Garantenpflicht
Die Garantenpflicht ist ein Begriff des deutschen Strafrechts. Sie setzt tatbestandlich voraus, dass – aufgrund der Bestimmung des § 13 Abs. 1 StGB (sogenannte Entsprechungsklausel) – eine besondere Pflichtenstellung (sogenannte Garantenstellung) besteht, die ein Handeln erforderlich macht, weil ansonsten die Rechtsfolge strafbaren Unterlassens eintreten kann. Nichtstun bedeutet dann Strafbarkeit.
Garantenstellungen ergeben sich in begrenztem Umfang etwa aus Gesetz (Eltern für ihre minderjährigen Kinder), enger Lebensgemeinschaft (Familie, eheähnliche Partnerschaft), Verantwortlichkeit für Gefahrenquellen (Hundehalter), Übernahme einer Aufgabe zur Verkehrssicherung (Feuerwehr), eigenes vorgefährdendes Tun mit Risikoerhöhung (Stoß eines Nichtschwimmers ins Wasser). Die Erfüllung einer dieser Garantenstellungen entspricht dann der Erfüllung eines Straftatbestandes durch aktives (positives) Tun, wenn trotz der Garantenstellung nicht gehandelt wird (Garantenpflicht).
Aufgrund einer bestehenden Garantenpflicht hat jemand dafür Sorge zu tragen, dass ein bestimmter tatbestandlicher Erfolg gerade nicht eintritt. Die verpflichtete Person ist der Garant. Die (Verletzung der) Garantenpflicht gehört zu den Rechtswidrigkeitsmerkmalen.
Garantenstellung
Zur Beurteilung einer strafrechtlichen Ausgangslage ist es grundsätzlich erforderlich, dass die Handlungsqualitäten postitiven Tuns und Unterlassens bei normativer Wertung des sozialen Handlungssinns gegeneinander abgegrenzt werden. Das löst die Frage aus, bei welcher Verhaltensweise der Schwerpunkt des strafrechtlich relevanten Verhaltens lag, das zum Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs führte. Die gestellte Frage ist die, ob eine aktive Tathandlung vorlag, oder ob eine zur Abwendung des Erfolges objektiv gebotene Handlung nicht vorgenommen wurde, die kausal und dem Unterlassenden zurechenbar, den Erfolg eintreten ließ. Zur Verdeutlichung am Beispiel: Der am Seil gesicherte A reicht B, der sich nach Abrutschen mühsam an einem Klippenfelsen festhält, die Hand zur Rettung, zieht sie aber weg, als B nach ihr greifen will. B stürzt in die Tiefe.
Soweit ein Unterlassen im Vordergrund steht, gilt: die Garantenpflicht wird durch eine Garantenstellung begründet. Diese setzt gemäß § 13 StGB das Bestehen einer besonderen Pflichtenstellung auf tatbestandlicher Ebene voraus. Die einzelnen sie begründenden Umstände sind ungeschriebene Tatbestandsmerkmale der unechten Unterlassungsdelikte (in Abgrenzung zu den echten Unterlassunsgdelikten, bei denen die Entsprechungsklausel nicht greift). Die Entsprechungsklausel des § 13 StGB verlangt, dass positives Tun und Unterlassen eines Tuns gleichwertig sind, damit die Garantenstellung rechtserheblich werden kann.
In der sogenannten Funktionenlehre werden zwei grundsätzliche Arten von Garantenstellungen angenommen, die wiederum verschiedene Entstehungsgründe haben können. Diese werden insbesondere mit der Rechtsquellenlehre bestimmt. Weniger bedeutend ist die Soziologische Garantenlehre, welche die Garantenstellung aus den gesellschaftlichen Norm- und Moralvorstellung abzuleiten versucht. In der Lehre vom Rekurs auf einzelne Grundelemente wird versucht, in den Garantenstellungen die substanziellen Kernelemente zu identifizieren.
Rechtsstellung nach der Funktionenlehre
Schutz von Rechtsgütern
Der Typ des Beschützergaranten beschreibt die Pflichtenposition steht, dass jemand dafür einzustehen hat, dass ein bestehendes Rechtsgut vor Schäden geschützt wird (Erfolgsabwendungspflicht). Sie kann folgen aus:
- Rechtssatz mit dem Beispiel des Vormunds oder des Betreuers nach § 832 BGB,
- enger natürlicher Verbundenheit oder der Familiengemeinschaft vorrangig in der Beziehung der Elter für ihre Kinder und umgekehrt sowie der Ehegatten untereinander,
- aus der insbesondere freiwilligen Übernahme oder berufsmäßigen, Pflichten von Schutz und Beistand, Beispiel Arztberuf,
- einer Gefahrengemeinschaft von Bergsteigergruppen, Forschungsexpeditionen oder
- besonderer Amtsstellung wie bei Polizei, Feuerwehr oder sonst.
im § 323c StGB.
Schutz vor einer bestimmten Gefahrenquelle
Der Typ des Überwachergaranten kann auch gegeben sein, wenn jemand eine Pflichtenposition hat, in der sie oder er dafür einzustehen hat, dass sich die von einer bestimmten Quelle ausgehenden Gefahren nicht realisieren. Sie folgt unter anderem aus:
- Verkehrssicherungspflichten (auch freiwillige Übernahme von Sicherungspflichten) z. B. Haus-/Grundstückseigentümer, Kfz-Halter, Hundehalter,
- dem Inverkehrbringen gefährlicher Gegenstände,
- der Pflicht zur Beaufsichtigung Dritter, z. B. über einen Gefangenen, psychisch Kranken (nicht unter Ehegatten)
- pflichtwidrigem gefährlichem Vorverhalten (Ingerenz), z. B. der den Unfall pflichtwidrig verursachende Kraftfahrer
Garantenstellung nach der Rechtsquellenlehre
Nach der Rechtsquellenlehre kann sich die Garantenstellung insbesondere aus dem Gesetz und sonstigen Normen oder einem Vertrag ergeben:
Beispiele mit Rechtsquellenangabe:
- Eltern als Garant für ihre Kinder (§ 1626 BGB)
- Garantenstellung von Ehegatten (§ 1353 BGB), analog auch anwendbar auf sonstiges enges Gemeinschafts- und Vertrauensverhältnis
- Geschäftsführer/Vorstand einer Gesellschaft (z. B. § 43 GmbHG)
- Verpflichtungen zur Verantwortung aus Vertrag (z. B. Erzieher oder Erzieherin, Sicherheitsdienst bei Veranstaltungen)
- Verpflichtungen im Rahmen einer freiwilligen Übernahme im Rahmen einer Gefahrengemeinschaft (vgl. § 705 ff. BGB, z. B. gemeinsame Bergexpedition)
- Garantenstellung aus Eröffnung und Beherrschung von Gefahrenquellen (Arbeitsschutz-, Verkehrsordnung-, Umweltschutzvorschriften etc.)
- Ingerenz: pflichtwidriges Vorverhalten, z. B. unerlaubter Ausschank von Alkohol an erkennbar Betrunkene (§ 20 Nr. 2 GastG)
Literatur
- Johannes Wessels, Werner Beulke: Strafrecht Allgemeiner Teil. Die Straftat und ihr Aufbau. 36. Auflage. C.F. Müller Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 978-3-811-48016-2.
- Karl Lackner, Kristian Kühl: Strafgesetzbuch (StGB). Mit Erläuterungen. 23. Auflage. C.H. Beck, München 1999, ISBN 3-406-44937-9.
- Armin Kaufmann: Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte. Schwartz, Göttingen 1959.
Weblinks
- Urs Kindhäuser: Unechte Unterlassungsdelikte Universität Bonn (ohne Jahr)