Kibbuz Zerubavel Hamburg-Blankenese
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Der Kibbuz Zerubavel Hamburg-Blankenese (auch Kibbuz Serubbabel, Serubabel, Serubavel geschrieben; englisch Fishery School Hamburg) war eine jüdische Ausbildungsstätte („Hachschara“) in Blankenese (seit 1951 im Stadtteil Nienstedten), in der Fischerei, Seefahrt und Sport unterrichtet wurden. Zielgruppe der Einrichtung, die nur von März bis November 1946 bestand, waren vor allem junge, osteuropäisch-jüdische Displaced Persons (DPs), um sie auf die Einwanderung in das damals noch britische Mandatsgebiet Palästina vorzubereiten. Träger der Einrichtung waren die Jewish Agency und die politisch links ausgerichtete Poale-Zion-Bewegung. Der Kibbuz war im historischen Elbkurhaus untergebracht.
Zum Kibbuz-Namen
Der Name des Kibbuz erinnerte einerseits an den Serubbabel, den Enkel des Königs Jojachin, der nach der biblischen Überlieferung die ins Babylonische Exil verschleppten Juden in ihre Heimat zurückführte und dort mit dem Wiederaufbau des Zweiten Tempels begann. Zum anderen stellte der Name eine Verbindung zu Yakov Vitkin Zerubavel (1866–1967) her, einem der bedeutenden Führer der Poale Zion-Bewegung. Er war 1910 nach Palästina ausgewandert und gehörte dort neben David Ben-Gurion und Jizchak Ben Zwi zu den Pionieren der Zionistischen Bewegung.[1]
Geschichte des Kibbuz
Die Blankeneser Fischerei-Hachschara wurde 1945 formell gegründet. Initiatoren waren unter anderem die Jewish Agency sowie die politisch links ausgerichtete Poale-Zion-Bewegung. Ziel der beiden Organisationen war es, vornehmlich jungen, osteuropäisch-jüdischen Displaced Persons (DPs) eine Ausbildung anzubieten, um ihnen die Einwanderung in das damals noch britische Mandatsgebiet Palästina zu erleichtern.[2] Der Kibbuz hatte verschiedene Vorgängereinrichtungen in der Zeit zwischen 1935 und 1938. Sie befanden sich auf der dänischen Insel Bornholm, bei der italienischen Stadt Livorno, in Danzig sowie in Hamburg.
Die Blankeneser Seefahrts- und Fischerei-Hachschara Kibbuz Zerubavel wurde offiziell im März 1946 eröffnet. Den Gründer- und Schülerkreis bildeten gut 70 jüdische Frauen und Männer, die erst nach Kriegsende als Flüchtlinge in die Britische Besatzungszone gelangt waren.[3] Sie hatten den Zweiten Weltkrieg und die Shoah in Osteuropa überlebt und waren unter anderem über unterschiedliche Routen in das DP-Lager Bergen-Belsen (Kaserne Bergen-Hohne) gelangt oder auch in das vom American Joint Distribution Committee (AJDC) Warburg eingerichtete Children’s Health Home in Hamburg-Blankenese aufgenommen worden. Die Fischerei-Schule entstand aus dem Bemühen der Poale Zion-Bewegung, für eine berufliche Perspektive und nationale Zugehörigkeit der Shoa-Überlebenden, insbesondere deren Kinder und Jugendliche, zu sorgen.[4]
Auf dem Unterrichtsplan der Hachschara standen neben den Hauptfächern Seefahrt, Fischereiwesen und Sport auch die Ausbildung von Matrosen, Nautik, Fischverarbeitung, Netzkunde und Schiffsbau sowie Segeln, Rudern und Schwimmen.[5] Neben dem berufskundlichen Unterricht, der von angestellten deutschen Lehrern erteilt wurde, nahmen die Schüler und Schülerinnen auch an einem hebräischen Sprachkurs teil.[6] Der mit den vier angemieteten Schulkuttern[7] in der Elbmündung gefangene Fisch (etwa 150 Kilogramm pro Woche) wurde an die jüdischen Einrichtungen der Stadt Hamburg verteilt.[8]
Dass der Kibbuz Zerubavel nur wenige Monate bestand, hatte seinen Grund in der zunehmend kritischen Beurteilung der Schule durch die britische Besatzungsmacht. Unter allen Umständen wollten sie die damals noch illegale Einwanderung in ihr Mandatsgebiet Pälästina verhindern. Vor allem befürchteten sie, dass die in der Fischerei-Schule erworbenen nautischen Kenntnisse dazu helfen könnten, Schiffe mit jüdischer Besatzung sicher an den Küsten Palästinas anzulanden. Die britische Tageszeitung Daily Telegraph behauptete in einem Ende November 1946 erschienenen Artikel, dass hinter dem Blankeneser Kibbuz eine „Band jüdischer Propagandisten“ stecke, die mit der Schule lediglich eine Zwischenstation auf dem jüdischen Untergrundweg nach Palästina errichtet hätte. „Am 6. November 1946“ – so der Shoa-Überlebende Norbert Wollheim (1913–1998)[9] – „erschien bei der Jüdischen Fischerschule ein Offizier vom Military Government und eröffnete dem Leiter der Schule, dass aufgrund einer Armeeorder die Schule sofort geschlossen werden muss.“ Als neue Unterkunft für die Schüler und Schülerinnen war das DP-Camp Neustadt in Holstein vorgesehen. Die scharfen Proteste der Kibbuz-Bewohner und des jüdischen Zentralkomitees konnten die durch die britische Militärpolizei am 21. November 1946 gewaltsam herbeigeführte Schließung der Schule nicht verhindern. Die meisten Kibbuzniks hatten allerdings zu diesem Zeitpunkt das Elbkurhaus bereits verlassen und im DP-Camp Bergen-Belsen Unterschlupf gefunden. Neunzehn Männer und sieben Frauen, die in Blankenese verblieben waren, wurden von der Militärpolizei wegen des Verdachts, Juden nach Palästina zu schmuggeln, festgenommen und mit „Gewalt auf englische Autos verladen und aus Blankenese fortgebracht“ – so übereinstimmend die Daily Express sowie die jiddische Zeitung Undzer Shtime. Letztere berichtete noch, die Aktion sei begleitet gewesen von einem „zufriedenen Lächeln der Deutschen in Blankenese (…), die mit Hilfe der Engländer die Juden nun losgeworden waren“.[10]
Mit der Eröffnung einer jüdischen Schifffahrtsschule in Neustadt/Holstein folgte ab Spätherbst 1947 eine dem Blankeneser Kibbuz ähnliche Ausbildungsstätte – mit ausdrücklicher Erlaubnis der britischen Militärregierung. Einige Mitglieder des Kibbuz Serubavel schlossen sich, nachdem sie in Israel eingewandert waren, der am See Genezareth gelegenen Kollektivsiedlung En Gev an und waren dort beruflich im Fischfang tätig.[11]
Elbkurhaus
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Das Elbkurhaus, Sitz des Kibbuz Zerubavel, war ursprünglich ein altes Fabrikgebäude, das der Altonaer Tapetenfabrikant Wilhelm Christoph Peter Iven (1862–?) zu einer stattlichen Villa hatte umbauen lassen. Diese bewohnte er mit seiner Ehefrau Marie, Tochter des Segelmachers Peter Theodor Iven[12], und seinen dreizehn Kindern, unter ihnen die spätere Künstlererin und Mäzenin Dora Wenneker-Iven (1889–1980). Anfang des 20. Jahrhunderts wurde aus der Familienvilla ein Hotel, dem ein Restaurantbetrieb angeschlossen war. Aus dieser Zeit stammt der Gebäudename Elbkurhaus.
Im Januar 1939 erwarb der Reeder John T. Essberger bei einer Zwangsversteigerung den Gebäudekomplex samt Grundstück. Sein Plan, das Hotel grundlegend zu renovieren, musste mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs aufgegeben werden. Die erste und zweite Etage des Elbkurhauses wurde an das Luftgaukommando XI vermietet, das Erdgeschoss wurde zum Sitz verschiedener Firmen. Im März 1946 zog dann die Fischereischule Kibbuz Zerubavel in das Gebäude ein. Die Umgebung des Kibbuz nahm nur wenig Notiz von den neuen Nachbarn. Es vergingen Jahrzehnte, bis die Tatsache, dass Blankenese einstmals einen jüdischen Kibbuz beherbergt hatte, in das öffentliche Bewusstsein trat.[13]
Nach der gewaltsamen Auflösung des Kibbuz im November 1946 diente das ehemalige Hotel zunächst Flüchtlingen aus den ehemals deutschen Ostgebieten als Unterkunft. Auch vermietete die Reederei Essberger preisgünstig einen Teil des Elbkurhauses als Ateliers an Hamburger Künstler. Mitte der 1950er Jahre beschloss die Eigentümerin, den gesamten Komplex abzureißen und durch eine Reihenhauszeile zu ersetzen. Architekt der Neubauten war der aufgrund seiner engen Verbindungen zum Nationalsozialismus umstrittene Cäsar Pinnau. Heute erinnert nur noch die Straße Beim Elbkurhaus an das frühere Hotel und damit auch an den Blankeneser Kibbuz.[14]
Literatur
- Landeszentrale für politische Bildung Schleswig-Holstein (Hrsg.): Unzer Sztyme. Jiddische Quellen zur Geschichte der jüdischen Gemeinden in der britischen Zone 1945–1947. Kiel 2004.
- Lennart Onken: One step in the difficult task of rehabilitating those who have suffered under Hitlerism – Die jüdische Fischereischule ‚Serubavel‘. o. D.
- Helmut Schwalbach: Fischerei am Anleger Dockenhuden. Der Kibbuz von Blankenese. In: Klönschnack. 2006. S. 18–20.(PDF-online).
- Björn Siegel: Arnold Bernstein, Immigrant Entrepreneurship. German-American Business Biographies (1720 to the present). 17. Juni 2015++(online).
- Verein zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese (Hrsg.): Kirschen auf der Elbe – Erinnerungen an das jüdische Kinderheim Blankenese 1946–1949. Klaus-Schumann-Verlag, Hamburg, 2010.
Weblinks
- Kibbuz Zerubavel – Hamburg/Blankenese
- Hamburg – Fischerei-Kibbuz Serubabel (Hachschara) | Fishery Kibbutz Zerubavel (Hachsharah)
- Fischerei am Anleger von Dockenhuden: Der Kibbuz von Blankenese (PDF online)
Einzelnachweise
- ↑ hachschara.juedische-geschichte-online.net: Kibbuz Zerubavel – Hamburg/Blankenese (Seefahrts-Hachschara); abgerufen am 19. Februar 2024.
- ↑ hachschara.juedische-geschichte-online.net: Kibbuz Zerubavel – Hamburg/Blankenese (Seefahrts-Hachschara); abgerufen am 6. April 2025.
- ↑ Helmut Schwalbach / viermalleben.de: Fischerei am Anleger von Dockenhuden: Der Kibbuz von Blankenese (PDF online); abgerufen am 12. September 2025
- ↑ hachschara.jüdische-geschichte-online.net: Kibbuz Zerubavel – Hamburg/Blankenese (Seefahrts-Hachschara); abgerufen am 12. September 2025.
- ↑ hachschara.jüdische-geschichte-online.net: Kibbuz Zerubavel – Hamburg/Blankenese (Seefahrts-Hachschara); abgerufen am 12. September 2025. − Helmut Schwalbach / viermalleben.de: Fischerei am Anleger von Dockenhuden: Der Kibbuz von Blankenese (PDF online); abgerufen am 12. September 2025
- ↑ after-the-shoa.org: Der Kibbuz am Hamburger Elbufer / A kibbutz on the banks of the Elbe in Hamburg; abgerufen am 1. September 2025.
- ↑ after-the-shoa.org: Der Kibbuz am Hamburger Elbufer / A kibbutz on the banks of the Elbe in Hamburg; abgerufen am 1. September 2025.
- ↑ Helmut Schwalbach / viermalleben.de: Fischerei am Anleger von Dockenhuden: Der Kibbuz von Blankenese (PDF online); abgerufen am 12. September 2025
- ↑ Zu Norbert Wolheim siehe Wollheim-Memorial; abgerufen am 12. September 2025.
- ↑ after-the-shoa.org: Der Kibbuz am Hamburger Elbufer / A kibbutz on the banks of the Elbe in Hamburg; abgerufen am 1. September 2025.
- ↑ after-the-shoa.org: Der Kibbuz am Hamburger Elbufer / A kibbutz on the banks of the Elbe in Hamburg; abgerufen am 1. September 2025.
- ↑ Zu Peter Theodor Iven siehe ancestry.de: Sterbeurkunde Nr. 130 (ausgestellt in Hamburg am 26. Januar 1892)
- ↑ kuerschner-pelkmann.de: Elbkurhaus in Blankenese; abgerufen am 12. September 2025. - Der dort abgedruckte Text wurde folgendem Buch entnommen: Frank Kürschner-Pelkmann: Entdeckungsreise entlang der Elbchaussee. Mit dem Linienbus 112 von Altona bis Blankenese. Rediroma Verlag: Remscheid, 2024.
- ↑ Wolf Achim Wiegand: ZeitSprünge. Hamburg-Blankenese im Wandel. Sutton-Verlag: Erfurt, 2012. S. 47f.
Koordinaten: 53° 33′ 16,3″ N, 9° 49′ 19,2″ O