Henri Leclerc (Rechtsanwalt)

Henri Leclerc (* 8. Juni 1934 in Saint-Sulpice-Laurière; † 31. August 2024 in Villejuif) war ein französischer Strafverteidiger.[1] Von 1995 bis 2000 war Leclerc Präsident der Ligue des Droits de l’Homme (Französische Liga für Menschenrechte) und von 2000 bis zu seinem Tod ihr Ehrenpräsident.
Leben
Henri Leclercs Vater, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, war später als Steuerinspektor tätig. Während der Vater agnostische Auffassungen vertrat, war die Mutter eine sehr fromme Katholikin. Leclerc wuchs mit seinem Bruder und zwei Schwestern in Sceaux, in der Nähe von Paris, auf. Kaum zehn Jahre alt, verfolgte er die großen Prozesse der Befreiung (insbesondere die Prozesse gegen Philippe Pétain, Pierre Laval und Robert Brasillach) durch die Berichterstattung der Presse.
Er schloss seine Sekundarschulausbildung am Lycée Lakanal ab, wo er sich mit dem Sohn von Maurice Thorez anfreundete. 1955 erlangte er seinen Abschluss in Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät von Paris.
Er trat für zwei Jahre der Kommunistischen Partei (PCF) bei.[2] Er verließ die PCF einen Tag vor der Intervention der Sowjetunion in Budapest.
2011 schloss er sich Martine Aubrys Wahlkampfteam für die sozialistischen Vorwahlen zur Präsidentschaftswahl 2012 an und fungierte dort als Berater der Kandidatin für Justizfragen, zusammen mit der ehemaligen Justizministerin Élisabeth Guigou und Marie-Pierre de La Gontrie.[3]
2012 unterzeichnete er die Kolumne „Für eine neue Republik“, in der er dazu aufrief, für den Kandidaten François Hollande zu stimmen.[4]
Henri Leclerc war der Schwager von Nicos Poulantzas.[1]
Karriere als Anwalt
Am 14. Dezember 1955 wurde Leclerc als Anwalt vereidigt.[5] Er begann seine Karriere an der Seite von Albert Naud,[6] der 1945 während der sogenannten Säuberung des Staatsapparats und des öffentlichen Lebens als Anwalt von Pierre Laval, dem Ministerpräsidenten des Vichy-Regimes, bekannt geworden war.[7] Er erbte dessen juristische Bibliothek und Robe, die dieser selbst von Raymond Poincaré erhalten hatte.[8]
Einige der Mandanten, die Henri Leclerc in juristischen Auseinandersetzungen vertrat, waren
- Serge July (Herausgeber der Zeitung Libération, die er über dreißig Jahre als Anwalt in Angelegenheiten der Pressefreiheit vertrat)[9],
- Lucien Léger (angeklagt des Mordes am elfjährigen Luc Taron; beim 1966er Prozess gegen ihn assistierte Leclerc Maître Albert Naud),
- Roger Knobelspiess (mehrfach verurteilter Straftäter, 1981 vom damaligen französischen Präsidenten François Mitterrand begnadigt, danach wieder straffällig geworden, aber auch Buchautor und Filmschauspieler; wurde in einigen Verfahren von Leclerc als Rechtsbeistand vertreten)[10],
- Bakari Diallo (einer der Angeklagten im Prozess um den Fall der 1984 bei einer Anästhesie im Hospital von Poitiers ums Leben gekommenen Patientin, in Frankreich damals bekannt als „Affaire des médecins de Poitiers“; im Prozess, der 1988 stattfand, wurden Diallo und zwei weitere Angeklagte freigesprochen)[11],
- Michel Vaujour (mehrfach verurteilter Straftäter, in Frankreich vor allem aus „Ausbrecherkönig“ bekannt; wurde vor Gericht 1991 von Leclerc vertreten)[12][13],
- Richard Roman (der 1992 angeklagt war, vier Jahre zuvor an der Ermordung eines 7-jährigen Mädchens in La Motte-du-Caire beteiligt gewesen zu sein; Roman wurde freigesprochen; der Fall hatte in der kleinen Gemeinde zu einer solch aufgeladenen Stimmung geführt, dass Leclerc bei einem Lokaltermin körperlich angegriffen wurde)[14][15],
- Florence Rey (die Komplizin von Audry Maupin, mit dem sie 1994 eine Bank am Stadtrand von Paris überfallen wollte; es kam stattdessen zu wilden Verfolgungsfahrten und schließlich zu einer Schießerei, bei der vier Menschen starben; als das Paar wenig später gestellt werden konnte, wurde Maupin von der Polizei erschossen; im Prozess, der vier Jahre später stattfand, wurde Rey zu zwanzig Jahren Haft verurteilt)[16][17],
- François Besse (mehrfacher Straftäter und Komplize von Jacques Mesrine; Leclerc war 2002 sein Anwalt im Prozess, in dem er zu einer Haftstrafe von acht Jahren verurteilt wurde)[18],
- Hélène Castel (die 1980 an einem Bankraub in Paris beteiligt war, nach der Tat nach Mexiko floh und dort fast zwanzig Jahre unerkannt lebte; 2004 wurde sie aufgespürt und nach Frankreich ausgewiesen; 2006 kam es zum Prozess, in dem sie zu einer 15-monatigen Haftstrafe verurteilt, die aber durch die Zeiten in Untersuchungshaft abgegolten war)[19][20] und
- Dominique Strauss-Kahn (den er 2011 gegen die Anklage von Tristane Banon wegen versuchter Vergewaltigung und 2015 in der sogenannten „Carlton-Affäre“ gegen die Anklage wegen Förderung der Zuhälterei und Vergewaltigung verteidigte; das erste Verfahren wurde eingestellt, das zweite endete mit Freispruch für Dominique Strauss-Kahn[21][22]).
Weitere Fälle, bei denen Leclerc als Strafverteidiger auftrat, betrafen Akteure des Pariser Mai 1968, Terroristen der Geheimarmee zur Befreiung Armeniens und Unabhängigkeitsaktivisten von Guadeloupe. Nicht in seiner bevorzugten Rolle als Strafverteidiger, sondern als Anwalt der Nebenkläger („partie civile“) vertrat Leclerc die Familie eines linken Aktivisten, der 1972 von einem Wachmann der Renault-Fabrik von Boulogne-Billancourt ermordet worden war.[23]
Im Leclerc gewidmeten Nachruf des Parisien hieß es, in seinen ersten Jahren als Anwalt seien die Grundlagen zu suchen für seine ungebrochene Verbundenheit mit den Anliegen, die er als „gerecht“ ansah – den sozialen Bewegungen der Bauern und Bergarbeiter, der Anprangerung der Haftbedingungen in den Gefängnissen und der Pressefreiheit.[24]
Le Figaro nannte Leclerc die Symbolfigur („figure tutélaire“) der französischen Anwaltschaft. Im Leclerc gewidmeten Nachruf hieß es, er sei in den politisch unruhigen 1970er Jahren neben Robert Badinter und Georges Kiejman, später auch Thierry Lévy, zu einem der ganz großen Anwälte geworden, von denen eine immense Faszination auf ihre jüngeren Kollegen ausgegangen sei. Um sie agieren zu sehen, habe es die jungen Nachwuchsanwälte in die Gerichtssäle gezogen. Unter diesen schillernden Figuren sei Leclerc der menschlichste, unter den Grandseigneurs in schwarzer Robe der mitreißendste gewesen.[25]
Bereits seit Ende der 1950er Jahre Mitglied der Ligue des Droits de l’Homme, der französischen Liga für Menschenrechte,[26] wurde er von 1995 bis 2000 zu ihrem Präsidenten gewählt und danach, von 2000 bis zu seinem Tod, zu ihrem Ehrenpräsidenten ernannt.[6]
Tod
Henri Leclerc starb am 31. August 2024 im Hôpital Paul-Brousse in Villejuif im Alter von 90 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls.[27]
Ehrungen
- Henri Leclerc wurde im Frühjahr des Jahres 2013 zum Kommandeur der Ehrenlegion ernannt.[28]
Weblinks
- SCP Henri Leclerc & Associés
- Nachruf auf der Website des Élysée-Palastes vom 1. September 2024 (französisch).
Einzelnachweise
- ↑ a b Franck Johannès: L’avocat Henri Leclerc, ardent défenseur des libertés publiques, est mort. In: Le Monde. 31. August 2024, abgerufen am 19. August 2025 (französisch).
- ↑ Henri Leclerc, défenseur infatigable des droits et des libertés, s’est éteint à 90 ans ! In: beurfm.net. 5. September 2024, abgerufen am 22. September 2024 (französisch).
- ↑ Charlotte Chaffanjon: L’avocat de DSK dans l’équipe de campagne de Martine Aubry. In: Le Point. 12. Juli 2011, abgerufen am 19. September 2024 (französisch).
- ↑ TRIBUNE. « Pour une nouvelle république ». In: Le Nouvel Obs. 19. April 2012, abgerufen am 19. September 2024 (französisch).
- ↑ Maître HENRI LECLERC – Barreau de PARIS – France-Avocat.net. In: France Avocat. Abgerufen am 18. August 2025 (französisch).
- ↑ a b Hommage à Henri Leclerc. In: avocatparis.org. Ordre des avocats de Paris, 10. September 2024, abgerufen am 25. August 2025 (französisch).
- ↑ March of Time -- outtakes -- Pierre Laval trial, verfügbar in der Sammlung des United States Holocaust Memorial Museum (englisch; abgerufen am 25. August 2025).
- ↑ Julie Brafman: Interview Henri Leclerc. In: Libération. 24. September 2017, abgerufen am 25. August 2025 (französisch).
- ↑ Gespräch mit Leclerc in: Entretien patrimoniaux. Institut national de l’audiovisuel (INA), abgerufen am 26. August 2025 (französisch, darin Kapitel 41).
- ↑ Mathieu Delahousse: Lettres à mon juge : dans les archives de Roger Knobelspiess, braqueur-écrivain. In: Le Nouvel Obs. 25. Februar 2017, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ Le procès des médecins de Poitiers: L'acquittement et l'amertume. In: Le Monde. 5. März 1988, abgerufen am 21. August 2025 (französisch).
- ↑ Cornelius Wüllenkemper: "Ich bin lebendiger, als du es je warst". In: Der Spiegel. 6. März 2009, abgerufen am 24. August 2025.
- ↑ Michel Vaujour : quand l'amour indéfectible permet une évasion en hélicoptère. In: rtbf.be. 12. April 2024, abgerufen am 24. August 2025 (französisch, dort das Foto von Leclerc und Vaujour vom 27. Mai 1991).
- ↑ Richard Roman acquitté du viol et du meurtre de la petite Céline. In: Le Monde. 19. Dezember 1992, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ Carlos De Sousa: Affaire Richard Roman : quand l'avocat Henri Leclerc était violemment pris à partie lors de la reconstitution. In: Le Dauphiné. 1. September 2024, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ Fabienne Hurst: "Fahr - oder wir erschießen dich!" In: Der Spiegel. 1. Oktober 2013, abgerufen am 22. August 2025.
- ↑ Vingt ans de réclusion pour Florence Rey. In: Le Parisien. 25. Juni 2009, abgerufen am 22. August 2025 (französisch, Wiederveröffentlichung eines Artikels aus 1998).
- ↑ François Besse a été condamné à huit ans de prison. In: Le Monde. 12. Juni 2002, abgerufen am 26. August 2025 (französisch).
- ↑ Gerd Kröncke: Die zwei Leben der Hélène Castel. In: Süddeutsche Zeitung. 19. Mai 2010, abgerufen am 23. August 2025.
- ↑ Pascale Robert-Diard: Pour Hélène Castel, un verdict clément et libérateur. In: Le Monde. 7. Januar 2006, abgerufen am 23. August 2025 (französisch).
- ↑ Frédérique Baulieu und Henri Leclerc: La marque d'infamie sur DSK: Le parquet jette injustement l'opprobre sur notre client. In: Le Monde. 21. Oktober 2011, abgerufen am 20. August 2025 (französisch, Erklärung von Strauss-Kahns Anwälten nach der Verfahrenseinstellung).
- ↑ Tanja Kuchenbecker: Dominique Strauss-Kahn in Lille freigesprochen: Fehlende Beweise im Zuhälterprozess um das Hotel Carlton. In: Tagesspiegel. 12. Juni 2015, abgerufen am 20. August 2025.
- ↑ Stéphane Durand-Souffland: L’avocat Henri Leclerc, figure tutélaire du Barreau français, est mort. 31. August 2024, abgerufen am 27. August 2025 (französisch).
- ↑ Sébastien Ramnoux und Louise Colcombet: Mort de l’avocat Henri Leclerc, un géant du barreau. 31. August 2024, abgerufen am 27. August 2025 (französisch): „C’est dans ses jeunes années d’avocat qu’il faut chercher cet attachement aux causes qu’il considérait « justes », dans le mouvement social, celui des paysans, des mineurs de fond, la dénonciation des conditions carcérales, la liberté de la presse.“
- ↑ Stéphane Durand-Souffland: L’avocat Henri Leclerc, figure tutélaire du Barreau français, est mort. In: Le Figaro. 1. September 2024, abgerufen am 24. August 2025 (französisch): „Henri Leclerc s'impose dans le tumulte politique des années 1970 comme l'un des plus grands de sa génération, aux côtés des Badinter, Kiejman, puis de leur cadet Thierry Lévy. Les jeunes avocats s'entassent dans les salles d'audience pour les voir à la manœuvre. [...] Leclerc, [le] plus humain des éblouissants. Le plus bouleversant des seigneurs en robe noire.“
- ↑ Henri Leclerc : une voix mémorable. In: ldh-france.org. Ligue des Droits de L'Homme, 2019, abgerufen am 25. August 2025 (französisch).
- ↑ Icône du barreau en France: L’avocat et défenseur des droits de l’homme Henri Leclerc est mort. 31. August 2024, abgerufen am 22. September 2024 (französisch).
- ↑ Siehe „Légion d’honneur, la promotion de printemps“ in La Croix vom 1. April 2013 (französisch; abgerufen am 22. August 2025).