Seinen ersten Sieg errang Bartali als Sechzehnjähriger im Finale des Großen Preises der Debütanten in Florenz.[1] Seine Bilanz als Junior und Amateur waren 44 Siege in 92 Rennen sowie diverse Podiumsplätze.[2]
Gino Bartali, Radprofi von 1935 (1935 startete er noch als Unabhängiger, jedoch mit festem Vertrag[2]) bis 1953, galt als der beste Bergfahrer seiner Zeit. So gewann er insgesamt siebenmal die Bergwertung des Giro d’Italia. Dreimal (1936, 1937 und 1946) triumphierte er auch in der Gesamtwertung der Italienrundfahrt. 1938 konnte Bartali erstmals die Tour de France für sich entscheiden. Im besten Rennfahreralter musste er seine Karriere wegen des Zweiten Weltkriegs für mehrere Jahre unterbrechen. 1948 trat er wieder bei der Frankreichrundfahrt an und gewann die „Große Schleife“ nach zehn Jahren ein zweites Mal mit fast einer halben Stunde Vorsprung vor dem Zweitplatzierten Briek Schotte.
Bartalis Laufbahn war geprägt von der Konkurrenz zu dem fünf Jahre jüngeren „Campionissimo“ Fausto Coppi: Diese berühmteste Rivalität der Radsportgeschichte teilte die riesige italienische Fangemeinde in die unversöhnlichen Lager der „Bartalisten“ und der „Coppisten“. 1946 gewann Bartali den Giro d’Italia noch vor Coppi. Bei der Tour de France 1949 wurde der mittlerweile 35-jährige Bartali Zweiter; Coppi gewann nach 4810 km mit 10 Minuten 55 Sekunden Vorsprung. Bei der Tour de France 1951 wurde er Vierter; ebenso bei der Tour de France 1952.
In diesem Jahr, 1952, fotografierte der Reporter Carlo Martini ein legendär gewordenes Bild: Fausto Coppi fährt im Gelben Trikot voraus durch die alpine Steinwüste am Galibier, hinter ihm Gino Bartali. Das Bild zeigt die Übergabe einer Trinkflasche zwischen den Rivalen und wurde eine Ikone der Fairness und Versöhnung. Später kam durch Martinis Fotoagentur heraus, dass die Szene für den Fotografen nachgestellt worden war; tatsächlich hatte sie einen Tag vorher stattgefunden.[3]
Ein Jahr später hätte Bartali nach einem Sturz beinahe ein Bein durch Amputation verloren; der Sturz beendete seine Karriere.
Bartali blieb dem Radsport viele Jahre als Kommentator für das italienische Fernsehen und den Rundfunk eng verbunden.[5] Seit dem Tod von Roger Lapébie im Oktober 1996 war Bartali bis zu seinem Tod der älteste noch lebende Tour-de-France-Sieger.
Bartali wurde auch „der radelnde Mönch“ (nach einem Buchtitel von Vico Rigassi) genannt, denn er war Laienbruder der Karmeliten.[6] Nach seiner Karriere als Radprofi betrieb Bartali eine Motorradfabrik unter seinem Namen. 1949 überreichte er dem PapstPius XII. die ersten drei Fahrräder aus seiner Produktion.[7]
Gino Bartali soll nach dem Waffenstillstand von Cassibile am 8. September 1943 und der Besetzung Italiens durch deutsche Truppen als Fahrradkurier für die Untergrundbewegung DELASEM tätig gewesen sein, die sich für die Rettung von Juden einsetzte. Er soll Mitglieder der Familie Goldenberg vor der Verfolgung durch deutsche und italienische Faschisten versteckt haben. Insgesamt sollen seine Handlungen 800 verfolgte Juden vor der Deportation bewahrt haben.[8] Im Jahr 2005 verlieh ihm der italienische Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi posthum die goldene Ehrenmedaille (Medaglia d’oro al merito civile) für seinen humanitären Einsatz.[8]Yad Vashem, die israelische „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“, verlieh Bartali im September 2013 den Titel Gerechter unter den Völkern.[9]
2020 veröffentlichte der damalige Direktor des Jüdischen Dokumentationszentrums in Mailand, Michele Safati, Zweifel an dieser Sachverhaltsdarstellung, diese Darstellung soll danach einem Buch des Filmproduzenten Ramati von 1978 entnommen worden sein. Darin ging es um die Hilfe für verfolgte Juden aus der Sicht eines Franziskaners aus Assisi, dessen Existenz zwar gesichert, die historischen Einzelheiten jedoch fehlerhaft seien. Der Zeitzeuge, Priester und Judenretter Aldo Brunacci teilte die Zweifel und nahm hier eine fiktive Drehbuchidee an.[10]
Bereits 1985 hatte der Spielfilm Der Assisi Untergrund Bartali ein Denkmal gesetzt.[11][12][13] Im Abspann des Films wird seine spätere sportliche Laufbahn erwähnt.
Teile seiner damaligen Ausrüstung sind beim Wallfahrtsort der Radrennfahrer, der Kirche Madonna del Ghisallo, und im Museo del Ciclismo in Magreglio ausgestellt. In Magreglio wurde eine Straße Via Gino Bartali benannt.
Am 4. Mai 2018 startete der Giro d’Italia erstmals in seiner 101-jährigen Geschichte außerhalb Europas: Die erste Etappe des Giro d’Italia 2018 fand in Jerusalem statt und war Bartali gewidmet.[14] Anlässlich dieser Veranstaltung wurde Bartali posthum die israelische Staatsbürgerschaft verliehen. 15 Teilnehmer der Rundfahrt nahmen an einer Gedenkfahrt zur Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem teil.[15][16][17]
Gino Bartali, Pino Ricci: Tutto sbagliato, tutto da rifare: con 33 illustrazioni fuori testi. A. Mondadori, Mailand 1979, OCLC635557713.
Literatur
Alberto Toscano u. a.: Gino Bartali. Una bici contro il fascismo. Baldini + Castoldi, Mailand 2019, ISBN 978-88-9388-165-4 (italienisch; Originaltitel: Un vélo contre la barbarie naziste).
Gian Paolo Ormezzano, Marina Coppi, Andrea Bartali: Coppi & Bartali. Due amici che l’Italia voleva rivali raccontati dai figli. San Paolo, Cinisello Balsamo 2009, ISBN 978-88-215-6501-4 (italienisch).
Jean-Pierre Ollivier: Le Lion de Toscane. La véridique histoire de Gino Bartali. Editiones de l’Aurore, Grenoble 1991, ISBN 2-903950-57-1 (französisch).
Marco Pivato, Stefano Pivato: L’ossessione della memoria. Bartali e il salvataggio degli ebrei. Una storia inventata. Castelvecchi, Rom 2021, ISBN 978-88-3290-261-7 (italienisch).
Bernd Geisen: Radrennfahrer und Fluchthelfer Gino Bartali: Held oder Erfindung? In: Reihe „Tag für Tag“.Deutschlandfunk, 8. Juli 2024, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 8. Juli 2024; abgerufen am 8. Juli 2024 (deutschlandfunk.de [MP3; 10,3 MB; 11:13 min]): „Mythos oder Wahrheit? Gino Bartali – der Retter auf dem Rennrad. Der Italiener Gino Bartali gilt als einer der besten Radrennfahrer des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt ist sein Beitrag zur Rettung von Juden in der Nazizeit: Während der Besetzung Italiens durch die Deutschen versteckte und transportierte er Dokumente, die hunderten Menschen das Leben retteten. In seiner Heimat gilt Bartali als Volksheld – doch jetzt melden Historiker Zweifel an dieser Geschichte an.“
Einzelnachweise
↑Jean-Paul Ollivier: Le Lion de Toscane. Les Editiones de l’Aurore, Grenoble 1991, S.221 (französisch).
↑ abInteressengemeinschaft Radsport (Hrsg.): Der Radsport. Nr.7. Sportdienst Verlag Zademack und Noster, Köln 1950, S.2.
↑Peter Hartmann: Gestalten einer untergegangenen Welt: Coppi, Bartali und Pantani, Doping, Blut und Benzin. Italien liebt die Mythen und Geschichten um seine Radrennfahrer. In: Neue Zürcher Zeitung, Internationale Ausgabe. 22. Mai 2017, S. 32.
↑Luciano Boccaccini, Giovanni Tarello: Annuario Storico Del Ciclismo Italiano. Publialfa Edizion, Mailand 1994, S.48 (italienisch).
↑Bernd Geisen: Radrennfahrer und Fluchthelfer Gino Bartali: Held oder Erfindung? In: Reihe „Tag für Tag“.Deutschlandfunk, 8. Juli 2024, archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 8. Juli 2024; abgerufen am 8. Juli 2024 (deutschlandfunk.de [MP3; 10,3 MB; 11:13 min]): „Mythos oder Wahrheit? Gino Bartali – der Retter auf dem Rennrad. Der Italiener Gino Bartali gilt als einer der besten Radrennfahrer des 20. Jahrhunderts. Weniger bekannt ist sein Beitrag zur Rettung von Juden in der Nazizeit: Während der Besetzung Italiens durch die Deutschen versteckte und transportierte er Dokumente, die hunderten Menschen das Leben retteten. In seiner Heimat gilt Bartali als Volksheld – doch jetzt melden Historiker Zweifel an dieser Geschichte an.“
↑Gino Bartali. In: The Game of Their Lives. The Stories of Righteous Among the Nations Who devoted Their Lives to Sport.Yad Vashem, abgerufen am 12. Juli 2024 (englisch, Biografie).