Gertrud Hermes
Gertrud Antonie Hermes (* 23. September 1872 in Berlin; † 26. Januar 1942 ebenda) war eine deutsche Pädagogin und Volkshochschulheimgründerin, die sich sowohl praktisch als auch theoretisch mit der Jugend-, Erwachsenen- und Arbeiterbildung beschäftigte.[1]
Leben
Gertrud Hermes wuchs als letztes von sieben Kindern des Oberkonsistorialrats (und späteren Präsidenten) im Evangelischen Oberkirchenrat, Ottomar Hermes, in einer preußischen Beamtenfamilie auf und begann 1890 eine Lehrerinnenausbildung. Ein Streik der Berliner Konfektionsarbeiterinnen 1896, der einen nachhaltigen Eindruck hinterließ, führte sie zur Beschäftigung mit Arbeiterbildungsfragen. Doch zunächst wurde sie Lehrerin an einer höheren Mädchenschule in Berlin (1900–1908). Nach einer schweren Krankheit trat sie 1909 in den Gewerkverein der Heimarbeiterinnen[2] von Berlin ein, in dem sie von 1909 bis 1912 die Leitung einer Zahlstelle übernahm. 1912–1914 folgte der Besuch volkswirtschaftlicher Seminare von Max Sering.
Zu dieser Zeit gelangte sie zu der Erkenntnis, dass eine Christliche Gewerkschaft nicht die angemessene Form des gesellschaftlichen Kampfes der Städtische Arbeiterschaft sein könne.[3]
1921 leitete Hermes den ersten Frauenkurs in Dreißigacker.[4] Die teilnehmerinnenorientierte Veranstaltung bot Unterricht in den Fächern Volkswirtschaft, Soziologie, Politik, Philosophie, Religion und Kunst.[5] 1922 wurde sie Fachreferentin in den Leipziger Bücherhallen. Kurz danach wurde sie Mitarbeiterin von Hermann Heller und damit eine wichtige Persönlichkeit der Leipziger Richtung.[6] Ab 1923 gründete sie mehrere Volkshochschulheime in Leipzig. Die sogenannte Schule der Arbeit hat dabei besondere Bedeutung, weil sie als eines der ersten Gebäude gilt, was extra für Zwecke der Erwachsenenbildung gebaut wurde[7] und hier mehrere Verbindungen zwischen Bauhaus und Erwachsenenbildung sichtbar werden.[8] Als Volkswirtschaftsdozentin wurde sie die erste Wanderlehrerin, angestellt von der Volkshochschule Thüringen.[9]
Befreundet war Hermes mit Adolf Reichwein und Gustav Radbruch. Teile des Briefwechsels finden sich im Nachlass von Gustav Radbruch an der Universität Heidelberg.[10]
1927 nahm sie an den Hohenrodter Gesprächen teil.[11]
Gertrud Hermes stand auf der Liste verbotener Autoren während der Zeit des Nationalsozialismus.
Schriften (Auswahl)
- Die geistige Gestalt des marxistischen Arbeiters und die Arbeiterbildungsfrage. Tübingen: J. C. B. Mohr (P. Siebeck) 1926
- Rote Fahne in Not. Jena 1929
Literatur
- Hohenrodter Bund: Tagungsberichte Band 1. 1923–1927. Stuttgart: Silberburg 1928
- Dorothea Flaig: Gertrud Hermes: Leben und Werk einer Erwachsenenbildnerin. Oldenburg: Bis 1998. ISBN 3-8142-0642-8
- Bettina Irina Reimers: Die neue Richtung der Erwachsenenbildung in Thüringen 1919 - 1933. - Essen: Klartext 2003. ISBN 3-89861-237-6
- Biographisches Lexikon des Sozialismus. Band I. Verlag J.H.W. Dietz Nachf. GMBH Hannover, S. 124 f.
- Hermes, Gertrud, in: Gudrun Wedel: Autobiographien von Frauen. Ein Lexikon. Köln : Böhlau 2010, S. 332 f.
- Ute Richter / Radek Krolczyk, „Die Wirklichkeit, die zum Gedanken drängt…“. Gertrud Hermes und die Schule der Arbeit (1928-33). Leipzig: Trottoir Noir Verlag 2022.
- Ute Richter, Prototyp 1928–33. Material zu einem vergessenen Gebäude der Moderne für Arbeiterbildung in Leipzig. Berlin: Verbrecher Verlag 2025. ISBN 978-3-95732-617-1
- Bernd Käpplinger: Häuser der Erwachsenenbildung für proletarische Pädagogik im Leipzig der 1920er Jahre zwischen Massenerziehung und Arbeitsgemeinschaften. In: Engelmann, Christina, Haberkorn, Tobias, Miethe, Ingrid (Hrsg.): Proletarische Pädagogik. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2025, ISBN 978-3-7815-6162-5, S. 290–305.
Weblinks
- Info über eine Archivpublikation der Uni Oldenburg (Wolfgang Schulenberg-Institut für Bildungsforschung und Erwachsenenbildung). Abgerufen am 25. März 2023.
- Ute Richter: Künstlerisches Forschungsprojekt Schule der Arbeit, Modellprojekt der Arbeiterbildung in Leipzig, 1928–1933. Abgerufen am 3. Dezember 2022.
- Eva Gaeding: Künstlerin Ute Richter erinnert an Pionierin der Arbeiterbildung. MDR Kulturdesk, 10. Mai 2025. Abruf am 17. Mai 2025.
Einzelnachweise und Anmerkungen
- ↑ Ute Richter: Hermes, Gertrud – Leipziger Frauenporträts. In: Stadt Leipzig, Abteilung Jugend, Familie und Soziales. Abruf am 17. Mai 2025.
- ↑ Gegründet 1900. 1902 Eintritt in den Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften als die einzige reine Frauenorganisation neben der der Hausangestellten. Vgl. Margarete Wolff, „Gewerkverein der Arbeiterinnen“ (PDF), S. 711 f.
- ↑ Flaig 1998, S. 32 f.
- ↑ Vgl. Eduard Weitsch
- ↑ Reimers 2003, S. 96.
- ↑ Flaig 1998, S. 14.
- ↑ Bernd Käpplinger: Häuser der Erwachsenenbildung für proletarische Pädagogik im Leipzig der 1920er Jahre zwischen Massenerziehung und Arbeitsgemeinschaften. In: Engelmann, Christina, Haberkorn, Tobias, Miethe, Ingrid (Hrsg.): Proletarische Pädagogik. Verhältnisbestimmungen, historische Experimente und Kontroversen sozialistischer Bildungskonzepte. Verlag Julius Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2025, ISBN 978-3-7815-6162-5, S. 290–305.
- ↑ Anke Grotlüschen, Anette Richter-Boisen: Bauhaus und Erwachsenenbildung. Progressive Architektur im Verhältnis zu Reformpädagogik und Arbeiter:innen-Bewegung. Barbara Budrich, Opladen 2022, ISBN 978-3-8474-1933-4.
- ↑ Reimers 2003, S. 264.
- ↑ Universität Heidelberg: Findbuch Nachlass Gustav Radbruch. Abgerufen am 25. April 2025.
- ↑ Hohenrodter Bund: Tagungsberichte Band 1. 1923–1927.