Hitbodedut
Hitbodedut (hebräisch הִתְבּוֹדְדוּת hitbōdedūt, deutsch ‚Abgeschiedenheit‘ ‚Einsamkeit‘ ‚Alleinsein‘) bezeichnet die Praxis der jüdischen Meditation in einer Selbstabgeschiedenheit und Zurückgezogenheit. Die Hitbodedut ist eine Form der persönlichen, ungestörten Kommunikation mit JHWH, die vor allem im jüdischen Mystizismus und in der Chassidischen Bewegung eine zentrale Rolle spielt.
Hintergründe
Es wird vermutet, dass die Praxis der Hitbodedut an die Kabbalisten von Akko im 13. Jahrhundert, die Kabbalisten von Safed im 16. Jahrhundert und schließlich an spätere Kabbalisten des 18. Jahrhunderts wie Mosche Chaim Luzzatto, sowie die chassidischen Meister wie Rabbi Nachman von Breslow weitergegeben wurde. Wobei die explizite Ausarbeitung der Praxis umfassend erst in den späteren kabbalistischen Schriften, insbesondere in den Werken des lurianischen Kabbalismus, behandelt.[1] Das ‚Konzept der Hitbodedut‘, der spirituelle Rückzugs in die Einsamkeit zum Zwecke der Kontemplation oder persönlicher Vervollkommnung, entstammte der lurianischen Kabbala. Es wird vermutet, dass er möglicherweise aus der spirituellen Praxis des Isaak Luria selbst hervorging.[2]
Der Begriff wurde von Rebbe Nachman von Breslow populär und bezeichnet eine unstrukturierte, spontane und individualisierte Form des Gebets und der Meditation, durch die man eine enge, persönliche Beziehung zu Gott aufbaute und schließlich die Göttlichkeit erkennte, die allen Wesen innewohnt. Die Vorstellung der „Hitbodedut“, als Abgeschiedenheit und Einsamkeit erhielt in einigen kabbalistischen Texten ab dem 13. Jahrhundert die Sonderbedeutung von ‚konzentriertem Nachsinnen in einem kontemplativen Prozess‘.[3]
Nach Ansicht einiger Gelehrter sollte „Hitbodedut“ innerhalb der Richtung der ekstatischen Kabbala als „konzentriertes Denken als Teil einer klar definierten mystischen Technik“ verstanden werden. Dies wird in den Lehren von Kabbalisten wie Abraham Abulafia, Isaak ben Samuel, Moses Cordovero, Eleazar b. R. Mosche Azikri, Eliyahu De Vidas und Chaim Vital deutlich und legt auch nahe, dass diese Praxis spätere chassidische Mystiker beeinflusst haben könnte.[4][5]
Hitbodedut in der Tradition des Rabbi Nachman
Spätere Forschungen konzentrierten sich auf Hitbodedut, wie es in der Breslow-Tradition praktiziert wurde, und grenzten es von der Hitbodedut früherer Mystiker ab, die diese oft als ‚geistige Konzentration‘ bezeichneten. In der „Breslow-Hitbodedut“ wird sie entweder in ihrer wörtlichen Bedeutung, eine körperliche Abgeschiedenheit verstanden oder als offenes Gespräch mit Gott. In einigen Fällen, so betonte Rabbi Nachman, dass Abgeschiedenheit und offene Gespräche mit Gott starke mystische Erfahrungen hervorrufen sollen, was als ideale Krönung der „Breslow-Hitbodedut“ angesehen wird.[6]
Neuere Forschungen stellen frühere Gelehrte und die Unterscheidung zwischen Hitbodedut in der ekstatischen Kabbala, Breslow-Hitbodedut und anderen Hitbodedut-Lehren in Frage. Stattdessen wird angenommen, dass der früheste Hitbodedut-Leitfaden von Abraham, Sohn des Moses Maimonides, dem Führer der Pietisten in Ägypten, verfasst wurde.[7]
Der Autor, Tomer Persico, schlug vor, den Hitbodedut als „eine meditative Praxis mit drei Hauptelementen zu verstehen – Rückzug von physischen Reizen, Ausrichtung des Bewusstseins auf das Göttliche und Anwendung fokussierter Konzentration, um an Gott festzuhalten und potenziell göttliche Inspiration zu erlangen.“

Literatur
- Ozer Bergman: Where Earth and Heaven Kiss: A Guide to Rebbe Nachman's Path of Meditation. Breslov Research Institute, 2006, ISBN 1-928822-08-8 (englisch).
- Eliel Roshveder: Hitbodedut Meditation. Seeking light in isolation. Independently published, 2020, ISBN 979-86-5398724-3 (englisch).
Weblinks
- Angelique Sijbolts: Hitbodedut – Kann ich unstrukturiert beten? Sukkat Shalom, 15. September 2023, auf sukkatshalom-bneinoach.com [4]
- Hitbodedut - The Most Long Standing Jewish Meditation Tradition. Oct 31, 2024, auf neshima.co [5]
- J.S. Kupperman: Hitbodedut, Theurgia and the Modern Magus. Journal of the Western Mystery Tradition No. 0, Vernal Equinox 2001, auf jwmt.org [6]
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ Matan Weil: „Jewish Meditation Reconsidered“: Hitbodedut as a Meditative Practice and Its Transmission from the Egyptian Pietists to the Hasidic Masters. Religions 2024, 15(10), 1232; https://doi.org/10.3390/rel15101232, auf [1]
- ↑ Susanne Talabardon: Expeditionen in die Fremde. Zu Theorie und Praxis der räumlichen Expansion des Heiligen in der jüdischen Religionsgeschichte. S. 285–310 In: Norbert Franz, Rüdiger Kunow (Hrsg.): Kulturelle Mobilitätsforschung: Themen – Theorien – Tendenzen. Universitätsverlag Potsdam, Potsdam 2011, ISBN 978-3-86956-090-8, auf publishup.uni-potsdam.de [2] hier S. 299, Fußnote 23
- ↑ Moshe Idel: Hitbodedut as Concentration in Ecstatic Kabbalah. In: Arthur Green (Hrsg.): Jewish Spirituality. From the Bible through the Middle Ages. London 1986, S. 405–438, hier: 405–407.
- ↑ Moshe Idel: Studies in Ecstatic Kabbalah. State University of New York Press, Albany 1988, ISBN 0-88706-604-6, S. 103–169
- ↑ Tomer Persico: Hitbodedut for a New Age: Adaptation of Practices among the Followers of Rabbi Nachman of Bratslav. Israel Study Review, (October 2014) 29 (2): 99–117
- ↑ Hitbodedut – Persönliches Gebet. Der Schlüssel zu Emuna ist das persönliche Gebet mit HaShem. Breslev Magazine, 12. November 2019, auf de.breslev.com [3]
- ↑ Tomer Persico: Hitbodedut for a New Age: Adaptation of Practices among the Followers of Rabbi Nachman of Bratslav. Israel Study Review, (October 2014) 29 (2): 99–117