative Pitch
2015 Sara Serpa Close Up Clean Feed
2019 Tom Rainey Combobulated Intakt
2019 Robert Landfermann Topaz Klaeng Records
2021 Tom Rainey Obbligato: Untucked in Hannover Intakt
2022 Myra Melford For the Love of Fire and Water RogueArt
2022 Satoko Fujii Hyaku: One Hundred Dreams Libra
2023 Myra Melford Fire and Water Quintet Hear the Light Singing RogueArt
2024 Anthony Braxton Saxophone Quartet Sax QT (Lorraine) 2022 I Dischi di Angelica
2025 Nels Cline Consentrik Quartet Blue Note/Universal[1]
Commons: Ingrid Laubrock – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i j k l m n Maxi Broecking: Porträt Jazzsaxofonistin Ingrid Laubrock: Musikalischer Freigeist statt politisches Chaos. In: die tageszeitung. 28. August 2025, abgerufen am 29. August 2025.
  2. a b Preisträgerin Ingrid Laubrock (SWR) (Memento vom 31. März 2016 im Internet Archive)
  3. BBC über CD Forensic
  4. Wolfgang Glatzer Dreamt Twice. Twice Dreamt (Besprechung) Jazz Podium 11/2020.
  5. a b Michael Rüsenberg: Ingrid Laubrock/Anda Milne Fragile ********. jazzcity.de, 30. Mai 2022, abgerufen am 31. Mai 2022.
  6. Nachricht (NMZ)
  7. admin: 22 Preisträger:innen beim Deutschen Jazzpreis 2025 ausgezeichnet. In: Le Matin. 14. Juni 2025, abgerufen am 14. Juni 2025.
  8. Anthony Tommasini, Joshua Barone, Corinna da Fonseca-Wollheim, David Allen, Seth Colter Walls: The 25 Best Classical Music Tracks of 2018. In: The New York Times. 13. Dezember 2018, ISSN 0362-4331 (nytimes.com [abgerufen am 8. Oktober 2019]).