Georges Kiejman

Georges Kiejman, 2011

Georges Kiejman (geboren am 12. August 1932 als Georges Kiejzman in Paris; gestorben am 9. Mai 2023 ebenda) war ein französischer Rechtsanwalt und Anfang der 1990er Jahre dreimal in Folge beigeordneter Minister französischer Regierungen.

Leben

Kindheit und Jugend

Georges Kiejmans Eltern waren jüdisch-polnischer Herkunft.[1] Im Jahr 1931 emigrierten sie mit ihren zwei damals zehn bzw. zwölf Jahre alten Töchtern aus Polen nach Frankreich und ließen sich in Paris nieder. Im darauffolgenden Jahr, 1932, wurde Georges Kiejman geboren. Nachdem seine Eltern sich getrennt hatten, wuchs er bei seiner Mutter – einer Frau, der, wie er berichtet, „jegliche Bildung vorenthalten worden war“ – in einer kleinen Wohnung im Stadtteil Belleville auf. Mit Beginn der deutschen Besetzung Frankreichs im Jahr 1940 zogen die Mutter, die beiden Schwestern und der inwischen achtjährige Georges in einen kleinen Ort im zentralfranzösischen Berry. Anfang des Jahres 1943 wurden die jüngere seiner zwei Schwestern und sein Vater verhaftet und ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert. Sein Vater, Alter Kiejzman, wurde unmittelbar nach Ankunft im Lager ermordet, seine Schwester, Liliane Kiejzman, überlebte die Zeit im Lager. Nach Ende des Krieges kehrte seine Mutter zunächst allein wieder zurück nach Paris; er selbst blieb noch für zwei Jahre als Internatsschüler an einem Collège im Berry, ehe auch er 1948 wieder nach Paris zu seiner Mutter zog, wo er am Lycée Voltaire den Schulabschluss, das Baccalauréat, bestand.

Tätigkeit als Anwalt

Nach Abschluss eines dreijährigen Jura-Studiums, einigen ersten Aushilfstätigkeiten für etablierte Anwaltsbüros und anschließend der Ableistung seines Militärdienstes konnte Georges Kiejman im Jahr 1959 mit einem Kollegen, der als Anwalt für die kommunistische Partei (PCF) tätig war, seine erste eigene Kanzlei eröffnen.

Seine Tätigkeitsfelder als Anwalt waren breit gefächert: Von der mehr als dreißig Jahre währenden Rechtsberatung für das Verlagshaus Gallimard über einige der meistbeachteten Straf- und Zivilprozesse Frankreichs in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts (s. Abschnitt Einige bekannte Justizfälle) bis zur Mitwirkung in staatlichen Kommissionen an Justizreformen.

In der Kanzlei Kiejman-Marembert war er bis ins hohe Alter aktiv.

Politisches Wirken

Mit zwei französischen Politikern verband Leclerc intensive persönliche Beziehungen. Den früheren Ministerpräsidenten und Außenminister Frankreichs Pierre Mendès France – Leclerc nannte ihn „die moralische Verkörperung der Linken“ („la figure morale de la gauche“) – unterstütze er bei dessen Wahlkämpfen der Jahre 1967 und 1968 für die Assemblée nationale. Er sah in PMF sowohl eine Vaterfigur als auch ein Vorbild („à la fois une figure paternelle et un modèle“).

1981 untersützte Kiejman mit ein paar Zeitungsbeiträgen die Präsidentschaftskandidatur von François Mitterrand.[2] Zwischen dem französischen Staatspräsidenten der Jahre 1981 bis 1995 und dem Anwalt entwickelte sich ein großes Vertrauen, so dass manche in Kiejman einen Höfling des Élysée-Palasts sahen und ihm „courtisanerie“ vorgeworfen wurde.

Neben diesen informellen Beziehungen war Georges Kiejman auch selbst als Politiker aktiv. Er gehörte drei französischen Regierungen als beigeordneter Minister („ministre délégué“) an:

  • von Oktober 1990 bis Mai 1991 unter Premierminister Michel Rocard als beigeordneter Minister für Justiz,
  • von Mai 1991 bis April 1992 unter Premierministerin Édith Cresson als beigeordneter Minister für Kommunikation,
  • von April 1992 bis März 1993 unter Premierminister Pierre Bérégovoy als beigeordneter Minister für auswärtige Angelegenheiten.[3]

Bereits 1981 war er in die Kommission zur Überarbeitung des Strafgesetzbuches („commission de révision du code pénal“) berufen worden, deren Präsident Robert Badinter war und die die Grundlagen des heutigen französischen Straftrechts erarbeitete.[4]

Privatleben

Georges Kiejman war dreimal verheiratet – zuerst mit der Journalistin Claude Schwab, von 1973 bis 1979 mit der Schauspielerin Marie-France Pisier, seit 1983 für mehr als zwanzig Jahre mit Laure de Broglie (als Journalistin für France 3 und TF1 tätig unter dem Namen Laure Debreuil).[5]

Kiejman war ein Cousin des Jazz-Pianisten René Urtreger.

Tod

Georges Kiejman starb am 9. Mai 2023 an den Folgen eines Herzinfarkts.[6] Sein Grab befindet sich auf dem Cimetière du Montparnasse.

Einige bekannte Justizfälle

1976 war Georges Kiejman Strafverteidiger von Pierre Goldman, angeklagt des Raubes und der Ermordung von zwei Apothekerinnen. Der Cour de cassation hatte zuvor das Urteil aus dem ersten 1974er Prozess gegen Goldman aufgehoben, das auf lebenslange Haft lautete. In dem zweiten 1976er Prozess wurde Goldman des mehrfachen Raubes schuldig gesprochen, von der Anklage des Mordes aber freigesprochen. Die Haftzeit wurde auf zwölf Jahre festgesetzt.

Im Prozess gegen die Entführer des belgischen Unternehmers Édouard-Jean Empain verteidigte Kiejman im Dezember 1982 ein Mitglied der Bande, Alain Caillol, der zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde.[7][8]

1987 stand in Paris der libanesische Attentäter Georges Ibrahim Abdallah vor Gericht, dem Beihilfe zu zwei Morden und ein Mordversuch vorgeworfen wurden – zur Ermordung des amerikanischen Militärattachés Charles R. Ray 1982 in Paris und des israelischen Diplomaten Yacov Barsimantov 1982 in Boulogne-Billancourt sowie die versuchte Ermordung des amerikanischen Konsuls Robert O. Homme 1984 in Straßburg. Strafverteidiger Abdallahs war der ebenfalls namhafte französische Anwalt Jacques Vergès, während Kiejman drei Nebenkläger-Parteien vertrat – die Witwe von Charles R. Ray, das US-amerikanische Konsulat in Straßburg und die Regierung der USA. Abdallah wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, aus der er Ende Juli 2025 entlassen wurde.[9]

Ende 1986 fanden in Paris und anderen französischen Städten Studentenproteste gegen ein geplantes Hochschulgesetz statt. Nach Ende einer Demonstration im Pariser Quartier Latin wurde in der Nacht vom 5. auf den 6. Dezember 1986 der 22-jährige Student Malik Oussekine, der an den Protesten vollkommen unbeteiligt war, sondern sich auf dem Heimweg nach einem Besuch in einem Jazzclub befand, Opfer polizeilicher Gewalt.[10] Er wurde dabei so stark am Kopf verletzt, dass er wenige Stunden später im Krankenhaus starb. Unmittelbar nach seinem Tod wandte sich die Familie Oussekines an Kiejman mit der Bitte, in ihrem Namen Klage einzureichen, und Kiejman war auch im Prozess zu dem Fall Anwalt der Familie. Zwei der drei beteiligten Polizisten wurden 1990 zu Freiheitsstrafen von fünf bzw. zwei Jahren auf Bewährung verurteilt – ein Urteil, das von mancher Seite als zu milde angesehen wurde.[11]

Im März 2004 kam es im litauischen Vilnius zum Prozess gegen Bertrand Cantat, an dem Kiejman als Anwalt der Nebenkläger („partie civile“), der Familie Trintignant, teilnahm. Cantat hatte dort in der Nacht zum 27. Juli 2003 in einem Eifersuchtsstreit seine Partnerin Marie Trintignant so heftig niedergeschlagen, dass sie wenige Tage später an den Folgen ihrer Verletzungen starb. Er wurde wegen Totschlags und unterlassener Hilfeleistung zu acht Jahren Haft verurteilt.

Im Februar 2006 veröffentlichte das französische Satireblatt Charlie Hebdo die zwölf sogenannten Mohammed-Karikaturen, die zuvor in einer dänischen Zeitung erschienen waren, sowie einige eigene. Daraufhin reichten die Union des organisations islamiques de France und die Große Pariser Moschee Klage gegen den Chefredakteur Philippe Val ein wegen „öffentlicher Beleidigung einer Personengruppe aufgrund ihrer Religion“ („injure publique à l'égard d'un groupe de personnes à raison de leur religion“).[12] Im Prozess um die Klage, der Anfang 2007 stattfand und in dem Kiejmann und der Anwalt Richard Malka als Verteidiger aufraten, wurde Val freigesprochen.[13]

In der Bettencourt-Affäre der Jahre 2008 bis 2010, in der es sowohl um einen Vermögens- und Erbschaftsstreit zwischen Françoise Bettencourt-Meyers und ihrer Mutter, der L’Oréal-Erbin Liliane Bettencourt, bzw. deren Vertrauten François-Marie Banier als auch um Steuerhinterziehung und illegale Parteienfinanzierung ging, war Kiejman von Liliane Bettencourt als Anwalt engagiert worden. Nachdem sich im Vermögens- und Erbschaftsstreit die L’Oréal-Erbin und die Anwälte der Gegenseite auf eine Beilegung des Konfliktes verständigt hatten, ohne Kiejman einzubeziehen („un accord conclu derrière mon dos“), legte er sein Mandat nieder.

Ehrungen

Im Jahr 2014 wurde Georges Kiejman zum „Grand Officier de la Légion d’Honneur“ (Ehrenlegion) ernannt.[14]

Literatur

  • Georges Kiejman, Vanessa Schneider: L’homme qui voulait être aimé. Grasset, Paris 2021, ISBN 978-2-246-82858-7.

Film

Georges Kiejman wirkte in einigen Spielfilmen als Nebendarsteller mit, so z. B. in Benoît Jacquots L’assassin musicien (1975). In anderen Spielfilmen, die reale Justizfälle zum Inhalt hatten, wurde er von Schauspielern dargestellt, so z. B. in der von Disney+ produzierten Miniserie Oussekine (2022) von Kad Merad und in Cédric Kahns Der Fall Goldman (2023) von Arthur Harari.

Für den Sender France 5 schrieb Kiejman die Kommentare, die er auch selbst als Erzähler vortrug, für die drei Dokumentarfilme der Serie Les grands procès de l’Histoire: L’affaire Caillaux, L’affaire Kravchenko und Le procès Pétain.[15]

Commons: Georges Kiejman – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Die biographischen Angaben sowie alle wörtlichen Zitate in den Abschnitten „Leben“ und „Einige bekannte Justizfälle“ folgen, wenn nicht im Einzelfall anders nachgewiesen, Georges Kiejmans von Vanessa Schneider aufgezeichneten Erinnerungen L’homme qui voulait être aimé (s. Literatur).
  2. So z. B. Georges Kiejman: Maintenant. In: Le Monde. 6. Mai 1981, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  3. Gazette du Palais: Disparition de l’avocat et ancien ministre Georges Kiejman (französisch; abgerufen am 5. September 2025).
  4. Ordre des avocats de Paris: Décès de notre confrère Georges Kiejman. In: avocatparis.org. 11. Mai 2023, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  5. Xavier Demagny: L'avocat et ancien ministre Georges Kiejman est mort. In: radiofrance.fr. 9. Mai 2023, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  6. Stéphane Durand-Souffland: Georges Kiejman, mort d'un avocat aux mille et une vies. In: Le Figaro. 10. Mai 2023, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  7. Michel Bole-Richard: À LA COUR D'ASSISES DE PARIS Le baron Empain sur la sellette. In: Le Monde. 6. Dezember 1982, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  8. Michel Bole-Richard: AUX ASSISES DE PARIS Les geôliers du baron Empain ont été condamnés à des peines sévères Les zones d'ombre d'un rapt crapuleux. In: Le Monde. 20. Dezember 1982, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  9. Stefan Brändle: Georges Abdallah kommt frei – keine Reue für propalästinensischen Terror. In: Frankfurter Rundschau. 28. Juli 2025, abgerufen am 5. September 2025.
  10. »Kapitulation auf freiem Feld«. In: Der Spiegel. 14. Dezember 1986, abgerufen am 5. September 2025.
  11. Milde Strafe für Totschläger in Uniform. In: Die Tageszeitung. 21. Januar 1990, abgerufen am 5. September 2025.
  12. Stéphanie Le Bars: La Grande Mosquée de Paris justifie son procès contre "Charlie Hebdo". In: Le Monde. 2. Februar 2007, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  13. Klage gegen französisches Satiremagazin abgewiesen. In: Der Spiegel. 22. März 2007, abgerufen am 5. September 2025 (französisch).
  14. Presseerklärung der Légion d’Honneur vom 20. April 2014 (französisch; abgerufen am 5. September 2025).
  15. Le procès Pétain bei film-documentaire.fr (französisch; abgerufen am 5. September 2025).