Genfer Rahmenabkommen

Das Genfer Rahmenabkommen vom 21. Oktober 1994 (Vertragsdatum) war ein bilaterales Abkommen zwischen den Vereinigten Staaten und Nordkorea. Es sollte das nordkoreanische Atomprogramm regulieren und die damit gefürchtete Verbreitung von Atomwaffen in dem Land eindämmen.

Das mit dem Vertrag gekoppelte diplomatische Programm, offiziell bekannt als englisch Agreed Framework (AF), lief von ca. 1994 bis 2002.[1] Es erreichte nur wenige der geplanten politisch-wirtschaftlichen Ziele. Konkret hinderte dies Nordkorea nicht daran, die Kernenergie für militärische Zwecke, nämlich die atomare Aufrüstung des Landes, weiter auszubauen.

Einleitung

Dem AF-Programm gingen einige Entwicklungen des nordkoreanischen Atomprogramms voraus, z. B. hatte das Land 1993 trotz gegenteiliger Erklärungen mit der Wiederaufarbeitung von Kernbrennstäben begonnen, um sich offensichtlich so in den Besitz von spaltbarem Material für Atomwaffen zu bringen. Parallel kündigte Nordkorea an, aus dem Atomwaffensperrvertrag austreten zu wollen,[2] was speziell in Japan, Südkorea und den USA zusätzliche Ängste weckte.

Nordkorea war seit 1974 Mitglied der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) und unterschrieb 1985 auf Druck der Sowjetunion (SU), die dem Land seit 1960 bei dem Aufbau eines friedlichen Atomprogramms geholfen hatte, den Nichtverbreitungsvertrag (NVV). In den 1990er Jahren drohte das Land mit der Kündigung des NVV, wodurch die internationale Atomgemeinde und speziell die USA aufmerksam wurden. Sie schlugen neue diplomatische Wege vor, die zu dem AF-Programm führten. Im Rahmen dessen wurden einige der nordkoreanischen Atomanlagen (speziell der Nyŏngbyŏn-Komplex) zur Inspektion durch die IAEO unterstellt und Nordkorea wurde die Möglichkeit eingeräumt, mit der Kerntechnik-Kompetenz von Südkorea ein friedliches Atomprogramm zur Stromerzeugung zu errichten. Konkret sollten moderne Kernkraftwerke errichtet und von Nordkorea betrieben werden. Dieses Programm trug den Namen Korean Energy Development Organization (KEDO).

Aufgrund weiterer Verstöße gegen die Bedingungen des AF-Abkommens wurde KEDO im Jahr 2003 ausgesetzt. Im gleichen Jahr kündigte Nordkorea den NVV und beendete die IAEO-Inspektionen. Wenige Jahre später, im Jahr 2006, erfolgte vermutlich der erste Test einer nuklearen Explosion. Bis heute wurden sechs Tests detektiert und das Land bezeichnet sich selbst als Atommacht. Nordkorea ist ein hochmilitarisiertes Land, das speziell auch seine Raketentechnik weiterentwickelt hat. Damit stellt das Land ein internationales Sicherheitsrisiko dar.

Die Verhandlungen

In dem Jahr 1993, nach einer formalen Aufforderung der IAEO, zwei undeklarierte Nuklearanlagen auf einem Gelände in Nyŏngbyŏn, 100 Kilometer nördlich von Pjöngjang, für Inspektionen zu öffnen, eskalierte die Krise zwischen IAEO und Nordkorea.

Am 12. März 1993 gab die staatliche Nachrichtenagentur Koreanische Zentrale Nachrichtenagentur (KCNA) bekannt, dass Nordkorea seine Mitgliedschaft im NVV aufkündigen würde. Südkorea, Japan und das politische Amerika reagierten geschockt. Erste Gespräche zwischen US-Unterhändler Robert Galluci und dem nordkoreanischen Staatssekretär Kang Sok-ju bei den Vereinten Nationen resultierten in einer gemeinsamen Absichtserklärung („joint statement“), in welcher der gemeinsame Wille zu einer politischen Lösung des Problems formuliert wurde. Eine besondere Bedeutung kam in den darauf folgenden Verhandlungen in Genf dem Vorschlag Nordkoreas zu, dass das Land die Lieferung eines experimentellen Leichtwasserreaktoren (LWR) im Austausch für die alten Kernreaktoren akzeptieren würde. Hintergrund dieses Angebots war die Argumentation Nordkoreas, das Atomprogramm diene nur ziviler Energieversorgung und die herrschende Energieknappheit würde es Nordkorea unmöglich machen, auf seine Reaktoren zu verzichten. Die Lieferung eines LWR (im Sinne eines Forschungsreaktors) bot gleichzeitig den Vorteil, dass die Plutoniumproduktion mit diesen Reaktortypen ineffizienter oder sogar für ein Kernwaffenprogramm unmöglich gewesen wäre. Zugleich hätte Nordkorea die Hilfe ausländischer Länder in Anspruch nehmen müssen, weil dem Land die entsprechende Technologie (Kerntechnik) fehlten.

Dieser Option wurde von den USA zu diesem Zeitpunkt nicht zugestimmt. Vor einer Rückkehr zum Verhandlungstisch ließ Nordkorea daher die Krise nochmals so sehr eskalieren, dass die Clinton-Regierung sogar kurzfristig Militärschläge erwog: Im Mai 1994 machte Nordkorea Anstalten, 8000 Kernbrennstäbe aus einem Reaktor in Nyŏngbyŏn wiederaufzubereiten, und sich damit in die Lage zu versetzen, waffenfähiges Material zu gewinnen. Der UN-Sicherheitsrat konnte sich nicht auf eine Verurteilung dieser unilateralen Maßnahme einigen, Sanktionen wurden wegen der Ablehnung Chinas und Japans nicht verhängt. Final führte der überraschende Besuch des ehemaligen US-Präsidenten Carter in Pjöngjang zum Durchbruch, als der „große Führer“ Kim Il-sung nicht nur die Rückkehr zum Verhandlungstisch ankündigte, sondern auch den ersten nord-südkoreanischen Gipfel überhaupt in Aussicht stellte.

Das Genfer Rahmenabkommen

Die dritte bilaterale Gesprächsrunde, die am 8. Juli 1994 in Genf begann, startete mit einem unerwarteten Rückschlag. Einen Tag nach Beginn der Gespräche starb der nordkoreanische Staatspräsident Kim Il-sung an einem Herzinfarkt. Nach einer mehrtägigen Trauerperiode endete die Gesprächsrunde final am 13. August 1994 mit der langerwarteten Grobskizze eines Abkommens zwischen den USA und Nordkorea. Die diplomatische Intervention Südkoreas, das in dem Verhandlungsprozess nicht mehr länger außen vor stehen wollte, öffnete am 23. September 1994 die Tür für ein multilaterales Paket, das Nordkorea angeboten werden sollte. Am 17. Oktober 1994 unterzeichneten die Delegationen das Genfer-Rahmenabkommen. Grundlage des Abkommens war das Angebot Nordkoreas, seine Arbeiten an zwei Kernreaktoren einzustellen und die Wiederaufarbeitung von Kernbrennstäben zu unterlassen, wenn die USA im Gegenzug die Lieferung von Leistungsreaktoren garantierten und in der Bauzeit Öllieferungen zur Energieversorgung Nordkoreas bereitgestellt würden. Darüber hinaus würde Nordkorea Mitglied des NVV bleiben und IAEO-Inspektionen zustimmen. Zusätzlich einigten sich beide Seiten darauf, diplomatische Verbindungsbüros in der jeweils anderen Hauptstadt zu eröffnen, was final den Weg zu voller diplomatischer Anerkennung ebnen sollte. Der Abbau von Sanktionen, die Gewährleistung negativer Sicherheitsgarantien durch die USA und das Engagement in einem nord-südkoreanischen Sicherheitsdialog rundete die ideelle Anreizkomponente des Genfer-Rahmenabkommens ab.

Die Implementierung

Zur Implementierung des Aufbaus eines Kernkraftwerks und der vereinbarten Schweröllieferungen wurde im Frühjahr 1995 von den USA, Südkorea und Japan die Korean Energy Development Organization (KEDO), gegründet. Diese Organisation war damit betraut, die vereinbarten Reaktor- und Öl-Transferleistungen in einem stufenweisen Umsetzungsszenario unter Einschluss der IAEO und der bilateralen politischen Abkommenskomponenten zu implementieren. Doch dauerhafte Konflikte und Implementierungsprobleme erschwerten die Umsetzung der Regeln des Genfer-Rahmenabkommens nachhaltig. So kam es nie zum Bau der vereinbarten Leistungsreaktoren (Kernkraftwerk Kŭmho), jedoch wurde der experimentelle Leichtwasserreaktor (LWR) am Standort Nyŏngbyŏn fertiggestellt. Sein Betrieb oder Nutzungszweck ist bis heute unklar. Er steht direkt vor dem problematischen 5 MWe Kernreaktor, welcher zur Produktion von Plutonium verwendet wurde.

Als zudem am 31. August 1998 eine nordkoreanische Taepodong-Rakete in die Japanische See geschossen wurde und Gerüchte um eine weitere unterirdische Atomanlage in Nordkorea aufkamen, mehrten sich Revisionsforderungen an das Abkommen. Der Versuch einer Abkommensrevision wurde ab 1999 in Form des sog. „Perry-Reports“ in Angriff genommen. Nach einer zunächst hoffnungsvoll stimmenden Reformulierung der gemeinsamen Politiken in der späten Clinton-Ära folgten schwere politische Krisen infolge des Amtswechsels im Weißen Haus, 2001 (Präventivkriegsdoktrin, „Achse des Bösen“).

2002 warf die amerikanische Regierung Nordkorea vor, sich über eine Zusammenarbeit mit Pakistan die Atombombe beschaffen zu wollen, und stellte die im Rahmenabkommen vereinbarten Schweröllieferungen ein.[3]

Am 10. Januar 2003 erklärte Nordkorea daraufhin seinen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag (Nichtverbreitungsvertrag), der drei Monate später wirksam wurde.[4] Es ist das erste und einzige Land, das aus dem Atomwaffensperrvertrag, dem wichtigsten Vertrag zur Verhinderung der Verbreitung von Atomwaffen, ausgetreten ist.[2]

Literatur

Bücher

  • Mitchell Reiss: Bridled Ambition: Why Countries Constrain their Nuclear Capabilities (= Woodrow Wilson Center special studies). Woodrow Wilson Center Press ; Distributed by the Johns Hopkins University Press, Washington, D.C. 1995, ISBN 978-0-943875-72-9 (englisch, archive.org).
  • Thomas Bernauer, Dieter Ruloff (Hrsg.): The Politics of Positive Incentives in Arms Control (= Studies in international relations). University of South Carolina Press, Columbia, SC 1999, ISBN 978-1-57003-301-8 (archive.org).
  • James Moltz Clay, Alexandre Y. Mansourov (Hrsg.): The North Korean Nuclear Program. Routledge, 1999, ISBN 978-0-429-23609-9, doi:10.4324/9780203820391 (englisch).
  • Marcus Noland: Avoiding the Apocalypse: The Future of the two Koreas. Institute for International Economics, Washington, D.C. 2000, ISBN 978-0-88132-278-1 (englisch).
  • Gerald Hensel: Positive Anreizsteuerung im Atomkonflikt mit Nordkorea (1994 - 2002) (= Brückenschlag Forum internationale Politik. Band 2). 1. Auflage. Athena, Oberhausen 2005, ISBN 978-3-89896-208-7.

Berichte

  • GAO: Nuclear Nonproliferation: Implementation of the U.S./North Korean Agreed Framework on Nuclear Issues. U.S. Government Accountability Office, Washington, D.C. 1997 (englisch, gao.gov).
  • GAO: Nuclear Nonproliferation: Difficulties in Accomplishing IAEA’s Activities in North Korea. U.S. Government Accountability Office, Washington, D.C. 1998 (englisch, gao.gov).
  • GAO: Nuclear Nonproliferation: Heavy Fuel Oil Delivered to North Korea Under the Agreed Framework. U.S. Government Accountability Office, Washington, D.C. 1999 (englisch, gao.gov).

Einzelnachweise

  1. IAEA and DPRK: Chronology of Key Events. IAEA, 25. Juli 2014, abgerufen am 22. August 2025 (englisch).
  2. a b Devon Chaffee: North Korea’s Withdrawal from Nonproliferation Treaty Official (Memento vom 12. April 2006 im Internet Archive) wagingpeace.org, 10. April 2003.
  3. John Jeffer: Nordkorea und die USA. Die amerikanischen Interessen auf der koreanischen Halbinsel. München 2004, ISBN 3-7205-2484-1, S. 8
  4. John Jeffer: Nordkorea und die USA. Die amerikanischen Interessen auf der koreanischen Halbinsel. München 2004, ISBN 3-7205-2484-1, S. 8