Hélène de Beauvoir

Die Künstlerin bei der Arbeit

Hélène de Beauvoir (* 9. Juni 1910 in Paris; † 5. Juli 2001 in Goxwiller[1]) war eine französische Malerin der Moderne. Sie war die jüngere Schwester von Simone de Beauvoir.

Leben

Hélène de Beauvoir wurde zwei­einhalb Jahre nach Simone de Beauvoir in Paris, Boulevard du Montparnasse 103, geboren. Gewünscht war von den Eltern ein Sohn. Die Schwestern Hélène und Simone wuchsen in einem großbürgerlichen Elternhaus auf, in dem die klassische Rollenverteilung herrschte. Ihr Vater Georges Bertrand de Beauvoir arbeitete bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs als Rechtsanwalt in Paris. 1906 heiratete er die acht Jahre jüngere Bankierstochter Françoise Brasseur, die bis zur Ehe in Verdun (Lothringen) lebte und seine Vorherrschaft aus vollem Herzen anerkannte.

Die Erziehung der Mädchen war traditionell katholisch. Insbesondere die religiöse Mutter vermittelte strenge Glaubenswerte. Wie auch Simone besuchte Hélène die katholische Privatschule für Mädchen Cours Désir, Paris. Früh wurde Hélène de Beauvoir sich über ihre zeichnerische Begabung bewusst. Durch den finanziellen Abstieg des Vaters nach dem Ersten Weltkrieg mangelte es an einer für eine Heirat notwendige Mitgift, so dass die Schwestern vorerst einen Beruf ausüben mussten, um für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Entsprechend wählten die Eltern 1927 für die siebzehnjährige, kunstaffine Hélène Les Arts décoratifs als Ausbildungsstätte, an der jungen Frauen Raumausstattung gelehrt wurde. Schnell wechselte die junge Frau an die École d’art et publicité, wo in gemischtgeschlechtlichen Klassen innovativ unterrichtet wurde. Zusätzlich besuchte Hélène zum Aktzeichnen Abendkurse an der Académie de la Grande Chaumière und Académie Colarossi. 1927 begann auch die lebenslange Freundschaft mit ihrer Kommilitonin und späteren Stoffdesignerin G. G. (Géraldine) Pardo, von der Simone in ihren Aufzeichnungen als Gégé spricht. Auch zu dritt gingen sie häufig aus, obwohl Gégé und Hélène noch sehr jung für die nächtlichen Barbesuche waren. Als Jean-Paul Sartre Simone de Beauvoir 1927 kennenlernen wollte, schickte Simone allerdings Hélène zum ersten Treffen.

1930 wurde Hélène de Beauvoir an der Académie Scandinave aufgenommen. Für ihren Unterricht, ihr Zeichenmaterial, ihre Farben, ihre Leinwände und ihre Reisen musste Hélène de Beauvoir allein aufkommen. Ihre Schwester Simone de Beauvoir unterstützte sie finanziell.

Paris – Portugal – Marokko - Wien - Belgrad - Mailand - Paris (1934–1957)

Die künstlerische Laufbahn von Hélène de Beauvoir begann am Vorabend des Zweiten Weltkriegs. 1934 bezog die junge Malerin ihr erstes Atelier in Rue Castagnary und 1935 ihr zweites Atelier in der Rue Santeuil. Sie verließ die elterliche Wohnung und wohnte in ihrem Atelier. Schon ein Jahr später präsentierte Hélène de Beauvoir ihre erste Einzelausstellung 1936 in der Galerie Jacques Bonjean mit gegenständlicher Malerei von Porträts bis Landschaften mit Figuren. Alle dort ausgestellten Bilder sind heute verschollen. Mitbegründer der Galerie war der spätere Modeschöpfer Christian Dior. Pablo Picasso beurteilte anerkennend die Bilder der sechsundzwanzigjährigen Hélène de Beauvoir als »originell«.

Im Jahr 1940 wurde Hélène von ihrer Schwester Simone de Beauvoir eingeladen, für einen Monat nach Portugal zu fahren, um ihren Freund Lionel de Roulet, einen Schüler Jean-Paul Sartres zu besuchen. Als währenddessen der Zweite Weltkrieg begann, war sie gezwungen bis zum Kriegsende in Portugal zu bleiben. 1942 heiratete sie dort Lionel de Roulet, der später als Kulturbeauftragter Frankreichs tätig wurde, weshalb das Paar mehrere Ortswechsel vollzog: Ab 1945 lebten sie in Wien, ab 1947 in Belgrad, ab 1949 in Marokko und ab 1950 in Mailand. Während ihres Nomadenlebens malte die Künstlerin unter ihrem Mädchennamen Hélène de Beauvoir weiter und beschäftigte sich intensiv mit Abstraktionen des 20. Jahrhunderts. Ihren Ehenamen Madame de Roulet benutzte sie in diesen Jahren nur für gesellschaftliche Verpflichtungen und nach ihrer Rückkehr nach Paris 1957 nannte sie sich ausschließlich Hélène de Beauvoir.

In Italien fand Helene de Beauvoir 1953 auf dem Land, in der Poebene, dem traditionellen Reisanbaugebiet Italiens, ein neues Serienmotiv. Mondinen, Saisonarbeiterinnen auf den überfluteten Reisfeldern, wurden zu ihrem bevorzugten Sujet. Die neue Bildreihe der Mondinen wurde 1953 in der Galleria Bergamini, Mailand und in der Galleria Bussola, Turin, sowie 1954 im Mai in der Pariser Galerie Creuze gezeigt. Später begann Hélène de Beauvoir inn Anlehnung an Paul Cézanne, Formen zu fragmentieren.

1957 kehrte Hélène de Beauvoir mit ihrem Ehemann wieder nach Paris zurück und fasste wieder erfolgreich in Paris Fuß und gewann ohne gesellschaftliche Verpflichtungen in der Kunstmetropole ihre Freiheit zurück. Sie stellte u.a. in der Pariser Galerie Synthèse aus.

Rückzug nach Goxwiller ins Elsass (ab 1963)

Diese Phase der Selbstbestimmung brach jäh ab, als Lionel de Roulet an den Europarat nach Straßburg gerufen wurde. Wieder folgte Hélène de Beauvoir ihrem Mann, wollte aber nicht in Straßburg leben, sondern auf dem Land, um jeglicher gesellschaftlichen Verpflichtung zu entgehen. 1963 kauften Hélène und Lionel einen alten Winzerhof im elsässischen Goxwiller und bauten ihn um. Hélène zog sich komplett von den gesellschaftlichen Verpflichtungen zurück, die sie aufgrund der Stellung ihres Mannes als »Mme de Roulet« innehatte. Sie richtete sich im Laufe des Umbaus verschiedene Ateliers für unterschiedliche Techniken ein. In diesem Jahr kauften sie ebenfalls ein Haus im Dorf Trebiano bei La Spezia, wo sie ihre Sommer, Feiertage und Weihnachten verbrachten.

Abgeschieden in Goxwiller, einem kleinen Ort im Elsass, begann Hélène de Beauvoir sich – mittlerweile Mitte fünfzig – in der Malerei neu auszudrücken. Sie übertünchte Bilder der späten 1950er­Jahre und bewegte sich vorsichtig aus der Abstraktion zurück in eine Gegenständlichkeit. Der weibliche Körper bestimmt zunehmend die Bildgefüge.

Im Dezember 1963 starb die Mutter von Hélène und Simone de Beauvoir. Simone verarbeitete den gemeinsamen Schmerz und die Trauer in ihrem Buch Ein sanfter Tod. Die im Herbst 1964 erschienene Publikation widmete sie ihrer Schwester Hélène. Diese traurige Lebensphase schweißte die zwei Frauen, die die Enge der traditionellen bürgerlichen Familie hinter sich gelassen hatten, noch enger zusammen. 1967 erschien dann im einflussreichen französischen Verlag Gallimard Eine gebrochene Frau [La femme rompue] von Simone de Beauvoirs mit sechzehn Kupferstichen ihrer Schwester Hélène. Die Zeitschrift Elle veröffentlichte im Vorabdruck Auszüge aus dem Buch und einige Abbildungen der Stiche.

Der schöne Mai [Le Joli Moi de Mai]

1969 bezog Hélène de Beauvoir zum ersten Mal als politische Künstlerin Stellung, in dem sie bewusst die Pariser Studentenproteste von 1968 aufgreift. Mit neuer Eindringlichkeit schuf die Malerin ihren Werkzyklus Der schöne Mai [Le Joli Moi de Mai] mit dreißig Bildern. Hélène de Beauvoir hatte zu sich und neuen Bildthemen gefunden. 1971 malte sie ihr erstes »feministisches Bild« und unterzeichnete im April des Jahres das Manifeste des 343 [Manifest der 343], eine Petition, die medienwirksam zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in Frankreich aufrief. Die Künstlerin begann, in der Frauenbewegung aktiv zu werden und war 1978 Mitbegründerin des Vereins SOS Femmes Solidarité – Centre Flora Tristan, einer Anlaufstelle für weibliche Gewaltopfer in Strasbourg, dem sie fünf Jahre bis 1983 als Präsidentin vorstand.

Malerei und Feminismus

Kunst bedeutete für Hélène de Beauvoir eindeutig einen Akt der Befreiung. Sie wurde sich zunehmend bewusst, dass Künstlerinnen Dinge zu sagen haben, die Männer in ihren Bildern noch nicht ausgedrückt haben. Es entstanden großformatige Ölgemälde, in denen sie die herrschenden Rollenbilder offenlegte und in klar verständlicher Bildsprache auf die Lage der Frau aufmerksam machte. Ihre Bilder Die Hexenjagd geht weiter und Frauen leiden. Männer urteilen über sie aus dem Jahr 1977 sind kraftvolle Statements gegen die Gesellschaft und für den Kampf nach weiblicher Selbstbestimmung. 1986 richtete ihr das Ministerium für die Rechte der Frau [Ministère des Droits de la femme] in Paris eine Ausstellung aus, an dessen Eröffnung auch Simone de Beauvoir anwesend war. Im Anschluss reiste Hèlène de Beauvoir nach Standford, wo an der Universität ebenfalls feministische Bilder von ihr ausgestellt wurden. Während sich Hélène de Beauvoir in den USA befand, verstarb ihre Schwester Simone im April 1986. Hélène de Beauvoir zog sich nach Goxwiller zurück und malte ihre Trauerbilder.

Auch in ihrem Spätwerk bestimmt der Kampf für Frauenrechte die Motive. Während des Bosnienkriegs – Hélène de Beauvoir war 82 Jahre alt – suchte sie 1992 in ihrer Malerei nach Ausdrucksformen für die sexuelle Gewalt durch Massenvergewaltigungen.

2001 starb Hélène de Beauvoir im Alter von 91 Jahren in ihrem Haus in Goxwiller und wurde auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris beigesetzt.

Werke (Auswahl)

  • Hélène de Beauvoir, Autoportrait, 1955 à Uffizien, Florenz
  • Hélène de Beauvoir, Neige à Courchevel, 1958 à Centre Pompidou, Paris

Ausstellungen

Literatur

  • Les temps modernes, Nr. 201, Jean Louis Ferrier: Sur la peinture de Hélène de Beauvoir, 1963
  • Marie-Claire, Aout 1986, Simone, ma soeur
  • Hélène de Beauvoir: Souvenirs. Recuellis par Marcelle Routier. Séguier, Paris 1987, ISBN 2-906284-30-0
  • Patricia Niedzwiecki: Beauvoir peintre. Côté-femmes editions, Paris 1991, ISBN 2-907883-36-4
  • Pedro Calheiros: O Belo Ver de Hélène de Beauvoir: Pinturas E Desenhos, Portugal, 1940–1945, Portugal 1994, ISBN 972-8283-01-6
  • Claudine Monteil: Die Schwestern Hélène und Simone Beauvoir, Nymphenburger, München 2006, ISBN 3-485-01086-3.
  • Karin Sagner (Hrsg.), Hélène de Beauvoir: Souvenirs. Ich habe immer getan, was ich wollte. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2014, ISBN 978-3-938045-89-3
  • Karin Sagner: Die Malerin Hélene de Beauvoir. Das Talent liegt in der Familie. Hirmer Verlag, München 2014, ISBN 978-3-7774-2169-8
  • AD: Wiederentdeckt. Sie kam und blieb. Hélène de Beauvoir. Mai 2014
  • Weltkunst: Bücher: Simones kleine Schwester, Kunstmagazin der Zeit, Juni 2014
  • Hélène de Beauvoir. Künstlerin und engagierte Zeitgenossin, Musée Würth France Erstein, 2018
  • Beate Kemfert (Hrsg.), Hélène de Beauvoir. Mit anderen Augen sehen, Rüsselsheim 2025, ISBN 978-3-00-084002-9
Commons: Hélène de Beauvoir – Sammlung von Bildern

Einzelnachweise

  1. BERTRAND DE BEAUVOIR Henriette Helene Marie. In: deces.matchid.io. Abgerufen am 13. September 2025 (französisch).