Ernst Lörcher
Ernst Lörcher (* 17. Februar 1907 in München; † 27. Januar 1991 in Deisenhofen) war ein deutscher Widerstandskämpfer.
Leben
Jugend und Widerstandstätigkeit
Lörcher war der Sohn des aus Stuttgart-Stammheim stammenden Mützenmachers Ernst Lörcher und seiner Frau Maria geborene Bär aus Langen. Er wuchs in der Christophstraße im Münchner Stadtteil Lehel auf, hatte zwei Geschwister, Albert und Elisabeth und besuchte wie diese die Simultanschule in der Münchner Türkenstraße. Sein Vater war zunächst SPD-Mitglied und wechselte während der Münchner Räterepublik nach der Ermordung Kurt Eisners zur USPD. Er wurde denunziert, verhaftet, für einige Wochen auf der Festung in Ingolstadt inhaftiert und starb 1922 an Lungentuberkulose. Nach der Volksschule absolvierte Lörcher von 1924 bis 1928 eine Lehre zum Mützenmacher bei der Firma Loser im Lehel und arbeitete anschließend bis 1929 bei einer Firma im Rheinland. Nach dem Besuch von Kursen für das „Arbeiterabitur“ bei der Karl-Marx-Schule in Berlin unter Kurt Löwenstein legte er 1932 das Abitur als Externer mit Auszeichnung ab und erhielt ein Stipendium der „Deutschen Studienstiftung“.[1] Von 1932 bis 1933 studierte Lörcher in Frankfurt am Main Volkswirtschaft und Rechtswissenschaft, war zusammen mit seiner jüdischen Freundin und späteren Ehefrau Gertrud Sander und dem Kommilitonen Wolfgang Abendroth bei den „Roten Studenten“ (Kostufra) aktiv und trat der KPD bei.
Nach der „Machtübernahme“ der Nationalsozialisten 1933 wurde Lörcher wegen seiner Gesinnung von der Universität verwiesen, kehrte nach München zurück und beteiligte sich mit seinen Geschwistern an Flugblattaktionen der inzwischen verbotenen KPD. Ende März 1933 nahm die Politischen Polizei eine Hausdurchsuchung der elterlichen Wohnung vor. Sein Bruder Albert konnte durch einen Sprung vom Balkon entkommen, er selbst war nicht anwesend. Ab diesem Zeitpunkt lebte er mit seinem Bruder Albert in der Illegalität in immer wieder wechselnden kurzfristigen Verstecken in München und entgingen immer wieder knapp einer Verhaftung. Am 1. Mai 1933 hielt Lörcher auf einer Wiese im Perlacher Forst bei München eine geheime Widerstandskundgebung vor Mitgliedern der Gewerkschafts- und Arbeiterjugend ab, bei der er eine Maske trug. Einige Zeit verbrachte die Brüder in der Pupplinger Au in einem Zelt. Mit einer alten Schreibmaschine und einem alten Abziehapparat erstellten sie Exemplare des KJV-Organs Die Junge Garde, die sie per Fahrrad nach München brachten. Die Informationen hierzu beschafften sie sich aus ausländischen Zeitungen, die im Lesesaal des Arbeitsamtes auslagen; Freunde informierten sie über die Zustände im KZ Dachau. Den beiden Brüdern schlossen sich zwei Studenten an, der Hamburger Franz Ahrends sowie ein namentlich nicht bekannter ungarischer Student.
Nach der Verhaftung seines Bruders am 10. August 1933 konnte Lörcher durch die Vermittlung von Gottlieb Branz über Österreich und das Saargebiet nach Paris ausreisen, wo er seine Frau Gertrud wieder traf. In Paris wurde er nach einer Demonstration ausgewiesen und reiste weiter nach Amsterdam. Nach der Brüsseler Konferenz der KPD im Dezember 1935 in Moskau wurde Lörcher als Instrukteur der KJVD-Organisation unter dem Decknamen „Paul“ nach Duisburg geschickt. Der Einfluss der Nationalsozialisten auf die Jugend sollte bekämpft werden, indem Zeitungen, Zeitschriften, Flugblätter und Broschüren über die Grenze geschmuggelt wurden.
Lörcher wurde im Februar 1936 in Duisburg verhaftet, am 19. März 1937 in Berlin vom Volksgerichtshof wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt und zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nacht etwa achtjähriger Haft im Zuchthaus Amberg war er anschließend vom 10. November 1942 bis zum 25. Januar 1944 im Zuchthaus Kaisheim inhaftiert und wurde dann in das KZ Mauthausen und von dort aus in das KZ Ebensee verbracht, wo das Rüstungsprojekt „Siegfried“, die Verlegung der Raketenherstellung von Peenemünde und zugleich der Versuch zur Herstellung neuer Raketen in bombensichere Tunnels durchgeführt wurde. In der ersten Zeit im Lager arbeitete er in der sogenannten Siemensabteilung (Siemenskommando), wo er sich schwer am Bein verletzte. Da es wenig Deutsche im Lager gab, wurde Lörcher als Kapo der Hygieneabteilung eingesetzt. Aufgrund der völligen Überbelegung starben gegen Kriegsende mehr Häftlinge, als verbrannt werden konnten. Über 1.100 Leichen wurden daher im Winter 1944/45 hinter der Desinfektionsbaracke wie Holzscheite gestapelt. Eines Nachts wurde ein besonderes Kommando aufgestellt, das eine große Grube aushob und die Leichen hineinlegte.
Am 6. Mai 1945 wurde das Außenlager Ebensee von US-amerikanischen Truppen befreit.[2]
Nachkriegszeit
Seine Frau Gertrud Sander war in die USA emigriert, kehrte als Angestellte der US Army nach München zurück und fand Lörcher durch den Vermissten-Suchdienst wieder. Sander hatte in den USA den Psychologen Martin Scheerer geheiratet, ließ sich scheiden und lebte bis zu ihrem Tod am 13. November 1966 mit Lörcher zusammen.
Von 1945 bis 1948 war Lörcher Verwaltungsangestellter bei der KZ-Betreuungsstelle des Bayerischen Roten Kreuzes und von 1948 bis 1955 Journalist bei der Tat in Frankfurt/Main für die Frauenzeitschrift Für Dich. In den Jahren 1949 bis zum 30. November 1950 war er als Korrespondent für den Berliner Rundfunk und den Leipziger Sender tätig. Vom 1. Dezember 1955 bis zum 30. September 1959 arbeitete er bei der Arzneimittelfirma Jukanda in Planegg in der Produktion, Werbung und im Außendienst und hatte mehrere Nebentätigkeiten, unter anderem als Reiseleiter für ein Busunternehmen in Berchtesgaden und als Taxifahrer. Nachdem seine Frau in Anger das Cafe „Rosengarten“ erworben hatte, engagierte Lörcher sich in dessen Betrieb. Gast des Cafés war unter anderem Oskar Maria Graf. 1965 engagierte ihn Arnulf Erich Stegmann als Repräsentant des Deisenhofener Dennoch-Verlages in Nahost und Israel, der Reproduktionen mund- beziehungsweise fußgemalter Bilder verlegte. Gemeinsam mit seinem Bruder Albert war er Mitarbeiter der Münchner DGB-Zeitschrift wir. Bis zu seinem Tod war Lörcher politisch aktiv und nahm an Ostermärschen und den Demonstrationen und Menschenketten 1983 gegen die Nachrüstung in Mutlangen und 1986 gegen die WAA Wackersdorf teil. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Lörcher mit seiner Lebensgefährtin Maria Praxedis Aehling, die er seit 1945 kannte. Auf ihre Anregung hin zog er 1966 aus gesundheitlichen Gründen aus seiner Wohnung in der Mitterwieserstraße in Schwabing in eine gemeinsame Wohnung nach Deisenhofen.[3]
Gedenken
2016 wurde von der Stadt München eine Gedenkstele für Ernst Lörcher am Platz der Freiheit in Neuhausen-Nymphenburg errichtet.[4]
Einzelnachweise
- ↑ Ein Untermenzinger im KZ Dachau. In: wochenanzeiger.de. 20. Dezember 2011, abgerufen am 2. September 2025.
- ↑ Ernst Lörcher (1907 -1991) – Tag der Befreiung. 14. April 2020, abgerufen am 2. September 2025.
- ↑ Praxedis Aehling: Schritte mit Ernst. Hrsg.: Bertl Lörcher mit freundlicher Unterstützung des DGB Bildungswerk Bayern e.V.
- ↑ Gerhard Willhalm: Gedenkstele für Ernst Lörcher. In: Münchner Stadtgeschichte - Das Stadtportal zur Geschichte Münchens. Abgerufen am 2. September 2025.