Die kanonischen Gleichungen sind in der klassischen Mechanik die Bewegungsgleichungen eines Systems, das durch eine Hamiltonfunktion
beschrieben wird, und werden deshalb auch Hamiltonsche Bewegungsgleichungen genannt.
Fundamentale Bewegungsgleichungen
Die fundamentalen Bewegungsgleichungen für die Koordinaten und Impulse lauten[1][2]:
.
dabei für
. Dabei sind
Diese fasst man in der Regel zu Vektoren
und
zusammen.
ist entsprechend die Anzahl an generalisierten Koordinaten und Impulsen. In der Literatur wird
bzw.
auch als Anzahl an Freiheitsgraden des Systems bezeichnet.[1][2]
Die kanonischen Gleichungen folgen direkt aus dem Hamiltonschen Prinzip durch ein erweitertes Variationsprinzip, bei dem Koordinaten und Impulse gleichberechtigt behandelt werden.
Die kanonischen Gleichungen sind eng mit den kanonischen Transformationen verknüpft, die über die Hamilton-Jacobi-Gleichung die Brücke zur Quantenmechanik schlagen. Einen ersten Hinweis darauf bietet die elegante Formulierung der kanonischen Gleichungen mit Poissonklammern:

Sei die Lagrangefunktion
eines Systems mit generalisierten Koordinaten
und deren Zeitableitungen
gegeben. Die Hamiltonfunktion
erhält man aus der Lagrangefunktion
mittels Legendre-Transformation[2]

wobei

die generalisierten Impulse sind. Löst man diese explizit nach
auf und setzt dies ein erhält man die Hamiltonfunktion

in Abhängigkeit von
statt von
. Die Hamiltonschen Bewegungsgleichungen erhält man durch Berechnung der Ableitungen unter Zuhilfenahme der Lagrange-Gleichungen

für
. Anwenden der Kettenregel liefert[1]:
![{\displaystyle {\frac {\partial H}{\partial p_{i}}}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)=\sum _{j=1}^{n}\left[{\frac {\partial p_{j}}{\partial p_{i}}}{\dot {q}}_{j}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)+p_{j}{\frac {\partial {\dot {q}}_{j}}{\partial p_{i}}}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)-{\frac {\partial {\mathcal {L}}}{\partial {\dot {q}}_{j}}}(\mathbf {q} ,{\dot {\mathbf {q} }}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t),t){\frac {\partial {\dot {q}}_{j}}{\partial p_{i}}}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)\right]={\dot {q}}_{i}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t),}](./21553ad88db951769d9fb6716704ca57eaae053e.svg)
![{\displaystyle {\begin{aligned}{\frac {\partial H}{\partial q_{i}}}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)=&\sum _{j=1}^{n}\left[{\frac {\partial p_{j}}{\partial q_{i}}}{\dot {q}}_{j}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)+p_{j}{\frac {\partial {\dot {q}}_{j}}{\partial q_{i}}}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)-{\frac {\partial {\mathcal {L}}}{\partial {\dot {q}}_{j}}}(\mathbf {q} ,{\dot {\mathbf {q} }}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t),t){\frac {\partial {\dot {q}}_{j}}{\partial q_{i}}}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)\right]-{\frac {\partial {\mathcal {L}}}{\partial q_{i}}}(\mathbf {q} ,{\dot {\mathbf {q} }}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t),t)\\=&-{\dot {p}}_{i}(\mathbf {q} ,\mathbf {p} ,t)\end{aligned}}}](./f042c61e0ebdaa9d1593c2f9f5c46616ee18dd2d.svg)
für
, wobei sich der zweite und dritte Term in der Summe jeweils aufheben aufgrund der Definition der kanonischen Impulse
. In der ersten Gleichung bleibt nur der erste Term in der Summe für
stehen wegen
, mit dem Kronecker-Delta
. In der zweiten Gleichung verschwindet die Summe komplett wegen
. Nur der letzte Term außerhalb der Summe bleibt stehen. Dieser wurde anschließend durch die zugehörige Lagrange-Gleichung ersetzt.
Verallgemeinerung
Für eine beliebige Phasenraumfunktion
des Systems kann man die totale Ableitung nach der Zeit aufgrund der Kettenregel schreiben als:
.
Aufgrund der kanonischen Gleichungen für Koordinaten und Impulse und der Definition der Poisson-Klammer folgt daraus
.
An dieser Form erkennt man die Korrespondenz der klassischen Bewegungsgleichung einer Phasenraumfunktion mit der Heisenbergschen Bewegungsgleichung für Observable in der Quantenmechanik, wenn die Poisson-Klammer durch den Kommutator und die Hamiltonfunktion durch den Hamiltonoperator ersetzt wird.
Die kanonischen Gleichungen für Koordinaten und Impulse in ihrer Schreibweise mithilfe der Poisson-Klammern gehen als Spezialfall aus der verallgemeinerten Form wieder hervor.
Eine Größe
ist erhalten, wenn sie der Gleichung

gehorcht. Wenn die betrachtete Größe nicht explizit zeitabhängig ist, vereinfacht sich dies weiter zu
.
Literatur
- Herbert Goldstein; Charles P. Poole, Jr; John L. Safko: Klassische Mechanik. 3. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2006, ISBN 3-527-40589-5.
- Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 2 Analytische Mechanik. 9. Auflage. Springer, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-41980-5.
- Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 5/1 Quantenmechanik-Grundlagen. 6. Auflage. Springer, Heidelberg 2004, ISBN 3-540-40071-0.
- L.D.Landau, E.M.Lifschitz: Lehrbuch der Theoretischen Physik 1 Mechanik. 14. Auflage. Europa-Lehrmittel 1997, ISBN 978-3-8085-5612-2.
- Thorsten Fließbach: Mechanik - Lehrbuch zur Theoretischen Physik I. Hrsg.: Springer. 8. Auflage. Band 1. Springer-Verlage, Siegen 2020, ISBN 978-3-662-61603-1, VII, S. 235 ff.
Einzelnachweise
- ↑ a b c Torsten Fließbach: Mechanik - Lehrbuch zur Theoretischen Physik I. Hrsg.: Springer-Spektrum. 8. Auflage. Springer-Verlag, Siegen 2020, ISBN 978-3-662-61603-1.
- ↑ a b c Wolfgang Nolting: Grundkurs Theoretische Physik 2 - Analytische Mechanik. In: Springer-Lehrbuch. 9. Auflage. Springer Berlin Heidelberg, Berlin, Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-41980-5, S. 7.