Henri Georges Girard

Henri Girard / Georges Arnaud
Das Château d’Escoire, 2008

Charles Henri Georges Achille Girard (* 16. Juli 1917 in Montpellier, Département Hérault; † 4. März 1987 in Barcelona) war ein französischer Schriftsteller, Journalist und politischer Aktivist. Bekannt wurde er unter dem Pseudonym Georges Arnaud, für das er den Vornamen seines Vaters, Georges, und den Geburtsnamen seiner Mutter, Arnaud, benutzte.

(Der 1928 geborene Autor Georges-Jean Arnaud, der die Serie La Compagnie des glaces verfasste, ist mit dem unter dem Künstlernamen Georges Arnaud auftretenden Henri-Georges Girard nicht identisch.)

Leben

1917–1949: Henri Girard

Im Jahr 1926, als er neun Jahre alt war, starb Girards Mutter Valentine Girard an Tuberkulose, einer Krankheit, an der auch Henri Girard Zeit seines Lebens litt. Als brillanter Schüler (Abiturient mit fünfzehn Jahren) war er besonders gut in den Geisteswissenschaften. Nach dem Abitur studierte er Jura in Paris. Nach dem Erwerb des Lizentiats in Rechtswissenschaften, einigen Monaten – noch vor der „drôle de guerre“ – beim Militär, gefolgt von Reisen und müßigem Leben in Paris drängte ihn sein Vater zu einer Bewerbung beim Conseil d’État. Voraussetzung wäre allerdings gewesen, Philippe Pétain, dem neuen Staatschef des Vichy-Regimes, die Treue zu schwören, was Girard kategorisch ablehnte.

In einer ersten Ehe, die im Januar 1938 geschlossen und im Juli 1944 geschieden wurde, war Girard verheiratet mit Annie Chaveneau.[1]

In der Nacht vom 24. auf den 25. Oktober 1941 wurden in einem Wohnsitz der Familie, dem Château von Escoire im Périgord, Henris Vater Georges Girard, seine Tante und eine Dienerin mit Sichelhieben getötet. Einziger weiterer Bewohner des Hauses war zu dem Zeitpunkt Henri Girard, der angab, von den Geschehnissen nichts mitbekommen zu haben, und folglich das Verbrechen erst am folgenden Morgen anzeigen konnte. Angesichts der mysteriösen Umstände des Dramas (keine Zeugen, keine Anzeichen von Einbruchspuren) wurde er verhaftet. Während er seine Unschuld beteuerte, war er bis zum Schluss seines Prozesses am 2. Juni 1943 neunzehn Monate im Gefängnis. Im Prozess wurde er verteidigt von Rechtsanwalt Maurice Garçon, einem ehemaligen Freund seines Vaters. Trotz drohender und von der Öffentlichkeit schon erwarteter Todesstrafe gelang es Garçon, die Geschworenen von der Unschuld Girards zu überzeugen. Nach nur wenigen Minuten der Beratung der Geschworenen wurde er freigesprochen und von den Anwesenden sogar umjubelt gefeiert. Zweifelsfrei aufgeklärt wurde der Fall Escoire nie.

Viele Jahre später berichtete Gérard de Villiers, Autor der Serie SAS, in mehreren Interviews und in seinen Memoiren, Girard habe ihm anvertraut, Täter der Verbrechen gewesen zu sein. Es gibt bis heute keine Sicherheit, ob diese Worte wahrheitsgemäß waren. Unter den Einwohnern von Escoire blieben die Auffassungen, ob Girard der Täter war, immer gespalten.[2] Wiederum viele Jahre später, zur Rentrée littéraire im September 2025, erschien das Buch In violentia veritas. Darin berichtet Catherine Girard, eine seiner Töchter, ihr Vater habe ihr, als sie vierzehn Jahre alt war, gestanden, damals im Château d’Escoire der Mörder seines Vaters, seiner Tante und der Dienerin gewesen zu sein.[3]

Von 1943 bis 1947 lebte er in Paris, wo er das Familienerbe in kürzester Zeit durchbrachte.

Nur wenige Monate nach der Scheidung seiner ersten Ehe heiratete er Ende des Jahres 1944 erneut. In einer Bar hatte er eine junge Sängerin kennengelernt, Suzanne Graux. Aus der Ehe, die bis zum April 1951 hielt, gingen zwei Söhne hervor: Dominique (geboren 1946) und Henri (geboren 1947).[4]

Am 2. Mai 1947 verließ Girard Frankreich. Auf dem Passagierschiff Colombie fuhr er von Le Havre aus nach Caracas. Auf dem südamerikanischen Kontinent führte er zwei Jahre lang ein Leben als Herumtreiber und übte die verschiedensten Tätigkeiten aus, darunter Goldgräber, Barkeeper, Taxifahrer und LKW-Fahrer. Fast genau zwei Jahre später, im Mai 1949, traf er wieder auf dem Seeweg, diesmal auf dem Frachtschiff Coutances in Le Havre ein.[5]

1950–1987: Georges Arnaud

Zurück in Frankreich veröffentlichte er im Jahr 1950 unter dem Pseudonym Georges Arnaud seinen ersten Roman: Le salaire de la peur (Lohn der Angst), inspiriert von seinen Erlebnissen in Südamerika. Das Buch wurde sehr populär.

Dann erschienen weitere aus seinen Erlebnissen abgeleitete Bücher: Le Voyage du mauvais larron sowie Schtibilem 41 (über seine Zeit im Gefängnis). Gleichzeitig schrieb Arnaud Reportagen für verschiedene Zeitungen. Im Jahre 1952 setzte der Filmemacher Henri-Georges Clouzot mit seiner Adaptation Lohn der Angst mit Yves Montand und Charles Vanel das Buch filmisch um. Im folgenden Jahr wurde der Film beim Filmfestival von Cannes mit dem Grand Prix und Charles Vanel als der beste Hauptdarsteller ausgezeichnet.

Nach einer nur kurz währenden, dritten Ehe mit Lella Facchini,[6] traf Henri Girard 1953 seine neue Gefährtin, Rolande Lasserre, mit der er zwei Töchter hatte, Catherine (geboren 1962) und Laurence (geboren 1964), und die er 1966 heiratete. Ebenfalls im Jahr 1953 verschaffte ihm sein Theaterstück Les Aveux les plus doux einen weiteren Erfolg. Édouard Molinaro verfilmte im Jahr 1970 den Stoff für die Leinwand; der Film lief 1975 unter dem deutschen Titel Zärtliche Wünsche zuerst im Deutschen Fernsehfunk der DDR.

Im Jahr 1957 veröffentlichte Arnaud beim Verlag Éditions de Minuit gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Jacques Vergès ein Manifest für Djamila Bouhired, die Kämpferin der algerischen Befreiungsbewegung FLN. Sie war beteiligt gewesen an den Vorbereitungen von Bombenattentaten und von französischen Soldaten einer Zuaven-Einheit festgenommen worden. Während der Untersuchungshaft gefoltert, wurde sie im Juli 1957 vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Das Buch Pour Djamila Bouhired (Für Djamila Bouhired) gilt, gemeinsam mit Henri Allegs Buch La Question (auf Deutsch 1958 erschienen unter dem Titel Die Folter), als eines der Manifeste, welche die Öffentlichkeit über Folter und Misshandlungen an den algerischen Unabhängigkeitskämpfern durch die französische Armee alarmierten. Als Folge einer internationalen Kampagne wurde Bouhired 1959 vom französischen Staatspräsidenten de Gaulle begnadigt.

Im April 1960 war Arnaud einer der Teilnehmer einer Pressekonferenz, zu der der wegen Unterstützung der algerischen FLN polizeilich gesuchte Francis Jeanson eingeladen hatte. Nachdem er einen Zeitungsartikel über die Pressekonferenz veröffentlicht hatte, er sich im Verhör aber weigerte, den Ort des Treffens und die Namen der anderen Teilnehmer zu nennen, wurde er verhaftet. Nach zwei Monaten Untersuchungshaft im Gefängnis Fresnes fand im Juni 1960 der Prozess statt. Arnaud nutzte den Prozess, um die Folter in Algerien durch die französische Armee anzuprangern, und fand in Joseph Kessel, Jean-Paul Sartre, Jacques Prévert, François Maspero und André Frossard namhafte Untersützer. Das Urteil lautete auf eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe von zwei Jahren. Es wurde später vom Cour de cassation vollständig aufgehoben.[7]

In 1962 ließ sich Georges Arnaud in Algerien mit seiner Familie nieder. Er trug zur Gründung einer Journalismus-Schule und zur Einführung der Zeitschrift Révolution africaine (Deutsch: Afrikanische Revolution) bei. 1972 zwang ihn die Tuberkulose, sich in Chamonix in Frankreich zu erholen. Er verließ Algerien endgültig im Jahr 1974. Von 1975 bis 1981 produzierte er Reportagen für das französische Fernsehen, darunter über die Moon-Sekte und über die Peiper-Affäre (Ex-SS Kriegsverbrecher, geflüchtet in das Département Haute-Saône, dessen Haus 1976 in Flammen aufging – eine nicht-identifizierbare Leiche wurde in den Trümmern entdeckt).

1984 ließ sich die Familie Georges Arnaud in Barcelona nieder, wo er seinen Lebensabend verbrachte. Henri-Georges Arnaud Girard starb dort 1987 an einem Herzinfarkt.

Werke

  • Le Salaire de la peur. Julliard, Paris 1949, zuletzt Omnibus, Paris 2018, ISBN 978-2-26001811-7.
    • Ladung Nitroglyzerin. Deutsche Erstausgabe; aus dem Französischen übersetzt von Hubertus Foerster. Biederstein Verlag, München 1951. – Wiederveröffentlichung unter dem Titel Lohn der Angst in der Reihe „Goldmanns Gelbe Taschen-Bücher“. Goldmann, München 1954. – Zahlreiche weitere Wiederveröffentlichungen, zuletzt Goldmann, München 1992, ISBN 978-3-442-11589-1.
  • Le Voyage du mauvais larron. Julliard, 1951. Ré-édition revue et corrigée bei Le Pré aux Clercs, Paris.
  • Lumière de soufre. Julliard, 1952
  • Indiens des hauts plateaux. In: Revue NEUF, No. 8, Dezember 1952.
  • Prisons 53. Julliard, 1953.
  • Schtilibem 41. Julliard, 1953. Ré-édition bei Finitude, 2008.
  • Les Oreilles sur le dos. Éditions du Scorpion, 1953. Ré-édition revue et corrigée bei Julliard, 1974.
  • Les Aveux les plus doux. Julliard, 1954.
  • Les Aveux les plus doux (scénario). Éditions des Lettres françaises, 1954.
  • Indiens pas morts. Delpire Éditeur, 1956.
  • Pour Djamila Bouhired (zusammen mit Jacques Vergès). Éditions de Minuit, 1957.
  • Maréchal P… Éditeurs Français Réunis, 1958.
  • La plus grande Pente. Julliard, 1961.
    • Gefährliche Kurven. Deutsche Erstausgabe; aus dem Französischen übersetzt von Werner Kleinhardt. rororo, 1963. – Wiederveröffentlichung bei Volk und Welt, 1967.
  • Mon procès. Éditions de Minuit, 1961.
  • Préface au Meurtre de Roger Ackroyd d'Agatha Christie, Le Livre de Poche, 1961
  • L'Affaire Peiper: plus qu'un fait divers. Atelier Marcel Jullian, 1978.
  • Chroniques du crime et de l'innocence. Jean-Claude Lattès, 1982.
  • Juste avant l'aube (zusammen mit Jean Anglade). Presses de la Cité, 1990.

Literatur

  • Jacques Lagrange: Du crime d’Escoire au Salaire de la peur. Pilote 24, Périgueux 1999, ISBN 978-2-912347-04-6.
  • Roger Martin: Georges Arnaud, vie d’un rebelle. Éditions Calmann-Lévy, 1994. Neuausgabe bei Éditions À plus d’un titre, La Bauche 2009, ISBN 978-2-91748-613-9.
  • Philippe Jaenada: La serpe. Éditions Julliard – Points, Paris 2017, ISBN 978-2-7578-8312-9.
  • Catherine Girard: In violentia veritas. Grasset, Paris 2025, ISBN 978-2-246-84313-9.

Einzelnachweise

  1. Philippe Jaenada: La serpe (s. Literatur), S. 49, 87.
  2. Podcasts von Radio France Culture: Georges Arnaud, ange ou démon ? (zwei Episoden; ursprüglich gesendet in der Reihe Le Vif du Sujet im Januar 2004). – Die Erinnerung Gérard de Villiers’ an die Begegnung mit Henri Girard, in der dieser „gestand“, der Mörder gewesen zu sein: 15:53 bis 18:40. – Zu den Auffassungen der Einwohner: 18:50 „Pour les uns il n’est pas l’assassin“; 18:53 „Et puis il y en a d’autres qui disent, c’est lui qui hérite“. (Französisch; abgerufen am 4. September 2025.)
  3. Video des Verlages Grasset: Rentrée littéraire 2025: Catherine Girard (französisch; abgerufen am 4. September 2025).
  4. Philippe Jaenada: La serpe (s. Literatur), S. 87, 89, 110.
  5. Daten und Schiffsnamen gem. Philippe Jaenada: La serpe (s. Literatur), S. 91, 95.
  6. Philippe Jaenada: La serpe (s. Literatur), S. 90.
  7. Philippe Jaenada: La serpe (s. Literatur), S. 130–132.
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