Fortunatus

Titelseite der Augsburger Erstausgabe von 1509

Der Fortunatus ist neben „Till Eulenspiegel“, „Reineke Fuchs“ und dem „Hug Schapler“ einer der bedeutendsten Prosaromane. Er erschien als erster deutschsprachiger Prosaroman ohne direkte Vorlage 1509 in Augsburg im Druck.

Verfasserschaft

Der vermutlich in Augsburg ansässige Verfasser ist unbekannt, das Kolophon der Augsburger Erstausgabe von 1509 nennt lediglich einen Johann Heybler als Auftraggeber für den Druck:

Zů trucken verordnet
durch Johannßen Heybler Appotegker
in der kayserlichen stat Augspurg in dem grossen schießen
der mindern jartzal christi im neünden jar.

Handlung

Die Familie von Fortunatus

Erzählt wird die Geschichte von Fortunatus und seiner Familie, wobei drei Generationen erwähnt werden. Im ersten Abschnitt lernen wir Fortunatus auf Zypern kennen, wie er mit seinen Eltern, Theodorus und Graciana, spricht und sein Vater ihm eröffnet, dass er das Vermögen der Familie verbraucht hat. Für Fortunatus ist dies der Anlass, Zypern zu verlassen, um seinen Eltern nicht zur Last zu fallen. Zusammen mit dem Grafen von Flandern verlässt er die Insel und begibt sich auf eine Weltreise. Er erlebt viele Abenteuer und gerät dabei aus verschiedenen Gründen in Not.

Fortunatus-Handlung

Fortunatus erhält von der junkfraw des glücks (Glücksfee) den Glückssäckel

Wichtig im ersten Teil des Buches, der ganz durch die Fortunatus-Handlung bestimmt wird, ist die Verleihung des Glückssäckels durch Fortuna, die Herrin des Glücks, der ihm und der Generation seiner Kinder ständigen Reichtum gewährt. Der Geldbeutel besitzt Zauberkraft: Wann immer er in den Glückssäckel greift, so findet er darin Geld in Landeswährung. Mit diesem Glückssäckel kann er nun finanziell abgesichert weitere und größere Abenteuer bestehen und mit Gefolge die Welt bereisen. Der Geldbeutel ist Grundlage seines sozialen Aufstiegs. Auf Zypern baut er seiner Familie einen Palast und kann sich mit Cassandra, der Tochter eines Grafen, vermählen, was den Aufstieg für die bürgerliche Familie bedeutet. Mit ihr hat er zwei Söhne, den ruhigen und ängstlichen Ampedo und den draufgängerischen, risikofreudigen Andolosia.

Andolosia-Handlung

Der zweite Teil des Buches ist durch Andolosia als zentrale Figur bestimmt und spielt wesentlich auf Zypern, in Spanien und London. Dieser Teil des Buches erzählt den Abstieg und Niedergang der Familie. Die Geschichte endet mit der Auslöschung der Familie, als Andolosia von Räubern getötet wird und Ampedo aus Gram stirbt.

Sozialer Kontext

Durch Entstehung von Städten mit Handels- und Kaufleuten erlangte das Bürgertum in dieser Zeit immer mehr Reichtum und somit auch Macht. Gleichzeitig entwickelte sich eine Geldwirtschaft (doppelte Buchführung, Bankwesen etc.). Die Erzählung reflektiert mit dem Aufstieg der Figur Fortunatus, der aus einer verarmten Adelsfamilie stammt, den Übergang der stratifikatorischen (Einordnung in eine Gesellschaftsschicht durch Geburt, also Klerus, Adel oder Bauerntum) zu einer funktional differenzierten Gesellschaft (gewählte Politik, freie Wirtschaft, moderne Wissenschaft, modernes Rechtssystem etc.).

Stoffgeschichte

Der Fortunatus-Stoff, eine Erzählung, in der der aus Zypern stammende Held eine nie versiegende Geldbörse von der Glücksgöttin erhält und Europa bereist, wurde von zahlreichen späteren Autoren aufgegriffen, unter anderem von Hans Sachs, Thomas Dekker, Ludwig Tieck, Ludwig Uhland, Adelbert von Chamisso und Friedrich Hebbel.

Ausgaben

Sekundärliteratur

  • Christian Kiening: Fortunatus. Eine dichte Beschreibung, mit Beiträgen von Pia Selmair, Zürich, Chronos 2022.
  • Susanne Knaeble: Zukunftskonzepte und die Rolle der ›emotionalen Trigger‹ in frühen deutschsprachigen Prosaromanen. Inszenierungen von Entscheidungen in der »Melusine« des Thüring von Ringoltingen und im »Fortunatus«, in: Zukunft entscheiden, hrsg. v. Susanne Spreckelmeier, Bruno Quast, Göttingen 2022, S. 161–186.
  • Mathias Herweg: Finanzieller Aufstieg und Fall im vormodernen Roman, in: Kredit und Bankrott in der deutschsprachigen Literatur, hrsg. v. Maximilian Bergengruen, Jill Bühler, Antonia Eder, Berlin, Heidelberg 2020, S. 17–43.
  • Susanne Reichlin: Kredit- und Vertrauenspraktiken im Fortunatus, in: Kredit und Bankrott in der deutschsprachigen Literatur, hrsg. v. Maximilian Bergengruen, Jill Bühler, Antonia Eder, Berlin, Heidelberg 2020, S. 45–67.
  • Benjamin Gittel: Enzyklopädisches Erzählen als Indikator einer frühneuzeitlichen Fiktionalitätspraxis sui generis? Historische und methodologische Überlegungen am Beispiel von Johann Fischarts ‚Geschichtklitterung‘ und dem ‚Fortunatus‘, in: Enzyklopädisches Erzählen und vormoderne Romanpoetik (1400–1700), hrsg. v. Johannes Klaus Kipf, Mathias Herweg, Dirk Werle, Wiesbaden 2019 S. 45–60.
  • Gudrun Bamberger: Poetologie im Prosaroman. Fortunatus – Wickram – Faustbuch. Würzburg 2018.
  • Nicolas Potysch: Wiederholt doppeldeutig in Bild und Schrift. Ambiguität im durchbilderten Roman, Hannover 2018.
  • Almut Schneider: Zwischen avaritia und curiositas. Wahrnehmungsweisen von Geld in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Geld. Interdisziplinäre Sichtweisen, hrsg. v. Susanne Peters, Wiesbaden 2017, S. 175–201.
  • Sebastian Speth: Dimensionen narrativer Sinnstiftung im frühneuhochdeutschen Prosaroman. Textgeschichtliche Interpretation von 'Fortunatus' und 'Herzog Ernst'. Berlin 2017.
  • Mara Wade: Geld, Geschlecht und gute Ordnung im frühneuhochdeutschen Roman ,Fortunatus‘, in: „Eigennutz“ und „gute Ordnung“. Ökonomisierungen der Welt im 17. Jahrhundert, hrsg. v. Sandra Richter, Guillaume Garner, Wiesbaden 2016, S. 207–224.
  • Albrecht Classen: The Encounter with the Foreign in Medieval and Early Modern German Literature. Fictionality as a Springboard for Non-Xenophobic Approaches in the Middle Ages. „Herzog Ernst“, Wolfram von Eschenbach, Konrad von Würzburg, „Die Heidin“, and „Fortunatus“, in: East Meets West in the Middle Ages and Early Modern Times. Transcultural Experiences in the Premodern World, Berlin/Boston 2013, S. 457–488.
  • Laura Auteri: Zeitbegriffe und Versuche der Zeitbewältigung im 16. Jahrhundert. Der Goldfaden Wickrams (1557) und Fortunatus (1509), in: Daphnis. Zeitschrift für deutsche Literatur und Kultur der frühen Neuzeit (1400-1750), Bd. 39, Ausgabe 3 (2010), S. 519–543.
  • Stange, Carmen: Aufsteiger und Bankrotteuere. Herkunft, Leistung und Glück im ‘Hug Schapler‘ und im ‘Fortunatus‘, in: Eulenspiegel trifft Melusine. Der frühneuhochdeutsche Prosaroman im Licht neuer Forschungen und Methoden: Akten der Lausanner Tagung vom 2. bis 4. Oktober 2008, hrsg. v. Catherine Drittenbass, André Schnyder, Amsterdam; New York 2010 Chloe: Beihefte zum Daphnis 42, S. 217–256.
  • Monika Schausten: Suche nach Identität. Das „Eigene“ und das „Andere“ in Romanen des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 7, Köln 2006.
  • Anna Mühlherr: „Melusine“ und „Fortunatus“. Verrätselter und verweigerter Sinn. Tübingen 1993.
  • Walter Raitz: Fortunatus. Wilhelm Fink, München 1984, ISBN 3-7705-2096-3.

Literarische Rezeption (Auswahl)

  • Adelbert von Chamisso: Fortunati Glücksseckel und Wünschhütlein. Ein Spiel. Aus der Handschrift zum ersten Mal hg. von E[rnst] F[erdinand] Kossmann. Stuttgart 1895.
  • Richard Benz: Die deutschen Volksbücher: Fortunati Glückseckel und Wunschhütlein, Jena: Eugen Diederichs 1912, 244 Seiten mit Holzschnitten, Druck von der Offizin W. Drugulin in Leipzig.
  • Thomas Dekker: Old Fortunatus. Ed. by David McInnis. Manchester 2020.
  • Hugo von Hofmannsthal: Die Söhne des Fortunatus. Trauerspiel [1900], in: ders. Gesammelte Werke. Dramen III. 1893–1927. Hg. von Bernd Schoeller. Frankfurt am Main 1979, S. 543–538.
  • Hans Sachs: Tragedia mit 22 personen, der Fortunatus mit dem wunschseckel; unnd hat 5 actus, in: ders. [Werke.] Hg. von Adelbert von Keller, Bd. 12. Tübingen 1879 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 140). S. 187–226.
  • Comoedia von Fortunato und seinem Seckel und Wunschhütlein, in: Deutsches Theater. Hg. von Ludwig Tieck. Zweiter Band. Berlin 1817, S. 5–57.
  • Ludwig Uhland: Fortunat und seine Söhne. Fragment, in: ders.: Gedichte. 2. vermehrte Auflage. Stuttgart, Tübingen 1820, S. 425–462.
Commons: Fortunatus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien