Georg Kinsky

Georg Ludwig Kinsky (* 29. September 1882 in Marienwerder, Westpreußen (heute Kwidzyn); † 7. April 1951 in Berlin) war ein deutscher Musikwissenschaftler.[1]

Leben

Familie

Als zweitgeborener Sohn von Max und Anna Kinsky, geb. Lippmann, wuchs Georg Kinsky mit fünf weiteren Brüdern in einer jüdischen Kaufmannsfamilie auf. Seine Kindheit verbrachte er in Marienwerder in Westpreußen. Er schloss mit der Primareife am dortigen Königlichen Gymnasium seine Schulausbildung ab und zog im April 1898 mit der Familie nach Berlin.

Georg Kinsky war zweimal verheiratet. Seine erste Ehefrau, die er am 19. Dezember 1923 in Köln heiratete, war Wilhelmine Kinsky, geb. Franken, verw. Winklers (* 1879; † 1946); sie brachte einen Sohn mit in die Ehe. Am 27. November 1947 heiratete der verwitwete Kinsky in Berlin Margarete Kinsky, geb. Weber (* 1895; gestorben nach 1982).[1]

Erste berufliche Orientierung in Berlin

Als die Familie 1898 nach Berlin übersiedelte, begann der 16-jährige Georg Kinsky im Musikalienhandel zu arbeiten und bildete sich über die Jahre im Bereich Musikwissenschaften in Antiquariaten und Bibliotheken autodidaktisch weiter.[2] 1908 arbeitete Kinsky für Albert Kopfermann als wissenschaftliche Hilfskraft an der Preußischen Staatsbibliothek in Berlin. Bereits ein Jahr später wurde Georg Kinsky nach Köln empfohlen, um dort im privaten Museum des Papierfabrikanten Wilhelm Heyer tätig zu werden.

Berufliche Erfolge in Köln

1909–1918

1909 ging Georg Kinsky für die wissenschaftliche Betreuung der umfangreichen Sammlung von Musikinstrumenten und Musiker-Autographen an das Musikhistorische Museum Wilhelm Heyer nach Köln. Noch bevor das Haus 1913 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, katalogisierte er den Sammlungsbestand, so dass schon 1910 der Katalog „Tasteninstrumente“ und 1912 der Katalog „Zupf- und Streichinstrumente“ Publikationen vorlagen. 1913 konnte Kinsky einen Kurzkatalog zum Gesamtbestand herausgeben und 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, erschien Band 4 zum Bestand „Musik-Autographen“. Bei insgesamt 2.600 Musikinstrumenten und 1.700 Musikautographen eine bemerkenswerte Arbeitsleistung.[3]

1919–1932

Georg Kinsky erwarb nach dem Ersten Weltkrieg die ihm fehlenden Schul- und Studienabschlüsse und konnte 1925 an der 1919 eröffneten Universität Köln mit der Arbeit „Doppelrohrblattinstrumente mit Windkapsel. Ein Beitrag zur Geschichte der Blasinstrumente im 16. und 17. Jahrhundert“ promoviert werden. Er erhielt 1921 einen Lehrauftrag für Notations- und Instrumentenkunde, Musikbibliographie und Editionstechnik an der Universität Köln und blieb weiterhin Kurator am Musikhistorischen Museum Wilhelm Heyer. Er war inzwischen ein anerkannter Spezialist für Musikinstrumente und ihre Geschichte, der eine Reihe wissenschaftlicher Artikel publizierte.

1924 begannen erste Verhandlungen der Erben Heyer mit der Stadt Köln, die zu einer Übernahme des Museums in die öffentliche Hand führen sollten, die jedoch 1926 scheiterten. Ein Scheitern, das für Kinsky letztlich berufliche Konsequenzen hatte. Die von Kinsky seit 1909 wissenschaftlich betreute Sammlung wurde an die Universität Leipzig verkauft und zum Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig; neuer Kurator der Sammlung wurde Helmut Schultz. Georg Kinsky wurde damit zum Oktober 1926 arbeitslos. Er blieb in Köln, doch auch dort blieb die erhoffte, feste Anstellung an der Universität aus; mit dem Sommersemester 1932 endete Kinskys Lehrtätigkeit an der Universität Köln – und dies, obwohl im gleichen Jahr ein Instrumentenmuseum für das Musikwissenschaftliche Institut eingerichtet wurde. Man berief für die wissenschaftliche Betreuung Theodor Kroyer aus Leipzig.[4]

Überleben

1933–1945

Nach Aufgabe der Lehrtätigkeit an der Universität Köln war Georg Kinsky als freischaffender Publizist und Vortragender tätig, u. a. bei der Westdeutschen Rundfunk AG in Köln.

Nach 1933 war Kinsky als Sohn eines jüdischen Kaufmanns Schikanen der Nationalsozialisten ausgesetzt. Er konnte trotzdem einige Jahre an seinem Verzeichnis der Werke Ludwig van Beethovens arbeiten, die später Grundlage des von Hans Halm vollendeten Verzeichnisses der Werke Beethovens darstellten. Durch seine „Mischehe“ war er zunächst geschützt. 1943 wurde Kinsky zu Zwangsarbeit in der Kölner Geliermittelfabrik Opekta verpflichtet. Als er im Februar 1944 zusammen mit seiner nicht-jüdischen Frau die Wohnung verlassen musste, verkaufte er u. a. seine umfangreiche Bibliothek. Im September 1944 erfolgte die Deportation der Kinskys in das Barackenlager Köln-Müngersdorf, in dem jüdische mit nicht-jüdischen Ehepartnern untergebracht wurden; er selbst wurde nach Thüringen verschleppt und musste unter Aufsicht der „Organisation Todt“ Straßenarbeiten verrichten. Ende Oktober 1944 wurde er aufgrund seines schlechten Gesundheitszustandes entlassen. Im Dezember 1944 siedelte das Paar nach Berlin, wo sie in einer Wohnlaube des Sohnes von Wilhelmine Kinsky versteckt überlebten.[2]

Die Jahre in Berlin-Mahlsdorf

Georg Kinsky blieb nach 1945 in Berlin-Mahlsdorf, das in der sowjetisch kontrollierten Besatzungszone lag. Der inzwischen 63-jährig und kranke Musikwissenschaftler nahm seine wissenschaftlichen Projekte wieder auf.

Als der Kölner Musikverleger Peter J. Tonger die Kinsky Bibliothek in der Bonner Buchhandlung Bouvier entdeckte und sie – in Abstimmung mit Kinsky – zum Preis von 35.000 Reichsmark erwarb, wollte er sie Kinsky zur Verfügung stellen[5], doch Georg Kinsky verzichtete.[6] Eine Rückkehr nach Köln war für ihn nicht vorstellbar. Die Bibliothek blieb im Eigentum des Verlegers und befindet sich heute in privatem Besitz.

Er lebte krank in ärmlichen Verhältnissen und starb 1951 im Jüdischen Krankenhaus in Berlin. 1977 erhielt die Universität Köln seinen Nachlass geschenkt, er befindet sich heute im Historischen Archiv der Universität (Zugang 984).

Veröffentlichungen (Auswahl)

  • Musikhistorisches Museum von Wilhelm Heyer in Cöln. Katalog. Erster Band: Besaitete Tasteninstrumente, Orgeln und orgelartige Instrumente, Friktionsinstrumente. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1910 (Digitalisat).
  • Musikhistorisches Museum von Wilhelm Heyer in Cöln. Katalog. Zweiter Band: Zupf- und Streichinstrumente. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1912 (Digitalisat).
  • Kleiner Katalog der Sammlung alter Musikinstrumente. Musikhistorisches Museum von Wilhelm Heyer in Cöln. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1913.
  • Musikhistorisches Museum von Wilhelm Heyer in Cöln. Katalog. Vierter Band: Musik-Autographen. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1916.
  • Doppelrohrblatt-Instrumente mit Windkapsel. Ein Beitrag zur Geschichte der Blasinstrumente im 16. und 17. Jahrhundert. In: Archiv für Musikwissenschaft. Band 7, 1925, S. 254–296 (Dissertation).
  • Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Karl Ernst Henrici, Berlin, Montag, den 6. und Dienstag, den 7. Dezember 1926 ... durch Karl Ernst Henrici & Leo Liepmannssohn, Antiquariat, Berlin, Berlin 1926 (Digitalisat).
  • Versteigerung von Musikbüchern praktischer Musik und Musiker-Autographen des 16. bis 18. Jahrhunderts aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln im Geschäftslokal der Firma Leo Liepmannssohn, Antiquariat, Berlin, Montag, 9. Mai und Dienstag, den 10. Mai 1927 (Digitalisat).
  • Versteigerung von Musiker-Autographen aus dem Nachlaß des Herrn Kommerzienrates Wilhelm Heyer in Köln. (Dritter Teil) … Donnerstag, den 29. September 1927 (Digitalisat).
  • (Hrsg.): Geschichte der Musik in Bildern. Breitkopf & Härtel, Leipzig / Griffel-Verlag, Leipzig 1929.
  • Beethoven-Erstdrucke bis zum Jahre 1800. In: Philobiblon, Jg. 3 (1930), Heft 8, S. 329–336.
  • Signierte Schubert-Erstdrucke. In: Philobiblon, Jg. 4 (1931), Heft 5, S. 183–188.
  • Lengfeld'sche Buchhandlung, Abteilung Antiquariat, Köln. Katalog 42. Autographen von geschichtlichen Persönlichkeiten, Dichtern, Schriftstellern, Forschern, bildenden Künstlern und Musikern. Zwei Sammlungen aus rheinischem Besitz. Versteigerung: Montag, den 21. November 1932. Beschreibendes Verzeichnis (Digitalisat).
  • Zeitgenössische Goethe-Vertonungen. In: Philobiblon, Jg. 5 (1932), Heft 3, S. 91–99; Heft 4, S. 131–137.
  • Die Handbibliothek des Musiksammlers. In: Philobiblon, Jg. 5 (1932), Heft 7, S. 253–258.
  • Musikbibliotheken. Ein Überblick über die wichtigsten öffentlichen und privaten Musiksammlungen. In: Philobiblon, Jg. 6 (1933), Heft 2, S. 55–67.
  • Die Urschriften Bachs und Händels. Ein Beitrag zum Gedenkjahr 1935. In: Philobiblon, Jg. 8 (1935), Heft 2, S. 109–122.
  • Berühmte Opern. Ihre Handschriften und Erstdrucke. In: Philobiblon, Jg. 8 (1935), Heft 8, S. 363–394.
  • Die Originalausgaben der Werke Johann Sebastian Bachs. Ein Beitrag zur Musikbibliographie. Reichner, Wien / Leipzig / Zürich 1937.
  • Manuskripte, Briefe, Dokumente von Scarlatti bis Stravinsky. Katalog der Musikautographen-Sammlung Louis Koch. Beschrieben und erläutert von Georg Kinsky [Hrsg.: Marc André Souchay]. Kreis, Stuttgart 1952.
  • Das Werk Beethovens. Thematisch-bibliographisches Verzeichnis seiner sämtlichen vollendeten Kompositionen. Von Georg Kinsky; nach dem Tode des Verfassers abgeschlossen und herausgegeben von Hans Halm. G. Henle Verlag, München 1955.

Literatur

  • Gerhard Schuhmacher: Kinsky, Georg. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 11, Duncker & Humblot, Berlin 1977, ISBN 3-428-00192-3, S. 630 f. (Digitalisat).
  • Karl Ventzke: Georg Kinsky, 1882–1951. Zum Gedenken an seinen 100. Geburtstag. In: Tibia. Magazin für Freunde alter und neuer Bläsermusik. Jg. 7, H. 3, 1982, S. 197–198.
  • Karl Ventzke: Kinsky, Georg. In: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für Rheinische Musikgeschichte. Band 7 (1983), S. 128–135.
  • Karl Ventzke: Zur Biographie von Georg Kinsky 1992–1951. In: Friedemann Hellwig (Hrsg.): Studia Organologica. Festschrift John Henry van der Meer zu seinem fünfundsechzigsten Geburtstag. Hans Schneider, Tutzing 1987, S. 467–470.
  • Kinsky, Georg. In: Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. K. G. Saur, München 1988, ISBN 3-598-10477-4, S. 193.
  • Karl Dreimüller: Kinsky, Georg Ludwig. In: Ludwig Finscher (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Zweite Ausgabe, Personenteil, Band 10 (Kemp – Lert). Bärenreiter/Metzler, Kassel u. a. 2003, ISBN 3-7618-1120-9, Sp. 136–138
  • Fabian Kolb: Das Musikhistorische Museum Wilhelm Heyer und sein Kurator Georg Kinsky im musikkulturellen Netzwerks Kölns der 1920er Jahre. In: Klaus Pietschmann, Robert von Zahn (Hrsg.): Musikwissenschaft im Rheinland um 1930. Bericht über die Tagung der Arbeitsgemeinschaft für rheinische Musikgeschichte in Köln, September 2007 (= Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte Band 171). Merseburger, Kassel 2012, S. 11–92.
  • Josef Focht, Heike Fricke, Camilo Salazar Lozada (Hrsg.): Georg Kinskys nie gedruckte Geschichte der Blasinstrumente (= FRAKTAL Band 1). Hollitzer Verlag, Wien 2023, ISBN 978-3-99094-092-1.
  • Andreas Freitäger: Dr. Georg Kinsky (1882–1951). Musikwissenschaftler, Bibliograph, Instrumentenkundler (= Sedes Sapientiae. Beiträge zur Kölner Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte). Universitätsarchiv Köln, 2026.

Einzelnachweise

  1. a b Karl Ventzke: Georg Kinsky, 1882–1951. Zum Gedenken an seinen 100. Geburtstag. In: Tibia. Magazin für Freunde alter und neuer Bläsermusik. Jg. 7, H. 3, 1982, S. 197–198.
  2. a b Mattias Paszierny: Georg Kinsky. In: Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit. Universität Hamburg, 24. Juli 2017, abgerufen am 28. Juli 2023.
  3. Fabian Kolb, Das Musikhistorische Museum Wilhelm Heyer und sein Kurator Georg Kinsky im musikkulturellen Netzwerk Kölns der 1920er Jahre, in: Klaus Pietschmann, Robert von Zahn (Hrsg.), Musikwissenschaft im Rheinland um 1930 (= Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte Band 171). Kassel 2012, S. 11–92, hier S. 82–83.
  4. Walter Gerstenberg: Theodor Kroyer. In: Neue Deutsche Biographie. Band 13, 1982, S. 92–93.
  5. Brief Tongers vom 25. August 1981 an den Berliner Verleger Robert Heinrich Lienau.
  6. Fabian Kolb: Das Musikhistorische Museum Wilhelm Heyer und sein Kurator Georg Kinsky im musikkulturellen Netzwerk Kölns der 1920er Jahre. In: Klaus Pietschmann, Robert von Zahn (Hrsg.): Musikwissenschaft im Rheinland um 1930 (= Beiträge zur Rheinischen Musikgeschichte. Band 171). Kassel 2012, S. 11–92, hier S. 83.