Gertrud Woker

Gertrud Johanna Woker (* 16. Dezember 1878 in Bern; † 13. September 1968 in Marin) war eine Schweizer Frauenrechtlerin, Chemikerin und Friedensaktivistin.[1]
Leben
Kindheit und Jugend
Gertrud Woker war die Tochter von Johanna Woker-Müller († 1932), Schwester des Schweizer Bundesrats Eduard Müller, und des altkatholischen Theologie- und Geschichtsprofessors Philipp Woker.[2] Sie wuchs zusammen mit ihren jüngeren Geschwistern Harald (1883–1944), der später Jurist wurde und 1918 als Mitglied des Oltener Komitees am schweizerischen Generalstreik teilnahm, und Else (* 1885), die spätere Pfarrfrau Bailly, in einer religiös und politisch toleranten Familie auf. Schon als Kind liebte Gertrud den Kontakt zu Natur und Tieren, kletterte auf Bäume und Hausdächer und entdeckte die Wirkung der Zentrifugalkraft beim schnellen Umdrehen eines Korbes voller Eier.[3] Sie hatte in ihrer Mutter Johanna, in ihrer Grossmutter Auguste Müller-Berthelen und in der angeheirateten Tante Emma Müller-Vogt von Kindheit an beeindruckende Vorbilder für ihren späteren Kampf für Frauenrechte.[4]
Sie engagierte sich in der christkatholischen Kirche und war auch künstlerisch tätig.
Ausbildung und Studium
Gertruds Schulkarriere bestand in ungeliebter Privat- und Sekundarschule, die sie trotzdem mit Bestnoten abschloss.[3] Sie wäre anschliessend gerne ans Gymnasium gegangen, das soeben für Mädchen geöffnet worden war. Ihr Vater Philipp Woker lehnte das ab, hatte er doch als Präsident der betreffenden Schulkommission dazu beigetragen und fürchtete wohl den Vorwurf, er sei wegen seiner Tochter dafür gewesen. Auch wäre ein Schulbesuch von Gertrud zusammen mit Buben vom konservativen Teil der Verwandtschaft nicht goutiert worden. So verbrachte Gertrud Woker einen amüsanten und lehrreichen Sommer in einem Mädchenpensionat in Fleurier. Danach wurde sie zu ihrem Onkel Franz Woker nach Erfurt geschickt, wo ihre Tante der 16-Jährigen das Kochen beibringen sollte, was sie wie alle anderen Handarbeiten zutiefst verabscheute. Daneben erhielt sie Musik- und Englischunterricht, letzteres bei Schwester Agnes im Ursulinenkloster. Durch einen glücklichen Zufall bekam sie Mathematiklehrbücher in die Hände, mit denen sie sich heimlich nächtelang beschäftigte. Dies führte zu gesundheitlichen Problemen, worauf sie nach Bern zurückkehren konnte.
Im Selbststudium, mit Privatstunden und Vorbereitung an der Neuen Mädchenschule in Bern bereitete sie sich auf die Maturaprüfungen vor, die sie Ende März 1898 als 20-Jährige bestand. Es folgte eine intensive, weil abgekürzte dreisemestrige Ausbildung zur Sekundarlehrerin in mathematisch-naturwissenschaftlicher Richtung am Lehrerinnenseminar der Neuen Mädchenschule.[5] Erst nach bestandenem Examen am 17. März 1900 konnte sie sich dem eigentlichen Studium widmen.
Gertrud Woker studierte ab 1900 Organische Chemie an der Universität Bern und schloss das Studium 1903 mit der Doktorpromotion ab, an der sie in sieben geprüften Fächern ein summa cum laude erreichte.[4] Damit war sie die erste Schweizerin mit einem Doktortitel in Chemie. Zusätzlich erwarb sich Woker das Diplom fürs höhere Lehramt, mit dem sie an den oberen Klassen eines Gymnasiums literarischer oder naturwissenschaftlicher Richtung Unterricht erteilen durfte. Als 1904 ihre Bewerbung als Chemielehrerin beim Städtischen Gymnasium abgelehnt wurde, entschied sie sich für die Wissenschaft. Woker erkannte damals, dass sich Chemie und Physik, Pharmazie und Biologie zu einer eigenständigen Disziplin zusammenfassen liessen. Dieses neue Lehrgebiet, später Biochemie genannt, wollte sie näher kennenlernen und ging deshalb nach Berlin, wo sie Physikalische Chemie studierte.[4] Dort durfte Woker trotz Doktortitel nur als Gasthörerin und mit Erlaubnis des betreffenden Professors an dessen Vorlesungen teilnehmen. Beim holländischen Nobelpreisträger Jacobus Henricus van ’t Hoff und beim Physikochemiker Hans Max Jahn bildete sie sich in den damals modernsten Forschungsansätzen weiter.
Durch die vielen Gasthörerinnen kam sie in Kontakt mit Ideen der bürgerlichen und der radikaleren Frauenbewegung in Deutschland und wurde Mitglied des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht.[5]
Wissenschaftliche Karriere
Nach Bern zurückgekehrt, unterrichtete Gertrud Woker zuerst als Hilfslehrerin am Freien Gymnasium naturwissenschaftliche Fächer.[5] Daneben besuchte sie Vorlesungen und Praktika in Physiologie und Bakteriologie an der Universität Bern und arbeitete an der Synthese von Naphtoflavon im organischen Labor ihres Doktorvaters, Professor Stanislaus von Kostanecki.
Später wurde sie vom namhaften Internisten Hermann Sahli gebeten, für die medizinische Klinik der Universität Bern physikalisch-chemische Untersuchungen der Körpersäfte durchzuführen. Es folgte eine Zeit wertvoller wissenschaftlicher Anregung und Zusammenarbeit. Woker besuchte Professor Sahlis Vorlesungen, die unter anderem dazu führten, dass sie die Wichtigkeit des Massenwirkungsgesetzes in der Diabetestheorie überdachte und die Bedeutung physikalisch-chemischer Faktoren bei Zuckerkranken untersuchte. Schliesslich wurde sie von der Direktion des Unterrichtswesens ermutigt, sich an der philosophischen Fakultät zu habilitieren. Im Oktober 1906 reichte Gertrud Woker ihr Gesuch um Zulassung zur Habilitation für die Fächer der theoretischen (physikalischen) Chemie und der Physiologisch-Biologischen Chemie ein.[2]
Privatdozentin
1907 erhielt sie in Bern die venia legendi für die Geschichte der Physik und der Chemie. Sie war damit die erste Privatdozentin für Chemie an einer Schweizer Hochschule. Ihre Antrittsvorlesung über Die Probleme der katalytischen Forschung umriss ihr Forschungsthema der nächsten Jahre. In der englischen Nature wurde die später in Leipzig veröffentlichte Antrittsvorlesung mit einer kurzen Zusammenfassung gewürdigt. Der Wissenschaftshistoriker Franz Strunz lobte ihre Abhandlung in einer ausführlichen Besprechung in der Deutschen Literaturzeitung sowie in den Mitteilungen der deutschen Gesellschaft für Geschichte der Medizin und Naturwissenschaften.[5]
Weitere internationale Anerkennung erhielt Gertrud Woker durch die Anfrage von Benjamin Max Margosches, Privatdozent an der Deutschen Technischen Hochschule in Brünn. Er bat sie, die Behandlung der Katalyse in seiner Reihe Die Chemische Analyse zu übernehmen.[6] Dies war eine grosse Ehre, waren doch Autoritäten wie die Professoren Emil Abderhalden, Georg Bredig, Fritz Haber und Johannes Wislicenus in dieser Sammlung von Beiträgen zur chemischen, technisch-chemischen und physikalischen Analyse vertreten.[5]
In Bern allerdings achteten ihre Kollegen darauf, dass Gertrud Woker mit ihrem neuen Lehrgebiet nicht in ihre Domäne eindrang. Nachdem die Ausdehnung ihrer Lehrtätigkeit auf die theoretische Biologie sowie beantragte Kolloquien im Lektionenkatalog für das Sommersemester 1908 abgelehnt worden waren, liess sie sich von ihren unbezahlten Vorlesungen beurlauben und stürzte sich stattdessen in die Vorbereitungsarbeiten für den ersten Band des Sammelwerkes zur Katalyse. Er enthielt einen 645 Seiten starken allgemeinen Teil zur Rolle der Katalyse in der analytischen Chemie und erschien 1910. Ihr Werk wurde als wertvolles, vollständiges Nachschlagewerk begrüsst und in französischen, österreichischen, deutschen und schweizerischen Fachzeitschriften besprochen.[2]
Institutsleiterin
1911 versuchte die in ihrem neuen Fachgebiet von ausländischen Kollegen hochgelobte Gertrud Woker, in der Forschung an der Universität Bern voranzukommen.[2] Sie ersuchte die Fakultät, ihre Lehrbefugnis zu erweitern und ihr ein eigenes Institut mit den notwendigsten Apparaten für den praktischen Unterricht und für selbständige Untersuchungen durch die Studenten einzurichten. Sie hatte nur teilweisen Erfolg, und das mit dem Lehrauftrag für physikalisch-chemische Biologie verbundene Dozentengehalt von jährlich 580 Franken wurde von der Finanzdirektion abgelehnt. Sie musste sich mit einem angepassten Lehrauftrag und damit begnügen, dass sie zwei nach dem Tod ihres Doktorvaters Stanislaus von Kostanecki freigewordene Räume im Chemiegebäude als Labor für physikalisch-chemische Biologie beziehen durfte. Sie erhielt zwei Mikroskope, durfte Praktikanten aufnehmen und Kurse erteilen. Im gleichen Jahr lehnte sie den Ruf als ausserordentliche Professorin nach Leipzig ab, weil die Zusicherungen zu vage waren und sie drauf hoffte, dass ihr kleines Institut gefördert würde.[4] Woker leitete das Institut für physikalisch-chemische Biologie von 1911 bis zu ihrer Emeritierung 1951.
In den 1910er Jahren kam der Wunsch nach einer allgemein verständlichen Verbreitung von wissenschaftlichen Erkenntnissen auf. Woker hielt 1911 auf Anfrage der österreichischen Volkshochschule Urania in Wien einen auch für Laien verständlichen Vortrag über die Katalyse, der mit viel Beifall quittiert wurde. Diese Einladung bekamen vorher nur ausländische Gelehrte von Ruf, was bewies, dass ihre Forschungsrichtung Beachtung fand.[2]
Bei der in Bern mit vielen Schwierigkeiten kämpfenden Woker zu arbeiten, war für ihre Studierenden nicht leicht.[5] Sie wussten jedoch zu schätzen, dass ihre Doktormutter sie "in anregender Weise" bei der Promotion betreute. 1913 hatte Woker eine Reihe von Doktoranden auch anderer Universitäten in ihren fortschrittlichen Untersuchungsmethoden ausgebildet. Ihr selber wurde die Professur und ein Assistentengehalt immer noch verweigert, und ihr kleines Institut wurde ihr streitig gemacht. Inzwischen bedauerte sie ihren Entscheid, nicht als erste ausserordentliche Professorin Deutschlands nach Leipzig gegangen zu sein. Im November wurde Wokers Gesuch um Dispens für das Abhalten von Vorlesungen im Wintersemester 1913/14 und die Reduktion der Stundenzahl für die Laborarbeiten bewilligt. Als Grund gab sie die grosse Belastung für die Arbeit an ihrem zweiten Band des Katalysewerkes an.
Bereits 1916 wies sie in den Chemischen Berichten[7] der Deutschen Chemischen Vereinigung auf die Giftigkeit von bleihaltigem Benzin hin und gab Vorschläge zur Herstellung von bleifreiem Motorenbenzin.[2]
Nach dem mit einigen kriegsbedingten Verzögerungen 1916 erscheinenden zweiten Band zur Katalyse erhielt Gertrud Woker wiederum grosse Anerkennung ihrer ausländischen Wissenschaftskollegen. Inzwischen setzte sich auch der Direktor des Physikalischen Instituts der Universität Bern, Aimé Forster, für Gertrud Wokers Karriere ein. Sie hielt zu dieser Zeit noch immer unbezahlte Übungen und Praktika und leitete zudem neben ihren eigenen Forschungsarbeiten die Untersuchungen in ihrem Labor.[2] Forsters Antrag auf Beförderung Wokers zur ausserordentlichen Professorin wurde durch die Philosophische Fakultät trotz ihrer anerkannten wissenschaftlichen Publikationen sowie positiver Gutachten ausländischer Autoritäten abgelehnt. Somit fehlten Woker als Leiterin des kleinen Instituts Mittel und Personal, um die theoretischen Erkenntnisse in ihrem Labor wirksam umzusetzen und öffentlich bekannt zu machen.[4]
Die Berner Privatdozentin erhielt 1924 zwei Stellenangebote aus den Vereinigten Staaten. Sie entschied sich Anfang 1925 für das Physiatric Institute in Morristown, wo sie bei Frederick Madison Allan Stoffwechselkrankheiten erforschen sollte. Das wissenschaftliche Umfeld war ihr jedoch nicht wohlgesinnt, sie sah sich Verleumdungen ausgesetzt und fühlte sich bedroht. Die Vorfälle am Institut wurden nie ganz geklärt. Woker kehrte früher als geplant am 1. Oktober 1925 nach Bern zurück.[2]
Professorin
Erst 1933, als sich ausländische Professoren wiederholt für Gertrud Woker eingesetzt hatten, – und trotz ihres pazifistisch-wissenschaftskritischen politischen Standpunktes – wurde sie ausserordentliche Professorin für physikalisch-chemische Biologie. Sie war nach Anna Tumarkin erst die zweite Berner Extraordinaria und erst die vierte in der Schweiz.[8] Woker wurde zu einer der Wegbereiterinnen der Biochemie.
Pazifistin und Frauenrechtlerin
Seit dem Ersten Weltkrieg engagierte sie sich gegen den Krieg, schon mit Flugblättern gegen den Giftgaskrieg, ein Thema, das sie nach und nach ausbaute und in mannigfachen Formen und Auflagen darbot.
1907 hielt sie eine Rede auf der Versammlung des Deutschen Verbands für Frauenstimmrecht in Frankfurt a. M.[9] In ihrer vorlesungsfreien Zeit ab 1908 begann Gertrud Woker, sich vermehrt für die Stimmrechte der Frauen einzusetzen.[5] Sie wurde Mitglied des Akademischen Vereins für Frauenstimmrecht (ab 1909 Schweizerischer Verband für Frauenstimmrecht), arbeitete als Sekretärin für den Zürcher Verband und trat als Referentin auf. So reiste sie auf Einladung der ungarischen Stimmrechtlerinnen ein erstes Mal nach Budapest, wo sie unter anderen Rosika Schwimmer kennenlernte. Nach der Veröffentlichung ihres ersten Bandes zur Katalyse 1910 wurde sie vom ungarischen Feministenverein erneut eingeladen, um diesmal einen Vortrag über die für die chemische Technik wichtige Katalyse vor den Fachgruppen für Chemie des österreichischen und ungarischen Ingenieur- und Architektenverein zu halten. In den folgenden Jahren wiederholten sich Einladungen von wissenschaftlichen Vereinen zu Vorträgen in Budapest und Wien. Doch Woker, die damals wieder Lehrveranstaltungen durchführte, befürchtete bei jedem Beurlaubungsgesuch, dass während ihrer Abwesenheit Intrigen ihre Lehrtätigkeit unterwandern. Deshalb lehnte sie Einladungen wiederholt ab.[2]
1915 war sie Mitbegründerin der „Internationalen Frauenvereinigung für den dauernden Frieden“, die später in Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) umbenannt wurde. Zusammen mit Clara Ragaz unter anderem baute sie den Schweizer Zweig der IFFF auf und leitete ihn nach dem Tod von Clara Ragaz. Sie setzte sich sehr für Verbote von Chemie- und Gaswaffen ein.
Im April 1918 eröffnet Gertrud Woker als Präsidentin des Initiativkomitees im Grossratssaal in Bern die Internationale Frauenkonferenz für Völkerverständigung. Es folgen Reden von Marguerite Gobat, Clara Ragaz und Klara Honegger. Ausserdem organisierte Woker mit der Schweizer Sektion und der Unterstützung von Rosika Schwimmer die internationale Frauenkonferenz vom 11. und 12. Februar 1919 im Hotel Bellevue in Bern.[2]
1924 reichte sie ein Urlaubsgesuch für das Sommersemester ein, damit sie als Delegierte am Kongress der Frauenliga für Frieden und Freiheit vom 1. bis 7. Mai in Washington und anschliessend an der internationalen Sommeruniversität der Liga in Chicago teilnehmen konnte. Woker wollte sich durch ihre Teilnahme als Wissenschaftlerin einbringen und eine grosse Öffentlichkeit von der wahren Bedrohung durch chemische Kriegsmittel zu überzeugen versuchen. Noch vor Kongressbeginn nahm Woker zusammen mit der schwedischen Chemikerin Naima Sahlbom als Gast der in Washington tagenden amerikanischen Chemiker-Gesellschaft an einer Besichtigung des Edgewood-Arsenals mit anschliessender Feldübung teil, die sie erschütterte. Am Frauenkongress gab sie später in ihrem Vortrag eine kurze sachliche Illustration dieser chemisch-technischen Demonstration. Die Reaktion national denkender und militärischer Kreise auf ihren Vortrag waren heftig und die Empörung über die Einmischung und die angeblichen Falschinformationen einer inkompetenten Chemikerin war gross. Trotz dieser Kritik machte sich Gertrud Woker verstärkt in der chemischen, medizinischen und militärischen Literatur sachkundig, um ihre Erkenntnisse in Vorträgen und Artikeln sowohl in akademischen Kreisen wie auch der Öffentlichkeit mitzuteilen.[2]
Würdigung

1928 wurde Gertrud Woker von Elga Kern im Buch Führende Frauen Europas gefeiert, wo ihre Autobiographie neben berühmten Frauen wie Selma Lagerlöf, Maria Waser oder Käthe Kollwitz erschien. Ein Jahr später konnte sie sich im Buch Schweizer Frau der Tat vorstellen. Auch in der Frauenpresse war Woker bekannt. 1944 machte die Sie + Er und vier Jahre später Meyers Frauenmodeblatt auf die hoch geachtete Leiterin des Labors für physikalische und chemische Biologie aufmerksam. Später durfte sie kleine Ehrungen im Frauenstimmrechtsverein und in der Berner Chemischen Gesellschaft entgegennehmen.[4]

Die Freude, eine Strasse nach ihr benannt zu sehen, erlebte sie nicht mehr. Erst Ende 1981 wurde auf Anregung der frauenpolitisch engagierten Zahnärztin Hedy Hug-Rüegger und dank Vermittlung der damaligen Berner Baudirektorin Ruth Geiser-Im Obersteg ein Teil der Bühlstrasse in Gertrud-Woker-Strasse umbenannt.[10] Auch in Düsseldorf ist eine Strasse nach ihr benannt.
Als 88-Jährige brachten Freunde Gertrud Woker in die Psychiatrische Klinik Préfargier in Marin am Neuenburgersee, wo sie ihre letzten zwei Lebensjahre verbrachte und am 13. September 1968 verstarb.
2021 wurde ein ihr gewidmeter Dokumentarfilm veröffentlicht: Die Pazifistin – Gertrud Woker: Eine vergessene Heldin.[11][12] Der Film begibt sich auf eine Spurensuche und erzählt in animierten Collagen. Die Historikerin Franziska Rogger gibt Auskunft.
Zitate
„Innerhalb weniger Jahre hat eine junge Schweizerin, Fräulein Gertrud Woker, an der Universität in Bern, folgende Examina bestanden: Abiturienten-, Sekundarlehrer-, Doktor- und Gymnasiallehrerexamen.“
„Die Universität Bern hat mit dem beginnenden Sommersemester ihren zweiten weiblichen Dozenten erhalten, nachdem vor etwa 7 Jahren die Russin Fräulein Dr. Tumarkin (inzwischen schon zur Professorin ernannt) einen kühnen Anfang gemacht mit ihren auch von dem stärkeren Geschlecht gern besuchten Vorlesungen philosophischen, speziell ethischen und ästhetischen Inhalts. Die neue, noch sehr junge Privatdozentin Fräulein Dr. Gertrud Woker beendete vor mehreren Jahren ihre chemischen Studien in Bern und wird nun ihre neue Karriere eröffnen mit der Antrittsvorlesung über das Thema: „Probleme der katalytischen Forschung“. Sie ist die Tochter des bekannten Geschichtsprofessors Philipp Woker, der selbst noch in jugendlicher Rüstigkeit seinem Berufe obliegt, und Bern erlebt also den gewiß seltenen Fall, Vater und Tochter nebeneinander an seiner Alma Mater als Lehrer wirken zu sehen.“
Schriften (Auswahl)
- Skizzen (Gedichte). Bern: Sturzenegger 1902. Digitalisat der Schweizerischen Nationalbibliothek (PDF, 833 kB)
- Synthese des 3,4 Dioxyflavons. Diss. Bern 1903
- Probleme der katalytischen Forschung. Antrittsvorlesung, 1907
- Die Katalyse. Die Rolle der Katalyse in der analytischen Chemie, in 4 Bänden, 1910–1931. (Teilbände 11/12, 21/22, 23/24 und 27/28 der 51-bändigen Serie Die Chemische Analyse. Sammlung von Einzeldarstellungen auf dem Gebiete der chemischen, technisch-chemischen und physikalisch-chemischen Analyse, Enke, Stuttgart, 1907–1962)
- Band 1: Allgemeiner Teil, iv, 646 Seiten, 1910
- Band 2: Anorganische Katalysatoren, xxii, 790 Seiten, 13 Abbildungen (Teil 2, Spezieller Teil. Abteilung 1), 1916
- Band 3: Biologische Katalysatoren, Hälfte 1: Hydrolysierende Fermente, xvi, 583 Seiten, 4 Abbildungen (Teil 2, Spezieller Teil. Abteilung 2), 1924
- Band 4: Biologische Katalysatoren, Hälfte 2: Atmungsfermente, xix, 592 Seiten, 2 Abbildungen (Teil 2, Spezieller Teil. Abteilung 2), 1931
- Über Giftgase (Vortrag, gehalten beim Kongress der I.F.F.F. in Washington), Mai 1924
- Wissenschaft und wissenschaftlicher Krieg. Zürich: Schweizerische Zentralstelle für Friedensarbeit, [1925]; zuerst in: Neue Wege 18/1924, S. 355–266 und S. 404–420 (Digitalisat Teil 1, Teil 2 bei E-Periodica)
- Der kommende Giftgaskrieg. Stuttgart: Glaser u. Sulz, 1925; 5. Auflage: E. Oldenburg, Leipzig, 1927. (Digitalisat der Deutschen Nationalbibliothek)
- Der Gaskrieg. In: Das Tage-Buch 9. Jg. 1928, Heft 26 vom 30. Juni 1928, S. 1075–1081. (Digitalisat bei ÖNB-ANNO)
- Selbstbiografie in: Führende Frauen Europas. In sechzehn Selbstschilderungen, hrsg. von Elga Kern, München : E. Reinhardt, 1928, S. 138–169
- Giftgas und Tiere. Zürich: Zentralstelle für Friedensarbeit. 1928 (7S); auch als: Hidigeigeis Ende. Eine kleine Erzählung zum Nachdenken für Katzenfreunde, Schweizerischer Frauenkalender, Zürich 1929
- Gas!. In: Das Tage-Buch 10. Jg. 1929, Heft 1 vom 5. Januar 1929, S. 13–16. (Digitalisat bei ÖNB-ANNO)
- Der kommende Gift- und Brandkrieg und seine Auswirkungen gegenüber der Zivilbevölkerung. [Vorwort 1925, Vorwort z. 6. Aufl. 1932.] Leipzig: Ernst Oldenburg Verlag, 1932
- Bericht über biologischen Krieg. (11. Internationaler Kongress der IFFF, Kopenhagen, 15.–19. August 1949), Genf, 1949
- Massenvernichtungs-Waffen. o .O., 1952
- Die Chemie der natürlichen Alkaloide. Enke, Stuttgart (Teil 1 1953, Teil 2 1956), 732 Seiten
- Die Gefährdung der Bevölkerung durch Atomexplosionsversuche In: Neue Wege 48/1954, S. 310–316 (Digitalisat bei E-Periodica)
- An die Ewiggestrigen. Zürich (Genossenschaftsdruck), um 1957; zuerst in: Neue Wege 51/1957, S. 41–47 und S. 75–81 (Digitalisat Teil 1, Teil 2 bei E-Periodica)
- Atomic Energy and alternative sources of power. Genf: Women’s International League for Peace and Freedom, 1957
- Sind Reaktoren eine Volksgefahr? In: Neue Wege 51/1957, S. 205–212 (Digitalisat bei E-Periodica)
- Atomaufrüstung auch in der Schweiz? Zürich: Pazifistische Bücherstube, 1958; zuerst in: Neue Wege 52/1958, S. 206–211 (Digitalisat bei E-Periodica)
- Die 2. Konferenz der Vereinten Nationen zur Anwendung der Atomenergie zu friedlichen Zwecken. In: Neue Wege 52/1958, S. 279–286 (Digitalisat bei E-Periodica)
- Kampfgaspropaganda am laufenden Band. In: Neue Wege 55/1961, S. 96–98 (Digitalisat bei E-Periodica)
- Rettet die Menschheit! Ansprache an dem am 6. Mai 1962 im „Hirschen“ in Lörrach stattgefundenen Deutsch-Französisch-Schweizerischen Friedenstreffen. In: Neue Wege 56/1962, S. 207–210 (Digitalisat bei E-Periodica)
- Wie steht es mit der Achtung vor dem menschlichen Leben? 1963; zuerst in: Neue Wege 56/1962, S. 8–11 (Digitalisat bei E-Periodica)
Literatur
- Lexikon der Frau. 2 Bände. Encyclios, Zürich 1953/1954, Bd. 2, Sp. 1653 f.
- Schaltegger, H.: Gertrud Woker 1878-1968 (Nachruf). In: Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft., Bd. 149/1 (1969), S. 300–302 (Digitalisat)
- Majken Larsen: „Der Kampf der Frauen gegen die Hölle von Gift und Feuer“. Die IFFF, Gertrud Woker und die Giftgasdiskussion in der Schweiz der Zwischenkriegszeit. Lizentiatsarbeit, Universität Zürich, 1995.
- Gerit von Leitner: Wollen wir unsere Hände in Unschuld waschen? Gertrud Woker (1878–1968), Chemikerin & Internationale Frauenliga 1915–1968. Weidler, Berlin 1998.
- Rogger Franziska: Gertrud Woker, in: Der Doktorhut im Besenschrank – das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen – am Beispiel der Universität Bern, Bern 1999, ISBN 3-905561-32-8, S. 178–198.
- Schweizerischer Verband für Frauenrechte (Hrsg.): Der Kampf um gleiche Rechte – Le combat pour les droits égaux. Schwabe, Basel 2009.
- Woker, Gertrud, in: Gudrun Wedel: Autobiographien von Frauen: Ein Lexikon. Böhlau, Köln 2010, ISBN 978-3-412-20585-0, S. 944 (Google Books).
- Bettina Vincenz: Biederfrauen oder Vorkämpferinnen? Der Schweizerische Verband der Akademikerinnen (SVA) in der Zwischenkriegszeit. Baden 2011, ISBN 978-3-03919-198-7.
Film
- Fabian Chiquet: Die Pazifistin. Premiere während der 56. Solothurner Filmtage im Januar 2021.
Weblinks
- Regula Ludi: Gertrud Woker. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Publikationen von und über Gertrud Woker im Katalog Helveticat der Schweizerischen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Gertrud Woker im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Nachlass von Gertrud Woker in der Gosteli-Stiftung – Archiv zur Geschichte der schweizerischen Frauenbewegung
- Biographischer Hinweis auf Gertrud Woker
- Eine Wissenschaftlerin für den Frieden. Serie zu 40 Jahre Frauenstimmrecht: Die Berner Biochemikerin Gertrud Woker (1878–1968), in: Der Sonntag, Nr. 6 v. 13. Februar 2011, PDF
- Frauen der Geschichte - Das Berner Chemie-Genie Gertrud wollte die Welt vor Giftgas- und Atomkriegen retten In: Watson (Nachrichtenportal) vom 3. September 2021
Einzelnachweise
- ↑ In der Schweiz nannten sie sie «Gas-Trudi» – die beinahe vergessene Geschichte der Gertrud Woker In: Neue Zürcher Zeitung vom 9. September 2021
- ↑ a b c d e f g h i j k Gerit Leitner: Wollen wir unsere Hände in Unschuld waschen? Gertrud Woker (1878–1968), Chemikerin & Internationale Frauenliga 1915–1968. Berlin, Weidler, 1998. In: Schweizerische Nationalbibliothek.
- ↑ a b G. Woker: Aus meinem Leben. In: Schweizer Frauen der Tat. Zürich, Rascher & Cie., 1929, Band 3, Seiten 254–298.
- ↑ a b c d e f Franziska Rogger: Der Doktorhut im Besenschrank: das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen - am Beispiel der Universität Bern. 1. Auflage. eFeF-Verlag, Bern 1999, ISBN 3-905561-32-8.
- ↑ a b c d e f g Gerit Leitner: Gertrud Johanna Woker (1878–1968) ihr Weg als Biochemikerin, Friedensaktivistin und Streiterin für Frauenrechte. Bern, Hogrefe Verlag, 2022.
- ↑ Woker, Gertrud: Die Katalyse : Die Rolle der Katalyse in der analytischen Chemie. Stuttgart: F. Enke, 1910. Print.
- ↑ Gertrud Woker: Die Theorie der Benzidin-Oxydation in ihrer Bedeutung für Peroxydase-Untersuchungen. In: Berichte der deutschen chemischen Gesellschaft. Band 49, Nr. 2, 1916, ISSN 1099-0682, S. 2319–2337, doi:10.1002/cber.19160490291 (wiley.com [abgerufen am 30. August 2025]).
- ↑ Flavia von Gunten: Dieses Erlebnis hat sie fast zugrunde gerichtet. In: tagesanzeiger.ch. 28. August 2021, abgerufen am 30. August 2025.
- ↑ Richard Nordhausen: Der dumme Kerl und das Frauenstimmrecht, in: Der Tag, 8. Oktober 1907, S. 3.
- ↑ Franziska Rogger: Der Doktorhut im Besenschrank: das abenteuerliche Leben der ersten Studentinnen - am Beispiel der Universität Bern. 1. Auflage. eFeF-Verlag, Bern 1999, ISBN 3-905561-32-8.
- ↑ SWISS FILMS: Die Pazifistin – Gertrud Woker: Eine vergessene Heldin. Abgerufen am 30. Januar 2021.
- ↑ Fabian Chiquet: Die Pazifistin - Gertrud Woker - Eine vergessene Heldin. In: fabianchiquet.net. Abgerufen am 30. Januar 2021.
- ↑ Personalnachrichten. In: Neues Wiener Tagblatt. 17. Januar 1904, S. 30 (ANNO – AustriaN Newspapers Online [abgerufen am 5. Mai 2020]).
- ↑ Frau Hadwig: Weibliche Dozentin [sic!] In: Wiener Hausfrau. 16. Juni 1907, S. 11 (ANNO – AustriaN Newspapers Online [abgerufen am 5. Mai 2020]).