Hausertorstollen

Eingangstor zum Hausertorstollen mit Blickrichtung gen Südosten (September 2011).
Lageplan des Hausertorstollens.
Führung mit dem Wetzlarer Stadtführer Dieter Kositschik durch den Hausertorstollen (2025).
Führung mit dem Wetzlarer Stadtführer Dieter Kositschik durch den Hausertorstollen (2025).

Der Hausertorstollen in Wetzlar, Hessen, entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu Bergbauzwecken. Während des Zweiten Weltkrieges diente er als unterirdische Produktionsstätte für Rüstungsgüter, Luftschutzraum und militärischer Befehlsstand. Im Hausertorstollen kamen auch zahlreiche Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter zum Einsatz.

Lage

Unmittelbar nördlich der Wetzlarer Altstadt erstreckt sich der Hausertorstollen östlich und südöstlich der namensgebenden Hausertorsraße und exakt zwischen der Einmündung der Haarbachstraße im Süden und der Brückenstraße (L3020) im Norden. Westlich der Hausertorsraße fließt in diesem Bereich die Lahn beziehungsweise der über ein Streichwehr abzweigende Mühlgraben.

Der Hausertorstollen führt durch den sogenannten Hauserberg, den westlichen Abschnitt der Anhöhe Lahnberg.[1] Hier stehen mit flachem südlichem Einfallen mächtige Schalsteinschichten an.[2] Etwas zurückversetzt von der Straße und in einem kleinen Grünzug gelegen, befindet sich der Stolleneingang nahe des sogenannten „Aldefeld’schen Hauses“ (Hausertorstraße 42). Direkt davor steht das Jägerdenkmal, das einen springenden Bronzehirsch auf einem Muschelkalksockel zeigt. Es wurde 1923 von Fritz Klimsch und Johann Georg Müller in Anlehnung an das Wappen des bis 1877 in Wetzlar stationierten Rheinischen Jäger-Bataillons № 8 errichtet.[3] Die zwei Ausgänge des Stollens befinden sich in einer Bruchsteinmauer auf dem Parkplatz des Grundstücks Hausertorstraße 46. Auf der dem Stollen gegenüberliegenden Straßenseite steht ein Gebäudeensemble, das ab 1921 bis in die 1990er Jahre von der Optikfirma Leitz genutzt wurde (das sogenannte „Hausertorwerk“) und das mit dem Stollen über einen unterirdischen Gang verbunden war.[4]

Beschreibung

Während des Zweiten Weltkrieges war die etwa einen Kilometer lange[4] Stollenanlage in drei Bereiche aufgeteilt – in Produktionshallen, einen Luftschutzraum für die Zivilbevölkerung und einen Befehlsstand.[5] Die beiden erstgenannten Areale wiesen Flächen von jeweils etwa 500 Quadratmetern auf, womit die unterirdische, mit Betonboden versehene Produktionsfläche lediglich etwa einem Prozent der gesamten Fertigungsfläche im Leitz-Hauptwerk entsprach.[1] Unter Tage herrscht eine Lufttemperatur von konstant zwölf bis 15 Grad Celsius;[4] daher wurden die Produktionsbereiche mit einem Wärmetauscher sowie mit Fernwärme beheizt, die man aus dem Hausertorwerk in den Stollen leitete.[1] Die Belüftung musste den behördlichen Vorschriften und den betrieblichen Anforderungen der Fertigung entsprechen. Hierzu wurden zwei mit AEG-Motoren ausgerüstete Ventilatoren installiert, die den Stollen mit Frischluft versorgen sollten.[1] Anfang 1945 entstand zudem zwecks besseren Luftaustausches ein Bewetterungsschacht, der gleichzeitig als zusätzlicher Notausgang diente. Heutzutage ist der Hausertorstollen unbeleuchtet.[6]

Historie

Am 13. November 1842 wurde dem Wetzlarer Bergwerksbesitzer Wilhelm Allmenröder ein Muthschein für die Aufsuchung einer Eisensteinlagerstätte im sogenannten Grubenfeld „Ludwig“ erteilt. Er trieb einen Stollen in den anstehenden Kalkstein und grünen Schalstein. Der Erzgang erwies sich jedoch nicht als abbaubwürdig, woraufhin die Unternehmung wieder beendet und der Stollen stillgelegt wurde.[5] Nahezu ein Jahrhundert lang blieb der Hausertorstollen in der Folge ohne weitere Relevanz. Zwar legten Mitte des 19. Jahrhunderts in derselben Straße die zwei Gastwirte Jacob Luy und Justus Guht Felsenkeller im Lahnberg an, die an „Sommertagen von Einheimischen und Fremden viel besucht“[7] waren – der Hausertorstollen wurde jedoch wohl nie derart genutzt.

In der Spätphase des Zweiten Weltkrieges gab Adolf Hitler im Dezember 1943 seinem Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion Albert Speer die Vollmacht, Rohstoffe und Kapital bevorzugt der Kriegs- und Kriegszulieferindustrie zuzuweisen sowie die Produktion ziviler Güter zugunsten der Rüstungsproduktion einstellen zu können. Dies betraf auch das Hausertorwerk von Leitz, in dem man nun nicht mehr Leica-Kameras, sondern stattdessen feinoptische Geräte für das Militär herstellte. Die sich stetig intensivierenden alliierten Luftangriffe auf deutsche Städte wurden auch für Wetzlar zu einer realen Gefahr, galt die Stadt als ein Zentrum hochentwickelter Kriegstechnik doch als wahrscheinliches Ziel. Seitens der Reichsregierung erging der Befehl zur U-Verlagerung. Alle industriellen und rüstungsrelevanten Produktionsstätten sollten möglichst in ländliche Gegenden oder in unterirdische Stollen verlagert werden. Zu diesem Zweck begannen am 14. Januar 1944 Fellingshausener Bergleute unter der Leitung des Bergwerksdirektors Wilhelm Witte von Buderus mittels Felssprengungen mit dem Ausbau des Hausertorstollens.[1] Das Projekt trug den Decknamen „Aal“. Aufgrund wiederholter Verzögerungen zog bald die paramilitärische Bautruppe „Organisation Todt“ die Aufsicht an sich.[1] Nun kamen auch Kriegsgefangene zum Einsatz, wobei es sich größtenteils um italienische Militärinternierte (IMI) handelte, die im Tanzsaal des Gaststätte „Göths Garten“ (Braunfelser Straße 59) interniert waren.[1]

Der NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Haus veranlasste, dass auch ein Seitentunnel mit Ausgang hinter dem „Aldefeld’schen Haus“ (Hausertorstraße 42) – einer Außenstelle der Gestapo-Leitstelle Frankfurt am Main – angelegt wurde.[8][9] In diesem Abschnitt bezog er zusammen mit der Luftschutzleitung[10] am 6. November 1944 einen gemeinsamen Befehlsstand und von hier aus verkündete er auch „seine letzten fanatischen Durchhalteparolen“.[10] Sieben Tage später konnte man am 13. November 1944 offiziell die industrielle Produktion in Stollen aufnehmen. Gearbeitet wurde an sechs Tagen pro Woche rund um die Uhr in Zwölf-Stunden-Schichten, in denen Optiker, Mechaniker und Zwangsarbeiter die kriegswichtige Produktion aufrechterhielten[4] und neben Zieleinrichtungen für Kanonen auch Fernrohre für U-Boote, Aufklärungskameras, Periskope, Scherenfernrohre und Kollimatoren fertigten.[4][1] Ein separater Bereich des Stollens diente als Luftschutzraum für die Zivilbevölkerung des Bannviertels und der Bahnhofstraße.[1] Genaue Zahlen zu dessen Kapazität liegen zwar nicht vor, geschätzt wird allerdings, dass er mindestens Tausend Personen beherbergen konnte.[4] Nach nur etwa viereinhalb Monaten endete die Nutzung des Hausertorstollens, als am 29. März 1945 das 393. Infanterie-Regiment der United States Army Wetzlar einnahm.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieb der Stollen über Jahrzehnte ungenutzt. Seit den 1990er Jahren ist er öffentlich zugänglich – allerdings ausschließlich im Rahmen geführter Touren, die das Wetzlarer Touristinformationsbüro organisiert. Angesichts seiner geologischen und historischen Relevanz wurde er während des im Juni 2012 in Wetzlar stattfindenden Hessentages als sogenannter Geopunkt des Geoparks Westerwald-Lahn-Taunus ausgewiesen.[5]

Einzelnachweise

  1. a b c d e f g h i „Hausertorstollen als Ort der NS-Rüstungsproduktion“. Abgerufen auf wetzlar-erinnert.de (Verein Wetzlar erinnert e. V.) am 6. September 2025.
  2. Eduard Holzapfel: Das Obere Mitteldevon: Schichten mit Stringocephalus burtini und Maeneceras terebratum im Rheinischen Gebirge. In der Reihe: „Abhandlungen der Königlich Preussischen geologischen Landesanstalt“, Neue Folge, Heft 16. Simon Schropp’sche Hof-Landkartenhandlung, 1895, Seite 364.
  3. „Dings am Wegesrand – Denkmäler, Skulpturen und anderes“. Abgerufen auf wetzlar.de am 6. September 2025.
  4. a b c d e f „Unterirdische Spuren in Wetzlar“. Abgerufen auf wetzlar.de am 6. September 2025.
  5. a b c Informationen zum Hausertorstollen als sogenannter Geopunkt. Abgerufen auf geopark-wlt.de (Geopark Westerwald-Lahn-Taunus) am 6. September 2025.
  6. „Wetzlar im Dunkeln“. Abgerufen auf wetzlar.de am 6. September 2025.
  7. Paul Wigand: Wetzlar und das Lahnthal mit ihren romantischen Umgebungen und geschichtlichen Denkwürdigkeiten. Ein Führer für Fremde und Einheimische. G. Rathgeber’sche Buchhandlung, 1862, Seite 188.
  8. Informationen zum Hausertorstollen als Station des Wetzlarer „Weges der Erinnerung“. Abgerufen auf wetzlar-erinnert.de (Verein Wetzlar erinnert e. V.) am 6. September 2025.
  9. Informationen zum Aldefeld’schen Haus als Station des Wetzlarer „Weges der Erinnerung“. Abgerufen auf wetzlar-erinnert.de (Verein Wetzlar erinnert e. V.) am 6. September 2025.
  10. a b Witich Roßmann: Panzerrohre zu Pflugscharen. Zwangsarbeit Wiederaufbau Sozialisierung Wetzlar 1939–1956. Verlag Arbeiterbewegung und Gesellschaftswissenschaft, 1987, ISBN 978-3-921630-78-5, Seite 112.

Koordinaten: 50° 33′ 32,1″ N, 8° 30′ 9,7″ O