Hermeto Pascoal

Hermeto Pascoal auf dem Rudolstadt-Festival 2016
Hermeto Pascoal – Porträt von Gert Chesi, 1980er

Hermeto Pascoal Oliveira da Costa (* 22. Juni 1936 in Olho d’Água das Flores, Alagoas; † 13. September 2025 in Rio de Janeiro) zählte zu den bekanntesten Multiinstrumentalisten und avantgardistischen Musikern Brasiliens. Er wurde dreimal mit dem Latin Grammy ausgezeichnet.[1] Miles Davis nannte ihn den „wichtigsten Musiker auf dem Planeten“.[2] Pascoal schrieb über 2000 Instrumentalstücke und blieb bis ins hohe Alter als Arrangeur und Produzent aktiv.[2] Er war dafür bekannt, neben klassischen Instrumenten auch Alltagsgegenstände – von Töpfen und Flaschen bis zu Wasser oder Spielzeugen – in seine Musik einzubeziehen.[2]

Leben und Wirken

Hermeto Pascoal kam mit Albinismus zur Welt und war von seinem Aussehen wie von seinen musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten her eine außergewöhnliche Erscheinung. Er spielte eine Reihe von Instrumenten wie Akkordeon, Saxofon, Flöte, Gitarre sowie verschiedene Perkussionsinstrumente und Tasteninstrumente. In seiner Arbeit integrierte er häufig Haushaltsgegenstände und Naturklänge als Klangquellen.[2] In Brasilien wird er „O Bruxo“ (der Zauberer, der Hexenmeister) genannt, „weil er mit allem Musik machen kann, was ihn umgibt“.[3] Zudem gab seine Modernisierung der Choro-Musik in den späten 1960er-Jahren der brasilianischen Musik „wichtige Impulse und inspirierte Künstler wie Laurindo Almeida“.[4]

Seine ersten musikalischen Erfahrungen machte Hermeto Pascoal im Alter von 10 Jahren mit den Instrumenten Akkordeon und Flöte. Er spielte schon als Kind bei Festen, Tänzen und Hochzeiten in seiner Umgebung.[2] Erste Bühnenauftritte folgten zusammen mit seinem älteren Bruder José Neto Pascoal. 1950 zog die Familie nach Recife und dort spielten die beiden zusammen Akkordeon bei lokalen Radiosendern. Er wirkte u. a. bei der Rádio Tamandaré (Recife), bei der Orquestra Tabajara (Paraíba) und bei der Rádio Mauá (Rio de Janeiro) mit.[1] Ende der 1950er-Jahre zog Pascoal nach Rio de Janeiro, wo er in Nachtklubs spielte und einer Radioorchester-Besetzung beitrat.[2]

Nur wenig später begann Hermeto Pascoal auf der Suche nach neuen Klängen erste musikalische Experimente zu unternehmen und jedes Instrument zu lernen, dessen er habhaft werden konnte. Pascoal war Autodidakt und vermischte viele verschiedene Stile wie die Musik Brasiliens, Jazz oder Neue Musik und kam dabei immer wieder zu überraschenden Ergebnissen. Er lehnte Genre-Zuschreibungen – etwa die auf Jazz – ab und bezeichnete sein Werk als „música universal“ (universelle Musik).[1] 2022 erklärte er, seine Musik sei „sehr flüssig“ und entziehe sich festen Kategorien.[2] Eines seiner Projekte ist sein Calendário do som, ein Projekt, sozusagen ein musikalisches Tagebuch, an dem er ein Jahr lang jeden Tag ein neues Stück komponiert hat.

In den 1960er-Jahren arbeitete er in Rio de Janeiro in seiner Bossa-Nova-Gruppe und bei Sérgio Mendes und Antônio Carlos Jobim. 1964 gründete er das Trio Sambrasa; Airto Moreira wurde dort sein wichtigster Partner, mit dem er auch im Quarteto Novo spielte. In den 1970er-Jahren brachten ihn Airto Moreira und Flora Purim in die USA; dort spielte er u. a. mit Miles Davis zusammen.[2][1] Zu seinen international beachteten Alben zählen Hermeto und Slaves Mass.[2][1] Auf dem Album Slaves Mass setzte er lebende Schweine, die er am Schwanz zog, als Perkussionsinstrumente ein.[2] In den darauf folgenden Jahren begann über lange Jahre eine Zusammenarbeit mit Musikern wie Edu Lobo, Miles Davis, oder Elis Regina, was ihn in vielen Ländern bekannt machte. Erst 1972 erschien sein erstes Album unter eigenem Namen, dem rasch weitere Alben folgten. Sein Album A Música Livre de Hermeto Paschoal (1973), veröffentlicht zu Zeiten der Militärdiktatur wurde zu einem Album der brasilianischen Gegenkultur. Das Album Eu E Eles (1999) spielte er im Alleingang mit Dutzenden verschiedener Instrumente ein.

Ab den 2000er-Jahren arbeitete er weiterhin mit einer ständigen Gruppe und blieb als Livekünstler präsent; 2024 veröffentlichte er das Album Pra Você, Ilza, eine Hommage an seine langjährige Lebensgefährtin, das von der Associação Paulista de Críticos de Arte (APCA) zu den besten brasilianischen Alben des Jahres gezählt wurde.[1] Seine letzte Show in Brasilien fand im Juni 2025 im Circo Voador in Rio de Janeiro statt

Für den 13. September 2025 – seinen Todestag – war ein Auftritt beim Festival Acessa in Belo Horizonte angekündigt, bei dem schließlich nur seine Band Nave Mãe spielte.[1] Für den darauffolgenden Herbst waren zudem Konzerte in Portugal angekündigt, u. a. in der Culturgest (Lissabon), bei Braga'25 – Capital Portuguesa da Cultura und im Teatro Viriato (Viseu).[1] Pascoals Familie gab seinen Tod in den sozialen Medien bekannt und bat als Zeichen des Gedenkens darum, „eine einzelne Note – von einem Instrument, der Stimme oder einem Wasserkocher – erklingen zu lassen und sie dem Universum zu widmen“.[2] Er starb im Hospital Samaritano Barra in Rio de Janeiro im Alter von 89 Jahren; die Familie erklärte, sein Übergang sei „mit Gelassenheit und Liebe“ erfolgt, umgeben von Angehörigen und musikalischen Weggefährten.[1][2]

Auswahldiskografie

Erscheinungsjahr Titel Interpret / Lineup
1965 Em Som Maior Sambrasa Trio (Hermeto Pascoal, Humberto Clayber, Airto Moreira)
1967 Quarteto Novo Quarteto Novo (Airto, Hermeto, Theo, Heraldo)
1970 Live-Evil Miles Davis mit Jack DeJohnette, Keith Jarrett, Airto Moreira u. a.[5]
1971 Hermeto
1973 A Música Livre de Hermeto Paschoal
1974 It Could Only Happen with You Duke Pearson
1977 Slaves Mass mit Ron Carter, Airto Moreira, Flora Purim, Raul de Souza, Chester Thompson, Alphonso Johnson, David Amaro
1979 Ao Vivo Montreux Jazz mit Itiberê Zwarg, Cacau, Nenê, Nivaldo Ornelas, Jovino Santos Neto, Pernambuco, Zabele
1980 Cérebro magnético mit Itiberê Zwarg, Jovino Santos Neto, Alfredo Dias Gomes
1992 Festa dos Deuses Hermeto Pascoal e Grupo
1993 Instrumental no CCBB Renato Borghetti & Hermeto Pascoal
1999 Eu e Eles Hermeto Pascoal
2003 Mundo verde esperança
2006 Chimarrão com rapadura mit Aline Morena
2017 Viajando com o som (The Lost ’76 Vice-Versa Studio Session) Aufnahmen von 1976
2017 No mundo dos sons Hermeto Pascoal e Grupo
2022 Planetário da Gávea Aufnahmen von 1981
2024 Pra Você, Ilza Hermeto Pascoal e Grupo

Musikalische Rezeption

Seine Kompositionen wurden auch vom Sinfonieorchester Kopenhagen, den Berliner Philharmonikern, dem Andromeda Mega Express Orchestra und der Youth Symphony São Paulo aufgeführt. 2009 hat die hr-Bigband die CD Viva o som! mit Kompositionen von Hermeto Pascoal aufgenommen; deren Arrangements stammen von dem Saxofonisten Steffen Schorn. Miles Davis würdigte Pascoal als „wichtigsten Musiker auf dem Planeten“.[2]

Lexigrafische Einträge

  • Wolf Kampmann (Hrsg.), unter Mitarbeit von Ekkehard Jost: Reclams Jazzlexikon. Reclam, Stuttgart 2003, ISBN 3-15-010528-5.
  • Martin Kunzler: Jazz-Lexikon. Band 2: M–Z (= rororo-Sachbuch. Bd. 16513). 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2004, ISBN 3-499-16513-9.
  • Hermeto Pascoal. In: Dicionário Cravo Albin da Música Popular Brasileira. Abgerufen am 15. September 2025 (portugiesisch).

Literatur

  • Vitor Nuzzi: Quebra-tudo! – A arte livre de Hermeto Pascoal. Kuarup Música, 2024.
Commons: Hermeto Pascoal – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i MJC; Lusa: Morreu Hermeto Pascoal. In: CNN Portugal. 14. September 2025, abgerufen am 16. September 2025 (portugiesisch).
  2. a b c d e f g h i j k l m Rachel Muller-Heyndyk: Hermeto Pascoal, ‘the wizard’ of Brazilian music, dies at 89. In: BBC News. 14. September 2025, abgerufen am 16. September 2025 (englisch).
  3. „O Bruxo“ – Der Hexenmeister der Klänge: Porträt des brasilianischen Multiinstrumentalisten Hermeto Pascoal. WDR 3, 22. Juni 2011.
  4. Martin Kunzler: Jazz-Lexikon Bd. 2. Reinbek 2002.
  5. Drei Stücke stammen von Pascoal, der auf diesen Aufnahmen nur als Sänger und Perkussionist zu hören ist.