Friedrich Kadgien

Friedrich Gustav Kadgien[1] (* 23. Juni 1907 in Elberfeld; † 1978 in Buenos Aires) war ein deutscher Jurist und nationalsozialistischer Sonderbevollmächtigter der Vierjahresplanbehörde. Kadgien war als Ministerialrat einer der wichtigsten Finanzfachleute Adolf Hitlers und zuständig für die Verwertung jüdischen Vermögens. Er schaffte Millionensummen nach Südamerika. Jahrelang fahndeten die Alliierten vergeblich nach dem Mann, den der amerikanische Ermittler Daniel J. Reagan kurz nach Kriegsende als „Schlange übelster Art“ charakterisierte.[2]

Karriere

Vorkriegszeit

Kadgiens Familie stammte aus dem Samland in Ostpreußen. Er war ein Sohn des Elberfelder Landrichters und späteren Frankfurter Oberlandesgerichtsrats und Universitätsrichters Arthur Kadgien und dessen Ehefrau Marie, geb. Wulfert.[3] Er wuchs in Frankfurt am Main auf und besuchte dort ab 1917 das Lessinggymnasium sowie von 1920 bis zum Abitur Ostern 1926 das Humanistische Gymnasium, die heutige Diltheyschule, in Wiesbaden. Danach studierte er Rechtswissenschaft an den Universitäten Tübingen, Wien, Frankfurt a. M. und Universität Köln, wo er 1930 mit einer wirtschaftsrechtlichen Dissertation über Die rechtliche Natur des animus non recipiendi in § 685 B.G.B. und dessen Bedeutung für das Zustandekommen einer Schenkung des Geschäftsführers an den Geschäftsherrn zum Dr. iur. promoviert wurde. Als Referendar trat er in den preußischen Staatsdienst und kam in die dem Reichswirtschaftsministerium unterstellte devisenwirtschaftliche Verwaltung. Zum 1. November 1932 trat er der NSDAP (Mitgliedsnummer 1.354.543)[4] und 1935 der SS bei. 1934 war er Gerichtsassessor im Reichswirtschaftsministerium. 1936 wurde er als Regierungsassessor in die allgemeine Staatsverwaltung übernommen[5] und 1938 Regierungsrat. Im August 1938 wechselte er in die Vierjahresplanbehörde. 1939 erfolgte seine Beförderung zum Oberregierungsrat.[6] Kadgien war Experte für die Ausarbeitung des nationalsozialistischen Devisenrechts.[7] Ab 1938 war Kadgien Sonderbevollmächtigter unter dem Beauftragten für den Vierjahresplan, Hermann Göring. Kadgiens Referat war für Devisen und Edelmetalle sowie für Zwangsarbeiter zuständig.[8] Er koordinierte den Verkauf geraubter Aktien und Wertpapiere über Schweizer Tarnfirmen und Banken. Kadgien verknüpfte maßgeblich die Geschäfte mit deutschen Großunternehmen und Banken und deren Beziehungen zu schweizerischen Partnern.[9] Friedrich Kadgien galt im Dritten Reich als rechte Hand Hermann Görings.

Nachkriegszeit

Portrait einer Dame (Contessa Colleoni), Gemälde von Giuseppe Ghislandi, mutmaßlich durch Kadgien als Nazi-Beutekunst nach Argentinien verbracht.

Als sich das Ende des Zweiten Weltkriegs und damit der Naziherrschaft abzuzeichnen begann, setzte sich Kadgien am 1. März 1945 über Kreuzlingen in die Schweiz ab. Er kam im Hotel Verenahof, einem noblen Kurhotel in Baden, unter. Am 19. Juni 1945 meldete er sich offiziell in Baden an, am 27. Januar 1949 wieder ab. Trotzdem wurde er im Dezember 1950 erneut in Baden von der Polizei aufgegriffen. Als 1951 eine Klage bei der Bezirksanwaltschaft Zürich einging, hatte er sich bereits ins Ausland abgesetzt.[10] In der Schweiz hatte er Zugriff auf geheime Konten der Nazis. Schätzungen gehen von einem bei Kriegsende dort versteckten Vermögen zwischen einer und drei Milliarden Reichsmark aus. Im Jahr 1948 ließ er über den als Strohmann handelnden Zürcher Anwalt Ernst Imfeld in Sarnen die Imhauka AG (aus den Initialen der Gründer Imfeld, Haupt, Kadgien), eine Handels- und Finanzierungsgesellschaft, ins örtliche Register eintragen.[11] Im selben Jahr haben ihn amerikanische Fahnder aufgespürt und auch befragt, was aber zunächst ohne Konsequenzen für ihn blieb. Als ihm aber die Sache doch zu heiß wurde, verließ er 1949 mit einem falschen Pass die Schweiz und tauchte erst 1951 in Rio de Janeiro wieder auf.[12] Wie und auf welchem Weg er dorthin kam, ist nicht bekannt. Möglicherweise benutzte er eine der so genannten Rattenlinien.

Er wohnte dort im Stadtteil Santa Teresa und betrieb mit seinem ehemaligen Kollegen der Vierjahresplanbehörde und damaligen Partner Ludwig Haupt, sowie der mit ihm nach Brasilien geflohenen Frau seines Schweizer Strohmanns Imfeld, Anna Imfeld, eine im Dezember 1955 gegründete Filiale an der Avenida Rio Branco mit dem Namen Imhauka Brasileira Industrial e Comercial S.A.[13] Im Mato Grosso legten die beiden das mitgebrachte Geld in Form von 85.000 Hektar Land (eine Fläche wie ganz Berlin) an. 1953 wurde die Fazenda am Rio Taquari mitsamt den 20.000 Rindern weiterverkauft.[14]

Etwa zur selben Zeit etablierte Kadgien auch im Jahre 1951 in Buenos Aires die Imhauka Argentina S.A. und war als Vertreter seiner Firma in Argentinien sowie Brasilien tätig.[15] Er kaufte ein Haus im Stadtteil Vicente López. Kadgien fädelte Geschäfte als Mittelsmann zwischen deutschen Firmen (u. a. Siemens) und der Regierung Argentiniens von Juan Perón ein. Der brasilianischen Militärjunta verkaufte er auch im Auftrag von Rheinmetall Waffen in Millionenhöhe wie das HK G3 mit 5 % Provisionsanspruch.[16]

1978 starb Friedrich Kadgien in Buenos Aires. Er ist dort auf dem deutschen Friedhof begraben. Ein Enkel von ihm lebt heute in Santiago de Chile als Repräsentant des Motorradherstellers Harley-Davidson.[17] Ein veröffentlichtes Foto[18][19] von seinem Enkel im Internet brachte den WDR-Reporter Ingolf Gritschneder auf die Idee, eine TV-Dokumentation über den Nazi Friedrich Kadgien zu drehen. Die Reportage wurde im Frühjahr 2015 in der ARD ausgestrahlt.[20]

2025 wurde von einem Immobilienmakler in Argentinien ein Bild veröffentlicht, worauf ein Gemälde von Giuseppe Ghislandi, Portrait einer Dame (Contessa Colleoni), zu sehen war, das einst dem jüdischen Kunsthändler Jacques Goudstikker in Amsterdam gehörte und als Nazi-Beutekunst gilt.[21][22][23] Die daraufhin von der Polizei durchsuchte Wohnung gehört einer der beiden Töchter Kadgiens.[24][25] Das Bild wurde zunächst versteckt, aber nach Fahndung, Hausdurchsuchungen und Hausarrest vom Anwalt der Familie den Behörden übergeben. Ein Kunstexperte, der das Gemälde von 1710 in Augenschein nahm, beurteilte den Zustand des Werkes als gut und taxierte den Wert auf etwa 50.000 Dollar.[26][27]

Patricia Kadgien, Tochter von Friedrich Kadgien, hat daraufhin bei Gericht Widerspruch eingereicht, da sie auf dem Standpunkt steht, das Bild gehöre ihr, weil nach argentinischem Recht nach so langer Zeit die Ansprüche der früheren Eigentümer verfallen seien. Marei von Saher, Schwiegertochter von Goudstikker und einzige Erbberechtigte, hat ebenfalls angekündigt, gerichtliche Schritte einzuleiten, um das Gemälde zurückzuerhalten.[28]

Werke

  • Die rechtliche Natur des animus non recipiendi in § 685 B.G.B. und dessen Bedeutung für das Zustandekommen einer Schenkung des Geschäftsführers an den Geschäftsherrn. Wiesbaden 1930, zugl. Köln, Rechtswiss. Diss., 1930

Einzelnachweise

  1. Diplomatische Dokumente der Schweiz | Documents diplomatiques suisses | Documenti diplomatici svizzeri | Diplomatic Documents of Switzerland | Dodis: Kadgien, Friedrich Gustav (1907–). 1907, abgerufen am 25. Januar 2023 (englisch).
  2. Luc van Dongen: Un purgatoire très discret: la transition helvétique d'anciens nazis, fascistes et collaborateurs après 1945. Paris: Perrin 2008, ISBN 978-2-262-02650-9, S. 465
  3. Lebenslauf in der Diss.
  4. Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/18820555
  5. Deutsche Justiz 1936, S. 411
  6. Nach Ralf Banken: Edelmetallmangel und Großraubwirtschaft. Die Entwicklung des deutschen Edelmetallsektors im „Dritten Reich“ 1933–1945. Berlin 2009, ISBN 978-3-05-004380-7, S. 257 Anm. 70
  7. Kurzbiografie bei Schweizerische Aussenwirtschaftspolitik 1930–1948. chronos-verlag.ch. Abruf am 5. Mai 2015.
  8. Ralf Banken: Edelmetallmangel und Grossraubwirtschaft: die Entwicklung des deutschen Edelmetallsektors im "Dritten Reich" 1933–1945. Akademie Verlag, 2009, ISBN 978-3-05-004380-7, S. 734ff.
  9. Schmetterling Verlag: Interview mit dem Historiker Janis Schmelzer, Autor des Buches «Devisen für den Endsieg»
  10. aargauerzeitung.ch
  11. A NAZI COLLABORATOR INSIDE PERMINDEX. somesecretsforyou.blogspot.pt. Abruf am 5. Mai 2015.
  12. "Friedrich Kadgien – Brasil, Cartões de Imigração, 1900–1965," Arquivo Nacional, Rio de Janeiro (National Archives, Rio de Janeiro); FHL microfilm. familysearch.org. Abruf am 5. Mai 2015.
  13. Diário Oficial da União. jusbrasil.com.br. Abruf am 5. Mai 2015.
  14. Die Spur der Schlange: Auf der Suche nach den Nazi-Milliarden. (Memento vom 5. Mai 2015 im Internet Archive) In: WDR. Abruf am 12. April 2018.
  15. Kadgien, Friedrich in der Datenbank Dodis der Diplomatischen Dokumente der Schweiz
  16. TV-Doku über den Nazi Friedrich Kadgien: "Er muss über große Geldbeträge verfügt haben". (Memento vom 5. Mai 2015 im Internet Archive) In: WDR. Abruf am 13. April 2018.
  17. Harley-Davidson inaugura tienda ícono en Santiago. yofui.com. Abruf am 5. Mai 2015.
  18. Lucas Oberst Kadgien auf Flickr. flickr.com. Abruf am 5. Mai 2015.
  19. Video auf YouTube
  20. TV-Doku über den Nazi Friedrich Kadgien (Memento vom 5. Mai 2015 im Internet Archive) In: WDR. Abruf am 13. April 2018.
  21. Porträt einer Dame (Contessa Colleoni). In: LostArt-Datenbank. Deutsches Zentrum Kulturgutverlust, abgerufen am 28. August 2025.
  22. Martin Holland: Argentinien: Mutmaßliche NS-Raubkunst in Immobilenanzeige im Internet entdeckt. In: heise.de. Abgerufen am 28. August 2025.
  23. Tjerk Brühwiller: Nazi-Raubkunst taucht in Immobilienanzeige auf. In: FAZ.net. 1. September 2025, abgerufen am 1. September 2025.
  24. Door Nazi's geroofd schilderij teruggevonden via makelaarssite in Argentinië
  25. https://www.n-tv.de/panorama/NS-Raubkunst-taucht-in-Immobilienfoto-auf-article25991633.html
  26. Painting looted by Nazis recovered in Argentina, the-star.co.ke, 4 September 2025
  27. Paar gibt Raubkunst-Gemälde zurück, deutschlandfunk.de, 4. September 2025
  28. Daughter of Nazi Who Seized Painting Looted From Jewish Art Dealer Put Under House Arrest in Argentina, algemeiner.com, 4. September 2025