Gertraud Klemm

Gertraud Klemm, 2022

Gertraud Klemm (* 6. Juli 1971 in Wien) ist eine österreichische Schriftstellerin.

Leben

Aufgewachsen ist Klemm in Baden bei Wien. Sie absolvierte ein Studium der Biologie an der Universität Wien, arbeitete dann bis 2005 als Beamtin für die Trinkwasserkontrolle[1] bei der Stadt Wien, bevor sie sich 2006 dem Schriftstellerberuf zuwandte. Sie verdient ihren Lebensunterhalt seither als Autorin und als Anbieterin von Unterricht in kreativem Schreiben.[2]

Bereits 2006 erschien ihr erstes Buch Höhlenfrauen mit zwölf Kurzgeschichten im Wiener Mille Tre Verlag.[3] In ihrem 2010 bei Arovell erschienenen dokumentarischen Essay Mutter auf Papier setzt sie sich mit den emotionalen und bürokratischen Herausforderungen einer Adoption auseinander. Ihre Kinder sind adoptiert.[4][5] Sie erhielt 2010 den Literaturpreis der Akademie Graz sowie 2011 den Lise-Meitner-Literaturpreis für ihre Erzählung Wasserweib.

2014 erschien im Grazer Literaturverlag Droschl ihr erster Roman Herzmilch. Er erzählt aus dem Leben einer Frau, die sich nicht mit den ihr zugedachten Rollen zufriedengeben will. Mit der geschälte tag. ein Dialog kam im gleichen Jahr ein experimentelles Buch heraus, in dem ihre Tagebuchtexte in Wechselwirkung treten mit zeitgleich entstandenen Bildwerken von Uta Heinecke.

Klemm bekam 2014 ein Wiener Literaturstipendium sowie ein Projektstipendium des Ministeriums für Kunst und Kultur. Außerdem erhielt sie im gleichen Jahr den Literaturpreis Irseer Pegasus. Auf Einladung von Hubert Winkels nahm sie am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb 2014 teil. Für ihren Text Ujjayi, einem Kapitel aus dem damals noch nicht erschienenen zweiten Roman, setzte sie sich beim mit 7000 Euro dotierten BKS-Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Preis durch. Die deutliche Mehrheit der Internetleser stimmte für sie. Man lobte ihre „erfrischende, direkte Sprache“, den temperamentvollen, eigenständigen Schreibstil.[6]

Anfang 2015 kam der entsprechende Roman Aberland bei Droschl heraus. Bei einer akademisch gebildeten zeitgenössischen Frau, die manche Züge mit der Autorin gemeinsam hat, ergeben sich aus ihrer Mutterschaft ähnliche soziale Nachteile wie bei ihrer Mutter,[7] die mit ihrer Hausfrauenrolle ebenfalls nicht allzu glücklich wurde. Im direkten, durchaus konflikthaften Generationenvergleich schildert die Autorin eindringlich das feministische Dilemma ihrer Protagonistinnen.[8][9] Aberland wurde 2015 für „Books at Berlinale“ ausgewählt und stand auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2015,[10] die Autorin war 2015 Stadtschreiberin von Klagenfurt.[11] Gertraud Klemms Werk rückt die feministische Analyse der zeitgenössischen bürgerlichen Frauenrolle ins Zentrum ihrer Erzählungen.

Im Frühjahr 2016 erschien ihr Roman Muttergehäuse bei Kremayr & Scheriau. Der Roman handelt vom unerfüllten Kinderwunsch einer Frau und ihrem Kampf mit gesellschaftlichen Muttermythen. Nach körperlichem Versagen entscheidet sie sich für die Adoption eines afrikanischen Kindes, was bürokratische Hürden und soziale Ablehnung mit sich bringt. Der Roman kritisiert gesellschaftliche Normen und plädiert für alternative Lebensentwürfe.[12][13]

Im Literaturverlag Droschl wurde Gertraud Klemms folgender Roman Erbsenzählen im August 2017 veröffentlicht. Erbsenzählen erzählt von einer knapp 30-jährigen Frau, die nach Alternativen für traditionelle Lebensentwürfe sucht. Der Roman beleuchtet ihre Beziehung zu einem wesentlich älteren Mann und setzt sich humorvoll, satirisch und feministisch mit weiblichen Lebensentwürfen und gesellschaftlichen Erwartungen auseinander.[14][15]

Mit dem Roman Hippocampus erschien im August 2019 Gertraud Klemms sechstes Buch, wieder im Verlag Kremayr & Scheriau. In Hippocampus wird die Aufarbeitung des Nachlasses einer verstorbenen feministischen Autorin durch eine befreundete Künstlerin thematisiert. Die Protagonistin entdeckt dabei geschlechtsspezifische Benachteiligungen im Kulturbetrieb. Ihre folgenden „Hippocampus“-Guerilla-Aktionen sind eine Reaktion auf diese Missstände und zielen auf eine kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Strukturen ab.[16][17][18]

Gertraud Klemms Roman Einzeller erschien im März 2023 wieder bei Kremayr & Scheriau. Der Roman befasst sich mit dem zeitgenössischen Feminismus. Im Zentrum steht eine Frauen-Wohngemeinschaft, deren Bewohnerinnen in einem öffentlichen Format unterschiedliche feministische Positionen diskutieren. Dies veranschaulicht die internen Divergenzen innerhalb der feministischen Bewegung. Das Werk thematisiert die Herausforderungen der Frauensolidarität und kritisiert die Fragmentierung feministischer Diskurse. Er impliziert, dass eine Überwindung dieser Fragmentierung für die Realisierung von Geschlechtergerechtigkeit notwendig ist.[19][20][21]

Im Mai 2025 wurden anlässlich des geplanten Erscheinens von Beiträgen Klemms in zwei feministischen Sammelbänden frühere Texte von ihr kritisiert. Der Verlag Leykam zog Klemms Beitrag daraufhin zurück, während Haymon an der Veröffentlichung festhielt. Dies hatte weitere Diskussionen in sozialen Medien und darauf aufbauend eine breite mediale Berichterstattung zur Folge.[22][23][24]

Ende Juli 2025 erschien im Verlag Matthes & Seitz Berlin Gertraud Klemms Essay Abschied vom Phallozän; Eine Streitschrift. In diesem Buch nimmt die Autorin matriarchale Gesellschaften aus Vergangenheit und Gegenwart zum Vorbild für ihre Ankündigung des Abschieds vom Phallozän und macht sich Gedanken über matriarchale Inspiration, patriarchale Dekonstruktion und die Notwendigkeit der kolonialen Schubumkehr.[25]

Gertraud Klemm lebt mit ihrer Familie in Pfaffstätten, Niederösterreich.

Veröffentlichungen

Auszeichnungen

Commons: Gertraud Klemm – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Belege

  1. bücher de IT and Production: Hippocampus. Abgerufen am 14. April 2020.
  2. Autorenprofil von G. Klemm bei der Literaturedition Niederösterreich (Memento vom 18. Mai 2015 im Internet Archive), abgerufen am 10. Mai 2015.
  3. Mille Tre Verlag Robert Schächter, Verlag für Wissenschaft und Kultur, Wien (Memento vom 18. Mai 2015 im Internet Archive)
  4. Video-Interview, TAZ Studio, Leipzig, 15. März 2015, abgerufen am 10. Mai 2015.
  5. Gertraud Klemm: Wäre es mit leiblichen Kindern anders?, Der Standard vom 30. November 2014
  6. Mit klarem Abstand stimmten die Internetleser für Gertraud Klemms Text "Ujjayi", Bachmannpreis: Preisträger 2014
  7. Gefangen im Muttiversum, Rezension zu Aberland im Deutschlandfunk vom 6. Mai 2015.
  8. Roman "Aberland": Mama Drama und die Kinder, Rezension von Carola Ebeling in Die Zeit vom 5. März 2015, abgerufen am 10. Mai 2015.
  9. Mia Eidlhuber: "Aberland": Das ewige Sich-Vergleichen. In: derstandard.at. DerStandard, 4. September 2015, abgerufen am 18. Juni 2025 (österreichisches Deutsch).
  10. http://www.deutscher-buchpreis.de/nominiert/ - abgerufen am 2. September 2015
  11. Gertraud Klemms neuer Roman „Aberland“ für „Books at Berlinale“ ausgewählt // Gertraud Klemm wird neue Klagenfurter Stadtschreiberin (Memento vom 3. Juli 2015 im Internet Archive)
  12. Muttergehäuse. In: oe1.orf.at. Ö1, 8. April 2017, abgerufen am 18. Juni 2025.
  13. Liliane Studer: Wenn die Natur nicht mitspielt - Gertraud Klemm durchleuchtet in „Muttergehäuse“ Kinderwunsch und Adoptionshürden : literaturkritik.de. In: literaturkritik.de. 2016, abgerufen am 18. Juni 2025 (deutsch).
  14. Mia Eidlhuber: Gertraud Klemms "Erbsenzählen": Junge Frau und alter Mann. In: derstandard.at. DerStandard, 6. Dezember 2017, abgerufen am 18. Juni 2025 (österreichisches Deutsch).
  15. Julia Schröder: Gertraud Klemms Roman "Erbsenzählen" - Lustvoll misanthropische Tiraden. In: deutschlandfunk.de. Deutschlandfunk, 24. August 2017, abgerufen am 18. Juni 2025.
  16. Mia Eidlhuber: Gertraud Klemm: Feministischer Roadtrip. In: derstandard.at. DerStandard, 15. November 2019, abgerufen am 18. Juni 2025 (österreichisches Deutsch).
  17. Anna Katharina Laggner: Ein ungleiches Paar auf Rachefeldzug: "Hippocampus" von Gertraud Klemm. In: fm4.orf.at. FM4, 22. August 2019, abgerufen am 18. Juni 2025.
  18. Katrin Hillgruber: „Hippocampus“ von Gertraud Klemm: Die Rache des Seepferdchens. In: tagesspiegel.de (Hrsg.): Der Tagesspiegel Online. 8. März 2020, ISSN 1865-2263 (tagesspiegel.de [abgerufen am 18. Juni 2025]).
  19. Katharina Teutsch: Gertraud Klemms Gesellschaftsroman „Einzeller“. In: faz.net. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 5. Juli 2023, abgerufen am 18. Juni 2025.
  20. APA: Big Sista: Gertraud Klemms neuer Roman "Einzeller". In: sn.at. Salzburger Nachrichten, 6. März 2023, abgerufen am 18. Juni 2025.
  21. Mia Eidlhuber: Gertraud Klemms "Einzeller" über die Frage, welcher Feminismus recht hat. In: derstandard.at. DerStandard, 4. April 2023, abgerufen am 18. Juni 2025 (österreichisches Deutsch).
  22. Anne-Catherine Simon: Aufruhr in Österreichs Literaturszene: Leykam „cancelt“ feministische Autorin Gertraud Klemm. In: Die Presse. 7. Juni 2025, abgerufen am 16. Juni 2025.
  23. Michael Wurmitzer: Leykam-Verlag wirft Autorin Klemm wegen Aussagen zum Wort „Frau“ aus Buch. In: Der Standard. 7. Juni 2025, abgerufen am 16. Juni 2025.
  24. Angela Lehner: Es darf nicht nur einen Feminismus geben! In: Zeit Online. 8. Juni 2025, abgerufen am 16. Juni 2025.
  25. webdecker- www.webdecker.de: Abschied vom Phallozän. Abgerufen am 18. Juni 2025.
  26. Buchdeskription des Verlags (Memento vom 18. Mai 2015 im Internet Archive)
  27. Outstanding Artist Award für Literatur 2020. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 29. September 2020; abgerufen am 3. April 2020.
  28. Ernst Toller - Ernst Toller Gesellschaft e. V. Abgerufen am 21. Juni 2021 (deutsch).
  29. Gertraud Klemm erhält Anton-Wildgans-Preis 2022. In: ORF.at. 14. April 2022, abgerufen am 14. April 2022.