Helotenaufstand

Als Helotenaufstand (auch: Erdbebenaufstand) wird die Erhebung der unfreien Heloten gegen ihre spartanischen Herren im antiken Griechenland im Zuge eines Erdbebens bezeichnet.

Überlieferung

Laut den antiken Quellen, insbesondere Thukydides, lebten die Spartaner in ständiger Furcht vor einem Aufstand der Heloten. Ihm zufolge „war in Sparta so ziemlich alles darauf ausgerichtet, die Heloten unter Kontrolle zu halten.“[1] Der Athener ist eine der beiden Hauptquellen für die Revolte. Laut ihm rebellierten Heloten und Periöken gegen die spartanische Herrschaft. Aufgrund der messenischen Abstammung einiger Heloten seien die Rebellen dann auch Messenier genannt worden.[2] Die zweite essentielle Quelle für das Geschehen ist Pausanias. Auch er berichtet, die rebellierenden Heloten seien „von alters her Messenier“.[3] Wenn beide von den sogenannten Messeniern sprechen, dürften sie insbesondere an die während der archaischen Zeit in den beiden Messenischen Kriegen unterworfenen Messenier gedacht haben, die nie die Erinnerung an ihre einstige Unabhängigkeit verloren haben sollen. Über Aufstände der Heloten im lakonischen Kernland Spartas ist dagegen kaum etwas bekannt.

Quellenproblematik

Beide erwähnte Quellen sind trotz ihres großen Wertes äußerst kritisch zu betrachten. Thukydides ist schließlich ein Athener. Zu der Zeit, als er sein Werk abfasst, befinden sich die Spartaner mit der Heimatstadt des Thukydides in einem langen und heftigen Krieg. Dieser sogenannte Peloponnesische Krieg ist es auch, der dem Werk des Thukydides seinen Namen verleiht. Im Rahmen seiner Erzählungen zu Sparta wird Thukydides immer wieder geschichtliche Verzerrung vorgeworfen. So will er Sparta die Schuld am Ausbruch des Krieges zuschieben.[4] Trotzdem kann man sich auf das Wort Thukydides eher verlassen als auf das des Pausanias. Pausanias nämlich schreibt seine Ausführungen zur Geschichte Messeniens beinahe 600 Jahre nach der Revolten, um 200 n. Chr.[5] Pausanias muss also selbst auf Quellen zurückgreifen. Diese Quellen wiederum sind von den Messeniern nach dem Abfall von Sparta selbst verfasst.[6] Sie sollen ihren Anspruch auf das Land und Unabhängigkeit untermauern,[7] sind also stark tendenziös.

Der große Aufstand von 464 v. Chr.

Lage des Ithomi auf der Peloponnes
Die griechische Halbinsel Peloponnes

Der erste große Helotenaufstand nach der Eroberung Messeniens brach 464 v. Chr. aus, nachdem Sparta von einem schweren Erdbeben heimgesucht worden war, das zahlreiche Tote gefordert hatte.[8] Während die neuere Forschung bestätigt, dass es sich um ein starkes Erdbeben mit einer Magnitude von 7.2 handelte,[9] werden Diodors Angaben über die Zahl der Toten (ca. 20.000) als zu hoch eingeschätzt.[10] Den Spartiaten gelang es zunächst nicht, den Aufstand niederzuschlagen, dem sich vielmehr noch die Periökenstädte Thouria und Aithaia anschlossen.[11] Laut Diodor verhinderte nur das entschlossene Handeln des Königs Archidamos die Einnahme Spartas.[12] Die Aufständischen bauten den Berg Ithome zur Festung aus.

Die Spartaner empfanden die Situation als verzweifelt und riefen die Athener zu Hilfe, weil sie Erfahrung in Belagerungen hätten. Der Spartiat Perikleidas soll als Bittflehender in Athen erschienen sein.[13] Als 462 v. Chr. das athenische Heer unter dem als Freund der Spartaner bekannten Kimon auf der Peloponnes erschien, empfanden die Spartaner die Lage aber längst nicht mehr als so bedrohlich, dass sie auswärtige Hilfe annehmen wollten, insbesondere nicht von Athen, mit dem sie um die Vorherrschaft in Griechenland rivalisierten. Sie schickten die Athener zurück; dieser Affront führte zu Kimons Verbannung und dem Beginn offener Auseinandersetzungen zwischen Athen und Sparta. Die Messenier in der Festung Ithome gaben schließlich (laut Thukydides im zehnten Jahr[14], vielleicht aber auch schon etwas früher[15]) auf und erhielten freien Abzug; sie wurden von den Athenern in Naupaktos angesiedelt. Die spartanische Herrschaft über die verbliebenen messenischen Heloten war wiederhergestellt.

Bedeutung des Aufstandes

Obwohl der Aufstand mit der Niederschlagung für die Spartaner recht glimpflich geendet hatte, so hatte die Revolte doch bedeutende Konsequenzen. Die nun in Naupaktos angesiedelten Messenier kämpften nun nämlich aufseiten der Athener im Peloponnesischen Krieg mit. Da die Spartiaten selbst gut imitieren konnten, waren ihre Überfälle auf spartanisches Gebiet sehr erfolgreich.[16] Um einiges bedrohlicher war allerdings der Anspruch, den die ehemaligen Rebellen aufrechterhielten. Dadurch, dass sie sich selbst im Exil noch als Messenier bezeichneten[17], stand ihnen ihre Heimat als eigenes Gebiet zu. Auch die Athener erkannten diesen Anspruch an.[18] Verbündete Athens beanspruchten nun also Messenien, welches einen enormen wirtschaftlichen Wert für Sparta besaß.[19] Die Exilanten stellten eine Waffe dar, die nur darauf wartete von den Feinden Spartas eingesetzt zu werden, um größtmöglichen Schaden anzurichten.

Entwicklungen nach dem Aufstand

Als Athen in der ersten Phase des Peloponnesischen Krieges 425 v. Chr. die messenische Hafenstadt Pylos und im Jahr darauf die Insel Kythera besetzte, gerieten die Spartaner wieder in Furcht vor einem Aufstand der messenischen Heloten, zumal die Athener die früheren Aufständischen aus Naupaktos auf die Peloponnes zurückbrachten. Erst der Nikiasfrieden 421 v. Chr. beendete die Angst der Spartaner vor einem größeren Aufstand, zu dem es allerdings nicht gekommen war.

Nach der spartanischen Niederlage bei Leuktra fielen die Thebaner 370 v. Chr. in der Peloponnes ein. Sie verhalfen den Messeniern endgültig zur Unabhängigkeit. Am Fuß des Ithome wurde die neue Hauptstadt Messene gegründet. Die lakonischen Heloten dagegen, von denen die Spartaner 6000 in ihr Heer eingereiht hatten, blieben ihren Herren treu. Spartas Machtbasis war aber durch den Verlust Messeniens entscheidend geschwächt.

Literatur

  • Susan E. Alcock, The Pseudo-History of Messenia unplugged, in: TAPhA, 1999, Ausgabe 129, S. 333–341.
  • Thomas J. Figueira, The evolution of the Messenian identity, in: Sparta: New Perspectives, hrsg. von Stephen Hodkinson und Anton Powell, London 1999, S. 211–244.
  • Nino Luraghi, Becoming Messenian, in: JHS, 2002, Ausgabe 122, S. 45–69.
  • Nino Luraghi, The imaginary conquest of the Helots, in: Helots and their masters in Laconia and Messenia: histories, ideologies, structures, hrsg. von Nino Luraghi und Susan E. Alcock, Washington Dc 2003, S. 109–141.
  • Nino Luraghi, Helots calles Messenians? A note on Thuc. 1.101.2, in: CQ, 2002, Ausgabe 52, S. 588–592.
  • Nino Luraghi, Der Erdbebenaufstand und die Entsstehung der messenischen Identität, in: Gab es das Griechische Wunder ? :: Griechenland zwischen dem Ende des 6. und der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. : : Tagungsbeiträge des 16. Fachsymposiums der Alexander von Humboldt-Stiftung veranstaltet vom 5. bis 9. April 1999 in Freiburg im Breisgau, hrsg. von Dietrich Papenfuss, Volker Michael Strocka, Thomas Ganschow and Wolf-Rüdiger Megow, Mainz/Zabern 2001, S. 279–301.
  • Manfred Clauss: Sparta. Eine Einführung in seine Geschichte und Zivilisation. Beck, München 1983, ISBN 3-406-09476-7, besonders S. 43–45, 52–53, 71, 113–115.
  • J. T. Hooker: Sparta. Geschichte und Kultur. Reclam, Stuttgart 1982, ISBN 3-15-010314-2, bes. S. 211–213, 230–232, 237, 274.
  • R. Armijo et al.: A possible normal-fault rupture for the 464 BC Sparta earthquake. In: Nature 351 (1991), 137–139.

Anmerkungen

  1. Thukydides, Peloponnesische Krieg 4, 80, 3.
  2. Thukydides, "Der Peloponnesische Krieg" 1,101,2.
  3. Pausanias, "Reisen in Griechenland" 4,24,6.
  4. Rengakos, Antonios, Einleitung, in: Der Peloponnesische Krieg (= Sammlung Tusculum), übers. von Michael Weißenberger, hrsg. von Niklas Holzberg und Bernhard Zimmermann, Berlin/Boston 2017, S. 24.
  5. Meyer, Ernst, Einleitung, in: Reisen in Griechenland, Gesamtausgabe (= Die Bibliothek der Alten Welt. Griechische Reihe), 3 Bände (Band 1), auf Grund der kommentierten Übersetzung von Ernst Meyer hrsg. von Felix Eckstein. 3., nunmehr vollständige Ausgabe, Zürich/München 1986–1989, S. 8.
  6. Figueira, Thomas J., The evolution of the Messenian identity, in: Sparta: New Perspectives, hrsg. von Stephen Hodkinson und Anton Powell, London 1999, S. 226.
  7. Luraghi, Nino, Der Erdbebenaufstand und die Entstehung der essenischen Identität, in: Gab es das Griechische Wunder ? :: Griechenland zwischen dem Ende des 6. und der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. : : Tagungsbeiträge des 16. Fachsymposiums der Alexander von Humboldt-Stiftung veranstaltet vom 5. bis 9. April 1999 in Freiburg im Breisgau, hrsg. von Dietrich Papenfuss, Volker Michael Strocka, Thomas Ganschow and Wolf-Rüdiger Megow, Mainz/Zabern 2001, S. 293–295.
  8. Sebastian Schmidt-Hofner: Das klassische Griechenland. Der Krieg und die Freiheit. 1. Auflage. C.H. Beck, München 2016, S. 153.
  9. R. Armijo et al.: A possible normal-fault rupture for the 464 BC Sparta earthquake. In: Nature 351 (1991), 137–139, hier: 137.
  10. R. Armijo et al.: A possible normal-fault rupture for the 464 BC Sparta earthquake. In: Nature 351 (1991), 137–139, hier: 138.
  11. Vgl. Sebastian Schmidt-Hofner: Das klassische Griechenland. Der Krieg und die Freiheit. 1. Auflage. C.H. Beck, München 2016, S. 156–157.
  12. Diodor, 11, 63–64.
  13. Aristophanes, Lysistrata 1138–1141.
  14. Thukydides 1, 103.
  15. Literatur zur Forschungskontroverse bei Clauss, Sparta, S. 194.
  16. Figueira, Thomas J., The evolution of the Messenian identity, in: Sparta: New Perspectives, hrsg. von Stephen Hodkinson und Anton Powell, London 1999, S. 213.
  17. Figueira, Thomas J., The evolution of the Messenian identity, in: Sparta: New Perspectives, hrsg. von Stephen Hodkinson und Anton Powell, London 1999, S. 214.
  18. Figueira, Thomas J., The evolution of the Messenian identity, in: Sparta: New Perspectives, hrsg. von Stephen Hodkinson und Anton Powell, London 1999, S. 215.
  19. Figueira, Thomas J., The evolution of the Messenian identity, in: Sparta: New Perspectives, hrsg. von Stephen Hodkinson und Anton Powell, London 1999, S. 221.