Fall Klaus Bräunig

Klaus Bräunig[1] (* 1944 in Mainz) ist ein deutscher Staatsbürger, der im Jahr 1972 wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Er bestreitet die Tat bis heute. Seine Verurteilung beruhte auf mehreren, offenbar unter starkem Vernehmungsdruck abgegebenen Geständnissen. Er wurde jedoch erst im September 2023 auf Bewährung entlassen. Seine Anwältin bemühte sich noch eine lange Zeit vergeblich, ihn frei zu bekommen. Der brutale Mord erregte bundesweit großes Aufsehen. Eine dreiteilige TV-Dokumentation über den Fall bzw. die Verurteilung des damals noch Inhaftierten wurde im Juni 2022 in der ARD ausgestrahlt, ein vierter Teil folgte ein Jahr später. Auch die Landesschau im SWR Fernsehen berichtete im Februar 2023 und BR Fernsehen in der Abendschau.[2]

Leben

Klaus Bräunig wurde in Mainz geboren, wo er auch aufwuchs. Nach seinem Schulabschluss war er einige Jahre lang als Hilfsarbeiter in verschiedenen Firmen und auf Baustellen tätig. Aus seinem Leben bis zu der Verhaftung sind nur wenige weitere Informationen veröffentlicht worden. Doch einige Bezugspersonen, die in einen näheren Kontakt mit ihm gekommen sind, haben – wie in der Dokumentation, Folge 1, wiedergegeben – als Zeugen in dem Prozess ausgesagt: Der Rechtsanwalt, der sich bald näher mit seinem Fall befasst hat, und sein späterer Therapeut schildern ihn als einen psychisch zurückgebliebenen, einfach strukturierten Menschen, als einen sozial inkompetenten jungen Mann, der „Schwierigkeiten hatte, Mädchen und junge Frauen kennenzulernen.“. Eine Bekannte hat ihn als einen netten freundlichen jungen Mann kennengelernt, mit dem man sich gut anfreunden konnte – der nicht aufdringlich und nicht frech war.[3]

Prozess und Urteil

Da er mehrfach in Gärten geklettert war, um durch die Fenster junge Frauen voyeuristisch beobachten zu können, geriet er in den Verdacht, in der Nacht vom 12. zum 13. April 1970 in Mainz die 49-jährige Kinderärztin Margot Geimer und deren 17-jährige Tochter Dorothee in ihrem Einfamilienhaus erstochen zu haben.[4][5] Am 19. Juli 1972 wurde er nach einem monatelangen Indizienprozess vom Schwurgericht am Landgericht Mainz wegen Doppelmordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Doch das Urteil war von Anfang an umstritten.[5][4] Die Ermittler waren nach dem Doppelmord wochenlang nicht weiter gekommen und standen unter einem hohen Druck. Der Fall erregte bundesweit Aufsehen.[5][4]

Das Urteil wurde allein auf der Grundlage der drei – von ihm widerrufenen – Geständnisse gefällt,[5][6] nach einer Einschätzung mittels einer Fallanalyse der Polizei, in der Annahme, dass er sich von einem Spanner zum Gewaltverbrecher entwickelt habe.[4] Die Tatwaffe, ein Messer, wurde nie gefunden. Es gab keinerlei Spuren eines gewaltsamen Einbruchs und keine Fingerabdrücke von ihm am Tatort. Während seiner Untersuchungshaft wurde er „beinahe pausenlos“ vernommen. „Weil er nicht mehr konnte, [und] weil er wollte, dass die Verhöre endlich aufhören“ legte er ohne Kenntnis seines Rechts auf einen Strafverteidiger ein Geständnis ab, widerrief es jedoch vier Tage später wieder.[7] Bei seiner erneuten Vernehmung erklärte er, er habe nur gestanden, weil er gehofft habe,„einen Arzt zu bekommen“, um „davon geheilt zu werden“.[4]

Strafvollzug

Hauptpforte der JVA Diez

Die Strafe verbüßte er in verschiedenen Justizvollzugsanstalten in Rheinland-Pfalz, zuletzt in der JVA Diez.[8] Während der langen Strafhaft beantragte er zahlreiche Wiederaufnahmeverfahren, zu denen es jedoch nie kam. Nachdem die auf 25 Jahre festgelegte Mindestverbüßungsdauer abgelaufen war, stellte er mehrere Anträge auf Aussetzung des Strafrests zur Bewährung. Sie wurden erst vom Landgericht Koblenz, dann vom Bundesgerichtshof und vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt.[9] Er galt als Tatleugner, und damit als nicht resozialisierbar – mit der Begründung, er setze sich nicht mit seiner Tat auseinander.[5] Der renommierte Strafrechtler Thomas Fischer hat dazu in einem Interview im Anschluss an die Wiederholung der vierteiligen Dokumentation jedoch festgestellt: Diese Argumentation ist in ihrer extremen Verkürzung offenbar „vollkommen falsch“. Jemand, der sich für unschuldig erkläre, könne ja keine Reue zeigen.[10] Trotz der immer länger andauernden Haft ist es für Bräunig nie in Frage gekommen zu gestehen, um freizukommen. Immer wieder hat er seinen entschiedenen Willen bekundet, vom Vorwurf des Mordes freigesprochen zu werden.[5] ("Die sollen auf Hochdeutsch meinen Namen wieder sauber machen, was ich nicht gemacht habe".)[2]

Neues Verfahren und Freilassung

Im Jahr 2018 übernahm eine Expertin für Wiederaufnahmeverfahren[11] das Mandat für Klaus Bräunig.[12] In einer psychiatrischen Begutachtung wurde eine von ihm ausgehende Gefahr verneint.[13][6] Ende März 2023 erhielt das Landgericht Koblenz vom Bundesverfassungsgericht die Anweisung, die Verwehrung seiner Entlassung erneut zu überprüfen. Bei dieser langen Haftzeit hätten das Alter und der Freiheitsanspruch ein großes Gewicht.[14] Am 9. September 2023 schließlich wurde Klaus Bräunig nach insgesamt 53 Jahren und drei Monaten auf Bewährung entlassen.[15][6] Er ist damit einer der am längsten inhaftiert gewesenen Strafgefangenen in Deutschland.[16] Seit seiner Entlassung lebt er in Hessen.[17]

Es sind während des Strafverfahrens und während der Haft immer wieder Zweifel an seiner Täterschaft geäußert und vorgebracht worden – von verschiedenen Seiten. Auch die beiden Anstaltsleiter waren von seiner Unschuld überzeugt. Das Phänomen des falschen Geständnisses ist seit Langem bekannt. Nach Mitteilung der Journalistin Marion Mück-Raab in einem Interview sagen Fachleute: Es kommt häufig vor, dass Menschen Taten gestehen, die sie nicht begangen haben – „einfach um der Situation, der sie nicht gewachsen sind, zu entkommen“. Das könnte bei Klaus Bräunig „durchaus der Fall gewesen sein“.[5] Der Rechtswissenschaftler Karl Peters, der sich bereits seit Langem mit dem Phänomen des Falschgeständnisses befasst hatte, hat auch den Prozess gegen Bräunig untersucht. Aus seiner Überzeugung, dass hier ein Justizirrtum vorliegt, hat er sich bis zu seinem Tod im Jahre 1998 um ein Wiederaufnahmeverfahren bemüht.[4]

Seit seiner Haftentlassung lebt Klaus Bräunig in einem Pflegeheim. Er ist froh darüber, nicht im Gefängnis sterben zu müssen. Doch er will, dass sein Name endlich reingewaschen wird. Ihm ist bewusst, dass er „vom Leben nichts mehr erwarten kann“. Aber er will Gerechtigkeit.[4]

Jüngste Entwicklung

Am 7. Mai 2024 lehnte das Landgericht Bad Kreuznach eine Wiederaufnahme des Falles mit der Begründung ab, „die neu vorgelegten Tatsachen der Verteidigerin“ seien „nicht für eine geringere Strafe oder Freisprechung geeignet“. Das Landgericht Mainz habe „schon sämtliche Gesichtspunkte für ein falsches Geständnis berücksichtigt.“ Es sei auszuschließen, dass ein anderer Verdächtiger den Mord begangen habe. Gegen diese Entscheidung hat Klaus Bräunigs Anwältin Rechtsmittel eingelegt. Seither befasst sich das Oberlandesgericht Koblenz in nächster Instanz mit dem Wiederaufnahmeantrag. Bei erneuter Ablehnung des Antrags bliebe nur noch der Weg vor das Bundesverfassungsgericht.[18]

Berichterstattung im TV

Einzelnachweise

  1. ARD Crime Time: Folge 4: Lebenslänglich (S07/E04) | ARD Mediathek. Abgerufen am 25. Februar 2024.
  2. a b Klaus (79) sitzt seit 53 Jahren im Gefängnis und kämpft um seine Freiheit. In: Focus Online. 6. Juli 2023, abgerufen am 10. Oktober 2023.
  3. - YouTube - ARD Crime Time - Staffel 7 - Folge 1: 52 Jahre unschuldig im Knast? Abgerufen am 25. August 2025.
  4. a b c d e f g Marion Mück-Raab: 53 Jahre Haft trotz Zweifeln: „Der Klaus ist kein Mörder“. In: Die Tageszeitung: taz. 23. November 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 4. März 2025]).
  5. a b c d e f g Gisela Kirschstein: Doppelmord in Mainz: Saß Klaus Bräunig 53 Jahre unschuldig in Haft? - Neue Hinweise deuten auf wahren Täter. 20. September 2023, abgerufen am 7. Oktober 2023.
  6. a b c Marion Mück-Raab: Längste Haftstrafe in Deutschland beendet: Nach 53 Jahren aus Haft entlassen. In: Die Tageszeitung: taz. 20. September 2023, ISSN 0931-9085 (taz.de [abgerufen am 20. September 2023]).
  7. Der Fall Klaus Bräunig: 52 Jahre lang unschuldig im Knast? 28. Juni 2022, abgerufen am 20. September 2023.
  8. S. W. R. Aktuell: Verurteilter Doppelmörder aus Mainz nach mehr als 53 Jahren auf Bewährung frei. 20. September 2023, abgerufen am 20. September 2023.
  9. Mainzer kommt nach 53 Jahren aus dem Gefängnis frei. In: FAZ.NET. 20. September 2023, ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 20. September 2023]).
  10. S. W. R. Kultur: Der Fall Klaus Bräunig – True Crime | 53 Jahre Gefängnis. 29. Juli 2024, abgerufen am 13. März 2025.
  11. Lebenslänglich - 52 Jahre unschuldig im Knast? In: Finanznachrichten.de. Abgerufen am 18. Oktober 2023.
  12. Saß dieser Mann 53 Jahre lang unschuldig im Gefängnis? In: Stern. 1. Oktober 2023, abgerufen am 18. Oktober 2023.
  13. „Mondschein-Mörder“ Jahrzehnte unschuldig in Haft? Deutschlands längste Gefängnisstrafe endet. 22. September 2023, abgerufen am 18. Oktober 2023.
  14. Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 24. Februar 2023 - 2 BvR 117/20. (bundesverfassungsgericht.de).
  15. Nach 52 Jahren in Haft: Verurteilter Mörder könnte freikommen. Abgerufen am 20. September 2023.
  16. Nach 53 Jahren Haft: Klaus Bräunig kommt auf Bewährung frei. 20. September 2023, abgerufen am 20. September 2023.
  17. Anna C. Huber: Mainzer Doppelmörder wieder auf freiem Fuß. 20. September 2023, abgerufen am 20. September 2023.
  18. S. W. R. Aktuell: Doppelmord 1970: Landgericht lehnt Wiederaufnahme des Verfahrens von Klaus Bräunig ab. 7. Mai 2024, abgerufen am 29. August 2025.