Ex herbis femininis

Autorenbild des Dioskurides in der Handschrift Wien Codex 93, 13. Jahrhundert.

Ex herbis femininis ist ein anonym bzw. pseudonym verfasstes lateinisches Kräuterbuch, das während des Übergangs von der Spätantike zum Frühmittelalter entstanden ist. In der handschriftlichen Überlieferung wird es dem griechischen Arzt Pedanios Dioskurides aus dem 1. Jahrhundert zugeschrieben, dessen Arzneimittellehre De materia medica eine Hauptquelle der 71 Pflanzenkapitel ist. Ex herbis femininis weist Parallelen zum ebenfalls pseudo-dioskuridischen Kräuterbuch Curae herbarum auf, darf mit diesem jedoch nicht verwechselt werden.

Hintergrund

Dioskurides verfasste seine umfangreiche Arzneimittellehre De materia medica um das Jahr 70 in seiner Muttersprache Altgriechisch, die im antiken Rom die Gelehrtensprache war. Mit dem Niedergang des (West-)Römischen Reiches in der Spätantike wuchs der Bedarf an lateinischen Übersetzungen der griechischen Fachtexte. Ebenso wurden Exzerpte und Bearbeitungen umfänglicher Werke wie De materia medica oder medizinische Abschnitte aus der Naturalis historia des älteren Plinius in handliche Arzneibücher und Kräuterbücher kompiliert.

Von den frühen lateinischen Dioskurides-Übersetzungen ist lediglich der sogenannte Dioscorides latinus bzw. Dioscorides Langobardus in einigen Handschriften erhalten, darunter die illustrierte, um 950 entstandene Handschrift München BSB Clm 337.[1] Ältere (Teil-)Übersetzungen, womöglich angefertigt von Gargilius Martialis und Caelius Aurelianus, haben sich nur als Bruchstücke erhalten, prominent in den pseudo-dioskuridischen Kräuterbüchern Curae herbarum und Ex herbis femininis, aber auch im Herbarius des Pseudo-Apuleius, im Glossarium Ansileubi (früher: Liber glossarum), in den pseudo-hippokratischen Dynamidia, im pseudo-galenischen Ad Paternianum (auch bekannt als Alphabetum Galeni) sowie wohl indirekt in Buch 17 der Etymologiae des Isidor von Sevilla.[2]

Beschreibung

Der Verfasser sowie Ort und Zeitpunkt der Entstehung des Kräuterbuches sind unbekannt. Wahrscheinlich wird das Kräuterbuch von Cassiodor in seinen Institutiones divinarum et saecularium litterarum (Kapitel 31) genannt und darüber hinaus auch noch in einem Brief an Marcellinus Comes,[3] was eine Entstehung in den Jahrzehnten um 500 nahelegt.

Gekoppelt mit dem Herbarius des Pseudo-Apuleius erfreute sich Ex herbis femininis bis ins Hochmittelalter einer großen Beliebtheit und verlor diesen Status erst, als umfangreichere Bearbeitungen der Arzneimittellehre des Dioskurides besser verfügbar wurden (etwa der Dioscorides alphabeticus[4]). Im Gegensatz zum Herbarius wurde Ex herbis femininis in der Renaissance nicht gedruckt, die Schwesterschrift Curae herbarum geriet sogar komplett in Vergessenheit. Die von Heinrich Kästner 1896/97 vorgelegte Edition von Ex herbis femininis ist aus heutiger Sicht unbefriedigend, da die drei herangezogenen Handschriften die komplexe Überlieferung unzureichend widerspiegeln. Arsenio Ferraces-Rodríguez hat neue textkritische Editionen der beiden pseudo-dioskuridischen Kräuterbücher angekündigt.[5]

Kapitel

Die Identifikationen folgen kritisch den von Riddle 1981 (ab S. 73) vorgeschlagenen. Unter Quelle ist das jeweilige Kapitel in De materia medica von Dioskurides nach der Edition von Max Wellmann angegeben.

Nr. Name Identifikation Quelle
1 Acantha leuca; hecynum Eingriffeliger Weißdorn? III.12
2 Buglossos Borretsch IV.127
3 Acantus Wahrer Bärenklau, Dorniger Akanthus? III.17
4 Helylosfacos; Salvia Griechischer Salbei, Echter Salbei III.33
5 Cyminum Kreuzkümmel III.60
6 Camelleon Gummi-Spindelkraut III.8
7 Erpullos Sand-Thymian III.38
8 Camedrios Edel-Gamander? III.98
9 Poligonos Vogelknöterich IV.4
10 Samsucon Majoran III.39
11 Cestros Dach-Hauswurz (vgl. Kapitel 33) IV.88
12 Aristolochia Pfeifenblumen III.4
13 Sticas Schopf-Lavendel III.26
14 Adiantos Gewöhnlicher Frauenhaarfarn IV.134
15 Mandragora Gemeine Alraune IV.75
16 Thlaspis Gargano-Purgierdolde, Hirtentäschel? II.156
17 Sisimbrium Gewöhnliche Besenrauke, Echte Brunnenkresse, Acker-Minze? II.128
18 Celedonia Schöllkraut II.180
19 Camemelos Acker-Hundskamille? III.137
20 Sideritis Sideritis hirsuta? IV.33
21 Flommos Kleinblütige Königskerze IV.103
22 Lynozostis Einjähriges Bingelkraut IV.189
23 Antirenon Großes Löwenmaul IV.130
24 Britannica Gamander-Ehrenpreis IV.2
25 Psillos Flohsamen-Wegerich IV.69
26 Melena Gemeine Schmerwurz IV.183
27 Tribulenta Erd-Burzeldorn IV.15
28 Coniza Dürrwurz III.121
29 Strygnos Schwarzer Nachtschatten IV.70
30 Bustalmon Färberkamille? III.139
31 Isfieritis ?
32 Hyppypres Riesen-Schachtelhalm IV.47
33 Aizos Dach-Hauswurz (vgl. Kapitel 11) IV.88 f.
34 Tytimallos Herbst-Seidelbast, Palisaden-Wolfsmilch? (vgl. Kapitel 42) IV.164
35 Eliotropios Gewöhnlicher Löwenzahn, Gemeine Wegwarte? (vgl. Kapitel 50) IV.190 f.
36 Scolymbos Spanische Golddistel III.14
37 Achilleia Cynara cardunculus, Gemeine Schafgarbe oder andere Achillea? IV.36
38 Stafis agria Stephanskraut IV.152
39 Camelleia Ölbaumähnlicher Seidelbast? IV.171
40 Ficios; Hecios; Alcidiabios Gewöhnlicher Natternkopf IV.27
41 Splenios Milzfarn III.134
42 Tilmallos siehe Kapitel 34 IV.164
43 Glisirisa Echtes Süßholz III.5
44 Bulbus rufus Schopfige Traubenhyazinthe II.170
45 Dracontea Krummstab II.166
46 Moecon Schlafmohn IV.64
47 Colocyntios agria Koloquinte IV.176
48 Ypericon Echtes Johanniskraut III.154
49 Lapatium Garten-Ampfer II.114
50 Heliotropium siehe Kapitel 35
51 Arnoglossa Breitwegerich II.126
52 Cameleuca Wilde Karde III.8
53 Scylla Weiße Meerzwiebel II.171
54 Erigion Feld-Mannstreu III.21
55 Iera Echtes Eisenkraut IV.60
56 Strutios Gewöhnliches Seifenkraut II.163
57 Delfion Gewöhnlicher Feldrittersporn III.73
58 Centimorbia Gewöhnlicher Gilbweiderich IV.3
59 Viola aurosa Goldlack, Vogesen-Stiefmütterchen? III.123
60 Capparra Echter Kapernstrauch, Waldgeißblatt? II.173
61 Ancusa Schminkwurz, Gemeine Ochsenzunge? IV.23
62 Cynosbatos Hundsrose I.94
63 Anagallis Acker-Gauchheil II.178
64 Panacia Opopanax chironium III.48
65 Purpurea Duftveilchen IV.121
66 Camalention ? III.8
67 Camalention masculus ? III.9
68 Sion Breitblättriger Merk II.127
69 Lichnis Kronen-Lichtnelke III.100
70 Abrotonum Artemisia arborescens III.24
71 Aparine Kletten-Labkraut III.90

Handschriften

John M. Riddle erkannte 1981 die Curae herbarum noch nicht als eigenständiges Werk (sondern erst Hofstetter 1983), unterschied jedoch bereits eine Langfassung und zwei Kurzfassungen von Ex herbis femininis. Die erste Kurzfassung datiert er auf das 9. Jahrhundert oder früher, die erweiterte Kurzfassung mit teils neuen Inhalten auf spätestens das 12. Jahrhundert. In vielen erhaltenen Handschriften sind die Kurzfassungen der Langfassung vorangestellt.[6]

Stadt Bibliothek Signatur Blätter Zeit Bemerkung Digitalisat
Breslau Biblioteka Uniwersytecka III.F.19 ff. 118v-119v 9. Jahrhundert Fragment [1]
Brüssel KBR (olim Bibliothèque Royale «Albert Ier») 5413-22 (2606) f. 108v 9./10. Jahrhundert Fragment [2]
Cambridge Trinity College Ms. O.2.48 (1152) ff. 39v–63r 14. Jahrhundert [3]
Florenz Biblioteca Medicea Laurenziana Plut. 73.16 ff. 183r–228r 13. Jahrhundert [4]
Florenz Biblioteca Medicea Laurenziana Plut. 73.41 ff. 86v–119r 9./11. Jahrhundert [5]
Florenz Biblioteca Medicea Laurenziana Strozzi 73 ff. 44v–48r 12. Jahrhundert Fragment
Herrnstein Bibliothek des Grafen Nesselrode (olim Herten, Bibliothek des Grafen Droste-Nesselrode) lat. 192 12. Jahrhundert Kriegsverlust
London British Library Add. 8928 ff. 62v-76v 10. Jahrhundert
London British Library Harley 1585 ff. 81v-92v 12. Jahrhundert Fragment
London British Library Harley 5294 ff. 43v-58r 12. Jahrhundert
London British Library Royal App. 3 ff. 20v–21v 14. Jahrhundert Fragment
London British Library Sloane 1975 ff. 49v-73r 12. Jahrhundert
Montecassino (Frosinone) Archivio dell'Abbazia (Biblioteca Statale del Monumento Nazionale) 97 V pp. 476a-b, 523a-532b 10. Jahrhundert Fragment
Montpellier Bibliothèque Universitaire Historique de Médecine H 277 ff. 101v-111r 15. Jahrhundert kurz/lang interpoliert [6]
New Haven, CT Yale Medical Library 18 ff. 63v–86r ca. 1400
Oxford Bodleian Library Ashmole 1431 (S.C. 7523) ff. 31v–43r 11. Jahrhundert Fragment
Oxford Bodleian Library Ashmole 1462 (S.C. 7527) ff. 63v–80r 13. Jahrhundert
Oxford Bodleian Library Auct. F.5.31 (S.C. 3637) ff. 23r–44r 13. Jahrhundert
Oxford Bodleian Library Bodl. 130 (S.C. 27609) ff. 73r–75r ca. 1100 [7]
Padua Biblioteca Universitaria, Biblioteca dell'Orto botanico AR 26 ff. 169v-190r 15. Jahrhundert [8]
Paris Bibliothèque Nationale de France lat. 6862 ff. 22v–63v 9./11. Jahrhundert Fragment [9]
Paris Bibliothèque Nationale de France lat. 13,955 fol. 145 9. Jahrhundert Fragment
Paris Bibliothèque Nationale de France Bibliothèque de l'Arsenal, 1031 ff. 48r–62v 1333 [10]
Sankt Gallen Stiftsbibliothek 751 pp. 339 f. 9. Jahrhundert Fragment [11]
Soissons Bibliothèque Municipale 50 (40) ff. 33r–49r 15. Jahrhundert [12]
Turin Biblioteca Nazionale Universitaria K.IV.3 12./13. Jahrhundert 1904 verbrannt
Vatikan Biblioteca Apostolica Vaticana Barb. lat. 160 ff. 39v-48v 11. Jahrhundert [13]
Venedig Biblioteca Nazionale Marciana lat. VII. 17 (3091) pp. 33v–49v 15. Jahrhundert [14]
Venedig Biblioteca Nazionale Marciana lat. VII. 17 (3091) pp. 5, 7, 18, 23, 25 15. Jahrhundert Fragmente [15]
Wien Österreichische Nationalbibliothek 93 ff. 137r–158v 13. Jahrhundert [16]

Kurzfassung

Stadt Bibliothek Signatur Blätter Zeit Bemerkung Digitalisat
Florenz Biblioteca Medicea Laurenziana Plut. 73.41 ff. 84r–86v 9./11. Jahrhundert [17]
London British Library Add. 8928 ff. 62v–64r 10. Jahrhundert
Vatikan Biblioteca Apostolica Vaticana Barb. lat. 160 ff. 38r-39v 11. Jahrhundert [18]

Erweiterte Kurzfassung

Stadt Bibliothek Signatur Blätter Zeit Bemerkung Digitalisat
Florenz Biblioteca Medicea Laurenziana Plut. 73.16 ff. 179r–181v 13. Jahrhundert [19]
Florenz Biblioteca Medicea Laurenziana Strozzi 73 ff. 39v–44v 12. Jahrhundert
London British Library Harley 1585 ff. 79r–82v 12. Jahrhundert
London British Library Royal App. 3 ff. 18r–20v 14. Jahrhundert
London British Library Sloane 1975 ff. 49v-52v 12. Jahrhundert
Montpellier Bibliothèque Universitaire Historique de Médecine H 277 ff. 101v-111r 15. Jahrhundert kurz/lang interpoliert [20]
Oxford Bodleian Library Ashmole 1462 (S.C. 7527) ff. 61r–63v 13. Jahrhundert
Wien Österreichische Nationalbibliothek 93 ff. 133r–135v 13. Jahrhundert [21]

Edition

  • Heinrich Kästner besorgte 1896 basierend auf lediglich drei Handschriften (Florenz 73.16 und 73.41 sowie Paris 6862) eine erste Edition, die aufgrund der komplexen Überlieferung aus heutiger Sicht als überholt gilt.
    • Pseudo-Dioscoridis de Herbis Femininis. In: Hermes, Band 31, Heft 3 (1896), S. 578–636 (JSTOR:4472564)
      • Addendvm Pseudo-Dioscoridis de Herbis Femininis. In: Hermes, Band 32, Heft 1 (1897), S. 160 (Digitalisat)
    • Kritisches und Exegetisches zu Pseudo-Dioskorides de Herbis Femininis. Druck der Nationalen Verlagsanstalt, Regensburg 1896. (Digitalisat)

Literatur

  • John M. Riddle: Dioscorides. In: Catalogus Translationum et Commentariorum. Band 4, 1981, S. 125–133 (Digitalisat)
  • John M. Riddle: Pseudo-Dioscorides' "Ex Herbis Femininis" and Early Medieval Medical Botany. In: Journal of the History of Biology. Band 14, Heft 1, 1981, S. 43–81 (JSTOR:4330774)
  • Arsenio Ferraces Rodríguez: El Pseudo-Dioscórides "De herbis femininis", los "Dynamidia" e Isidoro de Sevilla, "Etym." 17, 7-11. In: Manuel Enrique Vázquez Buján (Hrsg.): Tradición e innovación de la medicina latina de la Antigüedad y de la Alta Edad Media. Universidade de Santiago de Compostela, 1994, S. 183–206
  • Minta Collins: Medieval Herbals. The Illustrative Traditions. The British Library, London 2000, S. 154–165
  • Arsenio Ferraces Rodríguez: Le 'Ex herbis femininis'traduction, réélaboration, problèmes stylistiques. In: Alfrieda Pigeaud, Jackie Pigeaud, Centre Caelius (Hrsg.): Les textes médicaux latins comme littérature. Institut universitaire de France, 2000, S. 78–89
  • Arsenio Ferraces Rodríguez: Una fuente desconocida del De herbis femininis, la antigua traducción latina del De plantis duodecim signis et septem planetis subiectis atribuido a Tésalo de Tralles. In: Latomus. Band 64, 2005, S. 153–168
  • Arsenio Ferraces Rodríguez: Problemas de edición y límites en la enmienda de recetarios de tradición difusael "De herbis femininis y las Curae herbarum". In: Ders. (Hrsg.): Fito-zooterapia antigua y altomedieval: textos y doctrinas. Universidade da Coruña, 2009, S. 61–78
  • Iolanda Ventura: Auf der Suche nach einem Phantom. In: Romance Philology. Band 71, 2017, S. 697–728 (doi:10.1484/J.RPH.5.114792)

Anmerkungen

  1. Dioskurides, Materia medica - BSB Clm 337.
  2. Arsenio Ferraces Rodríguez: El Pseudo-Dioscórides "De herbis femininis", los "Dynamidia" e Isidoro de Sevilla, "Etym." 17, 7-11. In: Manuel Enrique Vázquez Buján (Hrsg.): Tradición e innovación de la medicina latina de la Antigüedad y de la Alta Edad Media. Universidade de Santiago de Compostela, 1994. S. 183–206; Klaus-Dietrich Fischer: Panorama der Editionsaufgaben im Bereich der lateinischen medizinischen Texte. In: Gerd Haverling: On medical Latin in late antiquity. Uppsala University Library, 2019, S. 1–25.
  3. John M. Riddle: Dioscorides. In: Catalogus Translationum et Commentariorum, Band 4, 1981, S. 125–133 (Digitalisat).
  4. Iolanda Ventura: Auf der Suche nach einem Phantom. In: Romance Philology, Band 71, 2017, S. 697–728 (doi:10.1484/J.RPH.5.114792)
  5. Arsenio Ferraces-Rodríguez: Problemas de edición y límites en la enmienda de recetarios de tradición difusael "De herbis femininis y las Curae herbarum". In: Ders. (Hrsg.): Fito-zooterapia antigua y altomedieval: textos y doctrinas. Universidade da Coruña, 2009, S. 61–78; Arsenio Ferraces Rodríguez: De la 'precatio Terrae' y la 'precatio omnium herbarum' a un texto inacabadolas 'precationes herbarum' de un rectario médico tardoantiguo: In: Acta classica Universitatis Scientiarum Debreceniensis, Band 57, 2021, S. 167–192 (doi:10.22315/ACD/2021/10).
  6. John M. Riddle: Dioscorides. In: Catalogus Translationum et Commentariorum, Band 4, 1981, S. 125–133 (Digitalisat)