Heimatverein Waiblingen

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Der 1934 gegründete Heimatverein Waiblingen e. V. – Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte befasst sich mit der Geschichte der Stadt Waiblingen und ist Herausgeber der Schriftenreihe Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart.[1][2][3][4] Der Sitz des Vereins ist Waiblingen.[5]

Zum 90-jährigen Bestehen im Jahr 2024 setzte sich der Verein öffentlich auch intensiv mit seiner eigenen Geschichte und Entstehung in der Zeit des Nationalsozialismus sowie mit dem Begriff Heimat auseinander.[6][7]

Geschichte

Der Heimatverein Waiblingen wurde am 5. April 1934 unter Bürgermeister Alfred Diebold gegründet und trug zunächst den Namen „Heimatverein Alt-Waiblingen“.[1] Die Satzung folgte dem Führerprinzip und schloss jüdische Menschen ausdrücklich von der Mitgliedschaft aus.[1] Vorstand und Leitung waren eng mit der NSDAP verknüpft. Veranstaltungen wie der erste „Waiblinger Heimattag“ im September 1934 verbanden historische Themen mit nationalsozialistischer Propaganda.

In den folgenden Jahren organisierte der Verein Vorträge und Exkursionen, initiierte erste denkmalpflegerische Maßnahmen und eröffnete 1937 im Nonnenkirchlein ein Heimatmuseum. Die Arbeit diente zugleich der ideologischen Formierung im Sinne der NS-Volksgemeinschaft.

Nach 1945 nahm der Verein 1949 seine Tätigkeit wieder auf und beteiligte sich an der 700-Jahr-Feier der Stadt (1950). In den folgenden Jahren kamen Aktivitäten wie ein Bildarchiv (1956–1962), die Erstellung eines Altstadtmodells (1956–1959) sowie zahlreiche Exkursionen und Vorträge hinzu. 1959/60 übergab er seine Heimatsammlung an die Stadt, die damit die Grundlage für ein städtisches Museum erhielt.[8]

Ab 1962 gab der Verein eine eigene Schriftenreihe heraus (Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart), die seither 20 Bände umfasst.[9] In den 1960er- und 1970er-Jahren war er zudem in die Diskussion um die Altstadtsanierung eingebunden und engagierte sich für Natur- und Denkmalschutz, etwa durch einen Naturlehrpfad (1966) oder Malwettbewerbe zugunsten der Talaue (1971/72). 1978 stiftete er erstmals Plaketten für vorbildlich renovierte Gebäude – eine Tradition, die bis heute fortgesetzt wird.[8]

Zum 50-jährigen Bestehen 1984 zählte der Verein bereits über 400 Mitglieder.[10] Später feierte er 2014 sein 80-jähriges Jubiläum[11] und 2024 das 90-jährige Bestehen. Dieses Jubiläum war von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Vereinsgründung im Nationalsozialismus und mit dem wandelbaren Begriff Heimat geprägt.[12]

Das mehrmonatige Programm umfasste Vorträge namhafter Wissenschaftler wie Thomas Thiemeyer (Universität Tübingen), Jürgen Hasse (Goethe-Universität Frankfurt), Hubert Klausmann (Universität Tübingen) und Mathias Beer (Universität Tübingen). Hinzu kamen ein Dokumentarfilm mit Interviews von Waiblinger Bürgerinnen und Bürgern, eine Lesung in Kooperation mit der Stadtbibliothek, ein Workshop im Haus der Stadtgeschichte, ein Konzert mit der Musikerin Derya Yıldırım und eine Podiumsdiskussion mit Zugewanderten und Alteingesessenen zur Frage, ob und wie Waiblingen für unterschiedliche Gruppen Heimat werden kann (Programmflyer Heimatverein Waiblingen, September–November 2024).[13]

Die Stuttgarter Zeitung berichtete in diesem Zusammenhang über die Debatten, die der Verein angestoßen hatte, und hob die Spannungen zwischen individueller und kollektiver Deutung von Heimat hervor.[14]

Ziele und Aufgaben

Mit etwa 450 Mitgliedern[15] ist der Heimatverein Waiblingen einer der größten Kulturvereine in Waiblingen. Er unterstützt die stadtgeschichtliche und heimatkundliche Forschung in und um Waiblingen, setzt sich für die Erhaltung von Kulturdenkmalen und eines erlebnisreichen Ortsbildes der Stadt ein und fördert durch Studien- und Tagesfahrten, Ausflüge, Vorträge und Stadtführungen das Verständnis für geschichtliche Traditionen und Wurzeln.[16]

Satzungszweck ist es, die naturgegebenen und kulturellen Grundlagen der Heimat zu bewahren und weiterzuentwickeln. Dabei verbindet der Verein Tradition und Moderne.[17] Mit der im März 2025 geänderten Satzung verbindet der Verein diesen Auftrag mit einem erweiterten Selbstverständnis: Heimat wird nicht mehr nur als fester Ort, sondern als „Geflecht von Beziehungen, Erinnerungen und gelebten Erfahrungen“ verstanden – in Anlehnung an die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann. Der Verein sieht sich damit nicht nur als Bewahrer, sondern auch als Gestalter eines gemeinsamen kulturellen und natürlichen Erbes. Heimat wird als offener Prozess beschrieben, der durch Begegnung, Engagement und Teilhabe entsteht und allen offensteht, die bereit sind, daran mitzuwirken.[18]

Aktivitäten

Denkmalschutz

Seit vielen Jahren zeichnet der Heimatverein Waiblingen im Rahmen seiner Jahreshauptversammlung vorbildlich sanierte Gebäude in Waiblingen aus. Von zentraler Bedeutung ist hierbei ein sensibler und individueller Umgang mit der historischen Denkmalsubstanz. 2024 wurden die Martinskirche in Waiblingen-Neustadt, das Gebäude „Untere Apotheke“ am Marktplatz in Waiblingen sowie das Scheunenensemble in Waiblingen Beinstein prämiert.[19]

Digitaler Stadtrundgang

Der Heimatverein bietet einen digitalen Stadtrundgang durch die historische Altstadt Waiblingens an (per App oder mit einem QR-Code), mit dem Wissenswertes über Sehenswürdigkeiten, stadtbildprägende Gebäude und Plätze erfahren werden kann.[20]

Zusammenarbeit mit Fachinstitutionen

Der Heimatverein Waiblingen kooperiert eng mit dem Stadtarchiv Waiblingen und dem Haus der Stadtgeschichte.[21]

Publikationen

Seit 1962 veröffentlicht der Verein in unregelmäßigen Abständen die Schriftenreihe Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart, jeweils mit verschiedenen Beiträgen aus Vor- und Frühgeschichte, Mittelalter und Neuzeit.[22][23] Insgesamt wurden bisher 20 Bände veröffentlicht.[24] In den Rezensionen werden die Bände als „wohlgelungen“[25] und als Instrument zur Aktivierung des historischen Bewusstseins eingeordnet.[26] Ellen Widder veröffentlichte 2005 in der Reihe die Monographie Waiblingen – eine Stadt im Spätmittelalter, die in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts den Grafen bzw. Pfalzgrafen von Tübingen eine bedeutendere Rolle als bisher zumisst.[27] Weiterhin finden sich zahlreiche Aufsätze von Historikern, Archivaren, Literaturwissenschaftlern usw. in den verschiedenen Bänden, so z. B. von Paul Sauer[28], Folker Reichert[29], Wolfgang Bunzel[30], Jörg Bofinger[31], Hermann Ehmer[32], Knut Görich[33], Jagoda Marinic[34] u. a. m.

In dem 1998 erschienenen Bildband Waiblingen in alten und neuen Ansichten wurden historische Ansichten von Waiblingen Fotos aus der Nachkriegszeit gegenübergestellt.[35] Der Band Waiblingen im Spiegel seiner Straßen mit einem Verzeichnis der Straßennamen und ihrer Herkunft erschien 2012.[36] 2021 wurde ein Sonderband der Reihe zum Thema „Waiblinger Museumsgeschichte 1900 - 1960“ herausgegeben.[37]

Einzelnachweise

  1. a b c Helmut Herbst: Aus den Gründerjahren des Heimatverein "Alt-Waiblingen". In: Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 15. Waiblingen 2004, S. 115–129.
  2. Zum Gründungszeitpunkt siehe den Hinweis über das 80-jährige Jubiläum im Jahr 2014: Bernhard Trefz: Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. In: Backnanger Jahrbuch. Band 22, 2014, S. 228–229 (wlb-stuttgart.de).
  3. Home - Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte. Archiviert vom Original am 13. April 2024; abgerufen am 31. August 2025.
  4. ZDB-Katalog - Detailnachweis: Waiblingen in Vergangenheit... Abgerufen am 31. August 2025.
  5. Satzung - Der Heimatverein e. V. - Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte. Archiviert vom Original am 29. März 2024; abgerufen am 31. August 2025.
  6. Annette Clauss: Ein kritischer Blick auf die eigene Geschichte (paywall). In: Stuttgarter Zeitung. 29. Februar 2024, abgerufen am 29. Februar 2024.
  7. Andreas Kölbl: Waiblingen: Die Rettung des Wortes "Heimat" vor rechter Ideologie (paywall). In: Waiblinger Kreiszeitung. 6. September 2024, abgerufen am 6. September 2024.
  8. a b Wilhelm Glässner: Fünfzig Jahre Heimatverein Waiblingen e. V. Geschichts- und Altertumsverein (1934-1984). In: Heimatverein Waiblingen (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und GegenWart. Band 7. Waiblingen 1984, S. 7–68.
  9. ZDB-Katalog, ID 012793507.
  10. Glässner, 1984.
  11. Bernhard Trefz: „Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart“. In: Backnanger Jahrbuch, Band 22, 2014, S. 228–229.
  12. Clauss 2024; Kölbl 2024.
  13. Programmflyer 90 Jahre Heimatverein Waiblingen. (PDF) In: heimatverein-waiblingen.de. 12. Oktober 2024, abgerufen am 2. September 2925.
  14. Annette Clauß: Podiumsdebatte in Waiblingen: Beim Thema Heimat schlagen zwei Herzen in der Brust. In: Stuttgarter Zeitung. 25. Oktober 2024, abgerufen am 2. September 2025.
  15. Annette Clauß: Jubiläum in Waiblingen: Der Heimatverein verteidigt seinen Namen. 7. September 2024, abgerufen am 25. Juli 2025.
  16. Der Verein - Der Heimatverein e. V. - Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte. Archiviert vom Original am 28. März 2024; abgerufen am 25. Juli 2025.
  17. Satzung - Der Heimatverein e. V. - Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte. Archiviert vom Original am 29. März 2024; abgerufen am 25. Juli 2025.
  18. "heimaten". Unsere Ziele. In: Heimatverein-Waiblingen.de. 17. Juni 2025, abgerufen am 2. September 2025.
  19. Jahreshauptversammlung 2024. Abgerufen am 1. September 2025.
  20. Virtueller Stadtrundgang durch Waiblingen. Abgerufen am 1. September 2025.
  21. Arbeitsgruppe Transkription. In: heimatverein-waiblingen.de. Abgerufen am 1. September 2025.
  22. Bernhard Trefz: Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. In: Backnanger Jahrbuch. Band 22, 2014, S. 228–229 (wlb-stuttgart.de).
  23. Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart: Schriftenreihe im Auftrag des Heimatvereins Waiblingen e. V. mit Unterstützung der Stadt Waiblingen / Heimatverein Waiblingen e. V., Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte. Zeitschriftendatenbank, abgerufen am 1. August 2025.
  24. Online-Katalog der Württembergischen Landesbibliothek - Online-Katalog der Württembergischen Lande. Abgerufen am 31. August 2025.
  25. Gerd Wunder: Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. In: Württembergisch Franken. Band 53, 1969, S. 155 (wlb-stuttgart.de).
  26. Kuno Ulshöfer: Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. In: Württembergisch Franken. Band 56, 1972, S. 147 (wlb-stuttgart.de).
  27. Gerhard Fritz: Ellen Widder: Waiblingen – eine Stadt im Spätmittelalter. In: Backnanger Jahrbuch. Band 14, 2006, S. 226–227 (wlb-stuttgart.de).
  28. Paul Sauer: Vom Herzogtum zum Königreich Württemberg - Die Schaffung des modernen württembergischen Staates durch König Friedrich. In: Heimatverein Waiblingen e. V. (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 13, 1996, ISSN 0938-4995, S. 69–87.
  29. Folker Reichert: Graf Eberhard im Bart im Heiligen Land. In: Heimatverein Waiblingen e. V. (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 14, 2000, ISSN 0938-4995, S. 25–44.
  30. Wolfgang Bunzel: Waiblingen als Handlungsort in Achim von Arnims Roman. In: Heimatverein Waiblingen e. V. (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 17, 2009, ISSN 0938-4995, S. 73–80.
  31. Jörg Bofinger: Der Weg zur modernen Feldarchäologie. In: Heimatverein Waiblingen e. V. (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 18, 2014, ISSN 0938-4995, S. 54–76.
  32. Hermann Ehmer: Gesellschaftliche Veränderungen im Gefolge der Reformation. In: Heimatverein Waiblingen (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 19, 2018, ISSN 0938-4995, S. 115–133.
  33. Knut Görich: Friedrich Barbarossa. In: Heimatverein Waiblingen (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 20. Waiblingen 2019, S. 17 - 46.
  34. Jagoda Marinic: Gibt es unsichtbare Waiblinger? In: Heimatverein Waiblingen e. V. (Hrsg.): Waiblingen in Vergangenheit und Gegenwart. Band 20. Waiblingen 2019, S. 115 - 137.
  35. DNB 107925434X Katalogeintrag der Deutschen Nationalbibliothek
  36. DNB 1038391075 Katalogeintrag der Deutschen Nationalbibliothek
  37. Veranstaltungsprogramm - Gesellschaft für Stadt- und Kunstgeschichte. Archiviert vom Original am 30. September 2023; abgerufen am 31. August 2025.