Eugène Mayer

Benjamin Charles Eugène Mayer (geboren am 12. August 1843 in Köln; gestorben am 27. September 1923 in Neuilly-sur-Seine) war ein französischer Bankier und Verleger. La Lanterne[1] und L’Intransigeant gehörten zu ihrer Zeit zu den einflussreichsten Tageszeitungen Frankreichs.
Leben
Familie
Eugène Mayer war der Sohn von Fanny Ochse, einer Jüdin aus Deutschland, und Benjamin Mayer (1810–1864), einem jüdischen Tuchhändler aus Straßburg, der seit 1837 in Paris lebte. Benjamin, der mit seinem Schwager und seinem Bruder Charles zusammenarbeitete, wurde 1838 der Beihilfe zum betrügerischen Konkurs und nach dem Brand seiner Geschäfte in der Rue Saint-Martin des Versicherungsbetrugs beschuldigt. Von Jules Favre verteidigt, wurde er schließlich freigesprochen.[2] Während des Krimkriegs schloss er sich erneut mit seinem Bruder zusammen, um eine Firma für die Belieferung der Armeen zu gründen, und lebte fast zwei Jahre lang in Konstantinopel. Als Charles 1858 in Konkurs ging, wurde Benjamin auf Antrag des Konsulargerichts der osmanischen Hauptstadt in Paris verhaftet. Da er sich jedoch bereits 1856 aus dem Unternehmen zurückgezogen hatte, um sich selbstständig zu machen, gewann er in der Berufung.[3] Im September 1864 wurde Benjamin tot in seinem Anwesen im Weiler Metz in Jouy-en-Josas aufgefunden. Laut dem antisemitischen Polemiker Édouard Drumont, der Mayer und seine Familie in La France juive heftig attackierte, soll Eugènes Vater Selbstmord begangen haben, um weiteren Strafverfolgungen zu entgehen.[4]
Eugènes jüngerer Bruder war Seligman-Armand Mayer (1858–1934),[5] der wie sein älterer Bruder eine Karriere in der Zeitungswelt machte.
Gegen Ende der 1870er Jahre lernt Eugène Laure Davids (1843–1920)[6] kennen, die einer Künstlerfamilie angehörte. Sie hatte gerade ihren Ehemann Georges Rapoport verlassen, den sie 1864 geheiratet hatte und mit dem sie zwei Kinder hatte, eine Tochter namens Adèle und einen Sohn namens Marx (der spätere Max Maurey[7]). Das Paar Mayer-Davids hatte einen Sohn, Laurent-Eugène (1879–1928, später Journalist unter dem Pseudonym Marcel Laurent), den Eugène 1881 ein erstes Mal und 1909 ein zweites Mal anerkannte.[8] Nach dem Tod von Georges Rapoport im Jahr 1882 im Rahmen eines Familiendramas (er beging Selbstmord, nachdem er seine Tochter ermordet hatte)[9] heiratete Eugène 1883 die nun verwitwete Laure.
Karriere
Nachdem er während des Deutsch-Französischen Krieges 1870 seinen Militärdienst in der französischen Armee abgeleistet hatte, stieg Eugène ebenfalls ins Geschäftsleben ein. Im Jahr 1871 war er Direktor einer Börsenmaklerfirma, dem Office général des tirages financiers.[10] Als Alleinerbe seines Onkels, der während der französischen Intervention in Mexiko erneut in ein Unternehmen für Armeelieferungen investiert hatte,[11] gründete er Mitte der 1870er Jahre seine eigene Firma, Eugène Mayer et Cie, die im Devisenhandel und als Makler tätig war.[12]
Als Bankier[13] gründete er zusammen mit Émile Robert-Coutelle eine Finanzwochenzeitung, La Sûreté financière[14], die 1875 in La Réforme financière umbenannt wurde.[15] In zahlreichen Artikeln griff diese Zeitung 1876 die Verwaltung des Crédit foncier[16] an,[17] änderte dann aber Anfang 1877 plötzlich ihre Haltung, nachdem Mayer vom Baron de Soubeyran[18], dem Vize-Gouverneur des Crédit foncier, 25.000 Francs erhalten hatte. Mayer wurde später von Albert Christophle, Abgeordneter und Gouverneur des Crédit foncier, während der Sitzung vom 1. Juli 1879 in der Abgeordnetenkammer ausdrücklich der Chantage bezichtigt.[19] Da Christophle durch seine parlamentarische Immunität geschützt war, beantragte Mayer die Bildung einer Ehrenjury. Diese stand unter dem Vorsitz von Ernest Feray[20] und war aus den Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der republikanischen Fraktionen gebildet;[21] sie hob bestimmte Anschuldigungen auf, während sie „dem Gefühl, das Herrn Christophle inspiriert hatte, als er auf die Tribüne stieg, Gerechtigkeit widerfahren ließ“.[22] Der Ruf als Erpresser wurde von Mayers Kritikern, insbesondere von Antisemiten wie Drumont oder Jules Jouy,[23] gepflegt.
Am 30. August 1877 kaufte Eugène Mayer La Lanterne, eine politische Tageszeitung, die einige Monate zuvor von Victor Ballay gegründet worden war.[24] Er war Direktor und Chefredakteur bis 1896. Als radikale[A 1] und antiklerikale republikanische Zeitung kämpfte La Lanterne gegen die Regierung vom 16. Mai, was ihr mehrere Verurteilungen einbrachte. Der Sieg der Republikaner milderte jedoch nicht die redaktionelle Linie von La Lanterne. 1879 führt Yves Guyot, ein enger Freund von Mayer, unter dem Pseudonym „vieux petit employé“ (alter kleiner Angestellter)[25] eine heftige Kampagne gegen die von Albert Gigot[26] geleitete Polizeipräfektur und erreichte damit den Rücktritt des Innenministers Émile de Marcère. Da diese Kampagne auch nach der Ablösung Gigots durch Louis Andrieux nicht aufhörte, ordnete dieser die strafrechtliche Verfolgung und Beschlagnahmung der Zeitung an, was zu einer heftigen Parlamentsdebatte führte, in der Christophle Mayer Erpressung vorwarf.[19]
Diese Skandale trugen zum Erfolg der Tageszeitung bei, deren Auflage 1883 mit 150.000 Exemplaren nur von der des Petit Journal übertroffen wurde.[27] Die von La Lanterne ausgelösten Kontroversen führten manchmal zu Duellen zwischen Mayer und seinen Kollegen: So musste er sich 1879 mit Alphonse Humbert,[28] dem Direktor von Le Mot d’ordre, und 1887 mit Alfred Edwards,[29] dem Direktor von Le Matin, messen.[30][31] Im Jahr 1883 verletzte er den Stadtrat Frédéric Sauton[32].[33] Am 5. September 1882 wurde er im Odéon von Paul Déroulède geohrfeigt, der sich durch einen Artikel in La Lanterne beleidigt fühlte, in dem die Ligue des patriotes kritisiert wurde, aber Mayer lehnte ein Treffen zugunsten einer gerichtlichen Klärung ab.[34]
Im Juli 1880 gründete Mayer mit L’Intransigeant eine neue radikale Zeitung, deren Redaktion er Henri Rochefort und deren Verwaltung er Canésie, dem ehemaligen Redaktionssekretär von La Lanterne, anvertraute.[35] L’Intransigeant wurde im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts zur auflagenstärksten konservativen Zeitung Frankreichs. Der politische Einfluss von La Lanterne dagegen war in den 1880er Jahren beträchtlich. Bei den Wahlen von 1885 wurden dank der Unterstützung der radikalen Zeitung etwa dreißig Abgeordnete gewählt.[36]
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Trotz seines Konflikts mit Déroulède im Jahr 1882 trat Mayer im Juli 1887 der Ligue des patriotes bei.[37] Im selben Jahr gehörte er zu den Radikalen, die General Boulanger unterstützten.[38] Die Unterstützung des Pressechefs für diese Bewegung war jedoch nur von kurzer Dauer, da er sich bereits im Juni 1888 von ihr distanzierte,[39] als er nach einer Meinungsverschiedenheit mit Arthur Dillon[40] über die Finanzierung der Kampagne des Generals,[41] vor allem aber, weil er von den Opportunisten über den Panama-Fonds 150.000 Francs erhalten hatte und seine Auflage mit dem Boulangismus-Abenteuer stark zurückgegangen war.[42] Zurück in der radikalen Partei unterstützte Mayer bei den Nachwahlen am 27. Januar 1889 die Kandidatur von Edouard Jacques[43] gegen die von Boulanger und verlor dabei eine Wette über 10.000 Francs an seinen Kollegen Arthur Meyer[44] vom Gaulois.[45][46]
1895 gab Mayer die Leitung der Zeitung ab, um sich ganz der Verwaltung der Zeitungen, der Papierfabrik in Stains und der Druckerei zu widmen.[47]
Durch unglückliche Börsenspekulationen ruiniert,[48] floh Mayer am 27. April 1896 und hinterließ einen Brief, in dem er ein fernes Exil andeutete und der Selbstmord befürchten ließ.[49] Es ging das Gerücht um, er sei nach England geflohen. Am 2. Mai reichten die Aktionäre der Zeitung Klage gegen ihn ein und beschuldigen ihn, 200.000 Francs veruntreut zu haben.[50] Vier Tage später erklärte das Handelsgericht der Seine die Kommanditgesellschaft Eugène Mayer et Cie und die Zeitung La Réforme financière für insolvent.[51] Mayer wurde in Abwesenheit wegen Untreue zu fünf Jahren Haft und einer Geldstrafe von 3.000 Francs verurteilt.[52]
Der Tod von Eugène Mayer, der bei antisemitischen und klerikalen Publizisten scharfe Kommentare hervorrief,[53][A 2] scheint nur vorübergehend gewesen zu sein. Zwar konnte eine rechtsextreme Zeitschrift 1907 noch berichten, dass „der freidenkerische und jüdische Betrüger nie gefunden wurde“,[54] doch unterzeichnete Mayer 1909 eine Urkunde des Standesamtes, in der er als Publizist und mit seiner Frau in Paris lebend aufgeführt ist.[8]
Weblinks
Anmerkungen
- ↑ Der Begriff radikal ist hier in parteipolitischen Sinn zu verstehen; Mayer stand damals der Parti républicain, radical et radical-socialiste nahe. Diese ist trotz ihres Namens eher der rechten Mitte zuzurechnen.
- ↑ La Croix schreibt: „Was wird aus diesem preußischen Juden, Erpresser, Spion und Dieb, und wie kommt es, dass die Polizei, die für die kleinen Leute so schrecklich ist, so schlecht über die Richtung informiert ist, in die er mit der Kasse verschwunden ist? Sehen wir mal, meine Herren von La Lanterne, was ist aus Ihrem lieben Mayer geworden?“
Einzelnachweise
- ↑ Angaben zu La Lanterne in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
- ↑ Journal des Débats vom 27. April 1939, Cour d'Assises de la Seine auf Gallica
- ↑ Annales de la science et du droit commercial, ou Mémorial du commerce et de l'industrie. 1863, S. 497 ff. (google.de).
- ↑ La France juive : essai d’histoire contemporaine. 2 auf Gallica
- ↑ Mayer. In: Base Léonore. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ Le Temps vom 3. Juni 1920, Nécrologie auf Gallica
- ↑ Maurey, Max. In: Deutsche Biographie. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ a b Durch eine Urkunde, die am 18. Oktober 1909 im Rathaus des 17. Arrondissements ausgestellt und am Rand der Geburtsurkunde von Laurent-Eugène Mayer und der Heiratsurkunde von 1883 vermerkt wurde, erklärten Benjamin-Charles-Eugène Mayer, Publizist, und Laure Davids, wohnhaft in 204 Boulevard Pereire, Laurent-Eugène als ihren ehelichen Sohn anzuerkennen.
- ↑ Le Figaro vom 13. Dezember 1882; Nouvelles diverses auf Gallica
- ↑ Journal officiel de la République française; Avis au porteurs de titres auf Gallica
- ↑ Recueil des arrêts du Conseil d'Etat statuant au contentieux, des décisions du Tribunal des conflits, de la Cour des comptes et du Conseil des prises Band 46. Librarie du Recueil Sirey, 1876 (google.de).
- ↑ Bulletin de la Cour d’appel de Paris, Nrn. 265–266, 1877–1878, S. 566–568.
- ↑ Le Temps vom 21. März 1877, La Souscription sera ouverte auf Gallica
- ↑ Angaben zu La Sûreté financière in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
- ↑ Le Petit journal vom 19. Juli 1875 auf Gallica
- ↑ Angaben zu Crédit foncier in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
- ↑ Le Temps vom 14. Juli 1879; Nouvelles du jour auf Gallica
- ↑ Georges, Jean, Marie Girard de Soubeyran. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ a b Le Temps vom 3. Juli 1879; La séance de la chambre auf Gallica
- ↑ Ernest Feray. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ Le Temps vom 7. Juli 1879; Nouvelles du jour auf Gallica
- ↑ Le Temps vom 21. Juli 1879; Dernière heure auf Gallica
- ↑ JOUY Jules. In: Le Maitron. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ Émile Mermet: Annuaire de la presse française. 1880, S. 242, 245.
- ↑ La Lanterne vom 20. Januar 1879; La préfecture de police auf Gallica
- ↑ Albert Gigot (1835–1913). In: CEDIAS Musée social. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ Émile Mermet: Annuaire de la presse française. 1883, S. 699.
- ↑ HUMBERT Alphonse. In: Le Maitron. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ Edwards. In: Base Léonoire. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ Le Figaro vom 30. Dezember 1879; Échos de Paris auf Gallica
- ↑ Le Temps vom 17. Dezember 1887; Dernières nouvelles auf Gallica
- ↑ SAUTON Frédéric Ancien sénateur de la Creuse. In: Sénat. Abgerufen am 6. September 2025 (französisch).
- ↑ Le Figaro vom 8. August 1883; Échos de Paris auf Gallica
- ↑ Le Temps vom 7. September 1882; Faits diverses auf Gallica
- ↑ Émile Mermet: Annuaire de la presse française. 1880, S. 36.
- ↑ Le Figaro vom 26. Oktober 1885; Le Banquet dess Élus auf Gallica
- ↑ Le Temps vom 3. Juli 1887; Nouvelles du jour auf Gallica
- ↑ Jean Garrigues: Le boulangisme. Presses universitaires de France, 1992, ISBN 978-2-13-044982-9, S. 33.
- ↑ Mermeix: Les Coulisses du boulangisme. Chez Léopold Cerf, 1890, S. 243 (google.de).
- ↑ Arthur Dillon. In: Assemblée nationale. Abgerufen am 8. September 2025 (französisch).
- ↑ Pierre Denis: Le mémorial de Saint-Brelade. P. Ollendorff, 1894, S. 55 f. (google.de).
- ↑ Bertrand Joly: Aux origines du populisme histoire du boulangisme (1886–1891). CNRS éditions, 2022, ISBN 978-2-271-13972-6, S. 305 f.
- ↑ Edouard Jacques. In: Assemblé nationale. Abgerufen am 8. September 2025 (französisch).
- ↑ MEYER Arthur. In: La France savante. Abgerufen am 8. September 2025 (französisch).
- ↑ Angaben zu Le Gaulois in der Datenbank der Bibliothèque nationale de France.
- ↑ Le Figaro vom 30. Januar 1889; Échos auf Gallica
- ↑ La Lanterne vom 28. Juni 1895, À nos lecteurs auf Gallica
- ↑ Le Temps vom 1. Mai 1896; La fuite de M. Eugène Mayer - Les causes de sa ruine (eigentlich Seite 2) auf Gallica
- ↑ Le Figaro vom 30. April 1896; La disparition de M. Eugène Mayer auf Gallica
- ↑ La Dépêche tunisienne vom 4. Mai 1896; L'affaire Eugène Mayer auf Gallica
- ↑ Journal officiel de la République française vom 13. Mai 1896; Déclaration des Faillites auf Gallica
- ↑ Gil Blas vom 27. Januar 1898; Petites Nouvelles auf Gallica
- ↑ La Croix vom 14. Mai 1896; La faillite de Mayer auf Gallica
- ↑ La Croisade française vom 28. Februar 1907; L’homme noir de l’hôpital Saint-Louis auf Gallica