Erwin Petermann

Erwin Petermann (geboren 12. September 1904 in Stuttgart, Deutsches Kaiserreich; gestorben 6. April 1989 in Stuttgart, Bundesrepublik Deutschland) war ein deutscher Kunsthistoriker und Museumsdirektor.[1][2] In der NS-Zeit wurde er politisch verfolgt.

Leben

Ausbildung und Lehrtätigkeit

1925 absolvierte Petermann die 1. Lehrerdienstprüfung und Ergänzungsreifeprüfung. Ab 1926 studierte er Altphilologie, Kunstgeschichte und Klassische Archäologie an den Universitäten München, Tübingen und Berlin. Aus finanziellen Gründen brach er das Studium 1929 ab und unterrichtete stattdessen als Lehramtsanwärter an Volksschulen und höheren Schulen in Baden-Württemberg.

1926 war Petermann der Kommunistischen Studentenfraktion und der KPD beigetreten. Von 1930 bis 1932 leitete er abends eine Marxistische Arbeiterschule.[2]

Verfolgung während der NS-Zeit

Unter der Herrschaft der Nationalsozialisten wurde Petermann mehrfach aus politischen Gründen verhaftet und saß unter anderem im Polizeigefängnis Stuttgart ein. Nach der ersten Haft im Mai 1933 wurde er aus dem Schuldienst entlassen. Von Juni bis September 1934 wurden er und seine Frau Helene eingesperrt. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte Petermann am 10. Dezember 1936 wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ zu zwei Jahren Haft, die er bis zu seiner vorzeitigen Entlassung Ende Mai 1937 in Ulm absitzen musste.[2] Eine erneute Verhaftung Ende September 1939 führte zu einer Internierung als Schutzhäftling im Konzentrationslager Buchenwald.[3]

Nach der Entlassung aus seiner letzten Haft war er ab 1940 Angestellter bei der Firma Rudolf Külbel Lederwaren, die seit 1934 ihren Sitz in Kornwestheim hatte.[2]

Mitarbeiter der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie

Seit 1925 sammelte Petermann politische Zeichnungen von George Grosz, die bei einer seiner Verhaftungen beschlagnahmt wurden.

Zur Weiterbildung besuchte Petermann ab 1938 häufig die Graphische Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart und nahm zum damaligen Kurator der Sammlung, Heinrich Theodor Musper, Kontakt auf. Musper übertrug ihm schließlich die Aufgabe, ein Verzeichnis der Radierungen des württembergischen Malers und Grafikers Heinrich Seufferheld (1866–1940) zu erstellen.[2]

Leiter der Graphischen Sammlung der Staatsgalerie Stuttgart

Im Juni 1945 wurde Musper Direktor der Staatsgalerie Stuttgart und Petermann Leiter der Graphischen Sammlungen und Kurator der Staatsgalerie Stuttgart. 1946 erfolgte die Ernennung Petermanns zum Hauptkonservator.[2]

Petermann war maßgeblich an den Nachkriegsausstellungen der Staatsgalerie beteiligt, die häufig Werke von Künstlern zeigten, die unter der Herrschaft der Nationalsozialisten geächtet worden waren. Die erste Ausstellung im November 1945 trug den Titel „Kunst gegen Krieg“. Sie zeigte Arbeiten auf Papier von Käthe Kollwitz, Ernst Barlach, Max Beckmann, Otto Dix und George Grosz.[4] Petermann baute Kontakte auf zu wichtigen Sammlern auf wie Max Kade, Heinrich Scheufelen, Hugo Borst, Thekla und Alfred Hess.[3]

1946 kuratierte Petermann die Ausstellung „Zeichenkunst in Württemberg“. Das Faltblatt bewarb die Ausstellung mit der Zeichnung „Zwei weibliche Akte“ und Petermann schrieb darin:

„Nach großen Katastrophen sammeln sich die Überlebenden. Noch ist alles voll Verwirrung. Man versucht, sich einen ersten Überblick zu verschaffen, eine Bestandsaufnahme in der Überschau geschieht. Mehr ist auch uns noch nicht möglich, die wir auf künstlerischem Gebiet aus einer Katastrophe kommen. Über ein Jahrzehnt wurde jede geistige und künstlerische Potenz, die in Verbindung mit der modernen Kunstentwicklung stand, in ihrer Wirkungsmöglichkeit unterbunden, geistig gelähmt, materiell geschädigt, ja vernichtet.“

Erwin Petermann[5]

Kontakt hatte Petermann etwa zu dem Künstler Christian Anton Laely, der seit 1945 den Nachlass von Ernst Ludwig Kirchner verwaltete. Als Laely 924 Blätter von Ernst Ludwig Kirchner auf dem Kunstmarkt anbot, gelang es Petermann 1948, 122 Blätter der Sammlung als Leihgaben in der Staatsgalerie zu präsentieren. 1957 konnte die Staatsgalerie 143 Blätter der Sammlung ankaufen.[6][7]

Der Weisskunig – Die Freude und das Geschick, die er bei den Angaben für Gemälde zeigte, und deren Verbesserung nach seinem Ingenium ca. 1514–1516.

Aber nicht nur die Moderne, sondern auch Altmeister-Graphiken konnten für die Staatsgalerie erworben werden. Max Kade kam mehrfach nach Stuttgart und tauschte sich mit Petermann über den Aufbau seiner Sammlung altdeutscher, altniederländischer und altitalienischer Graphik aus. 1953 stiftete die Max Kade-Foundation 223 Blätter Altmeister-Graphik und 1955 eine Folge von 120 Frühdrucken der Holzschnitte von Hans Burgkmair dem Älteren, Leonhard Beck und Hans Schäufelin zum „Weisskunig“, der unvollendeten Roman-Biographie Kaiser Maximilians I. aus dem 16. Jahrhundert.[8]

In den Folgejahren baute Petermann die Graphische Sammlung vor allem mit Werken der Klassischen Moderne aus. Auch beriet er Musper bei Ankäufen für die Gemäldesammlung und hatte maßgeblichen Anteil beim Ankauf der Sammlung des norwegischen Reeders Ragnar Moltzau.[2] Diese bestand aus 29 Werken von Paul Gauguin, Henri Matisse, Auguste Renoir, Paul Cézanne, Amedeo Modigliani und Pablo Picasso und wurde für zehn Millionen D-Mark mit Toto-Lotto-Mitteln 1959 angekauft.[9] In der Folge sprach man vom „Stuttgarter Museumswunder“. Der Grundstein war gelegt, damit die Staatsgalerie zu einer bedeutenden Sammlung moderner Kunst in Deutschland wurde.[10]

Direktor der Staatsgalerie Stuttgart

Nachdem Musper Ende März 1962 in den Ruhestand gegangen war, hatte das Kultusministerium Petermann am 1. April 1962 die kommissarische Leitung der Staatsgalerie übertragen, ließ ihn aber gleichzeitig wegen seiner früheren KPD-Mitgliedschaft auf Verfassungstreue prüfen. Es konnte jedoch nichts Belastendes gefunden werden.[2] Zudem wurde Petermanns Eignung wegen des abgebrochenen Studiums in Frage gestellt. Allerdings war er gleichzeitig in Fachkreisen anerkannt für sein gutes Gespür für zeitgenössische Kunst, für seine fachliche Kompetenz, für gute Kontakte zum Kunstmarkt und für sein Verhandlungsgeschick im Umgang mit Privatsammlern.

1963 kuratierte Petermann eine Ausstellung zum 80. Geburtstag von Erich Heckel. Der Künstler schuf den Holzschnitt „Dank für das Gedenken zum 31. Juli 1963“, um sich bei Stuttgart und allen anderen Kunstmuseen zu bedanken, die in diesem Jahr Heckels Werk geehrt haben.[11]

1968 gelang es Petermann, die Sammlung Hugo Borst mit über 360 Gemälden, Grafiken und Plastiken schwäbischer Künstler des 20. Jahrhunderts, des deutschen Expressionismus, der französischen Moderne und der Stuttgarter Sezession für die Staatsgalerie zu erwerben.[9] Im Bestreben, die Staatsgalerie mehr und mehr auf die zeitgenössische Kunst auszurichten, setzte er sich auch für den Kauf eines Werks des US-amerikanischen Künstlers Jackson Pollock ein.[2]

1966 wurde Petermann zum Professor ernannt. Er ging 1968 in Pension.

Privates

Erwin Petermann war mit Helene, geborene Külbel verheiratet.

Ehrungen

1969 erhielt Petermann das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland.[2]

Veröffentlichungen (Auswahl)

Ausstellungskataloge und Verzeichnisse

  • Formschnitte des Weisskunig. 1937, OCLC 1499538185.
  • E. L. Kirchner: Aquarelle, Zeichnungen, Druckgraphik. Katalog der Ausstellung vom 29. Mai bis 4. Juli 1948 im Württembergischen Kunstverein. Hatje, Stuttgart / Calw 1948, DNB 452419670.
  • Käthe Kollwitz. Katalog der Ausstellung September/Oktober 1950 des Württembergischen Kunstvereins im Künstlerhaus Sonnenhalde. Stuttgart 1950, OCLC 985598829.
  • G. B. und D. Tiepolo. Katalog der Ausstellung des Stuttgarter Galerievereins. Stuttgarter Galerieverein, Stuttgart 1954, DNB 577321277.
  • Alfred Lörcher: Bronzen und Terrakotten. Katalog der Ausstellung vom 12. September bis 11. Oktober 1959. Kölnischer Kunstverein, Köln 1959, DNB 575356987.
  • Sammlung Max Kade: Leihgabe der Max Kade-Foundation Inc. New York. Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1963, OCLC 1156799893.
  • Erich Heckel. Zum 80. Geburtstag. Katalog der Ausstellung vom 16. Juli bis 1. September 1963, Staatsgalerie Stuttgart. 1963.
  • Die Druckgraphik von Wilhelm Lehmbruck: Verzeichnis. Hatje, Stuttgart 1964, DNB 452753252. Inhaltsverzeichnis.

Artikel

  • Johann Gotthard Müller und die Kupferstecherschule der Hohen Carlsschule. Katalog der Ausstellung im Museum der bildenden Künste Stuttgart, 4. November 1959 bis 31. Januar 1960. In: Die Hohe Carlsschule. Stuttgart 1959.
  • Die Formschnitte des Weisskunig. In: Heinrich Theodor Musper u. a. (Hrsg.): Weisskunig. Maximilian I. Römisch-deutscher Kaiser. Textband. Kohlhammer, Stuttgart 1956, DNB 453267491, S. 57–148.

Herausgeberschaft

  • mit Heinrich Theodor Musper, Rudolf Buchner, Heinz-Otto Burger: Weisskunig. Maximilian I. Römisch-deutscher Kaiser. Textband. Kohlhammer, Stuttgart 1956, DNB 453267491. Inhaltsverzeichnis.
  • mit Heinrich Theodor Musper, Rudolf Buchner, Heinz-Otto Burger (Hrsg.): Kaiser Maximilian I. Weisskunig. Tafelband: In Lichtdruck-Faksimiles nach Frühdrucken. Band 2. W. Kohlhammer, Stuttgart 1956, OCLC 459423550.

Literatur

  • Hans-Martin Kaulbach: Neues vom Weisskunig. Geschichte und Selbstdarstellung Kaiser Maximilians I. in Holzschnitten. Zur Erinnerung an Erwin Petermann. Katalog der Ausstellung vom 19. Februar bis 1. Mai 1994, Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart. Graphische Sammlung Staatsgalerie Stuttgart, Stuttgart 1994, DNB 941386546.

Einzelnachweise

  1. Petermann, Erwin. Leo-BW, abgerufen am 17. Juni 2025.
  2. a b c d e f g h i j Anja Heuß: Erwin Petermann (1904–1989). Landeshauptstadt Stuttgart, 24. August 2020, abgerufen am 17. Juni 2025.
  3. a b Petermann, Erwin. Proveana, abgerufen am 17. Juni 2025.
  4. Sandra-Kristin Diefenthaler: 38. Deutscher Kongress für Kunstgeschichte 2026. Deutscher Verband für Kunstgeschichte, März 2022, abgerufen am 17. Juni 2025.
  5. https://www.staatsgalerie.de/de/sammlung-digital/zwei-weibliche-akte-0?term=Petermann&context=collection&position=11
  6. Sammlung Gervais. Proveana, abgerufen am 18. Juni 2025.
  7. Selbstbildnis | Staatsgalerie. Abgerufen am 10. September 2025.
  8. Die Freude und das Geschick, die er bei den Angaben für Gemälde zeigte, und deren Verbesserung nach seinem Ingenium (zu: Der Weisskunig) | Staatsgalerie. Abgerufen am 10. September 2025.
  9. a b Anja Heuß: Staatsgalerie. 19. April 2018, abgerufen am 17. Juni 2025.
  10. Julia Friedrich , Andreas Prinzing (Hrsg.): "So fing man einfach an, ohne viele Worte" : Ausstellungswesen und Sammlungspolitik in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. De Gruyter, Berlin/Boston 2013, ISBN 978-3-11-035012-8, S. 174.
  11. Dank für das Gedenken zum 31. Juli 1963 | Staatsgalerie. Abgerufen am 10. September 2025.