Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle

Die Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle in Freyburg an der Unstrut ist ein denkmalgeschütztes Gebäude, das 1903 nach Entwürfen der Architekten Georg Weidenbach und Richard Tschammer errichtet wurde. Ursprünglich diente der Saalbau der bürgerlichen Turnbewegung als Museum und Gedenkstätte zu Ehren des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn. Seit Mitte der 30er Jahre wird das Gebäude nicht mehr museal genutzt. Heute steht es für festliche Anlässe, wissenschaftliche Tagungen und Mitgliederversammlungen der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft e.V. zur Verfügung.
Baugeschichte
Mit dem Aufstieg der Turnerei zu einem Massenphänomen im späten 19. Jh. und der damit einhergehenden wachsenden Bedeutung der Deutschen Turnerschaft gewann auch der Jahn-Kult erheblich an Gewicht.[1] 1894 wurde in Freyburg die Jahn-Erinnerungsturnhalle als imposantes Grabmal für den Turnvater eingeweiht,[2] die einen ersten Museumsraum enthielt, der sich jedoch bald als unzureichend erwies.[3] Auf Initiative des Leipziger Arztes und Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft Ferdinand Goetz (1826–1915) legten die Architekten Georg Weidenbach (1853–1928) und Richard Tschammer (1860–1929) im Jahr 1899 Pläne für ein eigenständiges Museumsgebäude vor.[4] Nach einer umfassenden Sammlungstätigkeit innerhalb der Deutschen Turnerschaft konnte dieses 1903 realisiert und feierlich eingeweiht werden.[5] Die Baukosten beliefen sich auf etwa 18.000 Reichsmark.[6] In Analogie zur zuvor errichteten Jahn-Erinnerungsturnhalle wurde auch das Museumsgebäude auf Streifenfundamenten errichtet, um die Beeinträchtigung der dort befindlichen historischen Gräber so gering wie möglich zu halten. Beide Bauten befinden sich auf dem Gelände des aufgelösten alten Friedhofs von Freyburg.[7]
Nutzungsgeschichte
Das Museum beherbergte zunächst etwa 700 Urkunden, Briefe, Bilder und andere Erinnerungsstücke aus dem Leben Friedrich Ludwig Jahns, dazu mehrere Büsten,[8] und eine kleine, aber überaus kostbare Bibliothek.[9]
Anlässlich der Olympischen Spiele von 1936 zog das Museum in das 1919 von der Deutschen Turnerschaft gekaufte ehemalige Wohnhaus Jahns um; der bisherige Museumsbau führte fortan die Bezeichnung Jahn-Ehrenhalle.[10] Spätestens mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges, vermutlich jedoch bereits bald nach dessen Beginn, wurde das Jahn-Museum im Jahn-Haus für den Besucherverkehr geschlossen. Nach 1945 diente das Gebäude vorübergehend mehreren sogenannten Umsiedlerfamilien als Wohnstätte. In diesem Zusammenhang gelangte der größte Teil des damaligen Museumsbestandes zunächst auf den Dachboden der Ehrenhalle und wurde anschließend auf dem nahegelegenen Schloss Neuenburg in Sicherheit gebracht. Unter den dort verwahrten Objekten befand sich wohl auch die kleine Museumsbibliothek. In der Zeit unmittelbar nach dem Krieg gingen Teile der Sammlungen des Jahn-Museums sowie der Bibliothek verloren; die noch vorhandenen Buchbestände wurden 1948 in die heutige Universitäts- und Landesbibliothek Halle überführt.[11]
Bald nach der Gründung der DDR 1949 erfolgte eine ideologische Neudeutung der Figur Jahns. Er galt nun als sozialrevolutionäre Leitfigur des Vormärz und wurde in die sozialistische Traditionspflege integriert. Zum 100. Todestag Jahns 1952 richtete man im Jahnhaus erneut ein Museum ein, während die Ehrenhalle ungenutzt blieb. In den 1990er Jahren wurde der Saalbau grundlegend instand gesetzt.[12] Seither dient er der Stadt Freyburg als Veranstaltungsort und wird zugleich vom Deutschen Turner-Bund sowie von der Friedrich-Ludwig-Jahn-Gesellschaft genutzt, die im Jahnhaus das heutige Museum unterhält.[13] Die Ehrenhalle steht unter Denkmalschutz.[14]
Baubeschreibung und Ausstattung
Die Ehrenhalle befindet sich im Nordosten Freyburgs zwischen der Schützenstraße und der historischen Stadtmauer, rund 30 Meter hinter der Jahn-Erinnerungsturnhalle. Auf einer Grundfläche von etwa 9 × 18 Metern erhebt sich ein eingeschossiger Saalbau mit Satteldach, der an der straßenseitigen Giebelseite eine apsisähnliche Ausbuchtung zeigt. Im Unterschied zum Historismus der Erinnerungsturnhalle weist der Bau einen freieren Umgang mit traditionellen Stilformen auf und besitzt deutliche Bezüge zur Monumentalarchitektur der Jahrhundertwende. Charakteristisch ist die intensive Verwendung rustizierten Sandsteinmauerwerks. Polierte Blöcke gliedern die Halle äußerlich in Pilaster, Sockel, Gesimse und Architrave; die zwischen den Fenstern angedeuteten Pfeiler scheinen sich in der Attika zinnenartig fortzusetzen. Unterhalb der Fenster sind stilisierte Wappenschilde angeordnet, das Hauptgesims zeigt einen feingliedrigen Zahnschnittfries. Über dem Rundbogenportal an der Westseite mit der Inschrift Ehrenhalle Friedrich Ludwig Jahn[15] erhebt sich ein von Arabesken flankiertes Turnerkreuz, gebildet aus den vier Fs.[16]
Die Fassaden sind durch Bleiglasfenster gegliedert, die an Städte erinnern, in denen Deutsche Turnfeste stattgefunden haben.[17] Der Innenraum, bewusst schlicht gehalten und weiß getüncht, verzichtet auf aufwendige Dekoration. Im Chorbogen und in der Exedra finden sich ionisierenden Säulen. Geplante Ergänzungen, etwa ein zweiter Chorbogen, wurden nicht realisiert.[18] Akzentuiert wird der Raum durch die hölzerne Decke, deren Kassettierung ein ornamentales Muster aus jeweils vier kunstvoll ineinandergefügten Fs zeigt.[19]
Die Apsis war als wilhelminisches Denkmal gestaltet. In ihr standen die Büsten von Jahn, Bismarck, Wilhelm I. sowie der Vorsitzenden der Deutschen Turnerschaft, Ferdinand Goetz und Ferdinand August Georgi.[20] Das Besucherführer von 1930 deutete diese Anordnung ausdrücklich als Traditionslinie einer deutschen Einheitsgeschichte.[21] Weitere Exponate, teils in Vitrinen präsentiert, teils an den Wänden angebracht, thematisierten das Leben und Wirken Jahns sowie dessen Nachwirkung. Das Zentrum der Halle bildet das monumentale Jahn-Standbild in der Exedra. Es zeigt den bärtigen „Turnvater“ in altdeutscher Tracht, an einen Eichenstumpf gelehnt. Die Skulptur entstand 1910 als Kopie des zwischen 1869 und 1872 von Erdmann Encke geschaffenen Denkmals in der Berliner Hasenheide.[22] Auf dem Sockel des Jahn-Denkmals ist Jahns Lebensbilanz eingraviert: „Deutschlands Einheit war der Traum meines erwachenden Lebens, das Morgenroth meiner Jugend, der Sonnenschein der Manneskraft, und ist jetzt der Abendstern, der mir zur ewigen Ruhe winkt.“[23]
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Giebelseite der Ehrenhalle von der Straße her gesehen -
Rundbogenportal mit der Inschrift Ehrenhalle Friedrich Ludwig Jahn, darüber das von Arabesken gerahmtes Turnerkreuz -
Die Bauinschrift an der Westseite der Ehrenhalle -
Bleiglasfenster der Halle, die Stadt Coburg repräsentierend
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Inneres des Jahn-Museums vor 1930, Blick nach Süden -
Inneres des Jahn-Museums vor 1930, Blick nach Norden
Weblinks
- Die Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle auf der Website des Friedrich-Ludwig-Jahn-Museums.
Anmerkungen
- ↑ Hubertus Tim Adam: Nationale Totenbeschwörungen. Über den Umgang der DDR mit monumentalen Zeugnissen der deutschen Vergangenheit. In: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur, hrsg. v. Katrin Keller/Hans-Dieter Schmid, Leipzig 1995, S. 148–201, hier S. 168f.
- ↑ Gerd Stein: 120 Jahre Jahn-Erinnerungsturnhalle in Freyburg. In: Sport in Sachsen-Anhalt. Zeitschrift des Landessportbundes SachsenAnhalt e.V., Jg. 2014, H. 2, S. 8.
- ↑ Ulrike Wendland: Gedenken an Friedrich Ludwig Jahn in Freyburg. Die Ehrenhalle und die neoromanische Erinnerungsturnhalle. In: Kulturgeschichte aus Sachsen-Anhalt, hrsg. v. Harald Meller/Alfred Reichenberger, Halle a.d. Saale 2011, S. 82; Walter Müller: Das Schicksal der alten Bibliothek des Jahnmuseums. In: Friedrich Ludwig Jahn und die Gesellschaften der Turner, hrsg. v. Landesheimatbund Sachsen-Anhalt u. a., Halle 2004, S. 208–36, hier S. 213.
- ↑ Hubertus Tim Adam: Nationale Totenbeschwörungen. Über den Umgang der DDR mit monumentalen Zeugnissen der deutschen Vergangenheit. In: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur, hrsg. v. Katrin Keller/Hans-Dieter Schmid, Leipzig 1995, S. 148–201, hier S. 169.
- ↑ Ulrike Wendland: Gedenken an Friedrich Ludwig Jahn in Freyburg. Die Ehrenhalle und die neoromanische Erinnerungsturnhalle. In: Kulturgeschichte aus Sachsen-Anhalt, hrsg. v. Harald Meller/Alfred Reichenberger, Halle a.d. Saale 2011, S. 82; siehe auch die Vorstellung der Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle auf der Website des Friedrich-Ludwig-Jahn-Museums.
- ↑ Thomas Schnitzler: Denkmäler für „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn. Retrospektive auf einen umstrittenen Deutschen und die Modernisierung des Körperkults, Köln 2002, S. 19.
- ↑ Martin Bertling: Zur Geschichte der Erinnerungsturnhalle in Freyburg. „Die Nachwelt setzt Jeden in sein Ehrenrecht“. In: Jahn-Report, Nr. 43, S. 39f., hier S. 39. Bei der Errichtung der Erinnerungsturnhalle hatte die mögliche Beschädigung von Gräbern zu erbitterten Protesten der Kirchengemeinde geführt.
- ↑ V.M.: Die Einweihung des Jahnmuseums in Freyburg an der Unstrut. In: Deutsche Turnzeitung (DTZ), Bd. 48 (1903), S. 921–23; eine überblicksmäßige Auflistung findet sich bei Max Lutze: Führer durch Freyburgs Jahnstätten, 5. Aufl., Dresden 1930, S. 32–38.
- ↑ Die Museumsbibliothek umfasste 1912 etwa 300 Bücher, Zeitungsartikel, Schriften und Sonderdrucke. Zu ihr vgl. insbes. die Studie von Walter Müller: Das Schicksal der alten Bibliothek des Jahnmuseums. In: Friedrich Ludwig Jahn und die Gesellschaften der Turner, hrsg. v. Landesheimatbund Sachsen-Anhalt u. a., Halle 2004, S. 208–36.
- ↑ Vgl. die Vorstellung der Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle auf der Website des Friedrich-Ludwig-Jahn-Museums. Walter Müller: Das Schicksal der alten Bibliothek des Jahnmuseums. In: Friedrich Ludwig Jahn und die Gesellschaften der Turner, hrsg. v. Landesheimatbund Sachsen-Anhalt u. a., Halle 2004, S. 208–36, hier S. 213.
- ↑ Walter Müller: Das Schicksal der alten Bibliothek des Jahnmuseums. In: Friedrich Ludwig Jahn und die Gesellschaften der Turner, hrsg. v. Landesheimatbund Sachsen-Anhalt u. a., Halle 2004, S. 208–36, hier S. 214f.
- ↑ Hubertus Tim Adam: Nationale Totenbeschwörungen. Über den Umgang der DDR mit monumentalen Zeugnissen der deutschen Vergangenheit. In: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur, hrsg. v. Katrin Keller/Hans-Dieter Schmid, Leipzig 1995, S. 148–201, hier S. 170f.
- ↑ Ulrike Wendland: Gedenken an Friedrich Ludwig Jahn in Freyburg. Die Ehrenhalle und die neoromanische Erinnerungsturnhalle. In: Kulturgeschichte aus Sachsen-Anhalt, hrsg. v. Harald Meller/Alfred Reichenberger, Halle a.d. Saale 2011, S. 82.
- ↑ Vgl. das Denkmalverzeichnis des Landes Sachsen-Anhalt; die Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle besitzt die Erfassungsnummer 094 83468.
- ↑ Vor der Umbenennung prangte über dem Eingang die Inschrift „Jahnmuseum“ in goldenen Lettern; Max Lutze: Führer durch Freyburgs Jahnstätten, 5. Aufl., Dresden 1930, S. 32.
- ↑ Hubertus Tim Adam: Nationale Totenbeschwörungen. Über den Umgang der DDR mit monumentalen Zeugnissen der deutschen Vergangenheit. In: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur, hrsg. v. Katrin Keller/Hans-Dieter Schmid, Leipzig 1995, S. 148–201, hier S. 169; Max Lutze: Führer durch Freyburgs Jahnstätten, 5. Aufl., Dresden 1930, S. 32.
- ↑ Siehe die Vorstellung der Friedrich-Ludwig-Jahn-Ehrenhalle auf der Website des Friedrich-Ludwig-Jahn-Museums; und Max Lutze: Führer durch Freyburgs Jahnstätten, 5. Aufl., Dresden 1930, S. 32.
- ↑ Hubertus Tim Adam: Nationale Totenbeschwörungen. Über den Umgang der DDR mit monumentalen Zeugnissen der deutschen Vergangenheit. In: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur, hrsg. v. Katrin Keller/Hans-Dieter Schmid, Leipzig 1995, S. 148–201, hier S. 169.
- ↑ Ulrike Wendland: Gedenken an Friedrich Ludwig Jahn in Freyburg. Die Ehrenhalle und die neoromanische Erinnerungsturnhalle. In: Kulturgeschichte aus Sachsen-Anhalt, hrsg. v. Harald Meller/Alfred Reichenberger, Halle a.d. Saale 2011, S. 82.
- ↑ Hubertus Tim Adam: Nationale Totenbeschwörungen. Über den Umgang der DDR mit monumentalen Zeugnissen der deutschen Vergangenheit. In: Vom Kult zur Kulisse. Das Völkerschlachtdenkmal als Gegenstand der Geschichtskultur, hrsg. v. Katrin Keller/Hans-Dieter Schmid, Leipzig 1995, S. 148–201, hier S. 169f.
- ↑ Max Lutze: Führer durch Freyburgs Jahnstätten, 5. Aufl., Dresden 1930, S. 32.
- ↑ Max Lutze: Führer durch Freyburgs Jahnstätten, 5. Aufl., Dresden 1930, S. 38.
- ↑ Ulrike Wendland: Gedenken an Friedrich Ludwig Jahn in Freyburg. Die Ehrenhalle und die neoromanische Erinnerungsturnhalle. In: Kulturgeschichte aus Sachsen-Anhalt, hrsg. v. Harald Meller/Alfred Reichenberger, Halle a.d. Saale 2011, S. 82.
Koordinaten: 51° 12′ 50″ N, 11° 46′ 16,9″ O