Funkfahrbetrieb
Der Funkfahrbetrieb (kurz: FFB) ist ein System zur Sicherung von Zugfahrten für schwach befahrene Nebenstrecken.
Geschichte
Das System wurde erstmals 1995 nach einem Unfall auf der Stubaitalbahn in Tirol von der Firma AEG gebaut und durch das BMVIT betriebsbewilligt. Das Nachfolgeprodukt der Firma RDCS ist seither auf drei Nebenstrecken in Österreich im Einsatz.
In den Jahren 1998 bis 2000 gab es auch in Deutschland Versuche mit diesem System. Im Rahmen des Expo-Projektes „Haller Willem“ rüstete Siemens Transportation Systems die Bahnstrecke Osnabrück–Brackwede von Brackwede bis Dissen/Bad Rothenfelde entsprechend aus. Zudem gab es Versuche seitens Adtranz auf der Lautertalbahn zwischen Kaiserslautern und Lauterecken-Grumbach.
Für die Versuche wurde bis 1999 ein Fahrzeug der DB-Baureihe 628 mit der Betriebsnummer 628 533 umgerüstet.[1] Dabei wurden zwei zusätzliche Antennen auf dem Fahrzeugdach angebracht, ein Rechnerschrank im Mehrzweckabteil installiert und in jeden Führerstand ein Touchscreen eingebaut. Für die Odometrie wurden zwei Doppler-Radare unterschiedlicher Bauart sowie ein Wegimpulsgeber an einem Radsatz installiert.[1]
Von der Umsetzung erhoffte man sich einen rentableren Betrieb von Nebenbahnen durch Einsparung von Stellwerken, Signalen und Verkabelungen. Auf der Pilotstrecke „Haller Willem“ ist jedoch bis 2004 keine Zulassung erfolgt.[2] Die erhoffte Kosteneinsparung konnte nicht erreicht werden[3], insbesondere waren die Kosten für das Funksystem unterschätzt worden.[4] Problematisch war jedoch auch der Übergang von Kosten für die Sicherungstechnik von der Strecke zum Fahrzeug im Kontext der seit der Bahnreform vorhandenen Trennung zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen.[4]
Die Umbauten am 628 533 waren von Beginn an dergestalt ausgelegt, dass sie einfach wieder zurückgebaut werden konnten. So wurden den beteiligten Projektmitarbeitern beispielsweise Schweißverbindungen am Fahrzeug untersagt.[1] Das Fahrzeug überdauerte die Versuchsfahrten zum Funkfahrbetrieb und war bei DB Regio noch bis ins Jahr 2022 im Einsatz, bis es schließlich nach Rumänien an Interregional Călători verkauft wurde.[5]
Systembeschreibung
Grundgedanke des FFB ist es, die Sicherungslogik von zentralen Stellwerken in die Fahrzeuge zu verlegen. Das Fahrzeug soll über eine Funkschnittstelle selbständig seine Fahrwegeinstellung auslösen und überwachen. Auch die Einschaltung von Bahnübergängen hat über eine Funkverbindung zu erfolgen. Die Verlegung der Sicherungslogik in das Fahrzeug setzt voraus, dass das Fahrzeug seine Position im Netz kennt. Dafür ist eine Ortung mit im Gleis verlegten passiven Balisen vorgesehen, deren Daten anschließend mit einem auf dem Fahrzeug hinterlegten Streckenatlas abgeglichen werden.
Ein Fahrweg wird vom Fahrzeug aus per Funk bei einer Zentrale angefordert. Die Zentrale erteilt nur dann eine Fahrerlaubnis, wenn der Fahrweg frei ist. Der Zugriff auf die Steuerung von Weichen und Bahnübergängen wird ebenfalls nur dann von der Zentrale gewährt.
Die Überwachung der Zugintegrität muss fahrzeugseitig erfolgen.
Das für den Funkfahrbetrieb entwickelte Führerraumdisplay entsprach Ende der 1990er Jahre „[b]is auf wenige, unbedeutende Einzelheiten“ dem Driver Machine Interface von ETCS.[6]
Siehe auch
- ERTMS Regional, System für ähnliche betriebliche Randbedingungen. Im Gegensatz zum FFB ist hier lediglich eine herkömmliche ETCS-Fahrzeugausrüstung erforderlich.
Literatur
- Jörn Pachl: Systemtechnik des Schienenverkehrs. 4. Auflage. B. G. Teubner, Stuttgart, Leipzig, Wiesbaden 2004, ISBN 3-519-36383-6.
- Wolfgang Fenner, Peter Naumann, Jochen Trinckauf: Bahnsicherungstechnik. Steuern, Sichern und Überwachen von Fahrwegen und Fahrgeschwindigkeiten im Schienenverkehr. 2. Auflage. Publicis Publishing, Erlangen 2004, ISBN 978-3-89578-662-4, Kap. 8.4.1 Funkfahrbetrieb (uneindeutige ISBN).
- R. Kraftschik, K. Wiesenthal: FunkFahrBetrieb aus Sicht des Herstellers. (PDF 313 KB) In: Proceedings der 18. Verkehrswissenschaftlichen Tage, TU Dresden, 2001. Archiviert vom am 5. Oktober 2015; abgerufen am 4. Oktober 2015.
- Jan-Christian Arms, Andreas Porzig, Dirk Menne: FunkFahrBetrieb im Übergang von der Entwicklung zur Pilotrealisierung. In: Eisenbahntechnische Rundschau. Band 49, Nr. 7/8. Hestra Verlag GmbH & Co. KG, 2000, ISSN 0013-2845, S. 476–486.
- Otfried Knoll: Zur Zukunft der Regionalbahnen – neuere Entwicklungen datenfunkgeführten Betriebsverfahren. In: Eisenbahn Österreich. Nr. 9, 2021, S. 492–508.
Einzelnachweise
- ↑ a b c Gerald Scheibel: Komponentenerprobung FunkFahrBetrieb am VT 628. In: EI – Der Eisenbahningenieur. Band 51, Nr. 5, 2000, S. 13–16.
- ↑ Ulrich Berkhoff, Jürgen Hörstel, Jürgen Werner: Reaktivierung der Strecke Osnabrück – Dissen-Bad Rothenfelde. In: Der Eisenbahningenieur. Band 55, Nr. 3. Tetzlaff-Verlag, 2004, ISSN 0013-2810, S. 9–14.
- ↑ Burkhard Stadlmann, Helmut Zwirchmayr: Einfaches Zugleitsystem für Regionalstrecken. In: Signal + Draht. Band 96, Nr. 6. Tetzlaff-Verlag, 2004, ISSN 0037-4997, S. 11–16.
- ↑ a b Jörn Pachl: Entwicklung der Leit- und Sicherungstechnik für das System Bahn. In: Eisenbahntechnische Rundschau. Band 54, Nr. 3. Hestra Verlag, 2005, ISSN 0013-2845, S. 96–102.
- ↑ Revisionsdaten – Datenbankeintrag 95 80 0628 533-1 (628 533). In: Revisionsdaten – Datenbank Triebfahrzeuge. Revisionsdaten.de, abgerufen am 19. September 2025.
- ↑ Werner Geier: Das neue Mensch-Maschine-Interface der Lokomotive BR 185. In: Schweizer Eisenbahn-Revue. Nr. 9, September 1999, ISSN 1022-7113, S. 366–374.