Fürstenbahnhof

Kaiserbahnhof im Bahnhof Potsdam Park Sanssouci
Pavillon zum Empfang des Königs im Bahnhof des thailändischen Badeorts Hua Hin
Warteraum für Kaiser Wilhelm II. im Bahnhof Wiesbaden, 1906
Von der Eisenbahndirektion Frankfurt/Main vorgehaltenes „Kaiserzelt“

Ein Fürstenbahnhof oder – in einem bestehenden Empfangsgebäude – ein Fürstenzimmer ist eine gesonderte Empfangsanlage einer Eisenbahn, die hochgestellten Persönlichkeiten zum Warten und Aufenthalt sowie zum Empfang und zur Verabschiedung von Gästen diente. Heute werden diese Einrichtungen nur noch in ganz seltenen Fällen als solche genutzt.

Anlass

In der noch stark ständisch gegliederten Gesellschaft der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in dem der größte Teil des europäischen Eisenbahnnetzes entstand, war auch die Beförderung der Bahnreisenden Standesgrenzen unterworfen: Die Eisenbahnwagen waren in drei oder vier Wagenklassen eingeteilt, besonders Reiche oder Privilegierte, vor allem die Spitzen der regierenden Häuser, hatten darüber hinaus Salonwagen oder sogar einen eigenen Hofzug als Sonderzug. Diese Trennung bestand analog in den Empfangsgebäuden, wo es Wartesäle für unterschiedlichen Klassen gab. Fürstenbahnhof und Fürstenzimmer erfüllten die Warte-, Um- und Zusteigemöglichkeit für die „höchsten und allerhöchsten Herrschaften“ – wie es zeitgenössisch formuliert wurde. Sie waren die stationäre Entsprechung zu Salonwagen und Hofzug.

Verbreitung

Deutschland bestand bis zum Ersten Weltkrieg aus zahlreichen Staaten, die überwiegend Monarchien waren. Entsprechend verbreitet waren Fürstenbahnhöfe und Fürstenzimmer: Sie finden sich in Residenzstädten, an Eisenbahnknotenpunkten, in bedeutenden Kurorten, öfters aber auch in ländlichen Bahnhöfen, wenn in der Nähe Hochadel residierte, der Landesherr ein Jagdschloss unterhielt oder sich ein Truppenübungsplatz befand. So besaßen auch nahezu alle zwischen etwa 1860 und 1918 erbauten Großstadt- und Kurortbahnhöfe entsprechende Räumlichkeiten. 1895 verzeichneten allein die Preußischen Staatseisenbahnen 116 solcher Anlagen, 1918 waren es 153 und in ganz Deutschland mehr als 300.[1] Die Kosten für die vorgehaltenen Fürstenbahnhöfe und -zimmer waren, gemessen an der geringen tatsächlichen Nutzung, hoch.[2]

Darüber hinaus wurden anlassbezogen provisorische Bauten errichtet, die als Fürstenbahnhof dienten, wenn hoher Besuch zu erwarten war und eine derartige Einrichtung vor Ort nicht bestand. Anlass konnte eine Einweihung oder ein Manöver sein. Die Kosten dafür waren erheblich: Als Kaiser Wilhelm II. am 11. August 1899 den Dortmund-Ems-Kanal einweihte, wurden der Hauptbahnhof Dortmund und der Bahnhof Rauxel für 10.000 Mark mit temporären Empfangsanlagen versehen.[3] Für den „Reisekaiser“ Wilhelm II. wurden 1907 sogar zwei zusätzliche auf- und wieder abbaubare Empfangszelte beschafft, die in Posen und Hannover bereitgehalten wurden, nachdem das 1883 unter seinem Großvater für diesen Zweck beschaffte Zelt, das die Eisenbahndirektion Frankfurt vorhielt, den Bedarf nicht mehr deckte.[4]

Mit dem Untergang der Monarchien in Deutschland, Österreich-Ungarn und Russland am Ende des Ersten Weltkriegs und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust des Adels wurden die Fürstenbahnhöfe in diesen Ländern funktionslos, standen leer, wurden anderen Nutzungen zugeführt oder abgerissen.

In Großbritannien bestanden derartige Einrichtungen an den den königlichen Residenzen nächstgelegenen Bahnhöfen, aber auch der britische Hochadel und viele reiche Industrielle besaßen entsprechende Einrichtungen. In Großbritannien kam hinzu, dass die konkurrierenden privaten Bahngesellschaften jeweils eigene derartige Einrichtungen am gleichen Ort vorhielten.

Daneben bestehen in Europa bis heute für königliche bzw. fürstliche Personen reservierte Warteräume in folgenden Bahnhöfen:

Bauformen

Bahnhof der Vatikanstadt: Eigener Bahnhof
Darmstadt Hauptbahnhof, Straßenseite: Fürstenbahnhof als Anbau
Bahnhof Hanau-Wilhelmsbad: ehemals mit mittig angeordnetem Fürstenzimmer
Studentischer Idealentwurf für einen Fürstenpavillon von Fritz Hane (1882–1950[5]), ca. 1907

Da die Anlage dazu diente, die protokollarisch erforderliche Distanz zwischen Fürst und Untertanen herzustellen, bestand sie mindestens aus einem abgetrennten Warteraum, wies in der Regel einen separaten Straßenzugang und in aller Regel eine Vorfahrt, oft mit Vordach auf. Gleisseitig musste sie sicherstellen, dass der Fürst einen direkten Bahnsteigzugang hatte und auf kürzestem Weg seinen Salonwagen oder Sonderzug betreten konnte. Abgesehen von einigen Anlagen aus der Frühzeit der Eisenbahn, bei denen versucht wurde, das Fürstenzimmer in zentraler Lage im Empfangsgebäude unterzubringen,[6] was sich aber als höchst unpraktisch erwies, bedingte das eine Randlage zu den Empfangsanlagen für den öffentlichen Verkehr. So befanden sich die herrschaftlichen Räume bei Kopfbahnhöfen in Deutschland typischerweise in einem Seitenflügel gegenüber Gleis 1, das aus protokollarischen Gründen grundsätzlich angefahren werden musste. Größere Anlagen hatten getrennte Räume für Fürst und Fürstin, die jeweilige Dienerschaft, sowie Räume für das Gefolge.

Es werden vier Bautypen unterschieden:

In diesen Bautypen wird auch entwicklungsgeschichtlich eine Abfolge gesehen.[7] Daneben spielen auch wirtschaftliche Potenz der Fürsten und Anpassung an bahnbetriebliche Gegebenheiten eine Rolle.

Siehe auch

Literatur

  • Peter Bock, Alfred Gottwaldt: Regierungszüge, Salonwagen, Kaiserbahnhöfe und Staatsfahrten. Frankfurt 2010. ISBN 978-3-7973-1223-5
  • Alfred Gottwaldt: Fürstenräume in deutschen Bahnhöfen. In: Ders.: Der Hofzug sr. Majestät des Deutschen Kaisers, Königs von Preußen. Modelleisenbahner Verlag, [o. J., ca. 1992].
  • Eisenbahn in Hessen. Kulturdenkmäler in Hessen. Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland. Hrsg. Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Theiss Verlag, Stuttgart, 2005, 3 Bände, ISBN 3-8062-1917-6.
  • Rolf Reutter: Der Fürstenbahnhof – ein abgeschlossenes Kapitel der Architekturgeschichte. In: Denkmalpflege und Kulturgeschichte, Heft 4/2008, S. 27–30.
  • Eduard Schmitt: Empfangsgebäude der Bahnhöfe und Bahnsteigüberdachungen (= Handbuch der Architektur, 4. Teil, 2. Halbband, 4. Heft). J. M. Gebhardt’s Verlag, Leipzig 1911, S. 72–73 und div. Abb. (Digitalisat)
  • Dirk Strohmann: Das Empfangsgebäude des Detmolder Bahnhofs und sein Fürstenzimmer (= Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denkmalpflege in Westfalen, 7). Münster 2009, ISBN 978-3-86206-001-6.
  • Bettina Vaupel: Allerhöchste Eisenbahn. Von Kaiserbahnhöfen, Fürstenzimmern und Salonwagen. In: Monumente, Jg. 23 (2013), Nr. 3, S. 9–17.
Commons: Fürstenbahnhof – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dirk Strohmann: Das Empfangsgebäude des Detmolder Bahnhofs und sein Fürstenzimmer (= Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denkmalpflege in Westfalen, 7). Münster 2009. ISBN 978-3-86206-001-6, S. 54 f.
  2. Im Bahnhof Wrexen wurde 1910 ein Fürstenzimmer aufgegeben, nachdem es mehr als zehn Jahre lang nicht benutzt worden war.
  3. Dirk Strohmann: Das Empfangsgebäude des Detmolder Bahnhofs und sein Fürstenzimmer (= Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denkmalpflege in Westfalen, 7). Münster 2009. ISBN 978-3-86206-001-6, S. 60.
  4. Dirk Strohmann: Das Empfangsgebäude des Detmolder Bahnhofs und sein Fürstenzimmer (= Arbeitsheft des LWL-Amtes für Denkmalpflege in Westfalen, 7). Münster 2009. ISBN 978-3-86206-001-6, S. 59 mit weiteren Nachweisen. – Bettina Vaupel: Allerhöchste Eisenbahn. Von Kaiserbahnhöfen, Fürstenzimmern und Salonwagen. In: Monumente, Jg. 23 (2013) Nr. 3, S. 9–17, hier S. 10.
  5. Historisches Architektenregister: Haiger–Harriers
  6. So einige von Julius Eugen Ruhl entworfene Bahnhöfe aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, etwa in Hofgeismar oder Wilhelmsbad.
  7. Rolf Reutter: Der Fürstenbahnhof – ein abgeschlossenes Kapitel der Architekturgeschichte. In: Denkmalpflege und Kulturgeschichte, Hrsg. Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Heft 4/2008, S. 27–30, S. 27.